ADB:Wessenberg, Heinrich Freiherr von

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Artikel „Wessenberg, Heinrich Freiherr von“ von Johann Friedrich von Schulte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 147–157, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wessenberg,_Heinrich_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 05:20 Uhr UTC)
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Band 42 (1897), S. 147–157 (Quelle).
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Wessenberg: Ignaz Heinrich Karl Freiherr von W., Herr zu Angringen und Feldkirch im Breisgau, geboren zu Dresden am 4. November 1774, † zu Konstanz am 9. August 1860. Der Vater, Karl Philipp v. W., war zur Zeit der Geburt kursächsischer Conferenzminister und Obersthofmeister, die Mutter eine geborene Gräfin Thurn-Valsassina, sie starb im J. 1779. Seine Kinderjahre verlebte er beim Großvater in Feldkirch (Pfarrdorf im Dekanat Breisach), dessen Patronat der Familie v. W. zusteht, unter der Leitung eines geistlichen Hofmeisters. Auf den vortrefflich veranlagten Knaben übte der tief religiöse, patriotisch gesinnte und aufgeklärte Vater großen Einfluß. Nach eigener Erzählung machte ihn der im zehnten Jahre genossene Beichtunterricht zum Skrupulanten. Der Ausbruch der Revolution von 1789 machte auf den Jüngling wie auf viele begabte Männer einen tiefen Eindruck, auch er sah in ihr „die Morgenröthe neuer goldner Zeiten aufgehen“; der die Familie treffende Verlust eines bedeutenden Besitzes im oberen Elsaß erschütterte seine Auffassung nicht. Zu diesen Eindrücken gesellte sich die große Verehrung des Vaters vor Kaiser Josef II., dessen Tod der Vater den Kindern mit den Worten kundgab: „es müßten schwere Prüfungen bevorstehen, da ein solcher Regent so früh aus dem [148] Leben geschieden sei“. Im Herbst 1790 kam er mit dem älteren Bruder Johann Philipp an die von Exjesuiten geleitete Schule bei St. Salvator in Augsburg. Die Methode des Unterrichts sagte dem Jüngling, trotz der Fortschritte, die er machte, nicht zu. Nachdem er im J. 1792 eine Dompräbende an dem Hochstifte zu Konstanz und eine zweite an dem zu Augsburg, eine dritte in Basel erhalten hatte, willigte sein Vater ein, daß er Augsburg verließ und sich dem Studium der Theologie in Dillingen zuwandte. Der Unterricht des Philosophen Josef Weber, des Dogmatikers Benedict Zimmer, welche in Kant’s Geiste lehrten, und Sailer’s wurde für seine Richtung entscheidend. Die Entfernung Sailers vom Dillinger Lehramte (November 1794) verleidete ihm diesen Ort, der Tod seines Vaters folgte bald. Er ging jetzt nach Würzburg, wo er neben theologischen Vorlesungen namentlich bei Samhaber und Schmidlein hörte und an den schriftlichen Uebungen derselben mit großem Erfolge theilnahm. Für sein Leben von Bedeutung wurde, daß er in Würzburg den damaligen Coadjutor von Mainz und Konstanz Karl Theodor v. Dalberg persönlich kennen lernte. Im J. 1796 ging er nach Wien und hörte hauptsächlich bei Dannenmayr. Seine Stellung brachte ihn in die höchsten Kreise und zur Begegnung mit Männern wie seinem Vetter Metternich, dem letzten Reichsvicekanzler F. v. Colloredo-Mansfeld, Johannes v. Müller u. a. Der Aufenthalt selbst gab ihm vor allem einen tiefen Einblick in das Getriebe, welches sich infolge des Friedens von Campo Formio (17. October 1797) einstellte, in dem jeder auf Kosten des anderen zu gewinnen suchte. Von neuem traf W. auch mit Dalberg in Wien zusammen, welcher im Auftrage seines Coadjutus, des Fürstbischofs von Konstanz, Maximilian Christoph v. Rodt, den Plan des Kurfürsten von Trier und Fürstbischofs von Augsburg, Clemens Wenzel von Sachsen, die Gebiete des Bischofs von Konstanz und Fürstabts von Kempten als Entschädigung für die Verluste auf dem linken Rheinufer zu erhalten, welcher Plan vom kurtrierischen Minister v. Dominique in Wien betrieben wurde, zu durchkreuzen suchte. W. verließ Wien im Frühjahr 1798 und schlug seinen Wohnsitz in Konstanz auf, wo er den Studien oblag. Eine Unterbrechung bildete im folgenden Jahre der Beisitz in der geistlichen Regierung zu Augsburg, welcher ihm wegen der dort herrschenden Grundsätze nicht behagte. Es beginnt mit dem Jahre 1800 eine entscheidende Wendung in dem Leben Wessenberg’s. Um dessen öffentliches, mit dem Jahre 1801 beginnendes Wirken zu verstehen, ist es nothwendig, sich den Einfluß klar zu machen, welchen die genannten Lehrer auf ihn geübt haben. Dazu kommt der Eindruck der politischen Ereignisse, nicht minder der von dem Wirken des Würzburger Fürstbischofs Franz Ludwig v. Erthal, welches der Nachfolger in gleichem Geiste fortsetzte, die geistige Strömung, welche in dem größten und bedeutendsten Theile der katholischen Litteratur jener Zeit herrschte, und in den Grundsätzen der Humanität und Duldung, der Bekämpfung der päpstlichen Uebergriffe, des Jesuitismus ihr Ziel sah. Auch die genaue Kenntniß der kirchlichen Zustände, die sich gerade in dem rein katholischen Oesterreich und in den geistlichen Gebieten gebildet hatten, trugen bei. Zweifelsohne hat seit 1800 Dalberg einen großen Einfluß auf W. gehabt. Dieser war mit dem Tode des Fürstbischofs v. Rodt (14. Januar 1800) Bischof von Konstanz geworden und bot ihm das Generalvicariat dieser Diöcese an, zu welcher ein großer Theil der Schweiz (23 Dekanate, die heutigen Kantone Zürich, Luzern, Uri mit Ausnahme des Thales Ursere, Schwyz, Unterwalden, Glarus, Zug, Appenzell, St. Gallen mit einigen Ausnahmen, Schaffhausen, ein Theil von Aargau, Thurgau, Solothurn östlich der Aar) gehörte. Bevor er dies Amt antrat, was anfangs 1802 geschah, brachte er eine Zeit bei seinem erkrankten Oheim, dem Dompropst Grafen Thurn in Regensburg zu. Hier gab er sich große Mühe, die Säcularisation [149] zu verhindern und trat in der Schrift „Ueber die Folgen der Säcularisation“ (Zürich 1801), welche anonym erschien, während des Regensburger Aufenthalts dafür ein, daß der Lüneviller Friede nur eine theilweise Säcularisation gemeint haben könne, wie eine solche allein dem Westfälischen Frieden bekannt sei, nicht die zuerst von katholischen Fürsten vorgenommene Vernichtung. Er sieht als Folgen der gänzlichen Säcularisation den Untergang der deutschen Staatsverfassung, die Unterdrückung der katholischen Kirche, die Verschlingung der kleineren Staaten durch die größeren, den Niedergang des Kaiserthums und den Verfall des Hauses Habsburg, die Unsicherheit des Eigenthums u. s. w. Daß diese Bestrebungen erfolglos blieben, kann nicht Wunder nehmen, wenn man die Strömungen und Bestrebungen in Betracht zieht, welche sofort nach dem Abschlusse des Lüneviller Friedens eintraten und in dem Reichsdeputationshauptschlusse des Jahres 1803 ihren vorläufigen Abschluß fanden. Glücklicher war W., der im selben Jahre 1801 von Dalberg in die Schweiz entsandt wurde, um die Rechte und Güter der Hochstifte und deutschen Reichsstände in der Schweiz zu retten; die Mission gelang ihm dergestalt, daß P. Pius VII. in einem Breve vom 20. November 1801 seine Anerkennung und seinen Dank ausdrückte. Es war dies der erste und einzige Fall, in welchem W. sich des Wohlgefallens der Curie zu erfreuen hatte. Mit dem Jahre 1802 begann die Thätigkeit desselben als Generalvicar. Er war 27 Jahre alt, hatte keinerlei praktische Erfahrungen in der Seelsorge, welche er als bloßer Minorist nicht üben konnte, nicht geübt hatte; gewiß besaß er viele und schöne Kenntnisse und den besten Willen. Er sagt (Beck S. 96): „Das Bild eines großen geistig religiösen Berufes stand mir unaufhörlich vor der Seele, mein fester Entschluß, ganz diesem Berufe zu leben und ihm mit Beseitigung aller selbstischen Rücksichten mein volles Kraftmaß zu widmen, brachte Klarheit, Heiterkeit und Zuversicht in mein Inneres, die mich mitten unter Kämpfen und Mühseligkeiten stets aufrecht erhielten und nie verzagen ließen. Ich setzte mein volles Vertrauen auf die Kraft der Wahrheit und den guten Willen der vielen Einzelnen, die sich nur nach Ermuthigung von der Oberbehörde sehnten, um ein ächt christliches Leben in ihren Gemeinden zu wecken und das Gestrüpp von Mißbräuchen und Unordnungen, das ihm widerstrebte, allmählich auszurotten.“ Diese als Rückblick auf sein Leben und Streben geschriebenen Worte geben zweifelsohne seine Tendenz genau an. Aber wenn er schon bei Antritt seines Amtes so klar sah, ging er offenbar von einem theoretisch zusammengestellten Plane aus; denn sein Wirken liefert den Beweis, daß er nicht bloß an dem einsetzte, was noththat und für das wirkliche kirchliche Leben von unmittelbarem Erfolg sein konnte, sondern auch verschiedene Maßregeln ergriff, welche theils verfrüht, theils nicht nöthig waren, und welche gerade den Gegnern geeignete Handhaben boten, ihn zu stürzen. Hierzu kam eine unleugbare Uebereilung, alles von ihm als schlecht oder veraltet Angesehene so rasch als möglich mit Stumpf und Stiel[WS 1] auszurotten oder zu bessern, die ihm den Blick für das verschloß, was erreichbar war. Er besaß auch ein zu großes Selbstvertrauen, dieses hinderte ihn, die vorhandenen und sich bildenden Gegenströmungen genügend zu würdigen. Wessenberg’s Wirksamkeit liegt offen zu Tage in einer Reihe von Erlassen und Verordnungen. Er begann am 5. Januar 1803 damit den Seelsorgern die Pflicht einzuschärfen, an Sonn- und Festtagen Vormittags eine Predigt oder einen homiletischen Vortrag, Nachmittags eine Christenlehre zu halten, an den übrigen Festtagen mindestens die eine oder andere zu halten, weil sie „sonst ohne Seelennutzen“ bleiben; er gebot in einer zweiten Verordnung vom selben Tage den Seelsorgern den fleißigen Schulbesuch, die Abhaltung des Religionsunterrichts, die Sorge für die Sommerschulen u. s. w.; eine dritte vom selben Tage ordnete die regelmäßige Abhaltung [150] von Pastoralconferenzen an, die durch spätere eingehend geregelt wurden; am 11. März wurde die Verlesung des Evangeliums nebst einem viertelstündigen Unterricht über einen Text desselben an Sonn- und Feiertagen befohlen. Diese Anordnungen, andere betreffend die Disciplin und das Verhalten des Clerus, insbesondere hinsichtlich des Wirthshausbesuches, Verordnungen über den Geschäftsgang, über die Vorbildung, die Prüfung der Geistlichen, die Kirchenbücher, die Visitationen, sind in jeder Hinsicht als zweckmäßig anzusehen, sie haben unzweifelhaft zur Besserung der Zustände beigetragen und sind auch nicht Gegenstand der römischen Beschwerden geworden. Ebenso vortrefflich und unanfechtbar waren Verordnungen, welche die Mißbräuche bei den Leichenbegängnissen der Geistlichen, das Zusammenströmen von Geistlichen an den Kirchenpatronfesten, die Einhaltung der Residenz der Pfarrer und Beneficiaten, die Communion der Kinder, die österliche Beicht und Communion und andere Dinge betrafen, namentlich die Leichenpredigten, für die nur zehn Minuten gestattet werden. Die verschiedenen Verordnungen über die Einschränkungen der Bittgänge (Wallfahrten, Processionen) und die Verminderung der Feiertage, die Verlegung der Kirchweihen u. a. lagen im Geiste der Zeit, waren ähnlich oder geradeso auch in anderen deutschen Diöcesen erlassen worden und an sich nicht zu mißbilligen, sondern zu loben, aber sie stießen an bei der gewöhnlichen Bevölkerung und boten einzelnen Geistlichen eine Handhabe. Das war noch mehr der Fall bezüglich der sehr guten Verordnung über das Opfergehen (Umgang in den Kirchen, namentlich um den Altar, wobei ein Opfer auf diesen gelegt wird, das meist dem Pfarrer zukommt), vor allem aber durch seine Anordnungen betreffs der Haustaufen, des Gebrauchs der deutschen Sprache bei liturgischen Acten, insbesondere der Frohnleichnamsprocession und der von ihm eingeführten Formulare. Ganz direct kam er in Conflict mit Rom durch eine am 10. December 1804 erlassene Verordnung über Ehegelöbnisse, welche für die rechtliche Wirksamkeit von Sponsalien die Eingehung im Pfarrhause vor Pfarrer und zwei Zeugen fordert, für die von Jünglingen unter 20, Mädchen unter 18 Jahren Zustimmung der Eltern (Vormünder) oder Ergänzung dieser durch den Richter verlangt. Manches in dieser Verordnung, worauf hier nicht eingegangen werden kann, ist sehr gut, vor allem die zweite angeführte Satzung, während die erste an sich zu weit geht; aber es ist nicht zu leugnen, daß W. vom Standpunkte des geltenden kirchlichen Rechts, welches zugleich das bürgerliche war, durch diese Verordnung seine Competenz überschritten hat. Am 15. April 1805 wurde eine Verordnung erlassen, welche befahl, von dem Nuntius in Luzern ertheilte Ehedispensen, welche ohne Mitwirkung der bischöflichen Behörde gegeben seien, nicht in Vollziehung zu setzen, sondern einzusenden, da solchen nicht von ihr untersuchten und gutgeheißenen eine Wirkung nicht zuerkannt werden könne. Damit war ein Act von schwerwiegender Bedeutung geschehen, der gewiß richtiger erst nach fruchtloser unmittelbarer Correspondenz mit dem Nuntius hätte erlassen werden sollen. Ging dieser Schritt direct gegen den Papst, so gab die Uebereinkunft mit der Regierung von Luzern vom Jahre 1806 (welche Dalberg am 1. März genehmigte; Denkschrift S. 107 ff.) in geistlichen Dingen, so manches Vortreffliche sie enthält immerhin durch einzelne Bestimmungen Anlaß zum Angriffe; sie und die behufs Errichtung des Priesterseminars intendirte Aufhebung des Klosters Wertenstein wurden in zwei Breven des Papstes vom 21. und 28. Februar 1807 scharf getadelt und ihre Aufhebung gefordert. Der für Rom angesammelte Stoff erhielt neuen Zuwachs durch das „an einige Commissariate und Decanate in der Schweiz in Betreff der gemischten Ehen“ ergangene Rescript vom 3. December 1808, welches, falls gegen die Vorstellung des katholischen Pfarrers die gemischte Ehe beabsichtigt und von der Regierung bewilligt und die katholische [151] Kindererziehung nicht zu erreichen sei, die religiöse Kindererziehung nach dem Geschlechte zugesteht, die Verkündigung in der Kirche, die Eheeinsegnung durch den Pfarrer des Bräutigams vorschreibt, die nachfolgende „Bezeugung des Eheconsenses“ vor dem andern Pfarrer zuläßt, die Taufe der Kinder nach dem Geschlechte freistellt. Das war nun freilich nicht richtig, wie das Rescript sagt, daß „es die Uebung in der katholischen Kirchenverfassung (so) mit sich bringt“, da im Gegentheile der Geist der römisch-katholischen Kirchenverfassung dem entspricht, was die römische Praxis verlangte. Um zu zeigen, daß W. allzusehr Theoretiker war, sei noch auf eine Verordnung vom 18. Januar 1809 hingewiesen, welche einen Eheunterricht enthält, der am ersten Sonntag nach dem Feste der Erscheinung Christi jährlich von der Kanzel verlesen werden sollte; dazu jährlich in einer besonderen Christenlehre nur für die aus der Schule bereits entlassenen jungen Leute ein ausführlicher Unterricht über die in jedem Lande bestehenden Ehehindernisse u. s. w. Daß nichts dabei herauskommen kann, liegt auf der Hand. Am 16. März desselben Jahres erließ W. eine gute Gottesdienstordnung. Aber alles, was er zur Hebung des Schulwesens, zur Hebung der Bildung der Geistlichen, zur Besserung der Zustände der Diöcese gethan und angeordnet hatte, vermochte nicht, den Sturm abzuhalten, der sich seit dem Jahre 1811 über seinem Haupte zusammenzog. Der Nuntius Testaferata in Luzern richtete unterm 26. Januar 1811 ein Schreiben an W., worin er ihm die Ertheilung von Ehedispensen, die dem Papste vorbehalten seien, und von Entbindungen vom feierlichen Ordensgelübde u. a. vorhielt. W. antwortete am 18. März, nachdem Dalberg in einem Schreiben vom 27. Februar das Nuntiaturschreiben als „höchstanmaßlich“ bezeichnet hatte, daß er, weil der Zugang zum Papste gesperrt sei, also habe handeln können, daß er aber auch in Zukunft die überflüssige Klausel „aus delegirter päpstlicher Autorität“ nicht mehr gebrauchen werde. Im selben Jahre begleitete W. den Fürstprimas Dalberg zu dem von Napoleon in Paris einberufenen Concil (17. Juni bis Ende Juli), welches ohne Resultat blieb, insbesondere nicht den Erfolg der von Dalberg und W. gewünschten Errichtung einer deutschen Nationalkirche hatte. Im September 1812 weihte Dalberg ihn in Fulda zum Priester. Bald nachher trat die Wendung ein. In der Schweiz strebte man seit 1804 eine Aenderung der kirchlichen Verhältnisses an, die einen wollten gemeinsame Verhandlung aller Kantone zur Errichtung schweizerischer Bisthümer, die anderen Verhandlung der bisher zur selben Diöcese gehörigen Kantone, der „Diöcesanstände“, die dritten hielten es für Sache jedes Kantons. W. hatte in allen Jahren seiner Verwaltung übersehen, daß in den Kantonen Uri, Schwyz und Unterwalden eine Richtung Platz genommen hatte, welche der seinigen schroff entgegenstand; seine liberalen Maßregeln, seine Separatabkommen mit Luzern und sein Auftreten gegen den Nuntius gaben diesem das Mittel, zu schüren und klugerweise den Gedanken der schweizerischen Selbständigkeit zu betonen. Es gelang ihm schließlich. Die zu Konstanz gehörigen Kantone, mit Ausnahme von Luzern, Zug und Aargau baten den Papst in einem Schreiben vom 16. April 1814 um die Trennung vom Bisthum Konstanz, wenn diese in aller Form Rechtens statthaben könne. Die päpstlichen Maßregeln entsprachen nicht der Bitte und Erwartung der Stände, sie setzten an die Stelle des Rechts die Willkür. Am 31. December 1814 gab der Nuntius ein päpstliches Breve vom 7. October heraus, welches scheinbar auf die Wünsche der Kantone einging, theilte aber weiter mit, daß er an Dalberg ein Breve über die vollzogene Trennung der Schweiz von der Diöcese Konstanz abgesandt habe und daß der Papst den Propst von Beromünster, Göldlin von Tieffenau, zum apostolischen Vicar für die abgetrennten Kantone ernannt habe. Das Trennungsbreve ist datirt vom 2. November 1814, das [152] Ernennungsbreve vom 10. Januar 1815. So hatte der Nuntius das Breve vom 7. October zurückgehalten, bis die Trennung erfolgt war, durch die Verkündigung des Verwesers vor dessen Ernennung den Papst vor die Alternative gestellt, ihn entweder zu desavouiren oder die Ernennung vorzunehmen. Die Proteste Dalberg’s, des Capitels, der Kantone blieben erfolglos. Letztere beruhigten sich, Rom hatte durch Rücksichtslosigkeit gesiegt. Bevor dieses erreicht war, hatte Wessenberg’s Stellung sich wesentlich verschlechtert. Im October 1813 hatte Dalberg in der Schweiz, wohin er geflohen war, dem Nuntius die Zusage ertheilt, für den schweizerischen Theil des Bisthums Konstanz einen besonderen Generalvicar in der Person eben jenes Göldlin zu bestellen. Als er dann nach Konstanz gekommen war, verschwieg er sein Versprechen, bis die schriftliche Verantwortung Wessenberg’s resultatlos verlaufen war. W. forderte seine sofortige Entlassung, Dalberg ging nicht darauf ein, erfüllte das dem Nuntius gegebene Versprechen nicht, gab vielmehr W. im J. 1815 eine Urkunde, in der er ihn zum Coadjutor für Konstanz ernannte und die Erwartung aussprach, „daß die bei der Besetzung des bischöflichen Stuhles Betheiligten der Nachfolge Wessenberg’s im Bisthum ihre Zustimmung ertheilen werden“. So hatte Dalberg’s Charakterlosigkeit dem Nuntius die Sache leicht gemacht. Dem Wunsche Dalberg’s entsprach das Capitel und die badische Staatsregierung. Der Papst aber ignorirte die Bitte um Bestätigung. Statt dieser erfolgte ein Anderes. Dalberg hatte am 24. Juli 1814 von Regensburg aus einen lamentabeln und devoten Brief über die traurige Lage der deutschen Kirche an den Papst geschrieben. Des letztern Antwort vom 2. November, also demselben Tage, der das Trennungsbreve brachte, forderte ihn auf, unter Vorhaltung seiner Vergehen, sich, wie er gelobt, gehorsam zu zeigen und „vom Amte des Generalvicars der Konstanzer Kirche zu entlassen ohne alles Zögern jenen famosen Wessenberg, über dessen verderbliche Lehren, schlechten Beispiele und verwegene Widerstrebungen gegen die Befehle des apostolischen Stuhles uns Dinge berichtet und mit den sichersten Urkunden bewiesen sind, so daß wir ihn ohne großen Anstoß für die Gläubigen und Verfehlen gegen unser Gewissen nicht länger dulden können“. Dalberg hat dies Breve nicht ausgeführt, ja es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß W. erst nach dessen Tode von ihm Kenntniß erhalten hat. W. war von Dalberg als dessen Gesandter zum Wiener Congreß geschickt; Dalberg ließ ihn in dieser Stellung, für welche er ihn wol wegen seiner Verwandtschaft mit Metternich und als jüngeren Bruder des österreichischen Ministers, bei dem er wohnte, besonders geeignet halten mochte. W. gab sich alle Mühe, beim Congresse für die Kirche das Mögliche zu retten, was hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden kann, seine Anstrengungen blieben erfolglos. Er hat seinen Ideen auch in der ohne Druckort und anonym erschienenen Schrift „Die deutsche Kirche. Ein Vorschlag zu ihrer neuen Begründung und Einrichtung. Im April MDCCCXV“, deren Abfassung durch ihn außer Zweifel ist (die Beweise bei Mejer I. 460), niedergelegt. Sie verlangt eine Verfassung, welche „dem Episcopate in Deutschland gegen die ungebührlichen Ansprüche und Anmaßungen der römischen Curie wirksamen Schutz gewähre“, empfiehlt ein Bundesconcordat, einen Primas, möglichste Beibehaltung der alten Bisthümer, Dotation der Kirche in Grundstücken, Schutz der obersten Bundesbehörde u. s. w. Es bedarf keines Beweises, daß Rom, dem der Autor nicht unbekannt blieb, durch diese Pläne ihm nicht günstiger gesinnt wurde. Nach Beendigung des Wiener Congresses ging W. nach Frankfurt und suchte von dort aus namentlich durch eine Eingabe an die deutschen Regierungen für die Durchführung seiner Ideen zu wirken. Auf W. v. Humboldt’s Ersuchen hatte er 1816 diese in einem Aufsatze niedergelegt, welcher erweitert später u. d. T. erschien „Betrachtungen [153] über die Verhältnisse der katholischen Kirche im Umfange des deutschen Bundes. 1818.“ Auch sie ist anonym, gedruckt in Karlsruhe, sicher von W. (vgl. Beck, S. 224). Der Tod Dalberg’s (10. Febr. 1817) hatte eine neue Wendung zur Folge. Das Konstanzer Capitel beschloß einstimmig – unter den Mitgliedern war auch Hermann v. Vicari, der spätere Erzbischof von Freiburg –, daß W. in seiner Stellung verbleiben und, solange er am Bundestage oder sonst abwesend sei, die Geschäftsführung von Dr. Reininger als Provicar fortgesetzt werden solle. Auf die Anzeige der Wahl zum Capitularvicar erfolgte mit Breve des Papstes vom 15. März die Nichtigkeitserklärung dieser Wahlen und Aufforderung zu einer neuen; es wird darin auf den Inhalt des Breve vom 2. November 1814 hingewiesen, welcher dem Capitel nicht unbekannt sei. Das Domcapitel richtete am 3. Mai an den Papst eine Antwort, die sagt, daß ihm weder des Papstes Wille der Absetzung Wessenberg’s vom Amte des Generalvicars noch weniger die Gründe bekannt seien, welche den Papst zu der Nichtigkeitserklärung bewogen hätten; es wird auf dessen unbescholtenes Leben, dessen ausgezeichnete Amtsführung und hohes Ansehen namentlich beim Großherzog von Baden hingewiesen, der ihn in seiner Stellung erhalten wolle. Ein päpstliches Schreiben an den Großherzog vom 21. Mai wurde von letzterem am 16. Juni damit erwidert, daß das römische Verfahren unstatthaft sei und W. bis zur etwaigen rechtsgültigen Verurtheilung die Verwaltung behalten müsse; zugleich wird gegen die in dem Breve enthaltene Unterstellung der Diöcese Konstanz unter die Nuntiatur in Luzern Einspruch erhoben. Von diesem Beschlusse wurde dem Ordinariate Konstanz, dem Diöcesanclerus und den Staatsbehörden gleichzeitig Kenntniß gegeben. W. erklärte nach Rom reisen zu wollen, um dem Papste seine persönliche Ehrfurcht zu bezeugen und über die ihm unbekannten Anschuldigungen Aufklärung zu erbitten. Der Großherzog billigte diesen Entschluß und setzte durch ein Schreiben seines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten vom 25. Juni den Kardinalstaatssecretär Consalvi hiervon in Kenntniß mit dem Ersuchen wohlwollender Aufnahme. W. reiste in Begleitung des Ex-Franziskaners Dr. Burg, welchen er zum geistlichen Rathe ernannt hatte, eines schlauen, geschäftsgewandten Mannes, welcher es einzurichten wußte, daß man ihn nicht als Genossen ansah und sich dadurch die Möglichkeit eröffnete, später als Bischof von Mainz vom Papste ernannt zu werden. Am 18. Juli 1817 kam W. in Rom an, erhielt auf die Anzeige des österreichischen Gesandten am 20. Juli Audienz bei Consalvi. Die Unterhandlungen in Rom liegen vor in Noten Consalvi’s an W. vom 2. September, 16. October, 11. December 1817 und den Antworten Wessenberg’s vom 12. September, 18. November, 16. December 1817. In der ersten theilte Consalvi W. die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen bezw. Beschwerden mit. Sie beziehen sich auf die bereits hervorgehobenen Punkte, sodann darauf, daß W. den Professor der Theologie, Thaddäus Dereser, trotz der Verurtheilung von dessen Lehre durch zwei Breven in Schutz genommen habe; daß für die Pfarrconcursprüfung am 5. Mai 1806 die beiden sehr verfänglichen Fragen gestellt seien: 1. „an pontificatus ab episcopatu Romano in perpetuum evelli, 2. an ille salvo ecclesiae systemate in patriarchatus commutari queat?“; daß W. über die Predigt eines Exmönchs, Alois Hekelsmüller, ein günstiges Urtheil abgegeben habe, obwol derselbe die Verehrung der Heiligen für irrig, die Andachtsübung des Rosenkranzes für lächerlich und erklärt habe, man müsse zwischen der katholischen Kirche und dem römischen Papste einen Unterschied machen; daß er schlechte Bücher verfaßt, gutgeheißen oder genehmigt habe, wodurch er offenbar dargethan habe, wie seine Lehre beschaffen sei. Es werden genannt die Jahrbücher der Curie von Konstanz, die unter seiner besonderen Leitung und Aufsicht gedruckt seien, worin (H. 8. von 1810) der Inhalt des [154] Buchs „Coopers Briefe“ genannt werde „reiner Katholicismus“ (folgt eine Angabe von Sätzen daraus, die allerdings in diametralem Widerspruche mit der katholischen Lehre stehen), Wessenberg’s „Die deutsche Kirche“, ein von ihm herrührendes Schriftchen „Argumenta solatii pro matribus christianis“, das höchst verderbliche Lehren enthalte. W. vertheidigte sich betreffs jedes Punktes, erklärte insbesondere, daß das Breve vom 2. November 1814 „vom verstorbenen Bischof niemals weder dem Domcapitel, noch ihm mitgetheilt sei“; bezüglich Dereser’s gibt er solche Auskunft, daß sie genügen konnte; die Concursfragen seien gerade gestellt worden, um sich von der katholischen Lehre der Candidaten zu vergewissern; er wies nach, daß Hekelsmüller widerrechtlich von der weltlichen Behörde entsetzt sei und die ihm imputirten Lehrsätze nicht vorgetragen habe; die Erklärung über das Coopersche Buch sagt, er habe und gewiß auch der Censor der Anzeige keine Ahnung von dessen schlechtem Inhalt gehabt und sei bereit eine Beurtheilung desselben nach den wahren Grundsätzen der Kirche verfertigen und bekannt werden zu lassen (die Anzeige ist allerdings so allgemein gehalten, daß ihr Verfasser das Schlechte nicht gemerkt hat); „die kleine Schrift, die unter dem Titel die deutsche Kirche erschienen, ist mit keiner kirchlichen Gutheißung versehen. Wenn sie Irrthümer enthält, so bin ich weit entfernt, sie gutzuheißen“; die „argumenta“ habe er weder verfaßt noch habe er gehört, daß man sie ihm zugeschrieben oder daß sie die Aufmerksamkeit des h. Stuhles erregt haben. Consalvi legte W. nahe, das Amt des Capitularvicars in die Hände des Papst niederzulegen und eine Erklärung abzugeben, die etwa so lauten könne (Beck S. 291): „Er (W.) habe in Rom zwar seine vergangenen Handlungen durch Erläuterungen zu rechtfertigen gesucht; da diese aber vom h. Vater nicht durchaus befriedigend erkannt worden wären, so nähme er keinen Anstand, dasjenige was Se. Heiligkeit mißbilligt haben, gleichfalls zu mißbilligen“. Hierzu konnte sich W. nicht entschließen, er erklärte in der letzten Antwort: „Nachdem ich nun meine persönlichen Gesinnungen ausgesprochen habe, welche mein großes Verlangen, den heil. Vater zu befriedigen darthun sollen, muß ich nothwendig stillstehen auf der Linie meiner Verpflichtungen gegen meinen Landesherrn, gegen das Domcapitel und die Geistlichkeit des Bisthums Konstanz und gegen Deutschland überhaupt. Diese Verpflichtungen wollen zu gleicher Zeit, wie diejenigen gegen den heil. Stuhl erfüllt werden. Ew. Eminenz werden sich leicht überzeugen, daß diese Stellung mir die wichtigsten Beweggründe darbietet, meine Rückkehr nach Karlsruhe, von wo ich mich hieher begeben habe, und wo ich von der Lage der Geschäfte meinem Landesherrn Kenntniß zu geben schuldig bin, nicht weiter zu verschieben, indem es nunmehr diesem zukömmt, dasjenige zu thun, was er angemessen erachten wird, um die Beendigung des Geschäfts herbeizuführen, nachdem ich nicht so glücklich gewesen bin, durch meine persönliche Verwendung dahin zu gelangen.“ Er versichert noch sich eine Ehre zu machen, jedes Opfer zu bringen, welches die Berichtigung der Angelegenheit zur Zufriedenheit aller Interessenten erleichtern könne und bittet dem Papste, den „von der Reinheit und Rechtschaffenheit seines Charakters zu überzeugen ihm unendlich am Herzen liege“, diese Zuschrift vorzulegen. So reiste er unverrichteter Sache ab. Neben den amtlich betonten Gründen gab es noch andere, welche das Verhalten der Curie leiteten, so insbesondere das Verhältniß Wessenberg’s zu Werkmeister, Brunner und anderen Hauptvertretern der freien Richtung. Der Großherzog von Baden erkannte nicht nur W. im Amte an, sondern befahl ihm, sich durch nichts stören und beschränken zu lassen; die Regierung veröffentlichte eine „Denkschrift“, welche den Regierungen und den Decanaten zugesandt wurde. Eine Anzahl von Schriften für und gegen W. erschien. Die Vorstände der Landcapitel des Curatclerus im badischen Antheil der Diöcese Konstanz hatten [155] am 3. October 1817 an W. ein warmes Anerkennungsschreiben gerichtet, worin sie der Hoffnung Raum geben, „die Wahrheit werde zweifelsohne siegen und er mit der bischöflichen Mitra geschmückt zu ihnen zurückkehren, den sie mit beiden Armen umfassen und verehren werden als den ihnen durch einige Monate entrissenen, aber wiedergegebenen Vater.“ W. hat nicht nur bei seinen kirchlichen Gegnern, sondern auch bei anderen mannigfachen Tadel wegen seines Verhaltens in Rom und seiner Ansichten gefunden, so besonders seitens Niebuhr’s, dessen Urtheil allerdings nicht als unbefangen angesehen werden kann. Erwägt man aber objectiv die ganze Handlungsweise Wessenberg’s als Generalvicar und während seines römischen Aufenthalts, so kommt man zu dem Schlusse, daß er von einer falschen Voraussetzung ausgegangen ist. Offenbar ging seine Meinung dahin, daß er in seinem Streben, von welchem er sich im besten Glauben die Besserung der kirchlichen Zustände und die Herstellung einer Kirchenreform in Deutschland versprach, welche ein ideales Verhältniß zwischen Kirche und Staat herbeiführen würde, die feste Unterstützung seitens der badischen und anderer Regierungen finden werde. Er bedachte aber nicht, daß diese Factoren weder das gleiche Interesse, noch die gleiche Einsicht mit ihm hatten; er übersah, daß sich eine Strömung geltend machte, welche es Rom ermöglichte, den Bogen recht scharf zu spannen; er wurde sich nicht darüber klar, daß die staatliche Politik auf Regelung der kirchlichen Verhältnisse in jedem einzelnen Lande ging und sich wenig um andere kümmerte, wenn dieses gelang; endlich ließ er sich allzusehr von seinem guten Bewußtsein und der Schätzung seines Wirkens leiten. Nur so erklärt es sich, daß er auf den Weg nicht ging, welchen man ihm in Rom zeigte. Denn wenn er wirklich sich die Kraft zutraute zu reformiren und persönliche Opfer zu bringen bereit war, wie er das wiederholt versicherte, so durfte er die ihm abgeforderte Erklärung geben, um in die Stellung zurückzukehren, welche er einnehmen wollte. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß manche seiner Handlungen nicht berechtigt waren, und daß in Wirklichkeit von ihm nicht viel verlangt wurde. W. war, und darin lag seine Niederlage begründet, unfähig sein Unrecht einzusehen, weil er in dem Gesichtskreise des von ihm erstrebten Zustandes diesen als Maßstab für die Beurtheilung seiner Handlungen selbst anlegte und von Rom forderte, aber vergaß, daß dieses sich nur an das hielt und füglich halten konnte, was nach der einmal eingetretenen Entwicklung Recht war. W. glaubte mit dem Papste gegen den Papst gehen zu können. Das war sein Grundirrthum.

W. hielt sich nach der Rückkehr von Rom bis zum Herbst 1818 in Feldkirch auf, seitdem in Konstanz. Das bairische Concordat wurde in der angeführten badischen Denkschrift indirect, in verschiedenen Zeitungsartikeln von W. und seinen Anhängern angegriffen, weil es dessen System durchkreuzte; man stellte es als warnendes Beispiel dafür auf, daß Rom aus den Einzelverhandlungen siegreich hervorgehe und nur ein gemeinsames Vorgehen nützen könne. Ein solches bezweckten die „Frankfurter Conferenzen“, welche in den Bestrebungen Wessenberg’s seit seiner Rückkehr von Wien ihren Ursprung haben und von der badischen und württembergischen Regierung durchgesetzt wurden. Die auf diesen Conferenzen angenommene Declaratio für die Gestaltung der katholischen Kirchenverhältnisse und die späteren Acte der Regierungen der oberrheinischen Kirchenprovinz (Kirchenpragmatik, landesh. Verordn. v. 30. Jan. 1830) fußen auf den Ideen von Wessenberg, Werkmeister und Koch. Am 16. August 1821 war die Circumscriptionsbulle für die Oberrheinische Kirchenprovinz Provida solersque erlassen worden, im Februar 1822 forderte die badische Regierung die Decane auf, drei Namen auf Zetteln geschrieben für den Vorschlag der Ernennung des Erzbischofs von Freiburg einzusenden. Alle Zettel enthielten an erster Stelle [156] den Namen Wessenberg’s. Der Großherzog Ludwig, der am 8. December 1818 zur Regierung gelangt war, hatte zu W. keine Zuneigung und wußte sehr gut, daß W. in Rom unmöglich war, er wollte unter jeder Bedingung die Beilegung des Streites und die Besetzung des erzbischöflichen Stuhles. Er setzte W. mit Schreiben vom 12. März, das sich absichtlich unklar ausdrückt, von der Wahl in Kenntniß und gab es Burg zur Zustellung mit dem Auftrage, W. zur Ablehnung zu bewegen. W. lehnte nicht ab, sondern erklärte, man müsse selbst wissen, was man thun wolle. Der Großherzog nahm eine Ablehnung an. Damit war Wessenberg’s Candidatur gefallen. Die an ihn ergangene Aufforderung, seine Stelle als Capitularvicar an Boll abzutreten, nachdem er am 11. December 1824 in einem Briefe an Burg erklärt hatte, er werde einem apostolischen Vicar nicht weichen, lehnte er in einem gereizten Schreiben an Burg vom 24. December ab, weil er nicht in der Welt sei, um Komödie zu spielen, dessen Vorschlag sein Pflicht- und Ehrgefühl verwunde. Auch dieser Brief zeigt, wie Mejer, der ihn abdruckt (Zur Gesch. der röm.-deutschen Frage III, 335), mit Recht bemerkt, daß W. sich im Irrthum befand hinsichtlich der Ansichten der Curie, der Stellung der Regierungen und des canonischen Rechts. Am 15. October 1827 wurden vom päpstlichen Executor v. Keller die Bullen publicirt, der zum Erzbischof von Freiburg ernannte Bernhard Boll wurde am 27. October als Erzbischof installirt. W. richtete an den Klerus ein Abschiedsschreiben, welches den letzten Act seiner kirchlichen Thätigkeit bildet. Im J. 1833, bis wohin er als Mitglied des grundherrlichen Adels in der Ständekammer saß, legte er auch dieses Mandat nieder und lebte seitdem zu Konstanz der Wissenschaft und der Nächstenliebe dienend ein zurückgezogenes Dasein, welches nur Reisen nach Italien, Frankreich, Spanien, Belgien und Holland unterbrachen, die zur Erweiterung seiner Studien und zur Befriedigung seines Kunstsinnes dienten. Konstanz verdankt ihm ein großartiges Denkmal seines edlen und wohlthätigen Sinnes; sein Vermögen bestimmte er testamentarisch für eine Rettungsanstalt verwahrloster Kinder, seine Bibliothek und Kunstsammlung nebst einem Capital erhielt die Stadt.

W. veröffentlichte noch verschiedene Schriften kirchlichen bezw. kirchenpolitischen Inhalts: „Coup d’oeil sur la situation actuelle et les vrais intérêts de l’église catholique“ (1825); „Die Stellung des römischen Stuhles gegenüber dem Geiste des 19. Jahrhunderts“ (1833); „Die Diöcesan-Synode und die Erfordernisse und Bedingungen einer heilsamen Herstellung derselben“ (Freiburg 1849). In dieser Schrift sprach er zum letztenmale öffentlich über die damals in weiten kirchlichen Kreisen erörterte Frage der Synoden, gab gute Rathschläge und Winke, aber erfolglos; denn der Geist, welcher mit dem Jahre 1848 in einen großen Theil der Geistlichen und vor allem in die Bischöfe eingezogen war, ging auf anderes als ideale Besserungen. In der Schrift „Die Eintracht zwischen Kirche und Staat auf die genaue Betrachtung des wahren Zweckes beider begründet. Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verf. herausg. von Jos. Beck“ (Aarau 1869) werden uns Gedanken geliefert, welche ein Bild zeichnen, das zu seiner Herstellung Kirchenregierungen fordert, wie sie sich nicht finden werden. Das große Werk: „Die großen Kirchenversammlungen des 15. und 16. Jahrhunderts“ (Konstanz 1840, 4 Bde.), liefert ein reiches, von W. gesammeltes Material, ist aber keine den an ein streng wissenschaftliches Werk zu stellenden Anforderungen genügende Arbeit. W. war kein Gelehrter im eigentlichen Sinne, hat das auch nicht zu sein beansprucht. Ihm fehlte für die theologische Seite die strenge Schulung, Für die kirchenrechtliche, wie sich das schon in seinen besprochenen Maßregeln zeigte, die eingehende Kenntniß des Rechts und infolge dessen die richtige Würdigung für das, was erreichbar war. Was W. aber [157] auszeichnet und ihm für die Geschichte seine große Bedeutung gibt, ist dies: Er sah wie wenige seiner Zeit klar und deutlich ein, wohin das Streben der römischen Richtung unter der Herrschaft der vom Jesuitenorden gehegten und verfolgten Ideen führen werde. Wie er daher schon zur Zeit des Wiener Congresses den Jesuitenorden und sein Wirken als die größte Gefahr für Staat und Kirche schilderte, so trat er auch dem ersten Acte des Papstes Pius IX. (Encyklika Qui pluribus vom 9. November 1846) in der Schrift: „Die Erwartungen der katholischen Christenheit im 19. Jahrhundert von dem h. Stuhle zu Rom. Auf Veranlassung des Rundschreibens Pius’ IX. an die sämmtlichen Bischöfe“ (Zürich 1847) mit der Frage entgegen, ob in demselben nicht die der Kirche allein zustehende Untrüglichkeit dem Papste selbst zugesprochen werde. Wie richtig er gesehen hat, der 18. Juli 1870 hat es leider bewiesen. W. war ein Mann von tadellosem Wandel, durchglüht von Liebe zum Vaterlande, zur Kirche, zum Nächsten. Er hatte einen hohen, idealen Sinn, wollte und erstrebte das Beste. Daß seine Bestrebungen äußerlich erfolglos blieben, ja dem Ultramontanismus zu gute gekommen sind, lag zum Theil in den ihm anhaftenden Mängeln und in der Unreife einzelner Maßregeln. Aber den größten Theil des Mißerfolges trägt der Geist, welcher sich allmählich der deutschen Regierungen bemächtigte und sie zu dem thörichten Glauben verleitete, durch bloße Verhandlungen und Pacte mit dem Papste ein Fundament schaffen zu können, welches eine Sicherheit zu bieten geeignet sei für ein Wirken der Hierarchie zur Stützung der staatlichen Autorität und zum wahren Wohle des Volkes. Die richtigen Ideen Wessenberg’s haben Wurzel geschlagen bei allen denjenigen, welche kirchlichen Sinn mit unwandelbarer Liebe zum Vaterlande verbinden.

Freiherr J. Heinrich v. Wessenberg. Sein Leben und Wirken. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der neueren Zeit. Auf der Grundlage handschriftlicher Aufzeichnungen Wessenberg’s von Dr. Jos. Beck. Freib. i. Br. 1862. (Das eingehendste Werk.) – J. Friedrich in v. Weech, Biographien II, 452 ff. Diesen beiden apologetischen Schriften gegenüber Longner, Beitr. zur Geschichte der Oberrhein. Kirchenprov., Tübingen 1863, S. 151–272 (der die gesammte Litteratur für und gegen angibt). – O. Mejer, Zur Gesch. der römisch-deutschen Frage. 3 Bde. (s. Register), der eingehend auf sein Wirken seit 1815 eingeht. – Denkschrift über das Verfahren des Römischen Hofes bei der Ernennung des Gen.-Vicars Freih. v. W. zum Nachfolger im Bisthum Konstanz u. s. w. Mit Beilagen. Karlsruhe 1818. Fol. u. 8° (enthält die Documente). – Gareis und Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz II, 4 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Stil