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Artikel „Vicari, Hermann von“ von ψ. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 641–659, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vicari,_Hermann_von&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 14:03 Uhr UTC)
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Vicari *): Hermann von V., dritter Erzbischof der Erzdiöcese Freiburg, dessen Regierungszeit (1842–1869[1]) einen ununterbrochenen zähen Kampf gegen das Staatskirchenthum und nationalkirchliche Bestrebungen im Clerus darstellt. Mit Clemens August v. Droste-Vischering, dem andern Vorkämpfer für den streng kirchlichen Geist der deutschen Kirche, wurde er im gleichen Jahre geboren (1773), da die Gesellschaft Jesu den Aufklärungsbestrebungen zum Opfer fiel. Zu den Jesuiten unterhielt aber die Familie v. Vicari von Alters her die engsten Beziehungen; die nächsten Verwandten des Erzbischofs hatten ihre Ausbildung bei den Jesuiten empfangen. Ihr Einfluß scheint auch die ganze kirchliche Richtung Hermanns dauernd bestimmt und jede andere Einwirkung rasch verwischt zu haben. Von zwei Brüdern des Vaters hatte Franz v. Vicari seine theologischen Studien im Collegium Germanicum in Rom gemacht (1764–68) und Johann Anton (geb. 1739) hatte überhaupt im Jesuitenorden bis zu dessen Aufhebung zugebracht; später war er Kanonikus und Stiftspfarrer von St. Johann in Konstanz († 1813) und bildete durch seine streng kirchliche Gesinnung wie auch durch den Freundesverkehr, den er unterhielt, unter anderem mit Clemens Maria Hofbauer, für seinen Neffen während dessen Konstanzer Amtsthätigkeit ein Gegengewicht gegen den josefinischen Geist, den Fürstbischof v. Dalberg und Generalvicar v. Wessenberg so ausgesprochen vertraten (vgl. über ihn K. Beyerle, Geschichte des Chorstifts und der Pfarrei St. Johann zu Konstanz, [642] Freiburg 1908, S. 410). Ein Vetter dieser Brüder, Johann Jakob v. V., der Sohn des Freiburger Arztes und Professors Johann v. V. († 1715), hatte schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts (1712–16) seine theologischen Studien ebenfalls im Germanicum zu Rom absolvirt und amtete nachmals als Pfarrer und Professor der Controverstheologie an der Universität in Freiburg († 1746). Weit früher und weit mehr noch als der allerwärts sich regende romcentrische Zug in der deutschen Kirche wiesen die Traditionen der Vicari’schen Familie nach der Richtung, für die sich der berühmteste Vicari mit der ganzen Macht seiner hohen Stellung und einer kraftvollen Persönlichkeit einsetzen sollte.

Hermann Joseph Anton Constantin Franz Sales Joh. Nepomuk wurde als ältester Sohn des gräflich v. Königsegg’schen Oberamtmanns Pantaleon v. Vicari († 1797) und der tief frommen Anna Maria Pfyffer v. Altishofen am 13. Mai 1773 in Aulendorf geboren. Nachdem er den Elementarunterricht theils in seiner Heimath, theils in den Klosterschulen zu Weingarten und Schussenried erhalten hatte, bezog er 1789 das Lyceum in Konstanz. Im gleichen Jahr noch wurde ihm dort nach Empfang der Tonsur ein Kanonikat an St. Johann zugewiesen. Die philosophischen Studien machte er zusammen mit dem späteren Bisthumsverweser v. Wessenberg bei den Exjesuiten in Augsburg (1790/91); die juristischen an der Wiener Universität (1791/95). Nach deren glänzender Absolvirung war er einige Zeit als Assessor der schwäbischen Kriegskanzlei thätig; er konnte sich aber nicht entschließen, einem Rufe Erzherzog Karls in seine Kriegskanzlei zu folgen, sondern entschied sich kurz vor seines Vaters Tod (1797) für den Priesterstand. Um in den Genuß seines Konstanzer Kanonikats treten zu können, erwarb er sich in Dillingen den Doctorgrad beider Rechte und empfing nach einer Vorbereitung von nur wenigen Wochen am 1. October 1797 die Ordination. Eine seelsorgerliche Thätigkeit hat er nie ausgeübt; in der ersten und einzigen Predigt, die er hielt, blieb er stecken. Um so besser bewährten sich seine Rechtskenntnisse und Geschäftsgewandtheit in der Carriere, die sich ihm in Konstanz eröffnete. Nach den ersten meist theologischen Studien gewidmeten Kanonikatsjahren wurde er 1802 von Fürstbischof v. Dalberg zum Assessor im geistlichen Regierungscollegium und im gleichen Jahre auch zum Wirkl. Geistl. Rath ernannt. Während Heinrich Ignaz v. Wessenberg als Generalvicar die Leitung der weit einflußreicheren kirchenpolitischen Geschäfte unter sich hatte, übte V. die innere Verwaltung und die kirchlichen Jurisdictionsgeschäfte aus, die Besorgung von Seelsorgerposten, des Pfründe- und Stiftungswesens. 1816 wurde ihm das bischöfliche Officialat übertragen, das bisher Dr. Reininger, ein wegen Beziehungen zu den Herrnhutern und sonstigen unkirchlichen Verhaltens verdächtig gewordener bischöflicher Beamter bekleidet hatte. Besondern Einfluß auf die kirchlichen und kirchenpolitischen Verhältnisse konnte V. in dieser seiner Stellung kaum ausüben. Tact und Klugheit ermöglichten ihm aber, zu Dalberg wie zu Wessenberg gesellschaftlich gute Beziehungen zu unterhalten, wenngleich er in scharfem Gegensatz zu ihnen schon damals, wie Erzbischof Boll später in einem Schreiben an Pius VIII. bezeugte, „mit unbesieglicher Standhaftigkeit für die Autorität des hl. Stuhles und für die Beobachtung der hl. Kanones kämpfte“ (Maas, Geschichte der kathol. Kirche in Baden, S. 126). Nach Errichtung des Erzbisthums und dem Tod des ersten designirten Erzbischofs Wanker befand sich Official v. V. auf der Candidatenliste, doch sprachen sich Wessenberg wie Burg gegen ihn aus, und das Ministerium erklärte sich für Boll. Dieser berief gleich nach seiner Inthronisation (1827) V. ins Domcapitel und übertrug ihm unmittelbar hernach [643] das wichtige Amt eines Generalvicars; bei dieser Gelegenheit verlieh ihm die theologische Facultät in Freiburg die Doctorwürde honoris causa. Wie wenig er um diese Zeit im Rufe eines schroffen Vertreters kirchlicher Principien stand, zeigt Boll’s Aeußerung über ihn: „Ich hoffe, daß sich seine Milde und seine vielleicht hie und da zu große Nachgiebigkeit mit meinem Ernste amalgamiren und somit die treffende Richtung erhalten werden“ (Maas a. a. O. S. 38). Nach kurzer Zeit waren die Rollen aber derart schon vertauscht, daß der Generalvicar über das Verhalten seines Erzbischofs urtheilen mußte: „Ich weiß aus Erfahrung, daß kräftiger von dem ehemaligen Konstanzer Vicariat die bischöflichen Rechte behauptet wurden, als es mir – hier erlaubt ist“ (Maas a. a. O. S. 67). Vicari’s Beschwerden betrafen die allzu große Nachgiebigkeit seines Ordinarius gegen das in der katholischen Kirchensection verkörperte Staatskirchenthum; dessen Ohnmacht so unhaltbaren Zuständen gegenüber, wie sie in dem jahrelang dauernden unkirchlichen Wirken mit dem Glauben und der Disciplin zerfallener Theologieprofessoren, wie v. Reichlin-Meldegg, Heinr. Schreiber, H. Amann, oder in dem als Folgen solcher Ausbildung sich manifestirenden Cölibatssturm unter Clerus und Theologiecandidaten zu Tage traten. Aus der oben citirten Aeußerung spricht aber auch der Unmuth darüber, kraft seiner durch das Generalvicariatsscollegium eingeschränkten Stellung Beschlüssen Autoritätskraft geben zu müssen, die nicht Ausdruck seiner persönlichen Ueberzeugung waren.

1830 rückte V. in die durch Burg’s Ernennung zum Bischof von Mainz freigewordene Stelle eines Domdecans; gleichzeitig beantragte Boll in Rom seine Präconisation zum Titularbischof von Macra, die sich aber infolge des Pontificatswechsels bis zum 24. Februar 1832 hinzog. Am 8. April 1832 wurde er von Boll zum Weihbischof consecrirt. In den nächsten Jahren vertrat er als Mitglied der ersten Kammer hauptsächlich im persönlichen Verkehr und in Unterhandlungen mit Staatsmännern und Mitgliedern des großherzoglichen Hauses, vor allem mit Markgraf Wilhelm, weit weniger in den Kammerdebatten oder Commissionsverhandlungen, die Interessen und Rechte der Kirche und hatte auch manchen Erfolg aufzuweisen, wie die Aufhebung des Verbotes, Ehedispense von Rom zu erwirken. Nach Boll’s Tod (1836) wurde er einstimmig zum Capitelsvicar gewählt und ebenso einstimmig trotz mehrmaliger Gegenvorstellungen am 4. Mai 1836 zum Erzbischof. Der beim Wahlact anwesende großherzogliche Commissar erklärte sich aber gegen die Wahl, deren Annahme ihn sichtlich überrascht habe, weil ihm in einer Vorbesprechung Ablehnung derselben bestimmt zugesagt worden sei; der Großherzog halte den Generalvicar „bei seinem timiden Charakter in dieser aufgeregten Zeit nicht für stark genug“. Nach der später erfolgten Wahl Demeter’s, die als unkanonisch erst nach längeren Unterhandlungen mit Rom bestätigt wurde, legte V. seine Stelle als Generalvicar nieder, da „er das Vertrauen der großherzoglichen Regierung nicht besitze“. Wie wenig die schwächliche Nachgiebigkeit dieses Erzbischofs nach seinem Herzen war, zeigen manche Protestschreiben wie gelegentliche Bemerkungen aus dieser Zeit. Nach Demeter’s Tod wurde Hermann v. Vicari wiederum einstimmig zum Erzbischof erwählt (15. Juni 1842); Gegenvorstellungen wurden diesmal von Seiten der Regierung nicht erhoben, vielmehr wurde die Wahl vom Großherzog wie vom Ministerium mit rückhaltloser Freude und der Versicherung unbeschränkten Vertrauens begrüßt. Der Speyerer Bischof Weis legte ihm in seinem Glückwunschschreiben nahe, sich zur Durchführung der kirchlichen Bestimmungen mit entschieden kirchlich gesinnten Persönlichkeiten zu umgeben.

[644] Unter den Personalernennungen, die er gleich zu Beginn seiner Amtsthätigkeit vornahm – Professor Hug wurde u. a. Domdecan, Staudenmaier Domcapitular – ist jedenfalls die später am meisten umstrittene die Wahl seines Hofcaplans in der Person eines eben erst ordinirten jungen Geistlichen Strehle [WS 1] gewesen. An ihm hatte V. zeitlebens eine unermüdliche Arbeitskraft, die in geschäftlichen und journalistischen Fragen ebenso gewandt, wie in kirchlicher Hinsicht von strengster und entschiedenster Haltung war. Schon gleich zu Beginn des Kirchenconflictes wurde der Erzbischof als willenloses Werkzeug seines Hofcaplans hingestellt; in späterer Zeit wurde der Mainzer Erzbischof v. Ketteler, u. a. auch von Friedberg [WS 2], einer solchen unheilvollen Ingerenz beschuldigt; oder auch der juristische Berather und spätere Kanzleidirector Dr. Maas. Richtig ist, daß sich V. für seine Regierungsmaßnahmen des Rathes und der Anregungen dieser auf straffe Durchführung der kirchlichen Principien unentwegt bedachten Persönlichkeiten in weitgehendem Maße bediente. Alle aber, die ihm näher standen, sind einig in dem Eingeständniß, daß er von einer seltenen Selbständigkeit wie klaren Festigkeit des Urtheils und des Auftretens war. Viel hatte zu der gegnerischen Annahme seine Schüchternheit und seine Unfähigkeit, öffentlich zu reden, Anlaß gegeben; man begriff nicht, daß ein Mann, der in seinem Aeußeren nichts weniger als die eiserne Energie Ketteler’s wiederspiegelte, sie in seinem Vorgehen so glänzend aufwies. Beider Kirchenfürsten Ziel war das gleiche: die Autonomie der Kirche nicht nur auf ihrem ureigensten Gebiet wiederherzustellen, sondern auch auf den den Staat interessirenden Grenzgebieten (wie Schule, Ehe, Pfründewesen, Erziehung des Clerus). Neu war dies Programm nicht; es ist schon bestimmt und entschieden ausgesprochen in dem für die kirchenpolitische Entwicklung des 19. Jahrhunderts bedeutsam gewordenen Buch „Du Pape“ von de Maistre und in der dadurch eingeleiteten Bewegung eines Lamennais und Montalembert in Frankreich; daher auch die begeisterte Zustimmung, die Vicari’s Auftreten während des Conflictes in Frankreich fand. Nach der Wiederherstellung der äußeren Organisation der Landeskirchen in Frankreich und Deutschland verlangte Rom unablässig Beseitigung aller nationalkirchlichen Regungen und staatskirchlichen Ansprüche, besonders unter Gregor XVI. Das Beispiel des Kölner Oberhirten v. Droste-Vischering, der eine Hauptforderung Roms dem Staate gegenüber geltend machte und auch durchsetzte, war das Signal auch für andere Diöcesen. Die kirchlichen Forderungen nach einem freiheitlichen Ausbau der inneren Verfassung der Diöcesen trafen um diese Zeit zusammen mit der gleichen Bewegung auf politischem Gebiet; nur daß für die von Haus aus autokratische Kirche in diesem demokratischen Zug der Zeit eine große Gefahr lag, insofern nicht nur der Clerus, sondern selbst auch das Volk Antheil an der inneren Verwaltung und Regierung der Kirche durch die als parlamentarische Einrichtung gedachten Synoden verlangte. Wenn sich Hermann v. V., ein von Haus aus durch Familientraditionen romcentrisch, streng kirchlich gesinnter Mann, dieser durch die Zeitverhältnisse bedingten Bewegung anschloß und die daraus sich ergebenden Forderungen mit einer bei seinem hohem Alter und seiner timiden Natur geradezu erstaunlichen Ausdauer und Entschiedenheit vertrat, so brauchen die Anregungen dafür kaum in seiner Umgebung gesucht zu werden. Daß es bei dem Ziel, das sich V. beim Antritt seiner Regierung stellte, zu Conflicten kommen mußte, lag in dem unklaren Verhältniß von Kirche und Staat begründet; die Reibungsfläche bildete die Kirchenpragmatik von 1830, durch welche die bei der Errichtung der oberrheinischen Kirchenprovinz zwischen Rom und der badischen Regierung getroffenen Abmachungen nationalkirchlich gefärbt wurden. Als Vollzugsorgane [645] dieser Kirchenpragmatik stand zwischen Curie und Regierung die katholische Kirchensection, deren ganze Organisation und Wirksamkeit Conflictsstoff genug in sich schloß, deren Bestreben ständig darauf hinauslief, die anerkannten Befugnisse in kleinlich bureaukratischer Form zu betonen oder den Kreis der staatlichen Rechte auf Kosten der bischöflichen zu erweitern (vgl. Meyer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage, Rostock 1871, S. 385 ff.).

Die ersten Jahre der bischöflichen Wirksamkeit waren verhältnißmäßig ruhig; sie waren ganz der Sorge gewidmet, durch Firmungsreisen, die unter dem schwerfälligen und leidenden Demeter fast ganz unterblieben waren, sowie durch Kirchen- und Pfarrvisitationen das religiöse Leben und die kirchliche Disciplin wieder neu zu beleben. Zur Hebung des priesterlichen und kirchlichen Geistes in der Pfarrgeistlichkeit wurden alljährlich, meist in St. Peter, Exercitien abgehalten. Um auch das wissenschaftliche Interesse zu wecken und zu fördern, wurden 1844 Capitelsconferenzen angeordnet, die alljährlich stattfinden sollten und das „Archiv für die Geistlichkeit der oberrheinischen Kirchenprovinz“ gegründet. An Stelle dieses nicht lebensfähigen Organes rief V. die „Süddeutsche Zeitung“ ins Leben, die unter der Leitung von Buß und Strehle officiöses Sprachrohr der Curie und von größter Bedeutung in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen wurde. Besondere Sorgfalt wendete der Erzbischof den Diasporagemeinden zu, von denen eine größere Anzahl zu Pfarreien erhoben wurden, wie die in Lahr, in Lörrach, Adelsheim, Emmendingen, Schopfheim, Müllheim und Kandern. Die ersten Schwierigkeiten, die V. zu überwinden hatte, schuf nicht das Staatskirchenthum, sondern der innerkirchliche Liberalismus; hierbei stand die Regierung mit all ihren Machtmitteln ganz auf seiner Seite. Es genügte, als für die deutschkatholische Bewegung Ronge’s vor allem in der Presse lebhafte Propaganda gemacht wurde, eine Vorstellung des Erzbischofs beim Ministerium (10. März 1845) und die staatliche Anerkennung der deutschkatholischen Gemeinde blieb versagt; gegen die Preßagitation schritt die Censur ein, und die Versammlungen und Cultusveranstaltungen der Rongeaner wurden verboten. Der Clerus wurde durch oberhirtliches Rundschreiben ermahnt (17. März), durch gründliche Belehrungen das Volk vor der neuen Secte zu warnen, und den Decanen besondere Wachsamkeit zur Pflicht gemacht. So fand Ronge nur sporadischen Anhang in den größeren Städten wie Pforzheim, Heidelberg und Mannheim, am Bodensee aber eine glatte Absage, namentlich auch bei Wessenberg. Heinr. Schreiber und ein Pfarrer, die sich Ronge angeschlossen hatten, wurden excommunicirt; die ganze Bewegung konnte als in Baden gescheitert betrachtet werden. Die Radicalen in der zweiten Kammer sorgten aber noch für ein geräuschvolles Ende. Die Versagung der staatsrechtlichen Anerkennung durch das Ministerium veranlaßte den protestantischen Pfarrer Zittel am 15. December 1845 zu einer Motion über die „Gestattung der Religionsfreiheit“, die eine hoch erregte Debatte und auf Seiten kirchlich gesinnter Katholiken eine Fluth von Petitionen und Adressen dagegen zur Folge hatte, so daß am 9. Februar 1846 die Kammer aufgelöst wurde. War auch die Nachfolgerin womöglich noch radicaler, so entsprach doch die Regierung ihrem Beschlusse, „die Beschwerdevorstellung der deutschkatholischen Gemeinde empfehlend ans Ministerium zu überweisen“, wiederum nicht und gestattete den Deutschkatholiken lediglich die private Cultübung. Noch im J. 1846 ließ der Erzbischof eine eindringliche Mahnung zur Rückkehr an die Rongeaner ergehen und suchte den Hauptherd der Bewegung in Baden, Mannheim, auf, wo er von dem kirchlichen Leben den besten Eindruck gewann.

[646] Weit mehr trug zu gleicher Zeit zur Verwirrung der Geister unter den Katholiken Badens die „Synodalbewegung“ bei. Sie ist eine entschieden kirchlich liberal oder wessenbergianisch gefärbte Abart jener in ganz Deutschland in den 40er Jahren auftretenden Bewegung, die deutsche Kirche unter einem Primas, oder auch zweien, organisatorisch zusammenzufassen, in Rom durch einen rührigen und die deutschen Interessen energisch wahrenden Agenten besser denn bisher vertreten zu lassen und vor allem das religiöse Bewußtsein unter den Gläubigen und das Zusammengehörigkeitesgefühl durch Diöcesen und Nationalsynoden wachzuhalten. Durch letztere wollte man den wie im Staatsleben so auch der kirchlichen Verwaltung eingerissenen bureaukratischen Geist lahm legen. Diese Forderungen hatten in ihrer principiellen Fassung nichts Anrüchiges, so daß auch die Bischofsconferenz in Würzburg 1848 eingehend mit der besonders von Döllinger gründlich debattirten Frage der Synoden sich befaßte. Ein innerer Zusammenhang zwischen dieser Bewegung und der Verfassungsbewegung auf politischem Gebiet läßt sich nicht abstreiten; gerade das machte aber manche Bischöfe in Würzburg kopfscheu; sie konnten ihre Bedenken beweiskräftig gestalten durch den Hinweis auf die bedenklichen Consequenzen, zu denen sich die Synodalisten in Baden, fast durchweg Geistliche von zweifelhafter Gesinnung, verstiegen hatten. Hier strebte die von dem radicalen Stadtpfarrer von Konstanz Kuenzer geführte Bewegung die Durchführung des Constitutionalismus in der Kirche an. In Petitionen an den Erzbischof wurde schon bald nach dem Regierungsantritt Vicari’s, 1845, Abhaltung von Synoden mit geistlichen und weltlichen, stimmberechtigten Mitgliedern zur Festsetzung allgemein verbindlicher Verfügungen, zur Reform der Beichte und der Liturgie verlangt. Einen großen Anklang in Volk und Clerus fanden diese auf Organisation einer deutschen Nationalkirche hinauslaufenden Agitationen zunächst nicht. Der Erzbischof maßregelte den auch sonst nicht einwandfreien Pfarrer Kuenzer dadurch, daß er wiederholt ihm unter Zustimmung der Regierung den Urlaub zur Ausübung seines Landtagsmandates verweigerte. 1848 trat diese vom Clerus der Landcapitel Konstanz, Breisach, Villingen und Geisingen unterstützte Bewegung „zur Vorbereitung einer National-Kirchenversammlung“ neuerdings mit einer gedruckten Adresse vor den Erzbischof und verlangte baldige Einberufung einer aus Laien und Geistlichen zusammengesetzten Synode, um die immer mächtiger auftretenden Bestrebungen der antinationalen Partei in der katholischen Kirche, die gegen die Grundsätze Josef’s II. und des rühmlichst bekannten Wessenberg gerichtet seien und die Rechte der Staatsgewalt verletzten, zu paralysiren; des weiteren wurde dem Erzbischof nahe gelegt, einen Beirath aus der Landgeistlichkeit zu wählen, seinen Kaplan zu entlassen, nichts ohne Zustimmung des Ordinariats vorzunehmen und das Priesterseminar in St. Peter unter bessere Leitung zu stellen. Daß aber auch sonst der Geist der Disciplinlosigkeit und der Corruption weithin im badischen Clerus verbreitet war und Forderungen äußerte, die noch weit über das Programm des kirchlichen Constitutionalismus hinausgingen und u. a. Aufhebung des Cölibats betrafen, zeigen die auf Wunsch des Ordinariats in den einzelnen Capiteln gefaßten Beschlüsse von Conferenzen über die nothwendige kirchliche Reform (theilweise mitgetheilt im „Katholik“ 1848, S. 257 ff.). Indeß erfolgten auch correctere Gutachten, die durchweg an erster Stelle dem Bischof gegenüber das Unzeitgemäße und selbst Bedenkliche der Synodalveranstaltungen betonten. Das war auch die Auffassung Vicari’s, der all den Synodalbestrebungen gegenüber eine entschieden ablehnende Haltung beobachtete und auch der vom Oberkirchenrath ausgesprochenen Ansicht von der Ursprünglichkeit und Nothwendigkeit einer Repräsentativregierung [647] in der Kirche widersprach (12. Januar 1849). Die lautesten Agitatoren für kirchliche Laiensynoden, Oberstudienrath Beck, Gymnasiumsdirector Fickler, Kuenzer und Brugger, wurden am 31. August 1848 excommunicirt. Aber auch einwandfreiere, radicalen Forderungen durchaus abholde Anwälte des Instituts der Synodalversammlungen entgingen der Maßregelung nicht. So wurde die Schrift des Domdecan Hirscher, „Die kirchlichen Zustände der Gegenwart“ (Tübingen 1849), in der er sich zur Belebung und Erhaltung des religiösen Eifers im Volk und Clerus und zur Paralysirung des hierarchischen Absolutismus für die Theilnahme von Geistlichen und Laien an Synoden aussprach, ebenso die eines anderen Freiburger Domcapitulars, Haiz („Das kirchliche Synodalinstitut“, Freiburg 1849), trotz ihrer vorsichtigen Fassung 1850 von Rom censurirt. Da beide Verfasser ihre Anschauungen von vornherein dem Urtheil der Kirche unterstellt hatten, war es ihnen ein leichtes, auch dem Verdict sich zu unterwerfen. Daß übrigens V. ebensowenig wie die Würzburger Bischofsversammlung principieller Gegner des Synodalinstituts war, daß er nur die antihierarchischen Bestrebungen vermieden sehen wollte, zeigt sein Hirtenbrief vom Jahre 1849 (Katholik 1849, S. 89 ff.), in dem er „die Neubelebung des Synodalwesens als ein Product des erwachenden Geistes der Freiheit und Selbständigkeit der Kirche, als das beste Mittel, die an vielen Orten so tief gesunkene Disciplin wieder herzustellen, den echt kirchlichen Geist zu wecken und zu befestigen“, feiert. Gleichzeitig kündigt er die baldige Abhaltung einer kirchlich zulässigen Diöcesansynode an. Zunächst war aber, da der politische Radicalismus zur Revolution geführt hatte, daran nicht zu denken. Der Erzbischof, der während der Revolutionstage in Freiburg blieb, sich aber für den Fall der Gefahr eine Uebersiedlung nach Basel vorbehielt, anerkannte die provisorische Regierung, im Gegensatz zum Domcapitel, nicht; in einem von Fürstbischof Diepenbrock als „muthiges Wort“ gepriesenen Hirtenbrief vom 29. Juli 1849 wandte er sich „gegen die Lügen der sog. Volksbeglücker“ und erstrebte die Wiederherstellung der Rechtsordnung durch Einschärfung des christlichen Geistes, durch Durchführung einer schärferen Disciplin in Volk und Clerus, aber auch durch Wiederherstellung der kirchlichen Freiheit. In der Aera der Reaction wurde an der Belebung des religiösen Geistes im Volke im ganzen Lande mit Exercitien und Volksmissionen gearbeitet, die besonders durch Jesuiten (u. a. P. Roh) abgehalten wurden und die Billigung der Regierung fanden; ein besonderes Verdienst um die Missionirung der badischen Katholiken erwarb sich der Pfarrer Philippi von Blodelsheim, der durch eine scharfe Kritik des badischen Clerus im Univers (1846, sept. 29) einen Protest von Alban Stolz im „Katholik“ provocirte und seit 1842 bei seinen Missionen im Elsaß, von 1849 an auch in den Schwarzwalddörfern Tausende von Badensern um sich scharte (Lux, L’abbé Philippi, un apôtre des Badois au XIXesiècle. Rixheim 1894). Die Lage schien günstig, auch die Klöster wieder hergestellt zu sehen, erklärte doch der Erzbischof in jenen Tagen: „Die socialen Uebel unserer Zeit können theilweise nur durch die religiösen Orden gründlich geheilt werden.“ In dieser Erneuerung des kirchlichen Geistes im Volk, neben der eine ständige Verwarnung vor irreführenden Bestrebungen, wie der pietistischen Tractätchenlitteratur (Hirtenbriefe von 1852, 1855, 1856) oder des sog. geistig-magnetischen Vereins des Pfarrers Ambros Oschwald[WS 3] (Hirtenbrief von 1851) herging, ist der Hauptgrund für den moralischen Erfolg des Oberhirten im Kirchenstreit zu erblicken: er hatte das Volk in seiner überwiegenden Mehrheit auf seiner Seite und konnte darum mit unerschütterlicher Zähigkeit auf seinen Principien bestehen.

[648] Der erste Zusammenstoß des Erzbischofs mit der Staatsregierung erfolgte wegen der Mischehen, bezüglich deren sein Vorgänger, nicht ohne Widerspruch Vicari’s, die Praxis befolgt hatte, gemischte Ehen einzusegnen, auch wenn prrotestantische Kindererziehung in Aussicht stand. Diesem Verfahren machte die erzbischöfliche Verordnung vom 9. August 1845 ein Ende, insofern jetzt die Einsegnung von Mischehen von dem Versprechen katholischer Kindererziehung abhängig gemacht wurde. Die Regierung, die es in jenen Jahren zu einem offenen Kampf mit der Kirche nicht kommen lassen, aber ebensowenig die Praxis der früheren Bischöfe preisgegeben sehen wollte, wandte sich, wie es V. schon in einem eingehenden Bericht vom 3. März 1846 gethan hatte, an den Papst mit der Bitte, den Erzbischof um friedliche Beilegung des Zwischenfalles zu veranlassen. Das Breve Gregor’s XVI. vom 23. Mai 1846 war die Antwort; es approbirte die erzbischöfliche Maßnahme und schärfte dem badischen Clerus neuerdings den Erlaß vom 9. August 1845 ein. Dr. Beck, der im Oberkirchenrath wesentlich an der Verschärfung des Conflicts betheiligt war, wurde von der Regierung fallen gelassen (1847). Diesem mehr episodenhaften Vorspiel des Kirchenstreits folgte noch im gleichen Jahr ein Vorstoß der zwei hervorragendsten Führer der badischen Katholiken, des Abgeordneten Heinrich v. Andlaw in der ersten Kammer am 22. Juli 1846 und des Professor Dr. Buß am 10. September in der zweiten. Beide verlangten unbeschränkte Freiheit der Kirche auf den umstrittenen Gebieten der Seminarerziehung des Clerus, des Rechtes der kirchlichen Aemterbesetzung und der Leitung der Schule; als schlimmsten Mißstand bezeichnete Andlaw die Kirchenpragmatik vom Jahre 1830 und deren Vollzugsorgan, den Oberkirchenrath. Praktische Resultate erzielten die in der zweiten Kammer sehr erregt verlaufenen Debatten nicht, aber die Geister waren aufgerüttelt und die Bischöfe Deutschlands wurden von den verschiedensten Seiten zu gemeinsamen Maßnahmen aufgefordert. Das Wort eines Franzosen von der größten Häresie des 19. Jahrhunderts, womit die Unterordnung der Kirche unter den Staat gemeint war, wurde bei uns colportirt; der Zeitpunkt, da das politische deutsche Parlament tagte, schien günstig, ihm ein kirchliches Gegenstück zu geben und darauf die kirchlichen Grundrechte festzustellen. Die revolutionäre Erschütterung der Grundlagen des Staates verbürgte die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen. So fand noch 1848, 21. October bis 14. November, die Versammlung der deutschen Bischöfe in Würzburg statt; aus den von Maas mitgetheilten Briefauszügen (S. 216) ergibt sich, daß der Freiburger Oberhirte sich lebhaft an der Vorbereitung betheiligte; bei den Verhandlungen beschwerte er sich hauptsächlich gegen den allgemeinen landesherrlichen Patronat, die staatliche Leitung der Convicte, gegen das Placet, die staatliche Verwaltung des Kirchenvermögens und den Staatsconcurs der Theologiecandidaten. Die gemeinsame Denkschrift, in der die Forderungen dem Staat gegenüber zusammengefaßt waren, theilte V. dem Ministerium am 27. November 1848 mit der Bitte mit, „in gesetzlicher Verhandlung die freie Ausübung der bischöflichen Jurisdiction zu ordnen“. Die Bitte wurde in Intervallen von Jahresfrist 1849 und 1850 wiederholt. Als die Regierung, die ein Einvernehmen der übrigen oberrheinischen Staaten abnstrebte, immer noch die Antwort verzögerte, fragte Hirscher am 5. November 1850 in der ersten Kammer an, wann „die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat auf Grundlage der kirchlichen Selbständigkeit zu erwarten sei“, und beantragte, als die Antwort unbefriedigend ausfiel, eine Beschwerdeadresse an den Großherzog, die aber in der vorgeschlagenen Form nicht zu Stande kam. Inzwischen kamen die Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz März 1851 zusammen zur Formulirung [649] ihrer Rechtsansprüche, die in einer Denkschrift niedergelegt wurden. Erst ein Jahr später, im Februar 1852, beriethen die Regierungen gemeinsam über deren Beantwortung; zu gleicher Zeit tagten auch die oberrheinischen Bischöfe in Freiburg wieder und richteten ein abermaliges Monitorium (10. Februar) zwecks Aufhebung des kirchenfeindlichen Staatskirchenthums an ihre Regierungen.

Bevor die badische Regierung aber zu dieser wiederholten Forderung Stellung nehmen konnte, erfolgte mit dem Tode des Großherzogs ein Ereigniß, das nicht wenig zur Verschärfung des Conflictes beitrug. Der Erzbischof ordnete, entgegen dem Wunsche der Regierung, für den verstorbenen Landesherrn ein Seelenamt an einem Wochentag in allen Kirchen abhalten zu lassen, für einen Sonntag (9. Mai) eine einfache Trauerfeierlichkeit an. Das entsprach wohl den streng kirchlichen Satzungen, aber nicht dem bisher in Baden und auch anderwärts üblichen Brauch; jene Satzungen in solchem Augenblick mit aller Schroffheit durchführen, hieß dem bisherigen Regime in Karlsruhe in aller Form den Krieg erklären, den Weg kirchlichen Rechts ohne jede Rücksichtsnahme betreten. Denn darüber war sich V. wohl klar, daß sein Vorgehen an höchster Stelle tiefe und dauernde Verstimmung hervorrufen mußte; wurde es doch geradezu in einem Ministerialschreiben als Tactlosigkeit charakterisirt. Aber andererseits wurde durch den Vorfall der Geist der kirchlichen Disciplin nicht wenig im Volk und Clerus geschärft, umsomehr, als alle Drohungen und Gegenmaßregeln der Regierung der ehernen Consequenz und Entschiedenheit der Curie gegenüber wirkungslos blieben. Der Erzbischof hielt allen Gegenvorstellungen zum Trotz seine Verordnung aufrecht und rechtfertigte sie in einem Hirtenschreiben vom 9. Mai. Die 60 Geistlichen aber, die dem Wunsch der Regierung entsprochen hatten, mußten in St. Peter dreitägigen Strafexercitien sich unterziehen, ohne daß die Regierung den zugesagten Schutz ihnen hatte angedeihen lassen. V. hatte eine Kraftprobe bestanden, die ihn zu weiterem selbständigen und entschiedenen Vorgehen geradezu ermuntern mußte. So legte er, als das Ministerium unter dem 5. März 1853 die in der bischöflichen Denkschrift von 1851 aufgestellten Forderungen ablehnend beschied, einen formellen Protest (6. März) ein und berief nochmals seine Suffragane zu sich, mit denen er den in einer Denkschrift (18. Mai) enthaltenen Beschluß faßte, von nun an die beanspruchten Rechte via facti einfach auszuüben, sämmtliche Pfründen, auf denen kein kanonisches Patronatsrecht ruhe, frei zu besetzen, die Bestätigung der Präsentation oder freien Collatur durch die Regierung nicht anzuerkennen, ebensowenig wie den landesherrlichen Tischtitel, die Anwesenheit eines landesherrlichen Commissärs bei Seminar- und Pfarrprüfungen zurückzuweisen. Noch glaubte die Regierung, durch Vertröstung und einige Concessionen, wie hinsichtlich des Placets, die Erregung beschwichtigen zu können; aber als der Oberkirchenrath die neue Entschließung des Erzbischofs mit einem etwas ungeziemenden Hinweis auf dessen Unterthanenpflichten beantwortete, räumte V. diesen Stein steten Anstoßes kurzerhand aus dem Weg. Nach wiederholter Vermahnung und Verwarnung wurden die katholischen Mitglieder excommunicirt (15. November 1853) und der Erzbischof besetzte Pfarreien und nahm Pfarr- und Seminarprüfungen mit Umgehung der staatlichen Rechtsansprüche vor. Die durch einen Staatsrath persönlich übermittelte Aufforderung, die eigenmächtigen Anordnungen, als gegen „die Hoheitsrechte des Landesherrn“ gerichtet, zurückzunehmen, ließ er unbeachtet, ebenso die Regierungsverordnung, daß erzbischöfliche Verfügungen Rechtskraft nur durch Vorlage und Unterzeichnung durch einen Specialcommissär erhalten können. Auch dieser Commissär wurde, als er seine [650] Weisungen durchzuführen suchte, mit der großen Excommunication belegt. Es entspann sich nun wochenlang hindurch ein abstoßender Kleinkampf der geistlichen und weltlichen Macht, dessen Opfer die untergeordneten Organe waren; mit Polizei- und Gendarmengewalt suchte die Regierung die Verlesung des Hirtenbriefs wie auch die für den December 1853 und Januar 1854 angeordneten Predigten über den Kirchenstreit zu verhindern und die dem Bischof gehorsamen Geistlichen in Strafe zu nehmen; ebenso schritt der Erzbischof gegen die wenigen Decane und Geistlichen, die sich seinen Bestimmungen nicht gefügt hatten, mit Absetzung, Suspension, gegen zwei sogar mit Excommunication ein. Auch Domcapitular Haiz, der trotz Zustimmung zu den erzbischöflichen Maßnahmen insgeheim mit dem Staatscommissär verhandelte, wurde seiner Functionen im Capitel enthoben und blieb es zeitlebens. Von ihm abgesehen, bethätigte das ganze Ordinariat seine formelle Erklärung, sich mit dem Oberhirten solidarisch zu fühlen (3. November), auch durchweg durch sein Verhalten.

Eine tiefgehende Erregung ob dieser Vorgänge bemächtigte sich des katholischen Volkes und wurde noch geschürt durch eine leidenschaftliche Flugschriftenlitteratur der einen wie der anderen Seite, von der Agitation in der Presse gar nicht zu reden. Die Regierung war von vornherein dieser Bewegung gegenüber dadurch im Nachtheil, daß sie enge landesparteiliche Interessen vertrat, während die Curie von Anfang an die Frage auf eine breitere Basis gestellt hatte und darum auch an eine weitere Oeffentlichkeit appelliren konnte. Sie hatte nicht umsonst vom Moment an, da der Streit sich zu einem Principienkampf auszuwachsen drohte, ein gemeinsames Vorgehen aller oberrheinischen Bischöfe einzuleiten gewußt; der Forderung des Einzelnen gab das einen um so wirksameren Nachdruck, als die einzelnen Regierungen vergebens ein derart solidarisches Zusammenwirken anstrebten. Aber über eine bloß moralische Unterstützung ging das Zusammengehörigkeitsgefühl unter dem deutschen Episcopat noch hinaus; nicht nur, daß durch weitgehende Geldspenden die Strafverfügungen unwirksam wurden, auch durch Wort und Schrift suchte mancher Bischof die Position Vicari’s zu stärken. Es gilt dies namentlich von dem streitgewaltigen Mainzer Oberhirten v. Ketteler, dem manches Pronunciamento seines Freiburger Metropoliten zugeschrieben ward, der auch in einer sehr entschiedenen Broschüre (Das Recht und der Rechtsschutz der katholischen Kirche in Deutschland, mit besonderer Rücksicht auf die Bestrebungen des Oberrheinischen Episcopats und den gegenwärtigen kirchlichen Conflict, Mainz 1854) den badischen Kirchenstreit vor der breitesten Oeffentlichkeit behandelte. Von Mainz, dem Herd der katholischen Renaissance in Deutschland, ward das lebendige Interesse am Freiburger Conflict nach Frankreich verpflanzt; mit lebhaftester Theilnahme verfolgte man im „Univers“ und „Ami de la Religion“, die beide Sammelstellen für den Erzbischof und Clerus von Baden eröffneten, die Entwicklung des kirchenpolitischen Streites. Montalembert schrieb eine viel vermerkte Sympathiekundgebung, in der er meinte: „Ici, c’est le droit tout entier de l’Eglise qui est en jeu: les évêques et le clergé du Haut-Rhin combattent pour maintenir tout ensemble des lois ecclésiastiques contre un pouvoir qui prétend ouvertement faire gouverner les âmes par des mains laiques“ (Ami de la Religion 1853, Dec. 1 und Oeuvres V. 239 ff.). Aehnliche Kundgebungen liefen von den meisten französischen, österreichischen, von einer Anzahl italienischer, englischer Bischöfe und selbst von einem australischen Bischof ein, von allen badischen und zahlreichen außerbadischen Capiteln, hervorragenden katholischen Laien des In- und Auslandes. Gesammelt wurden diese Adressen alsbald zur „Steigerung des katholischen [651] Bewußtseins“ in 4 Bändchen (Mainz 1854) in der Oeffentlichkeit verbreitet; an der Spitze dieser Sympathiekundgebungen standen die ermuthigenden und begeisterten Worte Pius’ IX. aus der Allocution vom 16. November 1853. 1855 ließ der Papst V. einen von den Katholiken Lyons für den vertriebenen Erzbischof Fransoni von Turin bestimmten Ring übermitteln, dessen Inschrift Eusebio redivivo an den Bekennerbischof von Vercelli aus der Zeit der arianischen Wirren erinnerte. Eine Deputation französischer Katholiken überbrachte einen Hirtenstab, auf dem die Vertreibung des Tempelschänders Heliodor dargestellt war. Die Kehrseite dieser Beifallsäußerungen war naturgemäß tiefe Erbitterung über das bureaukratische Regiment in Baden, das selbst den Historiker Leo empörte; da mit der Fortdauer des Conflicts die Seelsorge mancherorts aufhörte und die Disciplin stark erschüttert wurde, sprach man schon offen von einer Intervention der katholischen Mächte (bez. Frankreichs vgl. Aus den Briefen des Grafen Prokesch S. 346 ff.); der österreichische Gesandte in Karlsruhe ließ geradezu gemaßregelten aus Oesterreich stammenden Geistlichen den Betrag ihrer Geldstrafen zugehen und übte nach Bismarck’s Ansicht „eine bis zum Charakter der Drohung gesteigerte Parteinahme“ für die Position des Clerus aus. Außerdem ließ Kaiser Franz Josef um diese Zeit bei dem Prinzregenten nachdrücklich seinen Wunsch nach baldiger Beilegung des Kirchenstreits verlautbar werden. Das alles legte der Regierung den Wunsch nach einer Verständigung nahe; den Anlaß gab der Glückwunschaustausch zwischen Erzbischof und Prinzregent zu Neujahr 1854. Mittelsmann war Bischof Ketteler von Mainz, der die Aufhebung der Verordnung vom 7. November 1853 und die Möglichkeit einer directen, den Oberkirchenrath übergehenden Verhandlung mit dem Ministerium erreichte und im Namen des Erzbischofs die Versicherung gab, daß bis zur definitiven Regelung, derentwegen baldigste Verhandlungen mit dem hl. Stuhl in Aussicht gestellt wurden, keine Pfründen mehr besetzt und keins der bestrittenen Rechte ausgeübt werden solle. Schon Ende Januar wurde der Abschluß einer definitiven Friedensabmachung dadurch illusorisch gemacht, daß die Regierung, gefestigt in ihrem Widerstand durch den über Oesterreichs Einflußnahme beunruhigten Bismarck, weitgehende, von vornherein unerfüllbare Anforderungen an die Curie stellte. Jedenfalls war fortan eine Einwirkung Oesterreichs auf den badischen Kirchenstreit ausgeschaltet, Bismarck hatte dem Regenten wie dem Ministerium in Karlsruhe Rückendeckung durch Preußen zugesichert und den Kampf gegen hierarchische Uebergriffe als eine Ehrensache des deutschen Protestantismus hingestellt. Unverzüglich begann der Erzbischof jetzt wieder seine umstrittenen Rechte thatsächlich geltend zu machen und auszuüben; die Regierung antwortete mit Gehaltsperre bei den neu ernannten Pfarrverwesern und mit Uebertragung der Verwaltung des Kirchenvermögens an die Bezirksämter. Die Gegenantwort Vicari’s waren zwei, die ministerielle Verfügung zurückweisende Protestrundschreiben vom 5. und 11. Mai, die am 23. und 25. Mai von allen Kanzeln verlesen wurden. Daraufhin ward am 18. Mai 1854 eine strafgerichtliche Untersuchung „wegen Amtsmißbrauchs zur Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ gegen den Erzbischof eingeleitet und dieser acht Tage lang in seinem Palais gefangen gehalten. Zwar mußte das ganze juristisch nicht haltbare Verfahren wieder eingestellt werden; dafür aber dauerten im Lande die Maßnahmen und polizeilichen Ueberwachungen gegen den zwischen zwei Autoritäten gestellten Clerus ungemindert fort und schürten ins Maßlose die Entrüstung und Erregung des Volkes; im Odenwald und Taubergrund kam es wiederholt zu Unruhen, so daß hier die Executionstruppen einschreiten mußten.

[652] Diesen bedenklichen Symptomen gegenüber, angesichts der immer mehr überhandnehmenden Zerrüttung der Seelsorge im Lande konnte die Regierung auf einer Fortsetzung der bisherigen Politik nicht verharren. Noch bevor es zum gerichtlichen Einschreiten gegen V. gekommen war, hatte man den Weg einer Verständigung mit Rom betreten, wohin der Erzbischof von Anfang an den Streitfall verwiesen sehen wollte. Der Umstand, daß gleichzeitig auch Hessen, Württemberg und Oesterreich in ähnliche Unterhandlungen mit der römischen Curie getreten waren, erleichterte den Schritt, wie auch Oesterreich selber Vermittlerdienste leistete. Die vorbereitenden Besprechungen wurden durch den Grafen v. Leiningen geführt, den bald Staatsrath Brunner ablöste. Eine vorläufige Verständigung über die wichtigsten Streitpunkte und Ende 1854 auch ein formeller Waffenstillstand stellte so ziemlich den Status quo vor dem Streit wieder her, vor allem hinsichtlich der Pfründenbesetzung und der Verwaltung des Kirchenvermögens. Der Erzbischof war indeß ungehalten über diese Preisgabe seiner Errungenschaften, wurde aber durch den Wiener Pronuntius Viale Prela dahin beruhigt, daß die Brincipienfragen dadurch keineswegs berührt würden und ihm auch ein Verkehr mit dem Oberkirchenrath nicht zugemuthet würde. Die Verhandlungen, die mit den Cardinälen Brunelli und Reisach – nach Brunner’s Tod, vom Grafen v. Berckheim und Oberhofgerichtsrath Roßhirt – geführt wurden, nahmen erst unter dem Ministerium Meysenbug (Mai 1856) einen beschleunigten Fortgang, zogen sich aber, da die Competenzfrage in Sachen der Pfründenverleihung und der Vermögensverwaltung langwierige Voruntersuchungen erheischte, bis in den Sommer 1859 hin. Am 28. Juni 1859 wurde endlich die Convention oder das Concordat über die Abgrenzung der beiderseitigen Rechtssphären abgeschlossen, im August des gleichen Jahres von Papst und Großherzog ratificirt, von letzterem am 5. December „unter dem Vorbehalt der ständischen Zustimmung zur Aenderung der der Vereinbarung entgegenstehenden Gesetzesbestimmungen“ als landesherrliche Verordnung veröffentlicht. Im wesentlichen stellte diese Abmachung den durch die Bulle Ad Dominici gregis custodiam geschaffenen und im einzelnen durch die Forderungen der oberrheinischen Bischöfe ergänzten Rechtszustand her. Es kann hier füglich davon Abstand genommen werden, näher auf ihre Bestimmungen einzugehen; erwähnt sei nur, daß sie der Kirche freie Wahl des Erzbischofs, diesem ebenso freie Wahl seiner Verwaltungsräthe zusicherte, des weiteren das uneingeschränkte Recht freier Ausübung der kirchlichen Verwaltung und Jurisdiction, der freien Pfründenverleihung (bei mehr denn einem Drittel aller Pfründen), sofern nicht ein rechtmäßig erworbenes Präsentationsrecht vorhanden, der an das Mitaufsichtsrecht des Staates gebundenen selbständigen Verwaltung des Kirchenvermögens; der durchaus selbständigen Regelung des Religionsunterrichts an den sonst dem Staat unterstehenden Schulen. In Sachen der Eheschließung, deren sacramental kirchliche Seite gänzlich der Kirche überlassen ward, verblieb dem Staat das Recht über die bürgerlichen Wirkungen; die Möglichkeit von Ordens-Niederlassungen wird offen gehalten; ebenso der Anspruch der Kirche auf staatliche Convicte und katholische Gymnasien anerkannt; die theologische Facultät untersteht in Ausübung des Lehrberufs der Aufsicht des Erzbischofs, dem auch ein Beschwerderecht gegenüber antikirchlichen Lehren von Professoren anderer Facultäten zusteht.

Diese weitgehenden Zugeständnisse des Concordates an die Kirche erregten einen Sturm der Entrüstung in außerkatholischen Kreisen, der auf einer Conferenz der liberalen Protestanten Heidelbergs (darunter Häusser, Schenkel, Zittel) in Durlach am 28. November 1859, in dem Protest von achtzehn [653] Professoren der Freiburger Universität gegen die „Beeinträchtigung der Lehrfreiheit“, in zahlreichen Adressen und Protestkundgebungen zum Ausdruck kam, aber auch parirt wurde auf katholischer Seite durch eine Fluth von Gegenadressen (mit wenigstens 85 000 Namen). Das Ministerium verhielt sich der ganzen Agitation gegenüber ziemlich reservirt, um so mehr zeigte sich der Großherzog für die Bedenken zugänglich, die ihm in Denkschriften von Gelehrten und Staatsmännern dargelegt wurden. So kam es auch, daß, als die zweite Kammer nach zweitägiger, vielfach leidenschaftlich und engherzig geführter Debatte (29./30. März 1860) in einer Adresse an den Großherzog das Concordat für verfassungswidrig, weil ohne Mitwirkung der Stände geschlossen, erklärte, das Ministerium aber die Competenz der Stände bestritt und außerdem in eigenmächtiger Weise sich auf die gleichlautende Anschauung des Großherzogs berief, das Ministerium Stengel-Meysenbug fiel und durch ein liberaleres Stabel-Lamey ersetzt wurde. Die Aufwerfung der immerhin nicht klaren Verfassungsfrage war nur die äußere Form gewesen, in der sich durch die Ablehnung des Concordats die seit 1848 veränderte Lage hinsichtlich des Verhältnisses von Kirche und Staat aussprach. Vorher das autokratische josefinische Staatskirchenthum, jetzt der parlamentarische Liberalismus, der die Regelung kirchlicher Fragen selber in die Hand nahm, und dessen Geltendmachung dem innersten Wesen kirchlicher Verfassung widersprach, weil er die Declaration der kirchlichen Freiheit nicht durch die Kirche, sondern durch den Staat festgestellt wissen wollte.

Schon am 7. April erließ der Großherzog eine Proclamation, in der er versprach, „den Grundsatz der Selbständigkeit der katholischen Kirche zur vollen Geltung zu bringen durch ein verfassungsmäßiges Gesetz, in dem der Inhalt der Convention seinen berechtigten Ausdruck finden solle.“ Die entsprechende Vorlage vom 21. November 1860 enthielt sechs Gesetzentwürfe (vgl. Friedberg, Staat und katholische Kirche in Baden, Leipzig 1874, S. 3 ff.) über die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staat, über die theilweise Aufhebung des Gesetzes vom 24. Februar 1849, den Verzicht der Fürsten von Fürstenberg und Leiningen auf Patronatsrechte, über bürgerliche Standesbeamte in Ausnahmefällen, über Ausübung der Erziehungsrechte inbezug auf die Religion der Eltern, über die Bestrafung von Amtsmißbräuchen der Geistlichen. Schon am 9. October 1860 wurde den Gesetzentwürfen, mit Ausnahme des zweiten, der dafür den Schutz der Verfassung verlangt hatte, Rechtskraft verliehen und damit formell das Concordat für aufgehoben erklärt. Das neue Gesetz garantirte der Kirche völlige Selbständigkeit auf ihrem Gebiet und stellte ihr zu deren Wahrung auch den staatlichen Schutz in Aussicht; es betrachtete aber im Gegensatz zum Concordat die Kirche nicht als eine dem Staate wenigstens gleichberechtigte, souveräne Institution, sondern nur als ihm untergeordnete Corporation, über die dem Staate unbedingtes Souveränetätsrecht zuerkannt wird in allen beide Instanzen berührenden Verhältnissen. Dieses Princip, nicht etwa der Verlust wesentlicher Rechte, erregte von vornherein den Widerspruch des Erzbischofs. Schon gleich in der Verwahrung vom 12. April gegen die Aufhebung des Concordates bat er den Großherzog, „die in der Convention garantirten Rechte der Kirche aufrecht zu erhalten“, da Religionssachen als „ungeeignet für Kammerverhandlungen“ dem „Wechsel ungewisser Eventualitäten“ entzogen werden müßten; auch seinem Clerus gegenüber betonte er die Rechtsverbindlichkeit des Concordates in dem Rundschreiben vom 21. April, worauf ihm vom Ministerium bedeutet wurde, seine „Stellung als Unterthan“ verkannt zu haben. Diesen Gedanken von der souveränen Stellung der Kirche im Staat, „in deren Rechtsgebiet man [654] ohne Einvernehmen mit ihr nicht eingreifen“ dürfe, zum scharfen Ausdruck zu bringen, sucht die Verwahrung gegen die sechs Gesetzentwürfe, die der Erzbischof in seiner Denkschrift vom 2. Juli niederlegte; ebenso eine gleichzeitig abgehaltene Versammlung des Clerus in Appenweier und zwei päpstliche Noten vom 26. Juli und 22. December. Unter dem letzteren Datum nahm die römische Curie das Concordat zurück, damit aber auch die Concessionen, die dem Staat hinsichtlich des Rechtes der Pfründenverleihung und der Verwaltung des Kirchenvermögens eingeräumt worden waren. In beiden Fragen mußten neue Abkommen getroffen werden, die am 13. März 1861 zu Stande kamen; doch zögerte sich die officielle Genehmigung und Veröffentlichung der beiden Verträge noch bis in den October oder November hinaus, weil sich inbezug auf die Abmachung über das kirchliche Vermögen verwaltungstechnische Schwierigkeiten bemerkbar machten. Hinsichtlich des Rechtes der Pfründenbesetzung wurden dem Erzbischof insgesammt 248 zur freien Verleihung, also mehr als im Concordat, zugewiesen, bei über 170 sollte die Besetzung nach dem Ternavorschlag des Erzbischofs erfolgen; die Verwaltung des Kirchen- und Stiftungsvermögens sollte gemeinsam von Staat und Kirche und zwar durch den Oberstiftungsrath ausgeübt werden.

Mit dem Gesetz von 1860 und den Verordnungen von 1861 schien das Verhältniß von Kirche und Staat in einem beide Theile befriedigenden Sinne geregelt zu sein. Wenigstens sprach V. dem Papst gegenüber am 20. Januar 1862 seine Genugthuung aus, daß er „nach vieljährigem Kampf und schwierigen Unterhandlungen die Durchführung der meisten Bestimmungen der Convention im Geiste der kirchlichen Freiheit erreicht habe“, ein Beweis, daß ihn weniger Bedenken rechtlicher, denn principieller Natur zu seinem Protest gegen die Gesetzentwürfe von 1860 veranlaßt hatten. Das Princip der völligen Souveränetät der Kirche, für das der greise Kirchenfürst so zäh und unbekümmert um alle Consequenzen gefochten hatte, hatte er freilich nicht durchzusetzen vermocht, dafür aber bei der Demarcation doch eine leidlich weitgehende Selbständigkeit ihr erkämpft, und eines hatte er noch erreicht, was für den Staat in den weiteren Phasen des Culturkampfes verhängnißvoll werden sollte: das katholische Bewußtsein war geschärft und gestärkt worden; die unerbittliche Consequenz, mit der V. die Rechte der Kirche vertreten, hatte ihm allerwärts unauslöschliche Sympathie verschafft. Ob der hierbei eingeschlagene Weg stets richtig oder auch nur angebracht war, fragte man sich nicht. Staatskirchliche und wessenbergianische Anschauungen und Praktiken hatte der eisige Wind des Kirchenstreits hinweggefegt. Der Friede war äußerlich wohl durch die Abmachungen von 1860/61 hergestellt, aber das gegenseitige Mißtrauen, das sich in dem langen Conflict beiderseits tief eingefressen hatte, blieb fortbestehen und wachte eifersüchtig über die eigenen Competenzen. Mißtrauen war aber auch dem katholischen Volk in den langen und oft genug leidenschaftlichen Streitigkeiten eingepflanzt worden, Mißtrauen vor dem die Rechte der Kirche knebelnden oder vorenthaltenden Staat. So hatte sich allmählich eine Scheidung des Volkes vollzogen nach seiner kirchenpolitischen, weniger seiner kirchlich religiösen Gesinnung; damit war die parteipolitische Vertretung der kirchlichen Interessen und die Bildung der katholischen Volkspartei vorbereitet. Der kirchenpolitische Kampf wurde jetzt weniger ausschließlich in den Kanzleien, denn in der breiten Oeffentlichkeit, und hier naturgemäß in gröberen Formen, ausgefochten. Die ganze Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Staat führte dazu, mehr vielleicht noch als das patriarchalische Alter, das der Erzbischof in den letzten Jahren weniger mehr im Vordertreffen zu stehen brauchte als früher. Die großen Principienfragen, für die er zeitlebens gefochten, [655] waren geklärt; es genügte jetzt, jeweils in Denkschriften sie wieder darzulegen; die Conflicte, die sich ergaben, betrafen, abgesehen vom Schulstreit, meist nur einzelne Fälle, Unklarheiten in der Anwendung der Verordnungen von 1860/61. So entstand der Conflict wegen der klösterlichen Lehrinstitute Zofingen in Konstanz, Adelhausen und St. Ursula in Freiburg. Die Curie forderte aus den ihr zugestandenen Freiheiten, daß bei diesen Instituten, die laut Regulativ von 1811 ihres klösterlichen Charakters weitgehend sich begeben mußten, wieder ihre ursprüngliche kirchliche Verfassung durchgeführt werden könne, wogegen die Regierung, die Bestimmungen des Schulgesetzes und des Regulativs betonend, jeden reformerischen Eingriff schroff zurückwies und schließlich das Dominicanerinnenkloster Adelhausen aufhob (1867). Principiellerer Natur war der Streit um die Volksschulreform (vgl. Friedberg, Staat und katholische Kirche in Baden, S. 74 ff., die dort sowie bei Maas S. 578 citirte Einzellitteratur, sowie die von der Curie herausgegebenen „Officiellen Actenstücke über die Schulfrage in Baden“, I Freiburg 1864, II 1866, III 1868, IV 1868, V 1869), für die der Director des 1862 ins Leben tretenden Oberschulraths, Professor Dr. Knies, ein großzügiges Programm in einer „Denkschrift“ an die Regierung und in 44 weiteren Thesen (5. Mai 1863) entwickelte. Die zwei bemerkenswerthesten Ziele dieses Reformplanes sind möglichste Laisirung und Entconfessionalisirung der Volksschule: als Mittel dazu werden starke Reducirung des Religionsunterrichtes, Aufhebung der obligatorischen geistlichen Ortsschulinspection sowie der facultativen geistlichen Bezirksschulaufsicht, als Ideal, das nach Wunsch der Gemeinden zu verwirklichen sei, die Simultanschule mit getrenntem Religionsunterricht empfohlen. Hatten schon die bei der Zusammensetzung des Oberschulraths zu Tage getretenen Tendenzen einer Verdrängung des kirchlichen Einflusses scharfen Widerspruch des Curatclerus wie des Erzbischofs veranlaßt, so gab sich jetzt über die Knies’schen Reformvorschläge die leidenschaftlichste Entrüstung, nicht nur bei den Katholiken, sondern auch bei den orthodoxen Protestanten kund. Officiellen Ausdruck fanden die beiden Protestvorstellungen in der Denkschrift des Erzbischofs vom 17. December 1863 und in derjenigen der evangelisch-kirchlichen Conferenz vom Jahre 1864. Sie gaben die Losung für eine überaus erregte Agitation durch Flugschriften (von Alban Stolz u. A.), die Presse, durch Pfarrconferenzen und die sog. wandernden Casinos und Katholikenversammlungen, die mancherorts, wie in Mannheim, zu bedauerlichen Ausschreitungen der gegnerischen Seite führten. Das alles aber vermochte ebensowenig als eine erneute Vorstellung des Erzbischofs beim Großherzog (2. Mai 1864) und ein Hirtenbrief vom 19. Juli, den das Ministerium in schärfster Form zurückwies und als „Parteischrift voll unwahrer Behauptungen“ hinstellte, zu verhindern, daß die Ortsschulaufsicht dem Clerus genommen und durch eine solche des Ortsschulraths ersetzt wurde, in dem der Pfarrer nur noch vertreten sein kann (Gesetz vom 29. Juli 1864), aber nicht mehr geborener Vorsitzender ist. Die Agitation gegen dieses Gesetz erreichte jetzt nach dessen Annahme und besonders nach dem Bekanntwerden des jüngsten Schriftenwechsels zwischen Karlsruhe und Freiburg ihren Siedepunkt. Während die Wahlen zum Ortsschulrath vorgenommen wurden, wanderten Deputationen um Deputationen zum Großherzog und Petitionen mit vielen tausenden von Namen an den Landtag. Zahlreiche begeisterte Sympathiekundgebungen kamen von auswärtigen Bischöfen, von Pius IX. ein sehr anerkennendes Breve (14. Juli 1864) an den principienfesten Oberhirten. Wie sehr dieser vielfach nur um abstracte Principien kämpfte und sich die Möglichkeiten, die ebensoviel boten, entgehen ließ, zeigt das nicht von allen Ordinariatsmitgliedern gebilligte und deshalb auch 1871 zurückgenommene [656] Verbot (15. September 1864) an die Geistlichen, sich in den Ortsschulrath wählen zu lassen. Ein weiterer wichtiger Programmpunkt der Knies’schen Reform wurde durch das Gesetz vom 8. März 1868 verwirklicht: die facultative Durchführung der Simultanschule, die Festlegung des Religionsunterrichts auf wöchentlich drei Stunden; dessen Ueberwachung verbleibt aber der Kirche uneingeschränkt. Schon seit 1865 war dieses Gesetz in Vorbereitung, während deren auch langwierige und schwierige Verhandlungen mit der Curie gepflogen wurden. Da die hierbei erzielte Basis des Gesetzes „völlig zerstört worden sei durch die Kammerverhandlungen“, legte der Clerus wie vor allem der Erzbischof im Schreiben an das Ministerium (14. December 1867), an den Großherzog (28. December 1868), der letztere auch noch durch eine officielle Erklärung vom 18. März 1868, feierlichen Protest gegen diesen weiteren Schritt der „Entchristlichung der Volksschule“ ein, ohne daß diese Schritte aber irgendwie die Durchführung des neuen Gesetzes beeinflußten. Nur das Pflüger’sche Lesebuch, das der Oberschulrath zur Anschaffung empfohlen hatte, wurde infolge der von der Curie geleiteten Agitation wegen seines religiös wie pädagogisch zu beanstandenden Inhalts wieder preisgegeben.

Noch weniger wie auf dem Grenzgebiet der Schule, hatte auf dem des Kirchen- und Stiftungsvermögens die Verordnung von 1861 eine dauernde Klärung geschaffen; der Streit brach denn auch alsbald in voller Heftigkeit aus und wurde von V. und seiner Kanzlei mit allen verfügbaren Mitteln geführt. Anlaß dazu gab, daß die badische Regierung eine Anzahl für kirchlich katholische Zwecke gestiftete Fonds (in Weinheim, Kirchhofen, Pfullendorf, Ueberlingen, Radolfzell), die bisher für Schulzwecke verwendet waren, der kirchlichen Verwendung entzog und sie zu staatlichen Schulfonds umwandelte, daß sie weiter auch im religiös kirchlichen oder confessionell charitativem Sinne bisher verwendete Stiftungen der gleichen staatlichen Zweckbestimmung zuführte. Vorstellungen des Erzbischofs und Ordinariats, die in großer Anzahl an das Ministerium Lamey und Jolly gerichtet wurden, fruchteten nichts, so daß der Erzbischof den Rechtsweg durch die Stiftungscommission betreten ließ. In den meisten Fällen wurde durch alle Instanzen das Verfahren der Regierung als unstatthaft erklärt, worauf diese die Competenzfrage erhob und den Stiftungen den Charakter von juristischen Personen zuerkannte, denen gegenüber die Kirche keine Privatrechte geltend machen könne, vielmehr die Verwaltung öffentlich rechtlicher Natur sei. Der Conflict dehnte sich über die Regierungszeit Vicari’s aus und ward erst durch das Gesetz vom Jahre 1870, durch das die Regierung ihr Vorgehen sanctioniren ließ, beendet. Neuer verhängnißvoller Conflictsstoff erhob sich dagegen in den letzten Lebenstagen des Oberhirten mit der Verordnung vom 6. September 1867, die bei allen Geistlichen vom Jahrgang 1862 an die Erlangung eines Kirchenamtes abhängig machte von der Ablegung einer Staatsprüfung in profanen Fächern am Schlusse des Universitätsstudiums. Der schwere Kampf, den dieses Gesetz hervorrief, fällt in die nachvicarische Periode; er wurde aber noch eingeleitet von V. selber durch die von der Regierung nachher für ungültig erklärte Verordnung, die jedem Geistlichen untersagte, sich „irgendwie an dieser Staatsprüfung zu betheiligen oder um Erlassung derselben zu bitten“ (14. September 1867).

In den zwei Jahrzehnten unaufhörlichen Kampfes hatte V. weniger an die inneren Verhältnisse seiner Diöcese denken können wie in den Anfangsjahren, wenn er sie auch nie aus dem Auge ließ. Als einzige Lebensaufgabe stand ja vor ihm: Freiheit der Kirche in rechtlicher Hinsicht, Disciplin und Gesinnungsfestigkeit in kirchlicher. Alle Maßnahmen seiner Regierung sind nach diesen zwei Zielen orientirt. Um sich auf den Clerus verlassen zu können, suchte er [657] ihn in streng kirchlichem, von allen josefinischen oder liberalisirenden Einflüssen freiem Geist erziehen zu lassen. Darum auch schon früh seine Sorge um das theologische Convict, von dem er zunächst das eigentliche Priesterseminar abtrennte und nach St. Peter verlegte (1842); 1852 aber löste er, da die Regierung trotz aller Gegenvorstellungen den staatlichen Charakter der Anstalt gewahrt wissen und eine gründliche Reformirung der Statuten durch den Erzbischof nicht zulassen wollte, das Convict auf und verbot den Theologen weiterhin unter Androhung des Ausschlusses von der Ordination den Eintritt. Später erstreckte sich die Sorge um eine intensive streng kirchliche Erziehung der heranwachsenden Priesteramtescandidaten aber auch auf deren Leben während der Gymnasialjahre. Vom Beginn seiner Regierungszeit verlangte er dafür vom Staate Knabenconvicte; in allen Abmachungen der späteren Zeit kehrt dieser Punkt wieder. Da der Staat seine Zusicherung nicht sofort einlöste, gründete der Erzbischof privatim ein derartiges Institut in Freiburg (1845), das 1850 in ein förmliches Knabenconvict umgewandelt wurde. Die Unterhaltskosten wurden durch Beiträge des Clerus bestritten und später aus dem Vermächtniß des geistlichen Raths Kohler in Schuttern. 1857 wurden anläßlich des Bischofsjubiläums eigens Sammlungen unter dem Clerus veranstaltet, die dem gleichen Zwecke dienen sollten und den Grundstock des sog. Hermann v. Vicari’schen Fonds bilden, dem auch der Nachlaß des Erzbischofs vermacht wurde. In die ersten Jahre seiner Regierung fallen auch die wichtigsten charitativen Schöpfungen, die V. aufzuweisen hat, so die Einführung der Congregation der barmherzigen Schwestern, für die er am 30. April 1844 dem Großherzog einen Statutenentwurf vorlegte und in einem Hirtenbrief des folgenden Jahres zu einer erfolgreichen Collecte aufforderte, so daß schon gleich nach dem Einlaufen von 34 000 Gulden das Freiburger Mutterhaus gegründet werden konnte. Von katholischen Vereinen zur Pflege der Charitas oder des Glaubenslebens führte er den Bonifatius-, den Raphaels- und den Gesellenverein in seiner Diöcese ein (1848); er förderte den Missionsverein und den katholischen Verein zur Wahrung katholischer kirchlicher Interessen und Bedürfnisse in der Oeffentlichkeit, den letzteren namentlich gegen manche bei seiner Gründung durch Mone (1844) erhobenen Anschuldigungen in Schutz nehmend. 1856 rief er in einem Hirtenschreiben die öffentliche Mildthätigkeit an zur Unterstützung zweier von ihm gegründeter Rettungshäuser für verwahrloste Kinder in Walldürn und Riegel.

Die schweren Kämpfe, die der Freiburger Kirchenfürst zu führen hatte, mußten ihm bei seinem hohen Alter den Wunsch nahelegen, sein Erbe sicheren Händen anzuvertrauen, um so mehr, als sich der kirchenpolitische Horizont gegen das Ende seines Lebens zusehends umwölkt hatte und die Haltung der Regierung wie die neuesten kirchenpolitischen Gesetze den Nachfolger in die größten Schwierigkeiten bringen mußten. Wie sein Streben darauf gerichtet war, keinen zur Nachgiebigkeit geneigten oder kirchlich nicht durchaus principienfesten Mann dereinst als Nachfolger zu haben, so suchte er eine Persönlichkeit, die eiserne Energie mit unbedingter Kirchlichkeit der Gesinnung zu verbinden wußte. Das war von allem Anfang an für ihn nur der Mainzer Bischof v. Ketteler, der den badischen Katholiken nicht nur durch sein thatkräftiges Eingreifen in den Kirchenstreit, sondern vor allem auch in den letzten Lebensjahren Vicari’s durch regelmäßige Firmungsreisen im Lande wohl bekannt war. Die badische Regierung lehnte aber den wiederholt vorgebrachten, 1853 auch durch den Wiener Nuntius Viale Prela unterstützten Vorschlag, E. v. Ketteler zum Coadjutor zu ernennen, sowohl in den 50er wie 60er [658] Jahren ab; sie ließ ihn aber auch 1866/67 nicht als Domdecan und Generalvicar zu. Sah man in Karlsruhe in Ketteler doch einen der Hauptinspiratoren des Freiburger Prälaten; Friedberg warf ihm sogar öffentlich vor, dem Erzbischof den Gedanken seiner Candidatur suggerirt und sich dafür auch sonst namhaft bemüht zu haben. Zum Domdecan und Generalvicar ernannte V. schließlich nach wiederholter Einsendung der Liste nach Karlsruhe den bisherigen Convictsdirector L. Kübel (16. November 1867); der Senior des Capitels, Orbin, war in auffälliger Weise, wegen seiner nie vergessenen versöhnlichen Haltung im Kirchenstreit übergangen worden.

Im Laufe der Jahre 1867/68 hatte der im 95. Lebensjahre stehende Oberhirte nicht weniger denn vier Jubiläen feiern können; dasjenige der 25jährigen Wirksamkeit als Erzbischof von Freiburg war mit größter Feierlichkeit und unter voller Antheilnahme des Jubilars am 25. März 1868 begangen worden. Am Ostersonntag jenes Jahres wurde er von einer Lungenentzündung erfaßt, der er am 14. April morgens 1 Uhr erlag. Beigesetzt wurde er im Freiburger Münster, wo sich über seiner Gruft sein Standbild erhebt.

Von kleiner, schwächlicher Statur bei einer von Hause aus zarten Constitution, der kein langes Leben in Aussicht gestellt wurde, bewahrte er seine Körper- und Geisteskräfte dank seiner Bedürfnißlosigkeit und Mäßigkeit bis ins allerhöchste Greisenalter. Auch die Gegner haben ihm nie die Eigenschaft einer gewinnenden Liebenswürdigkeit, einer innerlichen Bescheidenheit, aber auch nicht die priesterlichen Tugenden der Frömmigkeit, persönlicher Ehrenhaftigkeit und einen geradezu erstaunlichen Mildthätigkeitssinn absprechen können. Bezüglich seiner amtlichen Wirksamkeit aber schwankt das Urtheil zwischen glühendster Verehrung und bitterer Aburtheilung, worin noch immer die Leidenschaft oder Verstimmung des Tageskampfes nachwirkt. Dem Einen ist er der „Athanasius“ der badischen Kirche, unbeugsam der weltlichen Gewalt gegenüber, unerbittlich in der Wahrung kirchlicher Rechte, dem Andern entweder ein eigensinniger Querulant oder das willenlose Werkzeug einer durch Schmeicheleien ihn leitenden Camarilla. Nach den Einen hat er die Kirche Badens vom Joch des Josefinismus wie aus den Fesseln des Culturkampfes befreit; nach den Anderen hat er ihr statt religiöser Vertiefung den Geist der Verhetzung und Rechthaberei eingepflanzt und jene Richtung angebahnt, die mehr in politischer, äußerlicher Form ihre Kirchlichkeit zum Ausdruck bringt. Geschichtlich betrachtet, liegt seine Bedeutung darin, daß er in kürzester Zeit straffste Disciplin und kirchlichen Geist in Clerus wie Volk zu erwecken und als stärkste Waffe in seinen Kämpfen zu gebrauchen wußte. Der politisch organisirte Katholicismus der Gegenwart ist sein Werk. Dieser Erfolg ist um so erstaunlicher, als zu Beginn seiner Regierung kaum irgendwie Ansätze zu dieser inneren Umwandlung vorlagen und ihm keins der später so reich vertretenen Hülfsmittel wie Vereine und Presse zu Gebote standen. Aber ganz so erfolgreich, wie seine Verehrer es häufig hinstellen, ist diese Kampfeswirksamkeit doch nicht gewesen; die Freiheit der Kirche wurde doch theuer erkauft, indem sie auf ihre Domäne verwiesen und großentheils von einer Einflußnahme auf das moderne Leben ausgeschlossen wurde; der Schnitt, den das Messer der staatlichen Gesetzgebung bei dieser Scheidung der beiderseitigen Rechtsgebiete führte, drang auf manchen Punkten tiefer in das kirchliche Gebiet, als man ursprünglich staatlicherseits beabsichtigte. So blieben die kirchlichen Ansprüche inbezug auf Verwaltung des Stiftungs- und Kirchenvermögens unberücksichtigt und das Schulwesen wurde nahezu völlig laisirt. Seiner Rechtsnatur, die überall nur starre, unveränderliche Principien und Grundrechte [659] sah und verfocht, wo vielfach secundäre Privilegien vorlagen oder die Verhältnisse deren innere Bedeutung umgewandelt oder aufgehoben hatten, fehlte die geistige Weite eines Ketteler, die bei aller Entschiedenheit und Schroffheit nie in so heftige Conflicte sich verwickelte. Staatlicherseits übersah man dieses straffe, entschiedene Naturell Vicari’s, das ebenso auch seinen Geistlichen entgegentrat. Man erblickte in all seinen Maßnahmen nur den Einfluß einer gewaltthätigen, scrupellosen Umgebung und ließ sich häufig genug deshalb zu heftigen Gegenäußerungen und Gegenmaßnahmen fortreißen. Man beachtete des weiteren auch nicht immer, daß, was man als Eigensinn und schroffe Unnachgiebigkeit hinstellte, nur übergroße Gewissenhaftigkeit gegenüber den Forderungen Roms und den kirchlichen Gesetzen war. So ist auch die Frage belanglos, von wem sein Regierungsprogamm, das System seiner kirchenpolitischen Forderungen stammt; richtig ist, daß er es als unbeugsamer Charakter vertrat und daß es von schwerwiegender Bedeutung für die inneren Verhältnisse des Landes wurde.

Karl Bader, Der Erzbischof Hermann v. Vicari, in Deutscher Vierteljahrschrift 1864. – (Hansjakob,) Hermann v. Vicari, Erzbischof von Freiburg. Zürich u. Stuttgart 1868. – Lothar Kübel, Hermann v. Vicari, der gute Hirt. Freiburg 1869 (Hirtenbrief). – Erinnerung an die Jubelfeier zum Hingang des Erzbischofs Hermann von Freiburg. Freib. 1868. – Friedberg, Der Staat und die katholische Kirche in Baden. 2. Aufl. Leipzig 1874. – Brück, Die oberrheinische Kirchenprovinz, 1868; derselbe, Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland im 19. Jahrh. 3 Bde., Mainz 1887/96. – Maas, Geschichte der katholischen Kirche im Großherzogthum Baden. Freiburg 1891. – Weech, Badische Biographien II (Heidelberg 1875), 387–403. – J. Schmitt in Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon XII, 880–895.
ψ.

[641] *) Zu Bd. LIV, S. 746.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Vicari, Herm. v. LV 641 Z. 21 v. u. l.: 1842–1868 (statt 1869). [Bd. 56, S. 398]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Adolf Strehle (1819–1878)
  2. Emil Albert Friedberg (1837–1910); Jurist und Kirchenrechtslehrer
  3. Ambros Oschwald (1801–1873); deutscher römisch-katholischer Priester und Anführer einer Gruppe von Auswanderern aus dem Schwarzwald, die in Wisconsin die Kolonie St. Nazianz gründeten