ADB:Stolz, Alban
Schiller, Wieland, dessen Uebersetzung des Shakespeare u. dgl.; in Rastatt ging er im Sommer regelmäßig frühmorgens allein in den Wald und las Goethe’s Gedichte oder den ersten Theil des Faust. Auch als Universitätsstudent „stand er sehr früh auf, that aber weiter nichts als sich unter das Fenster zu legen und seinen Gedanken und Phantasien zuzuschauen“. Noch als Vicar liebte er einsame Spaziergänge, auf denen er Goethe’s Iphigenie oder Uhland’s Gedichte mitnahm; überhaupt, sagt er, habe er die angenehmsten Stunden seines Lebens in der Einsamkeit gefunden. Als St. seine Gymnasialstudien beendet hatte, wünschte der Vater, er möge zu Freiburg Medicin studiren. Er entschloß sich aber zur Jurisprudenz. Diese kam ihm jedoch bald „trocken und langweilig“ vor, und er war froh, daß ihm der Vater wegen der schlechten Aussichten der Juristen befahl, irgend ein anderes Fach zu wählen. Er entschloß sich, da er für kein Fach eine entschiedene Neigung hatte, „provisorisch“ mit den meisten seiner Rastatter Mitschüler Theologie zu studiren, und ließ sich nun drei Jahre „mit dem Stroh und den Disteln der Freiburger Theologie und entsprechender Schriften füttern“ (Hug, den einzigen bedeutenden Mann der Facultät, erwähnt er nicht). Er machte dann die Examina, ging aber nicht in das Seminar, sondern, da sein Vater mittlerweile gestorben war und er „genügend Vermögen hatte, um nicht schnell ein Brotfach ergreifen zu müssen“, nach Heidelberg, wo er Creuzer, Bähr, Schlosser, K. Fr. Hermann und Schwarz hörte und auch allerlei privatim studirte. Im Juli 1830 schrieb er in sein Tagebuch: „Jetzt ist mein Körper gesundet und mein Geist erstarkt; gewaltig und froh schreitet er einher auf den selbst gemachten Ruinen des zerstörten Glaubens; nur drei Thürme ließ er stehen: Unsterblichkeit, Freiheit, Gott. Aber jetzt strebt er eine neue Stadt aufzubauen, und die alten Säulen stehen wieder auf und das zerstörte Gebäude wird wieder werden, nur schwächer und ungeschmückt. Ich fürchte sehr, daß ich eine eigene Kirche mir bleiben werde, wo ich Papst und Volk und alles bin.“ Im November 1831 „faßte er aber auf einmal den Entschluß, alles Suchen und Grübeln für immer abzuthun, sich einfach der Autorität der katholischen Kirche zu unterwerfen und, wenn das Ungeziefer der Zweifel wieder in die Seele krieche, es einfach zu zertreten, statt damit zu disputiren.“ Seit dieser Zeit, sagt er, sei er „nie mehr in Glaubenssachen von der katholischen Kirche abgewichen“. Im Herbst 1832 trat er in das Seminar zu Freiburg und „bildete sich nun erst aus Hirscher’s Schriften eine Theologie sowol der Glaubensauffassung nach als auch bezüglich der Moral.“ Am 10. August 1833 wurde er zum Priester geweiht und wurde nun Vicar, zuerst zu Rothenfels im Murgthale, dann zu Neusatz in der Nähe seiner Vaterstadt. An beiden Orten war er sehr eifrig in der Seelsorge und in der Schule thätig. Im Herbst 1841 bestand er die Pfarrconcursprüfung, als der einzige unter 45 mit der Note „vorzüglich“, war dann ein Jahr Gymnasiallehrer, besonders Religionslehrer in Bruchsal und wurde im Februar 1843 auf Hirscher’s Empfehlung Repetitor in [422] dem neu errichteten Convict zu Freiburg. Er trat zu Hirscher nun auch in persönliche Beziehungen, verfaßte eine „Katechetische Auslegung des Freiburger Diöcesan-Katechismus“ (von Hirscher), zu der dieser ein Vorwort schrieb (3 Bde., 1844–47) und half ihm bei der Ausarbeitung seines kleineren Katechismus. 1845 wurde St. Doctor der Theologie. Im Herbst 1847 wurde ihm auf Empfehlung Hirscher’s trotz des Widerspruches zweier Mitglieder der theologischen Facultät und der Protestation von achtzehn anderen Professoren die Vertretung des Lehrfaches der Pastoraltheologie und Pädagogik übertragen und im Herbst 1848 wurde er, nachdem sich die Facultät und der Senat dafür ausgesprochen, zum ordentlichen Professor dieses Faches ernannt. Er hat die Professur bis zu seinem Tode bekleidet, war 1859–60 auch Prorector der Universität (Rectoratsrede: „Ueber die Vererbung sittlicher Anlagen“, 1859). Er war ein fleißiger, aber kein anziehender Docent, noch viel weniger ein gelehrter Theologe. Die in seinen jüngeren Jahren erworbenen dürftigen theologischen Kenntnisse hat er auch später zu vervollständigen sich nicht ernstlich angelegen sein lassen. Er erzählt selbst, er habe, nachdem er „seine Vorleshefte gegründet, sich keine größere Mühe gegeben, bei bewährten Schriftstellern das beste zusammenzusuchen, um es bei den Zuhörern nützlich anzulegen, es vielmehr vorgezogen, seine eigenen Ansichten und Einfälle im Colleg auszusäen“. Auf seinem Zimmer hatte er zwei nicht sehr geräumige Büchergestelle, in denen mehr geschenkte, als gekaufte Bücher standen; waren sie überfüllt, so verschenkte er davon an arme Studenten; von „Büchergelehrten“ pflegte er mit mitleidiger Verachtung zu sprechen. Aus purer Unwissenheit trug er mitunter Dinge vor, die mit den bei den katholischen Theologen herrschenden Ansichten im Widerspruch standen, so daß, wie er selbst sagt, hie und da seine kirchliche Gesinnung angezweifelt wurde. Auf Grund seiner Vorlesungen veröffentlichte er 1874 „Die Kunst christlicher Kinderzucht“ (die in demselben Jahre erschienene 2. Auflage heißt „Erziehungskunst“). Die „Homiletik als Anweisung, den Armen das Evangelium zu predigen“, erschien erst nach seinem Tode.
Stolz: Alban Isidor St., katholischer Volksschriftsteller, geboren am 3. Februar 1808 zu Bühl in Baden, † am 16. October 1883 zu Freiburg im Breisgau. Sein Vater, ein Apotheker, war nach den Mittheilungen in der Selbstbiographie von St. ein eigenthümlicher Mann: „Ich habe wenige Bekannte, mit denen ich verhältnißmäßig so wenig und so selten gesprochen habe als mit ihm.“ Die Mutter war kränklich. Die einzige, die einen religiösen Einfluß auf den Knaben übte, war eine zwanzig Jahre ältere Schwester. Von einem unverheiratheten Vetter, einem wohlhabenden Kaufmann, der sich mehr mit ihm befaßte als der Vater, wurde er gründlich verzogen. Elf Jahre alt kam er auf das Lyceum zu Rastatt, wo er acht Jahre blieb, „ein ziemlich träger Student“. Schon als Knabe las er im Hause des VettersDie Hauptbedeutung von St. liegt in seinen volksthümlichen Schriften. Namentlich durch seinen „Kalender für Zeit und Ewigkeit“ ist er nicht nur bei Katholiken, sondern auch bei Protestanten und auch über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannt geworden. Der erste Jahrgang „Abführmittel (in den folgenden Auflagen Mixtur) gegen Todesangst“ erschien 1843 anonym und St. wurde erst als Verfasser bekannt, als er von Rastatt nach Freiburg übergesiedelt war. Er fand auch in protestantischen Kreisen lobende Anerkennung, namentlich in dem Tippelskirch’schen „Volksblatt für Stadt und Land“, für welches dann St. 1844 und 1845 einige Artikel schrieb. Von 1843 an hat St. mit einigen Unterbrechungen bis 1884 alljährlich einen Kalender herausgegeben: als er 1847 Docent wurde, unterließ er es auf Hirscher’s Rath; die Jahrgänge 1848–57 sind von W. Zugschwerdt; 1858 fing er aber wieder an; auch später setzte er aber einige Male einige Jahre aus. Die älteren Jahrgänge bekunden eine ganz ungewöhnliche Fähigkeit, derb volksthümlich und packend zu schreiben; die späteren fallen großentheils sehr gegen sie ab. Sie sind in vielen Auflagen (auch Nachdrucken zu Leipzig und Frankfurt) und in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet, meist später auch gruppenweise in Bände vereinigt worden. Eine große Verbreitung haben auch zwei Reisebeschreibungen gefunden, – St. machte von Freiburg aus in seinen jüngeren Jahren fast jeden Herbst eine größere Reise, – in denen freilich der Reisebericht nur das Gerüste für allerlei witzige und humoristische, theilweise sonderthümliche und barocke Reflexionen bildet: „Spanisches für die gebildete Welt“ (1853, 5. Auflage, „mit etwas Türkischem“ 1864, mit Rücksicht auf eine Reise nach [423] Constantinopel im J. 1852), und „Besuch bei Sem, Cham und Japhet oder Reise in das heilige Land“ (1857). – Mehr die abstoßenden als die anziehenden schriftstellerischen Eigenthümlichkeiten von St. treten hervor in einer Reihe von kleinen Streitschriften: „Der neue Kometstern mit seinem Schweif oder Joh. Ronge und seine Briefträger“ (1846); „Diamant oder Glas“ (1851, gegen die protestantische Abendmahlslehre); „Klinge ohne Heft“ (1852, gegen Schenkel, die 3. Auflage heißt: „Der papierene Fels des Herrn Schenkel); „Der Schmerzensschrei im Durlacher Rathhaus“ (1860, über die badische Convention mit Rom); „Mörtel und Akazienzweig für die Freimaurer“ (1862); „Der Wechselbalg, womit Baden und Oesterreich aufgeholfen werden soll“ (1868, gegen die Civilehe); „Die Hexenangst der aufgeklärten Welt; unversiegelter Brief an Herrn Bluntschli und Gebrüder“ (1871, für die Jesuiten); „Wohin sollen wir gehen?“ und „Bedenkliches für die deutschen Katholiken und katholischen Schweizer, Anführer und Angeführte“ (1878, gegen die Altkatholiken), u. s. w., u. s. w. Die besten Bücher von St. sind die „Legende oder christlicher Sternhimmel“, – von 1850 an erschien jährlich ein Heft; 1862 war das Buch vollendet und seitdem sind mehrere Auflagen erschienen –, und „Die heilige Elisabeth“ (1864 u. ö.). Eines der schlechtesten ist das Buch, worauf er selbst besonderen Werth gelegt haben soll: „Schreibende Hand auf Wand und Sand“ (1874), eine Sammlung von ein paar hundert Unglücksfällen, worin nach St. der „Finger Gottes“, die Strafgerechtigkeit Gottes gegen die davon Betroffenen deutlich zu erkennen ist. Er hatte vorher in öffentlichen Blättern Geistliche und Laien aufgefordert, ihm über solche Vorkommnisse zu berichten, mit dem Bemerken, er lasse sich auch gern „unerklärliche Erscheinungen“, wenn sie genau beobachtet seien, berichten, da er „die geist- und geisterlose Aufklärung glaubensscheuer Erdenmenschen nicht respectire“. Er bekam natürlich Berichte in Menge und druckte sie gläubig, die unglaublichsten mit dem größten Behagen ab.
Viel Zeit hat St. vom J. 1827 an bis in seine letzten Lebensjahre (1882) mit dem Niederschreiben von Tagebüchern vergeudet, in denen er weniger Thatsachen als allerlei Reflexionen und Grübeleien aufzeichnete. In seinen reiferen Jahren, als er, wie sein Biograph sagt, immer schreibsüchtiger wurde, beging er die Thorheit, eine Reihe von Bänden aus diesen Tagebüchern mit vielen Wiederholungen und zahllosen schrullenhaften Einfällen drucken zu lassen: „Witterungen meiner Seele“, aus den Jahren 1842–47 (1863); „Wanderbüchlein,“ 1848 (1866); „Wilder Honig,“ 1849–64 (1870); „Dürre Kräuter,“ 1865–76 (1876). Die „Phantasmata“, Tagebücher von 1827–42 und 1877–82 hat doch J. Schmitt, der Erbe seines litterarischen Nachlasses, nicht veröffentlicht, sondern nur eine kurze Selbstbiographie bis 1852, „Nachtgebet meines Lebens“. Stolz’ Verleger, Herder in Freiburg, hat noch bei seinen Lebzeiten seine „Gesammelten Werke“ herauszugeben angefangen; 1887 erschien der 16. (Register-) Band. Außerdem sind „Ausgewählte Werke“ in 6 Bänden erschienen.
St. war ein richtiges Original und gefiel sich darin, „nicht wie alle anderen zu sein und soviel wie möglich gegen den Strom zu schwimmen“. Er war ein frommer und sittenstrenger Geistlicher, aber eigensinnig, ungesellig und zu allen möglichen Sonderthümlichkeiten geneigt. Ein altmodiger Rock, ein sehr uneleganter Cylinderhut und große Vatermörder machten ihn für Jedermann kenntlich. Als Professor wohnte er auf zwei einfachen Zimmern und beköstigte sich wie ein Student, bis er 1865 als Pensionär in das Mutterhaus der barmherzigen Schwestern übersiedelte. Die bedeutenden Honorare für seine Schriften verwendete er fast ganz für wohlthätige und kirchliche Zwecke. St. ist in seiner Vaterstadt Bühl begraben.
- [424] A. Stolz, Nachtgebet meines Lebens, herausg., durch Erinnerungen an A. Stolz ergänzt von J. Schmitt, 1885. – J. M. Hägele, A. Stolz, 3. Aufl., 1889. – Weech, Bad. Biographieen IV, 454. – Conservative Monatsschrift 1893, S. 134.