ADB:Bähr, Johann Christian Felix
J. F. Bähr, wirkte als reformierter Geistlicher in Darmstadt und kehrte dann 1799 nach Heidelberg als Prediger an der H. Geistkirche zurück. Er ward 1823 in den Oberkirchenrath nach Karlsruhe berufen, erhielt nach Hebel’s Tod die Würde eines evang. Prälaten und starb 1828.
Bähr: Johann Christian Felix B., Geh. Hofrath, ordentlicher Professor der classischen Philologie und Oberbibliothekar an der Heidelberger Universität, geb. 13. Juni 1798 in Darmstadt, † 29. November 1872 in Heidelberg. Die Familie Bähr stammt aus Rapperschwyl in der Schweiz und zog im vorigen Jahrhundert, wo sie zu den streng reformierten Kreisen gehörte, in die Rheinpfalz. Der Großvater war Bäckermeister, dann Spitalverwalter in Heidelberg. Der Vater,In Heidelberg auf dem reformirten und danach auf dem vereinigten Gymnasium vorbereitet, bezog B. auch dort 1815 die Universität, an der allein er studirt hat unter Einwirkung so bedeutender Männer wie Creuzer, Wilken, Schlosser, Daub. Schon als Mitglied des philologischen Seminars ward er zu [770] den literarischen Arbeiten Creuzer’s zugezogen. Auch noch später trat die Gemeinsamkeit der Arbeiten nicht allein bei der großen Ausgabe des Herodot, sondern auch bei Creuzer’s „Abriß der römischen Antiquitäten“, 1824, hervor. Die Topographie, die Kriegsalterthümer, die Capitel aus den Privatalterthümern sind von B. gearbeitet. Das Verhältniß zwischen dem berühmten Lehrer und dem erst neben ihm emporsteigenden Schüler blieb allerdings später nicht ungetrübt, was bei der sehr empfindlichen, subjectiv unberechenbaren Natur Creuzer’s und dem nahen Verhältniß, in dem lange Zeit B. zu dem Historiker Schlosser stand, wohl begreiflich ist. Unter den Studiengenossen stand B. vor Allen Mone, Fr. Fröhlich, dem nachherigen langjährigen Universitätsreferenten im badischen Ministerium, sowie dem Kunsthistoriker Waagen nahe. – Die akadem. Laufbahn betrat B. mit der Veröffentlichung einer gelehrten Schrift „De Apolline patricio et Minerva primigen. Athen.“ 1820, in der er sich als Schüler Creuzer’s zunächst einführte. Mit richtigem Takte hat er sich aber dann, da die speculativ-religiöse, wie die specifisch künstlerische Seite seiner Natur ferner lag, von mythologischen Arbeiten ferne gehalten. Bereits 1821 finden wir ihn als außerordentlichen, 1823 als ordentlichen Professor; 1832 ward er zum Oberbibliothekar ernannt; 1838 als Ephorus des Lyceums zu Heidelberg, 1845 nach Creuzer’s Rücktritt als Director des philolog. Seminars, an dem er gleich vom Beginn seiner akadem. Laufbahn lehrend mitwirkte. Als alljährlich neu ernanntes Mitglied der Prüfungskommission für die jungen Philologen, auch häufig als Commissär für Abiturientenprüfungen hat er mit Milde und Eifer gewirkt und dadurch eine große persönliche Kenntniß der Schulzustände und der Personen seines Heimathlandes erworben.
In wunderbarer Stetigkeit ist B. als akadem. Lehrer von 1820–1872 thätig gewesen; eine lange Reihe tüchtiger Gelehrten, Schulmänner, Juristen und Theologen sind seine Zuhörer gewesen. Seine Vorlesungen erstreckten sich über römische und einzelne Zweige der griech. Literaturgeschichte; über Encyclopädie der Philologie, griech. und röm. Geschichte, auch über Mythologie und Symbolik, speciell selbst der Kelten und Germanen; am regelmäßigsten über den lat. Stil, wobei er in unverbrüchlicher Treue die Correcturen der eingelieferten sogen. Stile durchführte. Unter den griech. Schriftstellern hat er vor Allem gern Herodot, Thucydides, Pindar, Aeschylos, Aristophanes, sowie platon. Dialoge behandelt, unter den Lateinern Horaz, und zwar besonders die Ars poetica, Juvenal, Tacitus und Cicero. Als Director des philol. Seminars (1845–1868) leitete er mit besonderer Liebe die Disputationsübungen; in der Interpretation stellte er wol zu wenig strenge Anforderungen. – Die hervorragende Begabung für geschäftliche Dinge verbunden mit einer angeborenen Gefälligkeit und einem unbedingten Bestreben, wissenschaftliche Arbeiten zu fördern, hat er in seiner Eigenschaft als Oberbibliothekar allseitig bewährt. Der Geschichte der Heidelberger Bibliothek und besonders der verhängnisvollen Katastrophe der Wegführung der berühmten Palatina i. J. 1623 forschte er unermüdet nach und hatte nach mehrfachen verdienstlichen Veröffentlichungen (Aufsatz aus dem Serapeum besonders abgedruckt, Leipzig 1843, sowie Heidelb. Jahrb. der Litter. 1869 S. 1 f.) noch die Freude, im letzten Lebensjahr den Originalbericht des Leo Allatius über die Wegführung selbst zu publiciren (Heidelb. Jahrb. 1872 Nr. 31 f.)
Mit dieser bibliothekar. Thätigkeit stand nun auch die Redaction der „Heidelb. Jahrbücher der Litteratur“ in enger Verbindung, die er seit 1834, nahe an 40 Jahre hindurch führte. Dieses in seinem ersten Erscheinen Epoche machende litter. Unternehmen, in dem sich die Universalität eines Creuzer und Daub, der tiefeindringende Scharfsinn und freie Umblick eines Böckh, die histor. Kritik eines [771] Wilken, eines Savigny, die neue Felder eröffnende Forschung eines Uhland und der Gebrüder Grimm mit dem begeisterten Schwunge und dem Humor der Romantiker, wie Brentano, Görres etc. vereinigten, war allerdings schon sehr in seiner Bedeutung gesunken, als B. als Redacteur eintrat. Er hat mit seltener Treue, Uneigennützigkeit, unermüdlichem Fleiß unter wechselnder Betheiligung immer noch einzelner bedeutender Männer der Wissenschaft die Zeitschrift fortgeführt; sein Tod ist auch ihr Tod geworden.
Als philolog. Schriftsteller hat sich B. zwei Hauptfelder der Thätigkeit auserkoren: die griechischen Historiker und die römische Litteraturgeschichte und daran anschließend die Geschichte der humanist. Studien im Mittelalter. Auf das erstere Gebiet war B. von Creuzer entschieden hingelenkt worden. Unter den griech. Historikern beschäftigte ihn zunächst Plutarch. Schon 1817 war von ihm in Creuzers „Meletemata disciplinae antiquitatis“ III. 1 f. ein „Specimen observationum in Plutarchi vitam Alexandri“ mit neuen Scholien aus Pfälzer Manuscripten erschienen; es folgte eine Ausgabe des „Alcibiades“ mit Vergleichung von Pariser Handschriften und fortlaufendem Commentar (1822), dann der drei Biographien Philopoemen, Flaminius, Pyrrhus (1826). Auch bei der Uebersetzung der Plutarchischen Schriften bei Metzler in Stuttgart (1827 f.) war B. eifrig betheiligt. – Der bereits seit einer Reihe von Jahren zwischen dem Verleger Hahn und Creuzer verabredete Plan einer großen Gesammtausgabe Herodots ward von B. unterstützt durch eine Menge schriftlicher Mittheilungen Creuzer’s, mit frischer, rüstiger Kraft ausgeführt (1830–35). Eine sehr umfassende neue Bearbeitung derselben beschäftigte ihn in den Jahren 1855–62. Herodot ist ein Schriftsteller, zu dessen conservativ religiösem und doch auch wieder kritisch prüfendem, nichts weniger als mysthischem Wesen, zu dessen weitem die Völker des Orients mit gleichem Interesse umspannenden Gesichtskreis, zu dessen wunderbarem Erzählertalent B. sich wie zu einem ihm Verwandten innigst hingezogen fühlte. Die Ausgabe wird für lange Zeit die reichhaltigste Fundgrube realen Wissens über Herodot bleiben. Auch von Herodot ward (1859–64) eine Uebersetzung herausgegeben. – Diese langjährige Beschäftigung mit Herodot gab B. auch den Muth, in seinen letzten Lebensjahren die neue Bearbeitung von K. Fr. Hermann’s „Staatsalterthümern“ zu übernehmen. Der größte Theil des Manuscriptes ward kurz vor dem Tode dem Verleger übergeben.
Im J. 1828 erschien Bähr’s „Geschichte der röm. Litteratur“ in 2 Bänden, die durch ihre systematische übersichtliche Gliederung, durch Einfachheit und Klarheit des Stiles, durch möglichste Vollständigkeit der Litteraturangaben sich eine große Verbreitung gesichert und nach und nach immer erweitert in 4 Auflagen erschienen ist (zuletzt 1867–70). Es war ein besonders glücklicher Gedanke Bähr’s, daran noch ein Supplement über die Geschichte der lat. Litteratur bis in das Karolingische Zeitalter anzuknüpfen; so erschien 1836 „Die christlichen Dichter und Historiker Roms“; 1837 „Die christl. römische Theologie nebst einem Anhang über die Rechtsquellen“; 1840 „Die christl. römische Litteratur des Karoling. Zeitalters“. Mitten aus den Arbeiten zu einer neuen Bearbeitung dieses in seiner Art einzig dastehenden Werkes, deren erster Band 1872 erschien, hat ihn der Tod hinweggerissen. Mit diesen außerordentlich nützlichen Arbeiten auf dem Gebiete der gelehrten Seite des Mittelalters stehen zwei Programme in Verbindung, welche B. als Prorector 1835 und 1855 veröffentlicht hat: „De literarum universitate Constantinopoli V. p. Chr. saec. condita“ und „De literarum studiis a Carolo Magno revocatis ac Schola Palatina instaurata“. – Eine Fülle einzelner litterarhistor. und antiquar. Artikel ist von B. in Pauly’s Realencyclopädie der Alterthumswissenschaft, besonders in Band 1, und in der Ersch und Gruber’schen Encyclopädie enthalten. Die deutsche Uebersetzung [772] der Philippischen Reden Cicero’s (1868) war für B. dabei eine leichte Nebenarbeit.
1869 feierte B. noch in voller Kraft sein funfzigjähriges Doctorjubiläum, wobei die weit sich erstreckende warme Anerkennung seiner Vorgesetzten und Collegen, wie des Auslandes, die Liebe seiner Schüler und Zuhörer, denen er auch lange über die Studienzeit hinaus ein väterlicher Berather und Förderer war, einen lebendigen Ausdruck fand. Neugestärkt wirkte er auch nach dem Jubiläum fort. An seinem Todestage sahen ihn seine Collegen noch Theil nehmen an der Feier des 100jähr. Gebutstages von G. Herrmann. Am Abend des Tages, mitten im Kreise seiner Collegen und Schüler, traf ihn ein Schlaganfall, dem er nach wenigen Stunden erlag.