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Artikel „Brentano, Clemens“ von Hermann Hettner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 310–313, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brentano,_Clemens&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:35 Uhr UTC)
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Brentano: Clemens B., geb. 8. Sept. 1778, † 28. Juli 1842, einer der geistreichsten und zugleich wunderlichsten Anhänger der sogenannten romantischen Schule, war der Sohn des aus dem Mailändischen eingewanderten reichen Frankfurter Kaufherrn Peter Anton B. und dessen zweiter Gattin Maximiliane Delaroche, über deren ungleiche Ehe die Briefe der Frau Rath, der Mutter Goethe’s, so Ergötzliches zu berichten wissen. Clemens war im Hause seiner mütterlichen Großeltern zu Thal-Ehrenbreitenstein geboren; auch einen großen Theil seiner Kindheit verlebte er bei einer Tante in Coblenz. Das Naturell des Knaben war, wie das seiner Schwester Bettina, geistsprudelnd und phantasievoll, aber ungebärdig und bizarr. Kein Wunder, daß sich dieses Naturell nicht in die Enge des aufgezwungenen Kaufmannstandes fügen wollte, weder auf dem väterlichen Comptoire in Frankfurt a. M., noch in dem Laden eines ehrsamen Oel- und Branntweinhändlers in Langensalza (1795). Nach seines Vaters Tod (1797) ging B. nach Jena. Dort lebte er ausschließlich im Schlegel-Tieck’schen Kreise, in welchem die frische Werdelust der neuen romantischen [311] Schule eben damals mit zudringlichem Ungestüm ihre ersten bedeutenden Blüthen trieb. Hier verfaßte der junge Student unter dem Pseudonym „Maria“ sein erstes Buch: „Satiren und poetische Spiele. Erstes Bändchen. Gustav Wasa“ (1800), eine Satire auf Kotzebue, sowie (1799 und 1800) seinen ersten Roman „Godwi oder das steinerne Bild der Mutter“; ein Buch, das indem es über sein eigenes und der Freunde Treiben wenig verhüllte Aufschlüsse gibt, ganz auf den Sinn der neuen Schule einging und doch durch seine renommistischen Uebertreibungen bei den Stiftern der Schule nur das peinliche Gefühl erweckte, daß die Freunde oft mehr schaden, als die schlimmsten Feinde. Nachdem sich der Jenaische Kreis aufgelöst hatte, führte B., durch seine Vermögensverhältnisse begünstigt, ein fahrendes Litteratenleben, in Dresden, am Rhein, in Wien, auf dem seinem späteren Schwager Savigny angehörigen Gut Trages bei Hanau. In diese Zeit fällt die Abfassung seines Lustspiels „Ponce de Leon“ (1801), „Die lustigen Musikanten“ (1802), der „Chronika des fahrenden Schülers“ (1803). Seit 1803 lebte er in Heidelberg, mit Sophie Mereau, der geschiedenen Frau des Jenaer Professor Mereau verheirathet, mit welcher er schon in Jena allerlei Liebeshändel gehabt hatte. In Heidelberg veröffentlichte er in innigster Studiengemeinschaft mit Achim v. Arnim die herrliche, grundlegende Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ (Bd. I. 1806 mit Zueignung an Goethe, der in Nr. 18 ff. der Jenaer Litteraturzeitung von 1806 eine dem Unternehmen in der Hauptsache günstige Beurtheilung gab. Eine neue Ausgabe, aus Arnim’s Nachlaß vermehrt, erschien in dessen sämmtlichen Werken Bd. 13–14 1845 bis 1846. Dritte Ausg., neu bearbeitet von A. Birlinger und W. Crecelius mit Nachweisungen der Quellen und z. Litteratur, 1874 ff.). Ferner mit Görres „Des Uhrmachers Bogs wunderbare Geschichte“ (1807) (der Name Bogs ist aus den Anfangs- und Endbuchstaben der Namen Brentano und Görres gebildet) und mit anderen Freunden „Die Einsiedlerzeitung“ (1808). Zu Arnim’s „Trösteinsamkeit“ lieferte er den „ersten Bärenhäuter“, übersetzte den Froissart, erneuerte Wickram’s Historie „Der Goldfaden“ etc. Als Brentano’s Frau 1806 im Kindbett gestorben, entführte er eine Nichte des Frankfurter Banquier Bethmann, Auguste Hausmann[1], lebte mit ihr eine Zeitlang in unglücklichster Ehe in Cassel und Landshut, und ließ sich bald wieder von ihr scheiden. Mit unzartem Witz pflegte er zu prahlen, durch diese Ehe habe er vollständig erfahren, was die Hölle sei. Darauf siedelte er nach Berlin über, wo er sehr gefeiert ward und namentlich den „Philister vor, in und nach der Geschichte“ schrieb (1811). Im J. 1811 in Prag und auf der ihm und seinen Geschwistern gehörigen böhmischen Herrschaft Bukowan, wo er ein Drama „Die Gründung Prags“ schrieb (erschienen 1815). Dann mehrere Jahre in Wien, wo er 1813 für das Hoftheater und das Theater an der Wieden die Festspiele „Am Rhein“ und „Victoria und ihre Geschwister“ schrieb, seit 1816 wieder in Berlin. Das zerfahrene, zügellose, zwischen tollem Uebermuth und ebenso toller Selbstpeinigung haltlos schwankende Wesen hatte sich durch die Reife des Mannesalters nicht gebändigt. Nach wie vor setzte er seinen ganzen Stolz darein, in allen Gesellschaften durch seinen muthwilligen Witz zu glänzen, er selbst nennt sich einen witzigen Schäker, einen vagirenden Teufelskomödianten. Und auch die Zeitgenossen sind einstimmig im Staunen über die Unerschöpflichkeit seiner sprudelnden Laune und seiner blendenden Genialität, nur vergessen sie nicht, dabei zu melden, daß er trotz alledem Allen ein unheimlicher Gesell war, durch seine hoffärtigen Tollheiten und Absonderlichkeiten, durch sein seltsames Gemisch einschmeichelndster Liebenswürdigkeit und giftig höhnender Herzenshärte. Da kam eine unerwartete Wendung. Er war als Katholik geboren; und obgleich er oft genug über die katholisirenden Dichtungen der romantischen Dichter verächtlich [312] als über „ein modernes, christlich aufgeschminktes Geklimper“ gespottet hatte, so war er doch, wie seine Briefe sattsam bezeugen, selbst in seiner freisten Zeit nicht freigeblieben von wundersüchtigen Anwandlungen, ja gegen Rahel sogar nicht von Bekehrungsversuchen. Jetzt wurde er unter dem Einfluß einer empfindelnden bigotten Freundin plötzlich streng kirchlich, ein eifriger Parteigänger der Jesuiten und Ultramontanen. Im nagenden Mißmuth über sein phantastisch ungezügeltes, in inhaltslosem und kokettem Genialisiren sich verzehrendes, zielloses Dasein brach er kleinmüthig in sich zusammen und fand Trost und Erhebung fortan nur in dem Gedanken, nicht sich selbst führen zu müssen, sondern von Anderen geführt zu werden. Noch glühte in ihm das alte dichterische Feuer, noch sprühte in ihm der alte muthwillige Humor; er schrieb im Jahr 1817 die tiefpoetische „Geschichte vom braven Kasperl und vom schönen Annerl“ (zuerst in Gubitz’ „Gaben der Milde“, 1817) und die Novelle „Die mehreren Wehmüller und die ungarischen Nationalgesichter“ in Gubitz’ „Gesellschafter“ 1817) und „Die drei Nüsse“. Aber das krankhaft Phantastische, das den schönen Kern auch dieser Dichtungen trübt und umhüllt, überwog allmählich mehr und mehr und verlor sich zuletzt in die wahnwitzigste Mystik. Volle sechs Jahre (1818–24) verweilte Brentano zu Dülmen in Westfalen in der gottseligen Betrachtung der Leiden der stigmatisirten Jungfrau Katharina Emmerich und führte bis zu ihrem Hinscheiden über ihre Verzückungen, Gesichte und Offenbarungen ein Tagebuch, das nicht weniger als vierzehn Bände umfaßt und aus denen später das „Leben der heiligen Jungfrau Maria“ erschien (1852, den schon von Clemens B. begonnenen Druck setzte sein Bruder Christian später fort). Und in diesem pathologischen Zustand verharrte B. bis an sein Ende. Seit seinem Weggang aus Dülmen unablässige jahrelange Propagandareisen am Rhein, in der Schweiz, in Elsaß und Lothringen. Seit 1833 in München im innigsten Verkehr mit den Gleichgesinnten. Außer geistlichen Liedern beschränkte sich B. jetzt nur auf die Ausarbeitung der schon aus früherer Zeit stammenden Rheinmärchen, von denen „Gockel, Hinkel, Gakeleia“ (1838) zu einem selbständigen Buche anwuchs. 1842 starb B. an der Wassersucht, im Hause seines Bruders Christian zu Aschaffenburg. Vgl. Frühlingskranz von Bettina 1844 und Clemens Brentano’s Gesammelte Briefe 1855. Gesammelte Schriften, 7 Bände, 1851–55. Eine interessante Schilderung des Dichters vom Standpunkte seiner katholischen Gesinnungsgenossen aus geben Görres’ Erinnerungen an Cl. B. in den Histor.-polit. Blättern Bd. XIV f. Sicherlich hatte Clemens B. eine reiche dichterische Begabung und einen sehr feinen Sinn für das Poetische. Besonders ausgezeichnet ist sein schlichtinniger, echt volksmäßiger Liederton. Dieser Zug trat schon in seinem ersten Roman „Godwi“ hervor. In dem schönen Liede „Da sind wir Musikanten wieder, die nächtlich durch die Straßen zieh’n“, liegt der künftige Eichendorff; die Ballade von der Loreley hat sich zu einer volksthümlichen Sage ausgebildet, die späteren Dichtern die fruchtbarsten Motive bot. Auch einige seiner geistlichen Lieder sind noch von gleicher Trefflichkeit. Und dieser volksthümliche Zug, welcher ihn zu einem so thätigen und eingreifenden Mitarbeiter an des Knaben Wunderhorn machte, klingt auch in der Geschichte vom braven Kasperl und schönen Annerl wieder. Wo aber B. zu größeren Schöpfungen fortschreiten will, da versagt ihm die Kraft, da wird er formlos, witzelnd, tollpossenhaft, phantastisch irrlichtelirend. Schon in der Erzählung, noch mehr im Drama, selbst Ponce de Leon, so anmuthig durch den leichten Witz des Dialogs und durch die Frische der eingelegten volksthümlichen Lieder, ist ohne feste Charakterzeichnung, ohne durchgreifende Handlung. Ihn und seinen Freund Arnim hatte Goethe im Auge, als er von [313] einer Epoche der forcirten Talente sprach. Ueberreizt wie sein Dichten, war daher auch sein religiöses Treiben.[2]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 311. Z. 22 v. u. l.: Bußmann (st. Hausmann). [Bd. 13, S. 792]
  2. S. 313. Z. 2 v. o.: Kürzlich erschien: Klemens Brentano. Ein Lebensbild von P. J. Bapt Diel, S. J., herausgeg. von Wilh. Kreiten, S. J. Freiburg 1878. [Bd. 7, S. 795]