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Artikel „Arnim, Ludwig Joachim v.“ von Hermann Hettner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 557–558, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arnim,_Achim_von&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 08:02 Uhr UTC)
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Band 1 (1875), S. 557–558 (Quelle).
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Arnim: Ludwig Joachim v. A., einer der freisinnigsten Anhänger der sg. romantischen Schule, geb. 26. Juni 1781 zu Berlin, † 21. Jan. 1831. Er studirte in Halle und Göttingen Naturwissenschaften und schrieb sogar einige naturwissenschaftliche Abhandlungen für Zeitschriften; aber schon früh überwogen in ihm die dichterischen Neigungen. Besonders an Goethe’s und Herder’s ersten Schriften hatte er seinen Sinn für das Ursprüngliche und Naturwüchsige der Volkspoesie genährt; und diese Richtung war es besonders, welche ihn alsbald in die Reihen Tieck’s und der beiden Schlegel führte. Reisen durch alle Theile [558] Deutschlands, durch die Schweiz und Oberitalien, durch Frankreich und England wurden von ihm unternommen, eigens um Volkslieder zu sammeln. Die Ausbeute dieser Studien war die in den J. 1806–1808 von ihm im Verein mit seinem Freund Clemens Brentano in Heidelberg herausgegebene Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Seit 1810 lebte er, mit Brentano’s Schwester Bettina verheirathet, abwechselnd in Berlin und auf seinem Gute Wiepersdorf bei Dahme in der Mark. Aus dieser Zeit stammen seine zahlreichen Dichtungen, die durchaus im Sinn der romantischen Schule gehalten sind. Die bekanntesten dieser Dichtungen sind die Romane „Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores“ (1810) und „Die Kronenwächter“ (1817), das Schauspiel „Halle und Jerusalem“ (1811), einige kleinere Novellen, wie „Isabella von Aegypten“, „Kaiser Karls V. erste Jugendliebe“, und die unter dem Titel „Landhausleben“ gesammelten Erzählungen. „Sämmtliche Werke“ 1839–1856 herausgegeben von Bettina unter der Aegide Wilhelm Grimm’s.

Das bleibendste Verdienst hat sich Achim v. A. um die deutsche Litteratur durch des Knaben Wunderhorn erworben. Diese Volksliedersammlung ist zwar weit entfernt von den Ansprüchen, welche wir heutzutage an philologische Genauigkeit und urkundliche Treue zu stellen gewohnt sind; aber sie ist von einer dichterischen Feinfühligkeit, die für die gesammte deutsche Lyrik der Folgezeit die reichsten Früchte getragen hat. Die eigenen Dichtungen Arnim’s sind zum größten Theil bereits dem jetzigen Geschlecht völlig entfremdet. Sie sind zwar anziehend durch viele überaus feine und ächt dichterisch empfundene Einzelheiten, ja zuweilen auch durch ergreifende Ansätze großen historischen Stils, aber als Ganzes doch ebenso wie die Dichtungen seines Freundes und Schwagers Brentano und seiner Gattin Bettina phantastisch forcirt, verschwimmend formlos, ohne feste Composition und Charakterzeichnung, ja ohne einheitliche Grundideen; sie sind, um ein Gleichniß Goethe’s zu gebrauchen, „wie ein Faß, das überall ausläuft, weil der Bötticher vergessen hat, die Reifen festzuschlagen.“ Nur einzelnen kleineren Novellen gelingt die volle künstlerische Durchbildung: „Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott“ und „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“, sind sogar unvergleichliche Meisterstücke tiefsten Humors. Gleichwol ist A. eine der liebenswürdigsten und wohlthuendsten Erscheinungen in den Wirrnissen der deutschen Romantik. Eine innerlich gefaßte und vornehme Natur, hat er sich nie in die romantischen Phantastereien genialisirender Libertinage oder katholisirender Frömmelei verloren; was A. aus der Romantik gewonnen hatte, war, wie namentlich „Die Kronenwächter“ bezeugen, eine im schönsten Sinn ritterliche, tief patriotische Gesinnung. (Vgl. Goed. Grdr. III. S. 37 ff.)