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Artikel „Crecelius, Wilhelm“ von Wilhelm Bäumker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 541–544, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Crecelius,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 06:30 Uhr UTC)
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Crecelius: Wilhelm C. wurde am 18. Mai 1828 zu Hungen, einem Städtchen des Großherzogthums Hessen, geboren. Sein Vater war dort großherzogl. Steuereinnehmer und entstammte einer lutherischen Predigerfamilie, deren Stammbaum C. später auf 300 Jahre zurückverfolgt hat. Nach dem Besuche der Gymnasien in Marburg und Gießen bezog der 17jährige Jüngling die Universität der letzteren Stadt, um Theologie und Philologie zu studiren, vertiefte sich aber bald ausschließlich in das Studium der alten Sprachen und ihrer Verwandtschaft untereinander und mit den neueren, namentlich der deutschen. Er erwarb sich eingehende Kenntnisse des Sanskrit, wie der gesammten germanistischen Wissenschaft. Neben den Sprachen des Alterthums beschäftigte auch seine Geschichte den regen Geist des fleißigen Studenten. Nach Absolvirung des Trienniums (1848) legte er die Lehramtsprüfung ab und wurde im folgenden Jahre zum Dr. phil. befördert. Sein Probejahr hielt er in Gießen ab und übernahm dann (1851) die Erziehung der beiden älteren Söhne des Fürsten von Isenburg-Büdingen, bis er im J. 1854 als Lehrer an dem unter Gräfl. Vitzthum’scher Administration stehenden Geschlechtsgymnasium und der damit verbundenen Blochmann’schen Erziehungsanstalt in Dresden eintrat. Am 7. October 1856 folgte er einer an ihn ergangenen Berufung an das Gymnasium in Elberfeld. „Seine umfassende, tiefbegründete Gelehrsamkeit, sein echtes Schulmeister- und Erziehungstalent“ machten sich in dieser Stellung bald geltend und daher kam es, daß die Nachbarstadt Barmen im Februar des Jahres 1863 ihn herüberzuziehen suchte. Indessen gelang es den Elberfeldern, die schätzbare Kraft der Anstalt und [542] der Stadt zu erhalten. Auch eine zwei Jahre später an ihn erfolgte Einladung, nach Landsberg a. d. W. zu kommen, lehnte er ab. Außerdem schlug er ein ihm angetragenes Directorat in Büdingen, der Stätte seiner Thätigkeit als Prinzenerzieher, aus, und als man ihn im J. 1869 in Elberfeld nach Director Bouterwek’s Tode als dessen ev. Nachfolger nannte, verhielt er sich durchaus abwehrend. Dagegen rückte er am 1. October 1866 in die zweite Oberlehrerstelle auf und erhielt am 9. December 1870 den Professortitel.

Nach dem Kriege mit Frankreich (1870/71) wurde er auf Empfehlung des Archivrathes Dr. Harleß in Düsseldorf mit diesem nach Nancy, Toul und Bar le Duc geschickt, um unter den dort vorgefundenen Acten diejenigen, welche sich zur Einverleibung in deutsche Archive eigneten, auszuwählen. In Anerkennung dieser Thätigkeit erhielt er im J. 1872 die Kriegsdenkmünze. Was er als Lehrer und Bildner der Jugend am Gymnasium leistete, fand seitens seiner vorgesetzten Behörde volle Anerkennung. Am 1. Mai 1877 rückte er in die erste Oberlehrerstelle auf. Doch nicht bloß die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, auch die Liebe seiner Schüler verstand er sich in reichem Maße zu erwerben. Dies zeigte sich besonders bei der Feier seines 25jähr. Jubiläums am 7. October 1881. Die rege, allseitige Betheiligung an derselben und die ihm unter dem Namen einer „Crecelius-Bibliothek“ von früheren Schülern und Freunden überreichte kostbare Büchersammlung (Monumenta Germaniae historica, – Monumenta Zollerana, – Scriptores rerum Prussicarum u. a. m.) legen davon beredtes Zeugniß ab. Einen wie großen Ruf als Gelehrter er sich damals schon erworben, beweist, daß zu der genannten Feier ihm 45 Abhandlungen von seinen wissenschaftlich thätigen Freunden dargebracht wurden. So war der anspruchslose Lehrer und Gelehrte mit Gunstbezeugungen aller Art überhäuft worden. Der Freude, die ihm dadurch bereitet worden war, folgte nach nicht langer Zeit tiefe Trauer.

Im J. 1883 riß der Tod die Schwester, welche nach dem Heimgange der Mutter in den siebziger Jahren ihm die Haushaltung geführt hatte, von seiner Seite. Wer ihn nach dieser Zeit besuchte, fand, daß der sonst so Heitere und Fröhliche ernster und stiller geworden war. Indessen suchte er derartige schmerzliche Empfindungen, die das Leben mit sich bringt, in nimmer rastender Thätigkeit zu verwinden. Im Winter 1884/85 ging sein längst gehegter Wunsch, Italien zu sehen, in Erfüllung. Er erhielt einen halbjährigen Urlaub zu einer Reise dorthin. Mit einer reichen Fülle der schönsten Eindrücke und einer stattlichen Sammlung von Photographien, selbstgefertigten Abdrücken von Inschriften, Handschriften-Collationen und seltenen Pflanzen kehrte er im April 1885 nach Elberfeld zurück und nahm die altgewohnte Thätigkeit wieder auf. Im Herbste desselben Jahres, am 17. October, vermählte er sich in Worms mit seiner Cousine Auguste Schlapp und erhielt damit das seit dem Tode seiner Schwester entbehrte traute Familienheim zurück. Doch nicht viele Jahre mehr waren ihm beschieden. Ein Schlaganfall lähmte ihn am 17. November 1889; schon am 13. December vollendete er seinen irdischen Lebenslauf.

C. war ein ausgezeichneter Lehrer und Erzieher. Er verstand es, seine Schüler, die ihm mit hingebendster Aufmerksamkeit folgten, anzuregen, ihre individuellen Anlagen zu wecken und auszubilden und sie mit Liebe zu den Wissenschaften zu erfüllen. Er war ein feiner Lateiner, classischer Philologe überhaupt und ein gründlicher Kenner des Hebräischen. Als Gelehrter hatte sich sein Ruf bei seinem Tode längst über Deutschland verbreitet. Ein ganz hervorragendes Verdienst hat er sich erworben durch seine geschichtlichen Studien namentlich des bergischen Landes. Er war es, der im J. 1863 mit dem Director des Gymnasiums K. W. Bouterwek den bergischen Geschichtsverein [543] gründete, dessen Vorsitz er nach dem Tode des letzteren (1868) übernahm. Durch seine Forschungen gewann die Geschichte des bergischen Landes in wissenschaftlicher Hinsicht realen Grund und Boden. Seine Vorträge und Abhandlungen, welche die Zeitschrift des genannten Vereins in großer Anzahl enthält, bilden ein herrliches Denkmal für ihn. Außerdem war er ein großer Kenner der Humanistenzeit, zu deren Aufklärung er vieles beigetragen, sowie des Kirchen- und Volksliedes des 16. und 17. Jahrhunderts, worin er sich Autorität erworben. „Des Knaben Wunderhorn“ ist zum Theil durch ihn mit Birlinger, dem Herausgeber der Alemannia, zeitgemäß erneuert und wissenschaftlich brauchbar gemacht worden. (Des Knaben Wunderhorn, alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. von Arnim und Clem. Brentano. Neubearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius. 2 Bde. Wiesbaden 1874/76.) Seine Liebe zum oberhessischen Heimathlande bekundete er stets und noch in den letzten Jahren seines Lebens bearbeitete er die Rudera eines oberhessischen Wörterbuches von Weigand. Die Weltchronik des Rudolf von Ems nahm ihn ebenfalls am Abende seines Lebens so sehr in Anspruch, daß seine Gesundheit darunter leiden mußte. Ihn traf der schon erwähnte Schlaganfall.

Große Werke hat C. nicht hinterlassen. Er war nach seinem ganzen bescheidenen Wesen mehr dazu angelegt, in die Unternehmungen Anderer helfend einzugreifen, als mit selbständigen Werken aufzutreten. Er war stets gern bereit, Anderen mit dem reichen Schatze seiner Kenntnisse zu Hülfe zu kommen, mochte nun ein Gelehrter ihn um Beiträge für ein neues litterarisches Unternehmen angehen, mochte Jemand die Prüfung einer größeren Arbeit von ihm sich erbitten, mochte ein Anderer Urkunden gelesen und übersetzt haben wollen, oder seine Hülfe beim Suchen nach berühmten Vorfahren in Anspruch nehmen, unverdrossen arbeitete er, um diese bisweilen recht anspruchsvollen Bitten zu erfüllen.

Die Zahl seiner gedruckten Abhandlungen und Aufsätze ist eine ungemein große. Man findet sie alle aufgezeichnet in dem unten notirten Schriftchen S. 26–37. Die meisten Beiträge enthält die Zeitschrift des bergischen Geschichtsvereins in Band I–XXIV, sodann Birlinger’s Alemannia Band I bis XVIII; andere stehen im Jahrbuche des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung Band II, III, IV, VII und XIV, sowie in dem dazu gehörenden Korrespondenzblatte Band I–VIII, in der Germania von Pfeiffer und Bartsch Band XI–XIII und XVII–XX, im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, Jahrgang 1856, 1862, 1864, 1865, 1873 und 1881, in Haupt’s Zeitschrift für deutsches Alterthum Band X, XIX und XXI. Sodann wären noch anzuführen: Höfer’s Zeitschrift für die Wissenschaft der Sprache Band III und IV, Rheinisches Museum für Philologie Band XXX und XXXII, Fleckeisen’s Jahrbücher für classische Philologie Band III, Altdeutsche Neujahrsblätter für 1874, herausgegeben von Birlinger und Crecelius, Zeitschrift für deutsche Philologie von Höpfner und Zacher Band IV, VII und XII, Archiv für Litteraturgeschichte von Schnorr von Carolsfeld Band VI, VII und XIV, Archiv für Geschichte deutscher Sprache und Dichtung Band I, Weimarisches Jahrbuch, Jahrgang 1884, Zeitschrift für Mythologie und Sittenkunde von J. W. Wolf Band I und II. Außerdem enthalten die Programme des Gymnasiums zu Elberfeld aus den Jahren 1857, 1860, 1864, 1870, 1876, 1880, 1882, 1886 wissenschaftliche Beilagen aus seiner Feder. Dazu kommen eine Anzahl von Gratulationsschriften. Seine Beiträge für Grimm’s „Deutsches Wörterbuch“ und v. Liliencron’s „Historische Volkslieder der Deutschen vom [544] XIII–XVI. Jahrhundert“, sowie für die „Allgemeine Deutsche Biographie“ mögen zum Schlusse noch genannt sein.

Zur Erinnerung an Professor Dr. Wilhelm Crecelius. Nachrufe, Nekrolog und Verzeichniß der Schriften desselben. Herausgegeben vom Bergischen Geschichtsverein. Elberfeld 1890. – Gymnasium zu Elberfeld, Bericht über das Schuljahr 1889–1890 vom Director Professor Scheibe. Elberfeld 1890.