Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Brentano, Christian“ von Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 309–310, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brentano,_Christian&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 09:02 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Brentano, Clemens
Band 3 (1876), S. 309–310 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Christian Brentano in der Wikipedia
Christian Brentano in Wikidata
GND-Nummer 116507780
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|3|309|310|Brentano, Christian|Rochus von Liliencron|ADB:Brentano, Christian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116507780}}    

Brentano: Christian B., rechter Bruder von Clemens B. und Bettina, geb. zu Frankfurt a. M. 24. Jan. 1784, † 27. Oct. 1851. Sehr früh geistig entwickelt, kam er mit sieben Jahren zu einem Dechanten in Bischofsheim a. d. Tauber und auf das dortige Gymnasium, entlief aber 1793 der unverständig strengen Behandlung. Es folgten Jahre des planlosesten Wechsels in seiner Erziehung; verwaist, kam er mit 13 Jahren in ein Hamburger Handlungshaus, betrieb aber seine Geschäfte, von allerlei geistigen Arbeiten mehr angezogen, sehr lässig. Sein Halbbruder Franz gab ihn daher nach einigen Jahren zu einem sächsischen Mathematiker in Pension, wo er sich leidenschaftlich mit mathematischen Arbeiten und daneben mit Kant’scher Philosophie beschäftigte. Von 1803 bis 1808 hielt er sich, um Medicin zu studiren, abwechselnd in Marburg und Jena auf. Aber theils vermöge seiner unsteten, stets von Allem leicht angezogenen aber Alles ebenso leicht vor rechter Erfassung wieder loslassenden Natur, theils auch vermöge seiner völlig ungenügenden Vorbereitung blieben diese Jahre ohne ernste Frucht und sein ganzes Innere, wie es damals war, erschien später ihm selbst wie ein wildromantischer Park mit einer bunten Menagerie (das Gleichniß war der phantastischen Wohnung entlehnt, die er sich in Marburg eingerichtet hatte), in der er nach Laune Spaziergänge und Parforcejagden anstellte, von denen ihm nichts geblieben, als die Ermüdung und etwa das Laufenlernen. 1808 übernahm er die Bewirthschaftung der von seiner Familie in Böhmen erkauften Herrschaft Bukowan, widmete sich nun mit wirklichem Eifer der Landwirthschaft, daneben auch, von seinem Bruder Clemens angeregt, dramatischen Versuchen (von denen jedoch nur weniges gedruckt worden ist), war aber froh, als 1815 der Verkauf jener Güter ihn aus dieser ihm durch die rohe und träge Bevölkerung der Güter verleideten Stellung wieder erlöste. Er kehrte nun zu seiner Familie nach Frankfurt zurück. Hier ward sein bis dahin in system- und haltlosem Philosophiren zerfahrener und allem Kirchlichen völlig entfremdeter Geist in die entgegengesetzte Richtung getrieben. Ueber die Geschichte seiner Umkehr zum Christenthum und zwar zu einem mystosophisch-dogmatischen streng hierarchischen Katholicismus, zu der zuerst der Verkehr mit dem geistvollen Ringseis aus München ihm den Anstoß gab, hat er in einer bald nachher für Sailer geschriebenen Selbstbiographie lehrreiche Bekenntnisse niedergelegt und seine religiösen Anschauungen, wie sie sich ihm nun unter einem Besuch bei der Emmerich [310] in Dülmen (s. d.) gestalteten, hat er in der Abhandlung „Aufschlüsse über Verderben und Heil mit dem Schlüssel des Kreuzes“ (Schriften II. 325 ff.) entwickelt. In leidenschaftlichem Drange suchte er sich jetzt seines Selbst mit der eigenen sittlichen Verantwortlichkeit durch die Hingabe in einen höhern Willen zu entledigen. Dennoch aber sträubte sich, wo er dies Höhere in Menschengestalt fassen wollte, seine originelle Natur immer wieder vor jeder Unterordnung, bis er endlich Gott selbst zu vernehmen glaubte, indem er in betendem oft visionärem Denken sein eigenstes Wesen entfaltete. Er ging zunächst nach Landshut, um sich durch Sailer innerlich fortzubilden. Mit diesem trat er in innigste Verbindung; 1818 besuchten beide den Grafen Stolberg in Westfalen, und B. führte seinen Lehrer bei diesem Anlaß auch bei der Emmerich und in die Familie Diepenbrock ein. Bald aber zeigte sich doch ein störender Gegensatz zwischen Brentano’s Kirchenthum und Sailer’s versöhnlicher mehr auf das Innere gerichteten Milde, ein Gegensatz, den jener damals während der kirchlich-politischen Wirren in Baiern in seiner Schrift „Ueber Staat und Kirche“ (Schriften II. 175 ff.) niederlegte, in der er für die völlige Freiheit d. h. für die unbeschränkte hierarchische Gewalt der Kirche eintrat. 1819 wanderte B. in die Schweiz nach Luzern (hier schrieb er „Betrachtungen über die heil. Firmung. Sendschreiben eines Spätberufenen“, Schriften I. 1 ff.) nach Frankfurt, endlich 1823 nach Rom, wo er Theologie studirend, aber seinen eigentlichen Plan, Priester zu werden, wieder aufgebend, bis 1827 weilte (vgl. „Rom wie es in Wahrheit ist“, Schriften II. 289 ff., gegen die, wie B. urtheilte, falschen namentlich durch Protestanten verbreiteten Ansichten über Rom). Dann lebte er wieder in Deutschland, vielfach an dem von Weiß in Speier redigirten „Katholiken“ betheiligt („Die 12 Grundsteine Jerusalems oder die Elemente der Kirche, betrachtet in dem Namen der 12 Apostel des Lammes“, Schriften II. 1 ff. „Ueber dies Heiligen und ihre Verehrung“, l. c. I. 255 ff.). – 1835 fand endlich sein unstetes Wandern ein Ende, indem er sich mit einer Tochter des nassauischen Landrathes Genger verheirathete, und nun ein glückliches, durch wissenschaftliche und künstlerische Interessen wie durch geselligen Verkehr reich belebtes Hauswesen gründete, anfangs auf Kloster Marienberg bei Boppard, dann, als ihn die Kölner Wirren von dort vertrieben, zu Aschaffenburg. – Auf einer Reise traf ihn auf dem Hanauer Bahnhof ein Schlaganfall, dessen Folgen er kurz darauf in seinem väterlichen Hause in Frankfurt erlag. Seine Leiche ward neben der seines Bruders Clemens in Aschaffenburg begraben.

Nachgelassene religiöse Schriften von Christian Brentano, 2 Bde. 1854. (Mit Biographie.)