ADB:Bülow, Hans von (Musiker)

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Artikel „Bülow, Hans von“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 356–358, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%BClow,_Hans_von_(Musiker)&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 13:29 Uhr UTC)
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Bülow: Hans Guido von B., einer unser bedeutendsten Musiker als Claviervirtuose und Dirigent, geboren am 8. Januar 1830 zu Dresden, † am 12. Februar 1894 zu Kairo. Sein Großvater diente als sächsischer Major unter Napoleon, sein Vater Eduard v. B. zeichnete sich als Novellendichter und Schriftsteller aus (s. A. D. B. III, 517). Hans begann seine ersten Clavierstudien im Alter von 9 Jahren bei Friedr. Wieck und Theorie bei Eberwein in Dresden. Im J. 1848 bezog er die Leipziger Universität um Jura zu studiren, nahm aber nebenbei bei Hauptmann Unterricht im Contrapunkt. Unter dem Einflusse der Revolution ging er 1849 nach Berlin, wo er mit den Heißspornen jener Periode, den Bauer, Lothar Bucher, Ferd. Lassalle u. A. einen regen geistigen Verkehr unterhielt und eine Reihe politischer Artikel für die damalige „Abendpost“ schrieb. Zur selben Zeit erschien Richard Wagner’s „Die Kunst und die Revolution“, aus dem der junge Brausekopf seine künstlerische und politische Nahrung sog. Bei einem Besuche in Weimar hörte er eine Aufführung des „Lohengrin“ und sein Entschluß war gefaßt, die Juristerei aufzugeben und sich ganz der Musik zu widmen, trotz dem Widerspruche seiner Eltern. Er reiste nach Zürich, wo Wagner sein Heim aufgeschlagen hatte, nachdem er glücklich dem Dresdener Gefängnisse entkommen war, bildete sich unter dessen Leitung zum Dirigenten aus und erhielt 1851 die Direction am Züricher Theater und später an dem zu St. Gallen. Von hier muß er schon im J. 1852 zu Liszt in Weimar gegangen sein, um sich als Claviervirtuose auszubilden, denn 1853 unternahm er schon seine erste Concertreise durch Deutschland und Oesterreich und ließ sich darauf in Berlin nieder, wo er am Stern’schen Conservatorium für Musik eine Lehrerstelle annahm, sich 1857 mit Cosima Liszt, einer Tochter Franz Liszt’s und der Gräfin d’Agoult verheirathete, die ihm vier Töchter schenkte. Trotz dem Widerwillen, den er stets dem an bestimmte Stunden gebundenen Leben eines Lehrers entgegen- und in zahlreichen Briefen zum Ausdrucke brachte, – als Hundearbeit bezeichnete er es am liebsten, – fühlte er doch das Bedürfniß, sein Wissen und Können Anderen mitzutheilen, es durfte nur kein höherer Zwang ihn drängen. Jeder, der ihn aufsuchte und um Belehrung bat, fand die liebenswürdigste Aufnahme; nie kargte er mit seinem [357] Wissen und Können und legte den Keim zu höherem Streben, gern bereit ihn zur Blüthe zu entwickeln. Als Virtuose gab er im Winter regelmäßig Concerte, die er ganz allein mit seinen Vorträgen ausfüllte. Er stand schon damals an der Spitze der Virtuosen: unfehlbar war seine Technik, sein Gedächtniß staunenswerth, nie bemerkte man eine Ermüdung und seine Vortragsart übertraf alles bis dahin erreichte. Nicht nur in der geistigen Vertiefung in die Composition, sondern auch in der klaren und verständlichen Durchführung der Themen und der Form. In einer Bach’schen Fuge, oder der großen Fuge in Beethoven’s Sonate opus 106 legte er die thematische Arbeit mit einer Klarheit und Verständlichkeit zu Tage, verbunden mit einer geistvollen Auffassung, die jeden Zuhörer mit Bewunderung und Entzücken erfüllte. Berlin befand sich damals inbetreff seiner Orchesterconcerte noch in den Kinderschuhen. Die kgl. Operncapelle orgelte in ihren Sinfonieconcerten unter Wilh. Taubert’s schwächlicher Direction die classischen Werke mit einer grenzenlosen Gedankenlosigkeit herunter und die Liebich’sche Militärcapelle, die wöchentlich drei Mal in öffentlichen Bierlocalen Sinfonien aufführte, war zwar gut eingespielt, doch im übrigen ein treues Abbild der Operncapelle. Auch hier griff B. mit fester Hand ein. Er engagirte die Liebich’sche Capelle und übte mit ihr so lange, bis sie seiner Auffassung der classischen Werke nach allen Seiten hin gerecht wurde und dann trat er öffentlich mit ihr auf. Ich entsinne mich noch der Aufführung der Eroica von Beethoven und der überraschenden und großartigen Wirkung; besonders das Scherzo rief einen allgemeinen Jubel hervor, denn eine so charakteristische Auffassung ließ uns das Kunstwerk wie von neuem erstehen. Auch hier zeigte wieder B. sein vortreffliches Gedächtniß, denn er dirigirte sämmtliche Werke auswendig. Doch nicht nur den classischen Werken widmete er eine sorgfältige Einstudierung, sondern auch den neueren Componisten wollte er gerecht werden und brachte Wagner, Liszt und andere neue Meister zu Gehör, die allerdings bei dem damaligen Berliner Publicum wenig Gnade fanden, was wol geeignet war, Bülow’s Eifer zu erkälten. Durch mehrere unvorsichtige Aeußerungen vor versammeltem Concertpublicum verleidete er sich immer mehr den Berliner Aufenthalt, daher nahm er 1865 mit Freuden den Ruf nach München an, wo sein väterlicher Freund Wagner weilte. B. war als Hofpianist berufen, erhielt aber bald darauf die Hofcapellmeisterstelle an der Oper, wurde Director der kgl. Musikschule, deren Neueinrichtung ihm zugleich aufgetragen wurde. Wagner’sche Musik genoß in damaliger Zeit noch nicht den ungetheilten Beifall wie heute und gerade in den maßgebenden Kreisen trat man ihr abwehrend entgegen. Es bedurfte daher in München der ganzen Autorität des Königs, um eine Aufführung Wagner’scher Opern zu erzielen. Auf Sänger und Orchestermitglieder wirkte Bülow’s Begeisterung für Wagner elektrisirend und „Tristan und Isolde“ konnte in musterhafter Weise aufgeführt werden, denen dann die älteren Opern folgten. Ueber die nun folgenden Jahre und die verschiedenen umwälzenden Ereignisse ist ein dichter Schleier gehüllt und nur soviel bekannt, daß Wagner plötzlich entlassen wurde und seinem aufopfernden Freunde die Frau entführte. Erst im J. 1869 fand die Scheidung statt; B. zog sich zurück und lebte mehrere Jahre in Florenz, doch auch hier für deutsche Musik wirkend und fördersam eingreifend. Im J. 1872 findet man ihn wieder auf Concertreisen und 1875/76 sogar in Amerika, wo er in Nord und Süd, Ost und West an 139 Concerte gab. Zurückgekehrt nach Europa nahm er am 1. Januar 1878 die Capellmeisterstelle am Hoftheater in Hannover als Nachfolger K. L. Fischer’s an, doch schon nach zwei Jahren löste er das Verhältniß, da man ihm nicht freie Hand ließ. Er ging nach Meiningen, [358] wurde am 1. October 1880 Hofmusikintendant und sah hier endlich das ersehnte Ziel vor Augen. Völlig freier Hand schuf er hier ein Orchester, welches seinen Intentionen so ganz entsprach und einen Ruf über ganz Europa erlangte, an dem es noch heutigen Tages zehrt; immer noch steht es mit seinen Musterleistungen einzig da, trotzdem schon im J. 1885 B. die Direction niederlegte und das Wanderleben wieder begann. In Petersburg leitete er eine Zeitlang die philharmonischen Concerte, dann in Berlin, unterrichtete am Raff’schen Conservatorium für Musik in Frankfurt a. M., dann am Klindworth’schen in Berlin. Im August 1882 verheirathete er sich in zweiter Ehe mit der Meininger Hofschauspielerin Marie Schanzer (nicht Schlanzer, wie Riemann schreibt, siehe das Testament Bülow’s in Leßmann’s Musikzeitung 1894, S. 171). Seit dem Jahre 1888 nahm er seinen ständigen Aufenthalt in Hamburg, leitete zum Theil die Orchesterconcerte, trat auch hin und wieder als Virtuose auf, bis ihn ein Kopfleiden aufs Krankenlager warf. Die Aerzte empfahlen ihm Kairo, leider zu spät, denn schon in Wien verlor er die Sprache, erreichte aber dennoch Kairo, um dort zu sterben. Seine Leiche wurde auf seinen Wunsch nach Hamburg gebracht und verbrannt.

Das Virtuosenthum erfuhr durch Bülow’s Einfluß eine völlige Umwälzung, nicht mehr die Technik spielte die erste Rolle, sondern der Vortrag classischer und werthvoller Compositionen. Dr. Riemann schreibt hierüber: In der Geschichte des musikalischen Vortrages gebührt B. eine hervorragende Stelle, da er es war, welcher eine eingehendere Analysirung der vorzutragenden Werke dem Spieler zur Pflicht machte und den ein halbes Jahrhundert lang eingeschlafenen Begriff der Sinngliederung (Phrasirung) wieder in den Vordergrund stellte. Als Componist fehlte ihm die Erfindungskraft; er ahmte daher seine Vorbilder nach, vorzugsweise in der Formlosigkeit und krassen Accordfolgen. Weit segensreicher wurde sein Wirken als Lehrer und Bearbeiter von Lehrmaterial, wie die Etuden von Cramer, von Chopin und Beethoven’s Sonaten von opus 53 ab. Auch seine Schriften, wie die Erläuterung zu Wagner’s Faust-Ouverture trugen viel zur Verbreitung derselben bei.

An Biographien sind bis jetzt über ihn bekannt die von B. Vogel (1887), von Zabel (1894), G. Pfeiffer, Studien über Hans von Bülow, 1894, Vianna da Motta, Nachtrag zu Pfeiffer’s Studien, 1895. – Seine Wittwe veröffentlichte 3 Bände Briefe, 1895–98, englisch von Constanze Bache, 1. Bd.; ferner gab sie 1896 eine Auswahl seiner Aufsätze heraus. – Die La Mara gab den Briefwechsel zwischen Liszt und Bülow heraus. – Fr. Rösch, Musikästhetische Streitfragen, Streiflichter und Schlagschatten zu den ausgew. Schriften von Hans v. Bülow, 1897. – Adelh. v. Schorn, Zwei Menschenalter, 1901, s. d. Namensverzeichniß.