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Artikel „Bucher, Lothar“ von Heinrich von Poschinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 316–320, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bucher,_Lothar&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 19:38 Uhr UTC)
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Bucher: Lothar B. wurde im October 1817 zu Neustettin geboren. Sein Vater war der dort unterrichtende Professor August Leopold B., welcher 1822 an das Gymnasium nach Cöslin versetzt ward. Dort empfing auch der Sohn seine Schulbildung. Er absolvirte das Cösliner Gymnasium Ostern 1835 und ging nach Berlin, woselbst er drei Jahre Jura und Cameralia studirte. Auf Bucher’s allgemeine Bildung gewann die damals in Berlin alleinherrschende Hegel’sche Philosophie, auf seine juristische v. Savigny bestimmenden Einfluß, zu dessen eifrigsten Hörern der junge B. zählte.

Am 5. October 1838 trat B. als Auscultator bei dem Oberlandesgericht in Cöslin ein und legte in der Folgezeit die vorgeschriebenen Etappen der juristischen Laufbahn zurück, ohne seine sonstige Ausbildung über den Berufspflichten zu vernachlässigen, aber auch ohne directen Anlaß, irgendwie besonders hervorzutreten. So kam das Jahr 1848 heran, welches einen Wendepunkt, wenn auch noch nicht den entscheidenden, in Bucher’s Dasein brachte. Er verdiente sich durch einige Artikel im „Stolper Wochenblatt“ die journalistischen Sporen, und diese Thätigkeit lenkte das Augenmerk der Bevölkerungskreise, welche der Gährungsproceß jenes Jahres zu politischem Leben erweckt hatte, auf den federgewandten Juristen. B. wurde als der mit großer Mehrheit erwählte Vertreter des Stolper Kreises nach Berlin entsendet. Dort, in der preußischen Nationalversammlung, gesellte B. sich dem unter Rodbertus’scher Führerschaft stehenden linken Centrum zu. Nach Auflösung derselben wurde er in die zweite Kammer gewählt. Schon damals erwies sich B. als ein, unbeirrt durch den Zauber ephemerer Schlagworte, seine eigenen Wege gehender Politiker, der da wußte, was er wollte, und dieser seiner Erkenntniß in meisterhafter Beredsamkeit Ausdruck lieh. So wenig B. ein „Demokrat“ in der landläufigen Bedeutung des Wortes war, so scharf befehdete er gleichwohl im gegebenen Fall die ihm auf conservativer Seite entgegentretenden Tendenzen, wenn sie ihm unzweckmäßig oder verderblich deuchten. So in der Behandlung, welche die Opposition der Zweiten Kammer dem Verhalten Preußens bei den schleswig-holsteinischen Wirren angedeihen ließ, und namentlich als Referent für den Antrag Waldeck, betreffend Aufhebung des seit dem 12. November 1848 über Berlin verhängten Belagerungszustandes. In seiner Eigenschaft als Referent verlas B. in der Sitzung vom 25. April 1849 den von ihm verfaßten Commissionsbericht, um Tags darauf nochmals in freier Rede den gleichen Standpunkt zu vertreten und dem Minister des Innern gegenüber unter Anführung eines äußerst reichhaltigen und einwandfreien autoritativen Materials festzuhalten. Die Niederlage des Ministeriums war damit entschieden, und da es dem Kammerbeschluß auf Aufhebung des Belagerungszustandes nicht Folge geben wollte, so wurde schon Tags darauf, den 27. April, die Kammer aufgelöst. An diesem Tage trat B. zum ersten Male seinem zukünftigen Chef Bismarck persönlich gegenüber. Die denkwürdige Scene verlief am Buffet des Abgeordnetenhauses, unmittelbar nach Verlesung des königlichen Kammerauflösungs-Decrets. Bismarck richtete an den neben ihm am Buffet stehenden Abgeordneten B. die Frage: „Was werden Sie nun thun?“ „Ich werde wohl über das große Wasser gehen.“ „Sie meinen, daß Verfolgungen eintreten werden?“ versetzte Bismarck. „Ja!“ [317] antwortete B. „Das glaube ich nicht“, schloß Bismarck die kurze und doch charakteristische Besprechung.

Bucher’s Ahnung, daß Verfolgungen eintreten würden, hatte ihn nicht getäuscht. Ihm ebensowenig, wie seinen Gesinnungsgenossen, blieb ein Platz auf der Anklagebank erspart. Unter den 42 Mitgliedern der aufgelösten Kammer, gegen welche im Januar 1850 ein Proceß anhängig gemacht wurde, weil sie den Steuerverweigerungsbeschluß vom 15. November 1848 verbreitet und sich an der Abfassung und Verbreitung der Proclamation vom 18. desselben Monats betheiligt hatten, befand sich auch Lothar B. Am 12. Februar kam seine Sache im überfüllten Schwurgerichtssaale zur Verhandlung. B. gestand die vom öffentlichen Ankläger angeführten Thatsachen zu mit der Einschränkung, daß seine Aeußerungen in der Anklage entstellt seien, und vertheidigte sich selber in einem glänzenden Plaidoyer. Die Verhandlungen zogen sich durch mehrere Tage hin. Am 22. Februar wurde der Urtheilsspruch gefällt, dahin lautend, daß B. wegen versuchten Aufruhrs zum Verlust der Nationalkokarde und seiner Aemter als Obergerichtsassessor und Stadtverordneter und zu 15 Monaten Festungsstrafe verurtheilt sei. Der Vollstreckung dieses in seinen Augen ungerechten Urtheils entzog sich B. durch die Flucht. Er gelangte unangefochten nach Hamburg und von dort nach England, wo er für die nächsten fünf Jahre als Correspondent für die „National-Zeitung“ seinen Aufenthalt in London nahm.

Bucher’s Exil wurde von ihm zu eingehenden Studien der öffentlicher Institutionen Großbritanniens benutzt und zweifellos legte er hier den Grund zu seiner späteren, so großen staats- und wirthschaftspolitischen Bedeutung, welche ihn, als der geschichtliche Moment gekommen, befähigte, einem Bismarck als „rechte Hand“ zu dienen. Im Mai 1855 ging B. als Specialberichterstatter für die „National-Zeitung“ nach Paris zur Weltausstellung, eine Mission, deren Werth für die Erweiterung von Bucher’s Gesichtspunkten nicht gering veranschlagt werden darf. Anfang December kehrte er nach London zurück, wo er seine Correspondententhätigkeit wieder aufnahm und in dem Maaße vertiefen und höher qualificiren konnte, als er durch Anstellung eines zweiten Correspondenten für die mehrgenannte Berliner Zeitung wesentlich entlastet wurde. Ende 1859 machte B. eine Reise nach Griechenland, Constantinopel und Italien. Im folgenden Januar trat Lothar B. über Italien die Rückreise nach London an.

Gegen das Ende seines Londoner Aufenthaltes kam B. durch seine gesellschaftlichen Verbindungen mit einigen anderen, ebenfalls in London weilenden, politischen Flüchtlingen von nationalem Rufe in Berührung, unter ihnen der Italiener Mazzini, der Franzose Ledru-Rollin und der Russe Herzen. Dieselben trugen weiter zu seiner Aufklärung in Sachen der Politik bei, d. h. er erkannte, wie alle diese Herren vermittelst des Nationalitätsprincips Riemen aus dem Felle des biedern und principientreuen deutschen Bären schneiden wollten oder, um deutlicher zu sprechen, für ihre Nationalität auf ein Stück Deutschland, z. B. die Rheingrenze, den Höhenzug der Alpen oder das Polen von 1772 speculirten. Vereint mit Rodbertus und v. Berg nahm B. gegen dieses Treiben im J. 1861 mittelst einer Erklärung und zweier Broschüren Stellung. Die Erklärung datirt vom Januar 1861 und wurde von B. noch in London unterzeichnet. Die Broschüren trugen den Titel: „Seid deutsch! Ein Mahnwort von Rodbertus, v. Berg und L. Bucher“, bezw. „An Mazzini. Offener Brief von Rodbertus, v. Berg und L. Bucher“. Letztere Broschüre erschien auch in englischer Uebersetzung, alle genannten Schriftstücke hatten [318] übrigens B. zum Verfasser. Den Londoner Aufenthalt Bucher’s beschloß eine Reihe von Vorträgen über deutsche Reichsgeschichte, ein Unternehmen, wozu er die Anregung von einigen in London domicilirten deutschen Kaufleuten erhielt.

Der Entschluß, wieder nach Deutschland zurückzukehren, wurde in B. durch die in Folge des preußischen Thronwechsels im Januar 1861 erlassene Amnestie gereift. Ende März reiste B. von London nach Hamburg ab. Er wollte in Deutschland zunächst seinen Vater besuchen und dann nach einer neuen Lebensthätigkeit Rundschau halten. Während seines kurzen Aufenthaltes in Berlin ließ der damalige Minister des Aeußern, Frhr. v. Schleinitz, ihn durch den Abg. v. Berg wissen, daß er ihn zu sprechen wünsche. Die Unterredung, die am 16. April 1861 stattfand und von den Broschüren ausging, welche B. kurz vorher mit Rodbertus und v. Berg veröffentlicht hatte, gipfelte in der Aeußerung des Ministers, wenn B. in England bliebe, so würde er sich der Regierung in der Presse nützlich machen können; er würde mit dem Botschafter Grafen Bernstorff in Verbindung gesetzt werden, von ihm Informationen und vorkommenden Falles Geldmittel, freilich sehr beschränkte, erhalten. Er möge sich die Sache überlegen und nach seiner Rückkehr aus Cöslin seinen Entschluß anzeigen. B. machte indeß von dem ihm gewordenen Anerbieten keinen Gebrauch, sondern sagte, als er nach einigen Wochen wieder in Berlin eintraf, dem Minister, er glaube nützlicher sein zu können, wenn er, wie bisher, auf eigene Hand arbeite. Seinen bleibenden Aufenthalt in Deutschland nahm B. erst vom Sommer 1861 an, da die Lösung seiner englischen Verhältnisse zuvor noch einmal eine kurzzeitige Rückkehr nach London erforderlich machte. In diese Zeit fällt die persönliche Bekanntschaft Bucher’s mit Ferdinand Lassalle. Letzterer suchte im Spätherbst B. für seine aus Italien mitgebrachten Revolutionspläne zu gewinnen. Indeß war B. über die letzten Consequenzen revolutionärer Zettelungen mit Auslandsverschwörern für den deutschen Michel zu sehr aufgeklärt, um auf Lassalle’s Anzapfungen so ohne weiteres zu reagiren. Er sprach sich Lassalle gegenüber brieflich des Näheren aus, und wir ersehen aus der zwischen ihm und dem geistvollen Agitator gepflogenen Correspondenz, daß B. von der Principalfrage Lassalle’s, ob es möglich sei, in Deutschland die bestehende Ordnung (oder Unordnung) der Dinge niederzuwerfen und niederzuhalten, den ersten Theil bejahte, den zweiten aber nicht.

Vor seiner ständigen Niederlassung in Deutschland ging B., und zwar wieder als Correspondent für die „National-Zeitung“, zur zweiten Weltausstellung nach London. Am 1. Januar 1863 erreichten Bucher’s Beziehungen zu der „National-Zeitung“ ihr Ende. Er trat in das Wolff’sche Telegraphenbureau ein, wo aber seines Bleibens nicht lange war, da er fand, daß es ihm an der erforderlichen kaufmännischen Veranlagung gebrach. Im Begriff, sich um eine Rechtsanwaltsstelle zu bewerben, wurde ihm von einem Universitätsfreunde, auch Achtundvierziger und Exilsgenossen, Rudolf Schramm, das Erbieten gemacht, seinethalben den Minister des Innern, Grafen Eulenburg, zu sondiren. Als Frucht dieses Schrittes ist die Aeußerung des von Eulenburg befragten Ministerpräsidenten v. Bismarck zu bezeichnen, er glaube, B. im Auswärtigen Amte verwenden zu können. Daraufhin trat denn Lothar B. im December 1864, als dem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens, zunächst auf ein Probejahr als Hülfsarbeiter im Auswärtigen Amte ein.

Am 2. December 1865 wurde B. Legationsrath, am 12. März 1867 Wirklicher Legationsrath und vortragender Rath, am 6. März 1872 Geheimer Legationerath, am 29. December 1876 Wirklicher Geheimer Legationsrath, [319] am 15. Mai 1886 zur Disposition gestellt, nachdem er bereits im October 1882 Bismarck um seinen Abschied gebeten hatte. Den eindringlichen Vorstellungen des Reichskanzlers war es damals gelungen, ihn zum Verbleiben in seiner Stellung zu bewegen; auf die Frage Bucher’s, ob er denn im Dienste zur Ruine werden solle, erwiderte Fürst Bismarck, es sei das ihr gemeinsames Schicksal, dem sich keiner von ihnen entziehen könne.

B. hat im Laufe der Jahre in verschiedenen Decernaten der auswärtigen Politik gearbeitet, vorwiegend war er bei den preußisch-römischen Verhandlungen und in der englischen Politik thätig; aber bei dem Zusammenhange, in welchem die europäische Politik der verschiedenen Länder steht, wurde sein Votum in der allgemeinen Politik auch über die Beziehungen zu anderen Ländern gehört und beachtet. Die Vorzüge seines Stils sind bekannt, derselbe zeichnet sich durch elegante Einfachheit und Klarheit aus, das Phrasenhafte und Ueberflüssige in der Stilistik lag ihm fern.

Im J. 1865 erwuchs B. eine bedeutende Arbeitslast durch die Verwaltung Lauenburgs, das nach der Convention von Gastein an Preußen gefallen war. Auch von der eigentlichen diplomatischen Correspondenz des Auswärtigen Amtes ging ein Theil mit der Unterschrift Bucher’s hinaus, so z. B. der in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 28. Mai 1880 publicirte Erlaß an den Botschafter Prinzen Reuß wegen der Mittheilung eines päpstlichen Schreibens an den früheren Erzbischof Melchers. Im Parlament als Commissar zu sprechen hat B., solange er im Amte war, keine Gelegenheit genommen. Es gibt überhaupt nur zwei Anlässe, wo derselbe während seines Dienstes nach Außen mehr hervortrat: 1870 in Versailles und 1878 auf dem Berliner Congreß. Ausgezogen war bekanntlich Bismarck in den Krieg von 1870 mit Abeken, Keudell, Hatzfeldt und Bismarck-Bohlen, aber bereits am 4. October 1870 traf Bucher im Hauptquartier ein, um bis zur Beendigung des Feldzuges beim Kanzler zu verbleiben. Auch bei den Friedensverhandlungen zu Frankfurt a. M. war er zugegen.

Es ist behauptet worden, daß B. schließlich seinen Abschied aus Groll darüber genommen habe, daß Graf Herbert Bismarck als Staatssecretär über ihn gesetzt wurde; diese Annahme verräth eine vollständige Unkenntniß der Sachlage. Nicht diese Ernennung, sondern andere interne Dienstverhältnisse waren es, welche ihm die Schaffensfreudigkeit in der Wilhelmstraße beeinträchtigten. Bülow hatte ihm den Dienst sauer gemacht, nicht gerade als unfreundlicher Vorgesetzter, sondern dadurch, daß seit der Ernennung desselben zum Staatssecretär der persönliche Vortrag der Räthe beim Chef in engere Grenzen zurückgedrängt wurde; bis dahin hatte B. jede mit dem bekannten B. bezeichnete, in sein Decernat fallende Sache selbst dem Kanzler vorgetragen, nun riß Bülow alle Vortragssachen an sich – die Räthe Bismarck’s wurden zu Secretären Bülow’s. Diese Empfindungen Bucher’s steigerten sich unter dem Regimente des Grafen Hatzfeldt, mit welchem der gewöhnliche Verkehr der Räthe sich für eine selbstbewußte Natur wie B. noch schwieriger gestaltete als mit Bülow. Dazu kam, daß auch die unmittelbaren Beziehungen Bucher’s zum Reichskanzler, welche der Landaufenthalt des letzteren mit sich brachte, dadurch eingeschränkt wurden, daß Bucher’s Arzt den Aufenthalt in Varzin wegen angeblicher Feuchtigkeit des Platzes für das bereits vorhandene Gichtleiden seines Patienten für schädlich erklärte. So lange er sich größerer Rüstigkeit erfreute, und durch seinen Krankheitszustand weniger präoccupirt war, hatte B. denselben gerade in Varzin durch meilenweite Fußtouren über die dortigen waldigen Hügel bekämpft und zugleich das Gefühl der Einsamkeit [320] überwunden, welches in dieser Abgeschlossenheit auf dem Lande den an großstädtischen Verkehr Gewöhnten gelegentlich beschlich und dadurch verstärkt wurde, daß der Fürst und seine Hausgenossen den größeren Theil des Tages zu Pferde im Freien verbrachten.

Man sucht in der Geschichte umsonst nach einem Seitenstück für das Verhältniß zwischen Bismarck und B. Die Beziehungen beider Männer waren und wurden, je länger sie zusammen lebten, mehr gemüthlicher und freundschaftlicher als geschäftlicher Natur, sie unterschieden sich darin von denen, welche der Kanzler zu Wagener, zu Abeken und zu anderen Mitarbeitern gehabt hat. Fürst Bismarck war noch nicht 14 Tage aus dem Dienst, als die Blätter bereits die Meldung brachten, Lothar B. sei zu längerem Aufenthalte in Friedrichsruh eingetroffen. Er stand damals im 72. Lebensjahre; das spärliche Haupthaar war gebleicht, die Haltung des Körpers etwas nach vorn gebeugt, der Gang vorsichtig, fast schleppend; aber aus dem hellen Auge leuchtete noch immer jugendliches Feuer, die Gesichtszüge zeigten die alte Festigkeit und sein Herz schlug noch mit gleicher Wärme für den Mann, der ihn vor 26 Jahren an seine Seite gerufen hatte. Die Neugierigen fragen, was B. denn im Sachsenwalde dem Altreichskanzler für Dienste geleistet hat. Er hat dem Fürsten als Freund zur Seite gestanden, und zwar nicht bloß vorübergehend als Gast, sondern dauernd, als Hausgenosse, unter Aufgebung persönlicher Wünsche und Neigungen.

Die Nachricht von seinem Ableben kam für seine Freunde völlig überraschend, selbst in Varzin, von wo die Augen stets voll Theilnahme auf ihn gerichtet waren, war bis zwei Tage vor seinem Tode eine beunruhigende Nachricht über sein Befinden nicht zu vernehmen; am 10. October 1892 verlautete daselbst, daß B. in Glion sur Territet bei Montreux schwer erkrankt sei. Am 11. October dort aufgegebene Telegramme sagten bereits, daß sein Zustand ohne Hoffnung sei. Mit seinem Hingang hatte Bismarck, wie er selbst sagte: „seinen selbstlosesten Freund verloren“.

Die Bedeutung Bucher’s im Dienste Bismarck’s ist durch die im Jahre 1899 erfolgte Veröffentlichung von Moritz Busch, „Tagebuchblätter“ (3 Bde., Leipzig) besonders hell beleuchtet worden. Bucher’s Feder zeigt sich in zahlreichen Instructionen, welche er an M. Busch gelangen ließ, in glänzendem Lichte. Auf der anderen Seite hat es aber dem Andenken Bucher’s sehr geschadet, daß Busch ihn – gleich Bismarck – gewissermaaßen nackt gezeigt hat, als einen zum Schlusse fast krankhaft gereizten Mann, dem schließlich keiner mehr etwas recht machen konnte, sein großer Lehrmeister Bismarck nicht ausgeschlossen.

Heinrich v. Poschinger, Ein Achtundvierziger. Lothar Bucher’s Leben. und Werke. Drei Bände. Carl Heymann’s Verlag in Berlin.