ADB:Bernstorff, Albrecht Graf von
Christian v. Bernstorff, eine liberale Aufnahme fand, entschied er sich für den preußischen Staatsdienst, in den er am 30. August 1830 zunächst als Auscultator eintrat, wurde aber bald von dem Staatsminister von Ancillon der Gesandtschaft in Hamburg attachirt (September 1832), von wo er in rascher Aufeinanderfolge nach dem Haag, nach München und nach St. Petersburg als Gesandtschaftssecretär versetzt wurde. Namentlich an letzterem Orte, wo er zum Legationsrathe aufrückte, gewann er sich durch seine persönliche Liebenswürdigkeit die auszeichnende Gunst des Kaisers Nikolaus sowie auch der Gemahlin desselben. Der Tod des Vaters unterbrach eine kürzere Zeit Bernstorff’s amtliche Thätigkeit, da er sich auf dem väterlichen Gute Stintenburg den Privatangelegeneheiten seiner Familie widmen mußte. Erst im Sommer 1838 trat er wieder in die diplomatische Laufbahn ein, wo er als erster Legationssecretär nach Paris gesandt wurde. Nachdem er sich 1839 mit der Tochter des sächsischen Gesandten am französischen Hofe, v. Könneritz, verheirathet hatte, ging er als Geschäftsträger in besonderer Mission nach Neapel, während der Abwesenheit des damaligen Gesandten, Herrn v. Küster. Seit 1842 bot ihm der Geschäftsträgerposten in Paris, wohin er wieder ging, weitere Gelegenheit sich auszuzeichnen, was bei seiner Rückkehr von dort noch in demselben Jahre von dem damaligen preußischen Minister v. Bülow durch Ernennung zum ersten vortragenden Rath in der politischen Abtheilung des auswärtigen Ministeriums anerkannt wurde. In dieser Stellung, in welcher er den bedeutendsten Theil der großen politischen Correspondenz zu führen und zu wiederholten Malen den Minister selbst während Krankheiten desselben zu vertreten hatte, verblieb er fast drei Jahre. Im Mai 1845 ward er zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am bairischen Hofe ernannt. Hier verweilte er bis über das kritische Frühjahr 1848 hinaus, indem er hier gegen die damals übermächtige ultramontane Partei den Charakter der protestantischen Macht, die er vertrat, kräftig zu wahren und dabei noch die politische Gunst und Achtung König Ludwigs I. zu bewahren wußte. Im Mai 1848 folgte er dem Rufe seiner Regierung als Gesandter nach Wien. Hier fand er die achtundvierziger Revolution auf der Höhe ihrer Fluth, erlebte den Empfang der Frankfurter Deputation durch Erzherzog Johann und die Annahme der Reichsverweserschaft durch denselben ohne jene von König Friedrich Wilhelm IV. durch Graf B. ihm so dringend empfohlene vorhergehende Befragung der deutschen Fürsten; ferner die Abdankung des Kaisers Ferdinand und den Regierungsantritt des Kaisers Franz Joseph, ebenso wie die Belagerung [487] Wiens durch Fürst Windischgrätz und den ungarischen Krieg. Während dieser ganzen schwierigen Zeit war Graf B. für ein enges Zusammengehen der beiden deutschen Großmächte bemüht. Bald aber hatte er unter dem Ministerium Schwarzenberg der immer aggressiver werdenden Politik Oesterreichs gegen Preußen entgegenzutreten, und seine Abberufung von Wien war sowol ein Triumph der Schwarzenbergischen Politik über die Manteuffel’sche als eine persönliche Kränkung für ihn, da sie auf den directen Wunsch des österreichischen Ministeriums geschah. Der Grund, daß sich dieselbe bis zum Mai 1857 verzögerte, lag in dem Widerstreben Friedrich Wilhelms IV. gegen diesen Schritt, da dieser B. auszeichnete und zweimal, schon 1848 und 1850, zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten bestimmt gehabt hatte, ohne daß B. zur Annahme dieser Stellung sich hätte entschließen können. Anderthalb Jahre hielt er sich nach seiner Rückkehr von Wien von der politischen Thätigkeit fern, nur daß er im Winter 1851-52 die Stadt Berlin im Herrenhause vertrat, die ihm ihr Mandat ausdrücklich mit Rücksicht auf seine patriotische Haltung in Wien übertragen hatte. Hier schloß er sich der Fraction Alvensleben an und stimmte in der wichtigsten Frage der damaligen Sitzung, über die künftige Zusammensetzung der ersten Kammer, mit einem großen Theile der Rechten gegen die Regierungsvorlage. Dennoch war die parlamentarische Thätigkeit nicht sein berufenes Feld, und er ging im October 1852, von König Friedrich Wilhelm IV. zum wirklichen geheimen Rath ernannt, um so lieber als Gesandter nach Neapel, als ihm dies Land noch von dem Beginn seiner diplomatischen Thätigkeit her in liebevollem Andenken stand, und er hier Stärkung für seine, namentlich durch die Thätigkeit in Wien angegriffene Gesundheit zu finden hoffte. Aber schon im Mai 1854 traf ihn hier die Ernennung zum Gesandten in London. Wiederum eröffnete sich dort ihm eine höchst schwierige Stellung. Es war im Beginne des Krimkrieges, der bisherige Gesandte Preußens, Bunsen, als angebliches Opfer des preußischen Systems abberufen, B. als Vertreter des freundschaftlichen Einvernehmens Preußens mit Rußland und als Gegner Englands beargwöhnt. Gleichwohl erwarb er sich auch hier sehr bald persönliche Hochachtung und Zuneigung. Im J. 1857 zeichnete er mit Lord Clarendon die Ehepacten des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der Prinzeß Royal Victoria. Im J. 1861 ward er nach Berlin zurückgerufen, um in dem kurzlebigen Ministerium v. d. Heydt die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen (10. Oct.). Die damalige Situation konnte ihm jedoch keine Befriedigung gewähren. Die conservative Partei, auf die er in der inneren Politik während der Conflictszeit angewiesen war, versagte seiner auswärtigen Politik ihre Unterstützung, namentlich warf sie ihm die Anerkennung des Königreiches Italien vor. Und so räumte er bald und gern seinen Platz seinem Nachfolger Otto v. Bismarck und kehrte schon nach einem Jahre (Oktober 1862) auf seinen inzwischen zur Botschaft erhobenen Posten nach England zurück. Derselbe bot ihm neue Schwierigkeiten, vor allem in der 1864 sich erhebenden schleswig-holsteinischen Frage, bei der bekannten Stellung, die das englische Cabinet zu derselben einnahm. Von großer Bedeutung war seine Thätigkeit auch 1870 und 1871 während des deutsch-französischen Krieges, wo seine taktvolle und vermittelnde Persönlichkeit hier bei der neutralen Macht gerade an der rechten Stelle war. Er hatte die Befriedigung, mit der Errichtung des Deutschen Reichs die Hoffnung seines Lebens verwirklicht zu sehen und konnte im Mai 1871 dem englischen Cabinette sein Beglaubigungsschreiben als Botschafter des Deutschen Kaisers überreichen. Entscheidende Geradheit und eine im besten Sinne aristokratische Denkweise charakterisirten Graf B. und das echt deutsche Familienleben sowie die edle Gastlichkeit von Prussia House zeichneten den deutschen Botschafter in der Mitte [488] der befreundeten Nation aus. Die persönliche Zuneigung sowol König Friedrich Wilhelms IV. als auch später des Kaisers und des Kronprinzen Friedrich Wilhelm wurde ihm zu Theil und gab den Beziehungen Bernstorff’s zu denselben eine besondere Vertraulichkeit und Innigkeit. Auch für die vornehmen und einflußreichen englischen Kreise, in denen er sich neunzehn Jahre hindurch zu bewegen hatte, war er durch seine Gemüths- und Charaktereigenschaften entschieden die geeignete Persönlichkeit. - Er starb nach langer, schmerzvoller Krankheit in London am 26. März 1874.
Bernstorff: Albrecht Graf v. B., zuletzt kaiserlich deutscher Botschafter in London und königlich preußischer Staatsminister, war geb. 22. März 1809 zu Dreilützow in Mecklenburg, empfing seine Jugendbildung auf dem Gymnasium zu Ratzeburg und studirte in Göttingen und Berlin. In letzterem Orte, wo er im Hause seines Oheims, des damaligen preußischen Ministers des Auswärtigen, des Grafen