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Artikel „Frantz, Constantin“ von Ottomar Schuchardt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 716–720, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Frantz,_Constantin&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 13:55 Uhr UTC)
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Frantz: Gustav Adolph Constantin F. wurde am 12. September 1817 zu Börneke bei Halberstadt als jüngstes Kind des dort in Amt befindlichen Pastors Klement Wilhelm Frantz geboren. Von seinem Vater hatte er die Neigung zu litterarischen und gelehrten Studien geerbt; seiner Mutter, der Tochter einer aus Frankreich ausgewanderten Hugenotten-Familie, der auch der [717] bekannte Maler Catel angehörte, verdankt er die Lebhaftigkeit seiner Auffassung und die Zähigkeit in der Verfolgung seiner Ideen und in dem Festhalten an ihnen, Charaktereigenschaften, die sich auch sonst bei den Nachkommen der verfolgten Hugenotten bemerkt gemacht haben. – Zuerst besuchte F. die Schule zu Aschersleben, dann das Domgymnasium zu Halberstadt, das er zu Ostern 1836 mit dem Zeugniß der Reife verließ; 1836–39 studirte er in Halle Mathematik und Physik. 1839–40 setzte er diese Studien in Berlin fort. – Nach Abschluß derselben war F. als Lehrer der Mathematik in Berlin thätig; doch befriedigte ihn diese Thätigkeit so wenig, daß er sie bald wieder aufgab und in den hierauf folgenden zehn Jahren ausschließlich seinen Studien lebte.

Diese Jahre können recht eigentlich als Frantz’ Lehr- und Wanderjahre bezeichnet werden. Ausgerüstet mit reichen geschichtlichen, geographischen und staatspolitischen Kenntnissen und im Besitz einer vorzüglichen Beobachtungsgabe, durchzog er, den Wanderstab in der Hand, den Osten und Südosten Deutschlands und die angrenzenden Länder Polens und Oesterreichs bis hinunter zum südlichen Abfall der karnischen und dinarischen Alpen. Die auf diesen Wanderungen betriebenen Studien, welche ihn namentlich in vielfache Beziehungen zu den west- und südslavischen Volksstämmen brachten und ihm auch zur Beherrschung der polnischen Sprache verhalfen, waren für seine spätere publicistische Thätigkeit von ausschlaggebender Bedeutung.

Mehrere politische Schriften aus dieser Zeit zogen die Aufmerksamkeit bedeutender Staatsmänner auf F.; so des russischen Barons v. Meyendorff und Fürst Metternich’s. – Den ersteren begleitete er zu längerem Aufenthalt nach Gastein. Auch mit Prokesch-Osten, dem österreichischen Gesandten beim Deutschen Bund, kam F. damals in persönlichen Verkehr. Und ebenso dürfte es in dieser Zeit gewesen sein, daß er dem Fürsten Schwarzenberg vorgestellt wurde. Zweifellos standen die später von Schwarzenberg betriebenen, auf die Schaffung eines mitteleuropäischen Wirthschaftsgebiets hinzielenden Pläne mit den schon damals von F. entwickelten Gedanken über die organische Umgestaltung bezw. Zusammenfassung des mittleren Europas in Verbindung.

Eine im J. 1850 veröffentlichte Schrift, „Unsere Politik“ betitelt, lenkte die Aufmerksamkeit des preußischen Ministerpräsidenten v. Manteuffel auf F. und veranlaßte ihn, die Aufforderung an F. zu richten, in den preußischen Staatsdienst zu treten und eine Stellung im Ministerium des Aeußern anzunehmen. F. ging auf das Anerbieten ein und verfaßte mehrere zur Information für die Staatsleitung bestimmte Denkschriften, welche ihm die ganz besondere Zufriedenheit Manteuffel’s eintrugen und dazu führten, daß er im J. 1852 als Kanzler des preußischen Generalconsulats für die pyrenäischen Staaten nach Barcelona gesandt wurde. In dieser Stellung lernte er einen großen Theil der pyrenäischen Halbinsel und auf größeren Ausflügen auch die Küstenländer des nördlichen Afrikas kennen. Nachdem er 1856 von Spanien zurückgekehrt war, bot ihm die Regierung die Stellung eines Generalconsuls erst in Galaz, dann in Smyrna an, doch lehnte F. ab; ebenso schlug er zwei ihm von der Universität zu Breslau und in Riga angebotene Professuren ab. F. nahm nun seinen ständigen Wohnsitz in Berlin und übersiedelte von hier aus im J. 1873 nach Blasewitz bei Dresden, wo er dann bis zu seinem im Mai 1891 erfolgten Tode verblieb.

Dieser zweite Abschnitt des Frantz’schen Lebensganges verlief in verhältnißmäßiger Ruhe. – Die Zeitverhältnisse waren seinen Ideen und Plänen entgegen. Seine Versuche zur Bildung einer föderativen Partei führten zu keinem greifbaren Ergebniß, und auch seine Bemühungen, eine internationale Gruppirung der Mächte in dem von ihm vertretenen Sinne herbeizuführen, [718] scheiterten. Wenn nun auch diese Mißerfolge F. nicht an der weiteren Ausgestaltung und Vertiefung seiner Ideen hinderten, so drängten sie ihn doch in eine Vereinsamung, in der er bis zu seinem Ende verblieb.

Frantzens Denk- und Beurtheilungsweise in politischer und wirthschaftlicher Beziehung fußt auf den Anschauungen des Föderalismus. Unter Föderalismus aber versteht F. jene Ordnung, welche grundsätzlich eine verhältnißmäßige Berechtigung aller fordert und zugesteht und das gesteckte Ziel dadurch erreichen will, daß sie die föderalistische Gestaltung auch auf die materiellen und geistigen Dinge überträgt. Der Föderalismus ist nach F. eine durchaus neue Anschauungsweise; er stützt sich eben so wenig auf Volkssouveränetät, als er andererseits ein göttliches Herrscherrecht zur Vorbedingung macht. Keinem Rechte und keiner Form kann er eine ausschließliche Herrschaft zugestehen; denn jede solche Ausschließlichkeit wäre offenbar ein Hinderniß der Föderation, da diese ja auf die verhältnißmäßige Geltung und Wirkung aller für das politische Leben in Betracht kommenden Factoren hinzielt. Der Föderalismus nimmt die menschlichen Dinge, wie sie sind. – Soll er nun aber zur Wirksamkeit gelangen, so muß er von vornherein mit den zur Zeit herrschenden Systemen und Anschauungen brechen. Denn was er erstrebt, ist ein so wesentlich Anderes als es in jenen Systemen und Schulmeinungen vorliegt, daß eben die Ueberwindung derselben den ersten Schritt zu seinem Lebendigwerden bedeutet. Er hat das jetzt Bestehende als das nur Provisorische zu betrachten und an dessen Stelle als ein dauerndes zu treten! Das Experimentiren mit politischen Ideen hört auf und eine stetige lebendige Entwicklung beginnt.

Die heutige Staatslehre, meint F., verfahre so, als ob der Staat weiter nichts sei als eine Zusammenfassung von Einrichtungen, welche im wesentlichen sich beschränken auf die Herrschaftsformen, den gouvernementalen Apparat, den repräsentativen Schematismus und die staatsbürgerlichen Rechte. Obgleich doch diese Dinge alle für sich nur abstracte Wesen darstellen, die gar nicht bestehen könnten, wenn sie nicht durch lebendige Elemente und Kräfte getragen würden. – Man beginnt mit dem sogenannten Staatszweck, um daraus die öffentlichen Einrichtungen abzuleiten, d. h. man sagt, was sein soll, ohne zuvor untersucht zu haben, was wirklich ist. Und dieser abstracten Behandlung gegenüber verweist nun F. darauf, daß der Staat ein Naturproduct ist, und gelangt so zu seiner „Naturlehre des Staats“.

Der natürliche Gang der wissenschaftlichen Betrachtung des Staates beginnt nach mit dem Staatsgebiet, geht von da zur Staatsgesellschaft und gelangt dann erst zur Staatsgewalt, welche letztere gleichsam den Abschluß darstellt. – Diese, die Garantie einer sachgemäßen Untersuchung gewährende Betrachtungsweise schließt alle bloß begriffsmäßigen Auseinandersetzungen und alle daraus hervorgehenden Irrthümer aus. Sie deutet von vornherein auf verschiedene Bestandtheile hin, welche den Staat bilden, und indem dann jeder Bestandtheil nach seinem besonderen Wesen betrachtet wird, entsteht dadurch eine Vielseitigkeit der Gesichtspunkte, wie sie die Untersuchung des Staates fordert.

Der weitaus größte Theil der Frantz’schen Schriften beschäftigt sich mit den Angelegenheiten einer organischen Neugestaltung Deutschlands. Es tritt uns in allen diesen Werken eine zugleich liebevolle und geistreiche Würdigung der deutschen Vergangenheit, verbunden mit einer geradezu einzigartigen Erkenntniß und Herausarbeitung dessen, was für ein Aufsteigen der deutschen Nation in körperlicher wie geistiger Beziehung nothwendig ist, entgegen. F. vertritt die Anschauung, daß die unitarische, auf Grundlage der nationalen Abgeschlossenheit versuchte Lösung der deutschen Frage nicht zu einer endgültigen Befriedigung der Bedürfnisse des deutschen Volkes zu führen vermöge. Er [719] meint, daß die deutsche Frage nur zu verstehen sei im Lichte der europäischen Gesammtpolitik, und daß demnach keinesfalls eine Loslösung und weitere Abschließung Deutschlands von den es umgebenden Ländern das zu erstrebende Ziel wäre, daß sich Deutschland vielmehr zum Krystallisationspunkt zu machen habe für die übrigen Länder Mitteleuropas und daß es mit diesen vereint und im Bündniß mit England die europäischen Interessen wahren müsse; namentlich aber das immer mächtiger und Westeuropa immer gefährlicher werdende Rußland in Schranken zu weisen habe. Diese gegen Osten gerichtete, von F. befürwortete deutsche Politik entsprang auch dem Wunsche, als Gegengewicht gegen die drohende Verstädterung die landwirthschaftliche Grundlage des deutschen Volkslebens zu verbreitern durch Rückkehr in die Bahnen der mittelalterlichen Colonisation. Und damit gelangen wir zu Frantzens Anschauungen über die sociale Frage, welche davon ausgehen, daß die heutige Volksnoth im innigsten Zusammenhange steht mit den großen politischen Fragen. – Den Satz, daß innere und äußere Politik nichts mit einander zu thun haben, bekämpfte F. darum aufs rücksichtsloseste. Sah er doch deutlich, daß ganz im Gegentheil eine nachhaltige und erfolgreiche äußere Politik nur denkbar ist auf der Grundlage einer verständigen, nach allen Seiten gerecht abwägenden inneren Politik, und daß umgekehrt eine Politik, die das Volk auf die Bahn einer gesunden Vorwärtsentwicklung bringen oder auf ihr erhalten soll, Unterstützung finden muß in einer groß angelegten, weit hinaus schauenden äußeren Politik. Und so war er denn nach Friedr. List der erste Vertreter einer deutschen Weltpolitik.

Werke: „Grundsätze des wahren und wirklichen absoluten Idealismus“, Berlin 1843; „Philosophie der Mathematik“, Berlin 1844; „Verfuch über die Verfassung der Familie“, Berlin 1844; „Ueber Gegenwart und Zukunft der Preußischen Verfassung“, Halberstadt 1846; „Unsere Politik“, Berlin 1850; „Die Constitutionellen“, Berlin 1851; „Unsere Verfassung“, Berlin 1851; „Louis Napoleon“, Berlin 1852; „Die Staatskrankheit“, Berlin 1852; „Vorschule zur Physiologie der Staaten“, Berlin 1857; „Die Politik der Zukunft“, Berlin 1858; „Quid faciamus nos?“, Berlin 1858; „Der Militärstaat“, Berlin 1859; „Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht“, Berlin 1859; „Die Ereignisse in Amerika“, Berlin 1861; „Drei und dreißig Sätze vom deutschen Bund“, Berlin 1861; „Kritik aller Parteien“, Berlin 1862; „Die Quelle alles Uebels“, Stuttgart 1863; „Der dänische Erbfolgestreit und die Bundespolitik“, Berlin 1864; „Die Wiederherstellung Deutschlands“, Berlin 1865; „Die Schattenseite des Norddeutschen Bundes“, Berlin 1870; „Die Naturlehre des Staates“, Leipzig und Heidelberg 1870; „Das neue Deutschland“, Leipzig 1871; „Die Religion des Nationalliberalismus“, Leipzig 1872; „Abfertigung der nationalliberalen Presse“, Leipzig 1873; „Deutsche Antwort auf die orientalische Frage“, Leipzig 1877; „Der Untergang der alten Parteien“, Berlin 1878; „Der Föderalismus“, Mainz 1879; „Blätter für deutsche Politik und deutsches Recht“, München 1880; „Schellings positive Philosophie“, Cöthen 1880; „Die sociale Steuerreform“, Mainz 1881; „Die Weltpolitik“, Chemnitz 1882–83. – Eine nachgelassene Arbeit, „Die Gefahr aus Osten“, ist veröffentlicht in: Schuchardt, „Die deutsche Politik der Zukunft“, Bd. 1, Celle 1899. Schließlich ist hier noch einer ungedruckten, in Form einer Denkschrift gehaltenen Arbeit Erwähnung zu thun. Bereits im J. 1848 fertig gestellt, behandelt sie die polnische Frage und zeigt in, man kann wohl sagen, erschöpfender Weise, wie diese für Preußen und ganz Deutschland wichtige Angelegenheit vom staatsmännischen Standpunkt aus zu behandeln wäre. Interessant ist, daß F. in dieser Arbeit bereits eine Hochschule für Posen fordert.

[720] Ottomar Schuchardt, Constantin Frantz, Deutschlands wahrer Realpolitiker. Melsungen 1896.