ADB:Prokesch von Osten, Anton Graf

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Artikel „Prokesch, Anton“ von Heinrich Ritter von Zeißberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 631–645, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Prokesch_von_Osten,_Anton_Graf&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 05:39 Uhr UTC)
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Prokesch: Anton P. (später Graf von Prokesch-Osten) wurde am 10. December 1795 zu Graz in Steiermark geboren; † am 26. October 1876. Sein Vater Maximilian P., der das Glück hatte, noch als sehr junger Mann die Gunst des Kaisers Josef II. zu gewinnen, war von ihm zum Verwalter der Staatsgüter in der genannten Provinz bestellt worden und lebte zu Graz. Seine Mutter Anna war ein Fräulein von Stadler, aus der schlesischen Familie von Elßnig, die sich nach dem Verluste Schlesiens an Preußen nach Oesterreich zurückgezogen [632] und in Graz angekauft hatte, wo sie in der Burggasse neben dem Hause v. Thinfeld ihr Familienhaus hatte. Anton P., der älteste Sohn. entwickelte bereits früh seine geistigen Fähigkeiten zu einer für den Körper fast unverhältnißmäßigen Reife. In seinem sechsten Jahre schon hatte er über fünfzig Bände dichterischen und historischen Inhaltes verschlungen. Das erste Buch, das ihm in die Hände fiel, waren Eckartshausens beleidigte Rechte der Menschheit, die er heimlich aus dem Glasschranke seines Vaters nahm und von dem Titelkupfer angezogen, mit größter Begierde durchlas. Er besuchte das Gymnasium, dann die philosophischen Schulen in seiner Vaterstadt und widmete sich sodann an der Universität daselbst dem Studium der Rechtswissenschaften. Zugleich gab sich der hoffnungsvolle Jüngling von ungemein reizbarem Wesen, schwärmerischer Phantasie und geistiger Regsamkeit den Freuden der Natur und Freundschaft hin, übte sich in der Dichtkunst (ein Gedicht an Theodor Körner war das erste, was von ihm gedruckt ward) und in den Wagnissen des Schwimmens und Eislaufens, bis im J. 1812 eine heftige Leidenschaft zu Marie Koschak, Tochter eines angesehenen Grazer Rechtsgelehrten, dessen Haus ein Mittelpunkt für Künstler und Gelehrte war, den tiefsten Einfluß auf sein späteres Leben übte. Schon zuvor war er auch mit einer anderen Persönlichkeit in Berührung gekommen, die eine nicht geringere Bedeutung für seine Entwickelung gewann.

Bei einer feierlichen Preisaustheilung in Graz (1808) in Gegenwart des Landesgouverneurs, wurde Schneller, der bekannte Geschichtsprofessor, welcher nebst vielen anderen Standespersonen derselben beiwohnte, durch den Vortrag und das einnehmende eigenthümliche Wesen des dreizehnjährigen Jünglings so entzückt, daß er ihn von der Kanzel herabholte und in seine Arme schloß. Fortan gedieh P. unter der Leitung Schneller’s und des Major v. Kavanagh, eines der Familie Prokesch eng befreundeten Mannes von gediegener Denk- und Handlungsweise, in einem für sein Alter ungewöhnlichen Grade fort und das Leben selbst mit seinen großen Ereignissen und Erfahrungen, durch eine Fülle von Anschauungen bereichert, that das übrige hinzu. Bald wurden seine Beziehungen zu Schneller noch inniger. Prokesch’s Vater hatte kurz vor seinem Tode noch die Herrschaft Grottendorf im Mürzthal in Ober-Steiermark an sich gebracht und war dahin mit seiner zweiten Gattin, Anton’s Stiefmutter gezogen, am 15. December 1811 jedoch gestorben. Das Gut wurde nun veräußert und die junge Wittwe kehrte nach Graz zurück. Durch Anton P., welcher mit dem ganzen Feuer seiner Seele an Schneller hing, hörte sie viel von diesem, seinem Vorbild in allen geistigen Richtungen, sprechen und lernte ihn endlich auch persönlich kennen. Bald bildete sich zwischen beiden ein schönes Verhältniß gegenseitiger Achtung und Liebe, dem am 26. December 1815 die Kirche den Segen gab. P. selbst weilte damals in der Fremde. Von dem allgemeinen Enthusiasmus und dem Beispiele seiner Freunde dahingerissen war er, als es im J. 1813 – dem zweiten seiner juristischen Studien – den entscheidenden Kampf gegen Napoleon zu kämpfen galt, mit zu den vaterländischen Fahnen geeilt. Einer seiner Gönner, der Feldmarschalllieutenant v. Jordis, gab ihm eine Fähnrichstelle in seinem Infanterieregiment, das später den Namen Großherzog von Baden erhielt. Mit diesem Regimente, das mit anderen österreichischen Truppen dem baierischen Feldmarschall Fürsten Wrede zugewiesen wurde, machte er unter dem Befehle des verdienten Generals der Cavallerie Baron Frimont den Feldzug gegen die Franzosen, in dem sich ihm manche Gelegenheit darbot, Muth, Umsicht und Entschlossenheit zu zeigen. So fuhr er in einem kleinen Nachen über den mit Eisschollen bedeckten Rhein und überfiel mit wenigen Leuten einen sechsmal stärkeren französischen Wachtposten; ein anderes Mal vertheidigte er die über den Canal Napoleon führende Brücke mit 60 Mann, [633] von denen er die Hälfte verlor, gegen 800 Franzosen so lange, bis sein Regiment sich gesammelt hatte und ihm zu Hilfe eilen konnte. Beinahe hätte ihn Körner’s und Chorinski’s Schicksal ereilt. Verwundet sah er das freundliche Freiburg zum ersten Male und fand dort sorgsame Pflege. Nach der Rückkehr aus Frankreich kam P. im Juni 1814 in Garnison nach Mainz, wo er, als Napoleon von Elba zurückkehrte, eine kleine Broschüre: „Bonaparte und sein letzter Schritt“ drucken ließ. Er gab jetzt seinen früheren Entschluß, nach beendigtem Feldzuge den Militärdienst wieder zu verlassen und sich dem Advocatenstande zu widmen auf, dies umsomehr, als Erzherzog Karl, damals Militär- und Civilgouverneur von Mainz, ihn als Ordonnanzofficier zu sich nahm und ihn zu einer Mission nach Paris sowie zu verschiedenen anderen Sendungen verwendete, worunter auch zu der als Auszeichnung geltenden, der Prinzessin Hermine von Schaumburg, Braut des Erzherzogs-Palatin Josef, das Brautkleid zu bringen. Nachdem Erzherzog Karl von seinem Posten in Mainz abgetreten war, theilte P. das Schicksal des Regimentes, das im Juni 1816 nach Linz, seinem Werbbezirke, zurückkehrte. Die dortige Muße benützte er zu einer größeren mathematischen Arbeit (Auflösung und Begründung der Lalandischen Formeln), durch die er die Aufmerksamkeit des Chefs des mathematischen Bureaus in Wien, des Obersten Fallon auf sich lenkte. Er wurde im December 1816 nach Wien berufen, dort ohne Vorbereitung einer mathematischen Prüfung unterzogen und infolge davon zum Professor der Mathematik an der Cadettenschule zu Olmütz ernannt. Dort blieb er zwei Jahre. Während der Herbstferien von 1818 ging er nach Wien, wo ihn Kavanagh mit dem Hofkriegsrathpräsidenten Feldmarschall Fürsten Karl zu Schwarzenberg bekannt machte, der ihn als Adjutanten zu sich berief und ihn bis zu seinem Tode bei sich behielt. In diese Zeit fallen eine Reihe militärischer Arbeiten, die in der Absicht unternommen wurden, der „österreichischen militärischen Zeitschrift“ Aufschwung und Einfluß auf die Bildung der Officiere zu geben, namentlich über die Schlachten von Ligny, Quatrebras und Waterloo, die ihm viele Anerkennung aber auch manche Unannehmlichkeit brachten und später mit vielen anderen Aufsätzen theils militärischer Natur, wie namentlich einer Schilderung des Feldzuges in den Niederlanden (1793), theils biographischen, historischen und poetischen Inhalts in seinen zu Stuttgart 1842 bis 1844 in 7 Bänden gesammelten „Kleinen Schriften“ wieder abgedruckt wurden. Aus einem Feind war er jetzt ein Bewunderer des entthronten Kaisers geworden. Auch schrieb er damals unter den Augen des Feldmarschalls ein größeres Werk: „Der Feldzug des österreichischen Hilfscorps in Rußland im J. 1812“, das eine gerechte Schuld an die Armee abtragen sollte. Die Karten und Pläne dazu wurden von dem Generalquartiermeisterstabe gearbeitet und das Werk war zum Druck bereit, als infolge von Schwarzenberg’s Tode die Herausgabe unterblieb. – Durch den Fürsten Schwarzenberg wurde P. zum ersten Male in die große Welt eingeführt. Er folgte demselben nach Prag und Leipzig, von wo aus er in Jena Goethe besuchte, dem der schlagfertige junge Mann so wohl gefiel, daß er dem künftigen Prokesch-Osten längere Stellen aus dem „west-östlichen Divan“ vorlas. P. stand an Schwarzenberg’s Sterbebette und brachte sodann die Todesnachricht von Leipzig nach Wien. Die Auszeichnung, womit ihn der Feldmarschall behandelt hatte, zog ihm nach dessen Tode mehr als eine schwere Stunde zu; dies hinderte ihn jedoch keineswegs, in den „Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Feldmarschalls Fürsten Karl zu Schwarzenberg“ ein würdiges Denkmal der Dankbarkeit zu errichten. Er schrieb dieselben in Ober-Ungarn, da er 1821 in den nordöstlichen Theil der Karpathen gesendet wurde, um dort als Oberlieutenant im Generalstabe, bei der Landesaufnahme verwendet zu werden. Vollendet wurde die Arbeit im nächsten Winter in Wien, wo er sie [634] einem Kreise wohlunterrichteter und hochgestellter Männer vorlas und sie dann dem Drucke übergab. 1823 kam er, als Hauptmann in das 22. Infanterieregiment Prinz Leopold beider Sicilien versetzt, zu Triest in Garnison. Der Anblick des Meeres, sowie der ein- und auslaufenden Schiffe, die Begeisterung für hellenische Geschichte, Dichtung und Kunst, ihr Ueberströmen in die philhellenische Idee, welche eben damals die Welt ergriffen, der Zauber Byron’s und die Weihe, die Griechenlands Boden durch den Tod dieses Sängers empfangen, endlich der jugendfrische Drang nach Neuem, Unbekanntem, weckten in ihm die Sehnsucht, die Levante zu sehen. Er deutete sie seinem bewährten Freunde und Gönner, dem Referenten des Hofkriegsrathes, Obersten von Kavanagh, an; dieser, eben mit dem Gedanken umgehend, die in der österreichischen Kriegsmarine vorherrschenden italienischen Elemente durch deutsche zurückzudrängen, griff die flüchtig hingeworfene Aeußerung auf und trug seinem Schützling die Versetzung in die Marine an. P. lehnte das Anerbieten ab, da ihn der Seedienst wenig ansprach; als ihm aber Kavanagh bald darauf freistellte, sich versuchsweise auf ein Jahr einzuschiffen, um die levantinischen Gewässer nach Belieben zu durchkreuzen, ging er mit Freude auf diesen Vorschlag ein. Der Auftrag, dem Hofkriegsrathe über den Verlauf des griechischen Freiheitskampfes zu berichten und die Ermächtigung, jedes Schiff der Escadre zur Fahrt benützen zu dürfen, drückten der Reise den Stempel der officiellen Sendung auf. Am 19. August 1824 verließ P. am Bord der Kriegsbrigg „Veloce“ die Rhede von Triest und steuerte dem Orient zu, welcher seine zweite Heimath, der Träger seines Namens werden sollte. Wie er dort durch sechs Jahre Meere und Länder durchzogen, unter Griechen, Türken, Arabern und Franken gelebt, ihre Sitten und Eigenthümlichkeiten kennen gelernt, findet sich in seinen Schriften: „Erinnerungen aus Aegypten und Kleinasien“ (in Briefform) Wien 1829–31; „Das Land zwischen den Katarakten des Nil“; „Reise in das heilige Land“ Wien 1831; „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen aus dem Orient“ Stuttgart 1836–37 (aus dem Nachlasse Schneller’s edirt von Münch) geschildert. Doch ist darin, so wie in seiner „Geschichte des Abfalls der Griechen vom türkischen Reiche“ Wien 1867, der Thätigkeit, welche den Ausgangspunkt seiner glänzenden Laufbahn gebildet hatte, nur nebenbei gedacht.

Zunächst durchstreifte P. in allen Richtungen Griechenland und Kleinasien. Er besuchte das Gefilde von Troja und sah während des Winter 1824 auch Constantinopel. Die persönliche Kenntnißnahme von dem Stande der Dinge, von dem Charakter der beiden kämpfenden Völker und ihrer Häupter, enttäuschte bitter den hochbegeisterten Philhellenen, welcher mit den feurigsten Wünschen für die griechische Sache in diese Gegenden gekommen war; aber wenn auch sein Kopf aufhörte, für die Nation der Griechen zu glühen, so erlosch doch in seinem Herzen die schöne Flamme des Mitleids für die Einzelnen, für die Menschen nicht; auch unterschied er Kern und Anlage genau von der Entwickelung und Ausbildung, von dem, was die Zeit, die Sklaverei, das Elend, der mönchische Geistesdruck und der Parteigeist hineingetragen. Sein Blick erweiterte sich und manche von Europa mitgebrachten Vorurtheile streiften sich ab; die frische Meeresluft stärkte seine Phantasie, die Vergleichung zwischen beiden Himmelsstrichen lehrte ihn eines und das andere besser kennen und richtiger beurtheilen.

Seine Berichte an den Hofkriegsrath und die Briefe an Kavanagh (einer derselben mitgetheilt in der „Neuen freien Presse“ 1877, Nr. 4551) lenkten die Aufmerksamkeit seiner Regierung in erhöhtem Maße auf ihn. Auch der Internuntius Freiherr v. Ottenfels, der P. im Winter 1824–25 in Constantinopel kennen lernte und mit ihm von da an einen lebhaften Briefwechsel unterhielt, sandte häufig dessen Schreiben und Arbeiten dem Wiener Cabinete [635] ein. Unter diesen befand sich eine Denkschrift: „Ueber die Vorbereitungen zu dem diesjährigen Feldzuge in Griechenland“, welche P. im Februar 1825 an Ottenfels gerichtet und dieser „als das beste und brauchbarste, was neuerlich über dieses Thema gesagt wurde“ bezeichnete. Diese Denkschrift bewog den Fürsten Metternich, „den jungen Officier“ umgehend aufzufordern, unmittelbare Berichte an ihn einzusenden und veranlaßte zugleich die weitere Ausdehnung seines Urlaubes. In Vollziehung verschiedener Aufträge brachte P. auch das Jahr 1825 größtentheils wieder in Griechenland zu, bereiste die Inseln (Kreta, die Cykladen etc.), lebte längere Zeit in Athen und Nauplia und kam mit allen Personen von Einfluß in mehr oder weniger nahe Berührung, die zu freundschaftlichen Verbindungen mit dem damals an der Spitze der Griechen stehenden Fürsten Maurokordatos, mit Trikupis und dem französischen Admiral de Rigny führten. So lockend übrigens auch die Bahn war, die ihm Kavanagh eröffnet hatte und die ihn, nach dessen Meinung, binnen wenig Jahren an die Spitze der Marine führen sollte, so bemerkte P. doch bald, wie wenig seine Ansichten über das für diese Waffe Zweckmäßige höheren Ortes durchdrangen. Er begriff, daß er als Deutscher keine Aussichten hatte, erklärte sich gegen die weitere Verwendung in der Marine, bat aber, durch den griechischen Kampf und durch Reiselust dazu angespornt, um die Verlängerung des Urlaubs, der ihm auch neuerdings bewilligt ward. Nachdem er den Winter auf 1826 wieder in Constantinopel zugebracht und einige Theile von Kleinasien besucht hatte, benützte er im September 1826 die Gelegenheit der Sendung einer kaiserlichen Fregatte von Smyrna nach Alexandria zu einer Reise nach Aegypten. „Ich hatte“, schreibt P., „keinerlei Auftrag dahin. Mich zog das Verlangen, die Wunder zu besehen, die mir aus französischen und englischen Werken bekannt geworden waren; mich zog das neu erwachte Leben auf diesem fast der Mythe angehörigen Boden, das sich mit überraschender Kraft auf dem europäischen Markte sowie auf dem politischen Felde geltend zu machen anfing. Es war der Reiz des Neuen, des mir Unbekannten, was mich lockte. Den entscheidenden Anstoß aber zur Reise gab der Wunsch und Rath meines Landsmannes, Gönners und Freundes, des kaiserlichen Internuntius in Constantinopel, Freiherrn v. Ottenfels, mir über Lage, Personen und Stimmung auf dem damals als wichtig betrachteten Punkte ein unbefangenes, klares Urtheil zu bilden. Ich kannte durch ihn die Wünsche und Haltung unseres Hofes bezüglich der aus Anlaß der griechischen Wirren wieder aufgewachten russisch-türkischen Irrungen und meine eigene Ansicht darüber stimmte völlig zu der in Wien gefaßten. Aus den Verhältnissen, die ich in Alexandria vorfand und die mich fortrissen, erwuchs mir eine Wirksamkeit weit über meine Stellung hinaus und welche, als sie in Wien beachtet wurde, den Anlaß gab zu einer Verwendung auf diplomatischer Bahn.“ Seine Begegnungen in Alexandria und Kairo öffneten P. einen weiten Kreis von örtlicher Kenntniß und von Anschauungen über Menschen und Dinge. Er kam mit dem englischen Generalconsul Salt, dem Verfasser eines ausgezeichneten Werkes über Abyssinien, mit dem französischen Generalconsul Drovetti, dem berühmten Aegyptologen, mit den Generalconsuln von Dänemark und Schweden Labie und Anastasi, aber auch mit einer Anzahl von im Dienste des Vicekönigs stehenden Franzosen, Italienern und Griechen in Berührung. Auch der Gouverneur von Alexandria, Moharem-Bey, Schwiegersohn des Vicekönigs, Mohamed-Bey, der Kriegsminister, Selim-Bey, der Vorstand des Generalstabs und aus der unmittelbaren Umgebung Mehmed-Ali’s, die Armenier Nubar und Abro führten ihn in die Kenntniß der Lage des Landes ein. Die wichtigste Begegnung aber war die mit dem Armenier Boghos-Jussef-Bey, dem obersten und vertrautesten Geschäftsmanne des Vicekönigs. Im Verkehr mit diesem gewann P. die Ueberzeugung, daß die unbehinderte Entwickelung der Ertragsfähigkeit des Landes der [636] leitende Gedanke des Vicekönigs Mehmed Ali und daß derselbe, trotz der großen Spannung, die zwischen ihm und dem Sultan aus dem theilweisen Mißlingen des Feldzuges von 1825 gegen die Griechen entsprungen war, einem friedlichen Abkommen mit der Pforte nicht abgeneigt sei. Durch Boghos-Bey wurde P. bei dem Vicekönig selbst eingeführt und trug dann seinerseits wesentlich mit dazu bei, daß die Pforte die von Mehemed Ali gestellten Bedingungen des Ausgleiches annahm. Das diplomatische Talent, mit welchem P. ohne bestimmten Auftrag in den Verlauf der ägyptischen Frage eingegriffen hatte, erschien dem Wiener Cabinete so bedeutsam, daß Gentz darüber an einen Freund schrieb: „P. ist ein Diamant von reinstem Wasser, eines der seltenen Genies, die sich plötzlich, fast ohne Zwischenstufen, zum höchsten Grade der Brauchbarkeit erheben. Was aus diesem Menschen in zwei Jahren geworden ist, erscheint mir wie ein Wunder. Der Fürst Metternich und ich staunen, so oft wir seine Berichte und Briefe lesen. Was er in Alexandria geleistet, in zehn verschiedenen Fächern geleistet, grenzt ans Fabelhafte.“

Um P., der, nachdem er Aegypten, sowie Nubien bis an die großen Katarakten bereist hatte, im Mai 1827 wieder nach Smyrna zurückgekehrt war, eine officielle Stellung zu geben, wurde er zu Anfang 1827 dem Befehlshaber der Escadre Grafen Dandolo als Generalstabsofficier zugetheilt und bald darauf zum Major und Chef des Generalstabs der mittlerweile bedeutend verstärkten österreichischen Seemacht befördert. Als solcher leitete er die Operationen gegen die damals übermächtigen Seeräuber des griechischen Archipels und wußte durch kluge Haltung, wie durch manche kühne That die österreichische Flagge in kürzester Frist bei Freund und Feind in Ansehen zu bringen. Gleichzeitig stand er als Vertrauensmann des Fürsten Metternich inmitten des diplomatischen Getriebes, welches die griechische Frage hervorrief und zwar in einer persönlichen Stellung, die weit über die Stufe seines Ranges hinausreichte und von der seine Beziehungen zu Männern zeugen, deren Gewicht in der politischen Wagschale zählte. Er hob das Mißverständniß, welches aus Mißgriffen der österreichischen Kriegsmarine und aus Anmaßungen der Griechen zwischen beiden entstanden war. Er besuchte 1828 den Grafen Capo d’Istrias zu Poros und leitete die Auswechslung von arabischen und griechischen Gefangenen ein, wodurch er sich eine große Zahl der angesehensten Familien in Griechenland verband und die österreichische Flagge in den Augen aller Philanthropen ehrte. Im folgenden Jahre begab er sich nach Palästina, und schloß mit Abdullah-Pascha von St. Jean d’Acre, einem schwer zu behandelnden und gewaltthätigen Manne, eine Uebereinkunft zu Gunsten der Christen in Palästina und Galiläa und pflanzte am Tage des Abschlusses eigenhändig die österreichische Flagge unter dem Donner der Kanonen der Festung und der Schiffe auf eben den Mauern auf, auf denen sie der Sage nach vor Jahrhunderten gegründet und in der Consularflagge neuerlich mißhandelt worden war. Als die griechische Unabhängigkeit entschieden war, wurde P. nach Wien zurückberufen, zum Oberstlieutenant befördert und erhielt (1830) zur Belohnung, außer dem Leopoldsorden, den Adelstand mit dem Namen Ritter von Osten. Als er im Juni 1830 seine Vaterstadt Graz für ein paar Wochen besuchte, um Verwandte und Freunde zu sehen und sich an dem Schauplatze seiner frühen Jugend erinnerungsvoll zu freuen, genoß er die Ehre, zur Tafel des soeben anwesenden Kaisers gezogen zu werden, an der er zum ersten Male den Herzog von Reichstadt[WS 1] sah. „Ich hatte das Vorgefühl“. sagt P., „wie es einen Jüngling bei der ersten Begegnung mit dem Mädchen befällt, dem er sein Herz geben wird. Ich wechselte nur wenige und scheue Worte mit ihm, so lange wir bei Tafel saßen, denn die Kaiserin und mein alter Gönner Erzherzog Johann ließen nicht ab, mich erzählen zu machen aus meinen Erlebnissen [637] und Erfahrungen in der damals so entlegen scheinenden Fremde“. Am folgenden Morgen wurde P. durch den Grafen Moritz Dietrichstein, dem die Erziehung des Herzogs anvertraut war, zu diesem beschieden, der ihn mit den Worten empfing: „Ich kenne Sie und liebe Sie seit lange. Sie haben die Ehre meines Vaters vertreten zu einer Zeit, wo ihn zu verlästern alles um die Wette lief. Ich habe Ihre Schlacht von Waterloo gelesen und um jede Zeile darin in mich aufzunehmen, zweimal in andere Sprachen übertragen, ins Französische und ins Italienische“. Er forderte P. auf, in seine Dienste zu treten, wie er sich ausdrückte, sein Posa zu werden. P. hatte seinerseits bereits Tags zuvor an der kaiserlichen Tafel den Gedanken hingeworfen, Griechenland aus seinen anarchischen Zuständen dadurch zu befreien, daß man ihm einen europäischen Prinzen, und zwar, da der Prinz von Coburg abgelehnt hatte, den Herzog von Reichstadt zum Könige gebe. Zu seiner Ueberraschung hatte dieser Vorschlag nicht nur bei Erzherzog Johann, sondern auch bei der Kaiserin Beifall gefunden. Als er nun aber hierüber den jungen Herzog selbst sondirte, entdeckte er bald, daß dessen Wünsche und Hoffnungen auf Höheres gerichtet seien. Freilich setzte der Prinz hinzu: „Ist es mein Verhängniß, nie wieder nach Frankreich zu kommen, so ist es mir Ernst mit dem Wunsche, Oesterreichs anderer Prinz Eugen zu werden. Ich liebe meinen Großvater, ich bin ein Stück seines Hauses und werde für Oesterreich gerne das Schwert ziehen gegen Jedermann, nur nicht gegen Frankreich“. „Er legte“, fügt P. hinzu, „diese Worte wie eine Beichte in meine Seele nieder, und so nahm ich sie“. Ohne daß es zu bestimmten Abmachungen darüber kam, wurden doch die Schritte vereinbart, die der Herzog thun wollte, um, sobald sein Haus gestaltet sein würde, bei seinem Großvater, dem Kaiser, sich das Verbleiben Prokesch’s in seiner Nähe zu erwirken. P. reiste einstweilen nach Deutschland und der Schweiz. Zu Freiburg besuchte er seinen Stiefvater Schneller, der mittlerweile Oesterreich verlassen hatte und als Professor an dieselbe Universität, an der einst sein Vater gewirkt hatte, berufen worden war. P. hatte mit seinem väterlichen Freunde trotz der Verschiedenheit ihrer Weltanschauung und Gesinnung stets den lebhaftesten Briefwechsel unterhalten, der als schönes Denkmal ihrer Freundschaft im 2. Bande von Schneller’s Werken abgedruckt ist und durch die ebenfalls von Münch aus Schneller’s Nachlaß edirten: „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen aus dem Orient, vom Ritter Prokesch von Osten“ in willkommener Weise ergänzt wird. Denn so verschieden auch die Ansichten Beider über manche Fragen des Tages und über manche Punkte des Lebens sich zeigten, so vereinigte sie doch ein und dasselbe Streben nach Recht und Wahrheit, und derselbe Sinn für alles Gute und Schöne. Der zartesten Dankbarkeit für früher genossene Anregung und Belehrung auf der einen entsprach der feste Glaube an des trefflichen Mannes Gemüth und die vollste Vaterfreude über dessen Fortschritte im Wissen und im Leben auf der andern Seite. Während der ältere die beschränkten Vorfälle des Katheders und des Lebens in einer kleinen Stadt, die Anstrengungen der Studirstube und die Leiden und Freuden einzelner Freundeskreise bald mit heiterem Sinne und kaustischer Laune, bald mit Bitterkeit und trüber Wehmuth schildert, sendet Jener ihm Lebensbilder im großen, beschreibt er ihm anschaulich jede Stelle der classischen Vorzeit, detaillirt ihm die Sitten und Leidenschaften, die Kämpfe und Schicksale ganzer Völker. Schilderungen der Persönlichkeiten und der Parteien, sowie Scenen des griechischen Freiheitskampfes von 1824 bis zur Periode des Präsidenten Capo d’Istrias wechseln mit historisch-topographischen und archäologischen Erläuterungen ab, die zwar heute veraltet sind, aber von der ausgebreiteten Bildung und dem scharfen Blicke ihres liebenswürdigen Verfassers vielfach Zeugniß geben. Oft spricht sich auch das tiefbewegte Herz in bald rührenden, bald begeisternden Liedern aus. So war denn der Tag, an [638] welchem P. in Freiburg eintraf, ein Freuden- und Triumphtag für Schneller und dessen Familie. P. selbst zwar wurde durch den ersten Anblick der zerbröckelnden Kraft seines Freundes und Lehrers tief erschüttert; nichtsdestoweniger genoß er an Schneller’s Seite die Freuden des Wiedersehens und sonnte sich gerne in dem Glücke einer Schwester, die mit einem angesehenen Kaufmann von Freiburg, M. Stutz, vermählt war. Auch die Männer der Opposition empfingen den Mann der österreichischen Staatskanzlei mit Achtung und Freundschaft. Selbst Rotteck brachte in seiner Villa auf dem Schloßberge einen Toast dem Monarchen, welcher einen Ritter von Osten geschaffen. In der dortigen historischen Gesellschaft hielt P. einen mehrere Stunden dauernden, freien Vortrag über den Sultan Mahmud und den Pascha Mehmed Ali; auch schenkte er dem Verein mehrere hundert von ihm selbstcopirte Steininschriften und nahm die Ernennung zum Ehrenmitgliede an.

Schon früher – zu Zürich – empfing P. die Nachricht, daß der Thron der älteren Linie der Bourbons über den Haufen gefallen sei. In Freiburg vernahm er den Namen Orleans und als er, da mittlerweile Metternich Königswart verlassen hatte, seinen ursprünglichen Plan, den Staatskanzler dort zu besuchen, fallen ließ und nach einem kurzen Besuche in Leipzig und Berlin, der dem Verlag seiner Schriften galt, nach Wien zurückkehrte, fand er im Kabinete den Entschluß, Louis Philipp anzuerkennen, bereits gefaßt. Wohl sah er nun den Herzog von Reichstadt wieder, dessen Hofstaat damals gebildet werden sollte, aber den Vorschlag, in denselben P. aufzunehmen, hatte Metternich abgelehnt und auch die Schritte, welche im Auftrage des Herzogs Graf Moritz Dietrichstein bei Gentz that, blieben wirkungslos. P. würde dem jungen Prinzen weitaussehende Pläne in den Kopf setzen – diese Meinung beherrschte den Hof und auch andere Kreise. Dennoch verblieb P. mit dem Herzoge im innigsten Verkehr und niemand hinderte denselben. Er prognosticirte der Regierung Louis Philipp’s eine kurze Dauer. Er wartete auf die Anarchie, die in Frankreich dem Sturze des Julikönigs folgen würde und sah in dem Herzog von Reichstadt den zuletzt allen Kabineten und den Völkern genehmen Friedensfürsten. Ihn in würdiger Weise auf diese Rolle vorzubereiten und ihn in der Zwischenzeit von jedem übereilten, unüberlegten Schritte abzuhalten, darauf richtete P., soweit er es vermochte, sein Bemühen. Er las mit dem jungen Herzoge alle bedeutenden strategischen und geschichtlichen Werke der Zeit, alle Veröffentlichungen, die sich auf seinen Vater bezogen, ob sie von Freunden oder Feinden geschrieben waren. Zum Anhaltspunkt für diese Studien diente eine Sammlung von Auszügen, die sich P. selbst in früheren Jahren aus französischen, italienischen, englischen und deutschen militärischen Werken angelegt hatte und die die Aufmerksamkeit des Prinzen derart fesselten, daß er diese Sammlung sich fast ganz abschrieb. „Vergessen Sie nie, daß Sie der Sohn Napoleon’s sind! Dies Bewußtsein wird Sie richtig führen“, war der Rath, den P. seinem fürstlichen Freunde ertheilte, als ihn dieser einmal in einer Gesellschaft fragte, wie er sich benehmen solle. – Der Ausbruch der Unruhen in Italien gab P. eine neue Bestimmung. Metternich sandte ihn (1831) in den Kirchenstaat, um nach Bewältigung des Aufstandes dem vom Papst zum Prolegaten der Legationen und der Marken ernannten Cardinalerzbischof von Bologna, Oppizoni, als kaiserlicher Commissar zugestellt, die Durchführung der nothwendig erachteten Reformen zu überwachen. P. hat diese Mission selbst in dem Aufsatze: „Meine erste Sendung nach Italien“ (in dem Buche: „Mein Verhältniß z. Herzog v. Reichstadt“ abgedruckt) anziehend beschrieben. In Bologna wurden ihm im Palaste Caprara dieselben Zimmer angewiesen, die einst Napoleon bewohnte und wo noch alle Einrichtungsstücke die kaiserliche Krone und das N trugen. „So wohnt der Beduine in den Tempeln [639] von Theben“. Obwohl der Cardinal sich den Mängeln der Verwaltung nicht verschloß und hier und da wirklich an Verbesserungen derselben schritt, auch sich für Milde gegen die Theilnehmer am Aufstande aussprach, so schöpfte P. doch aus der eigenen Anschauung der Dinge, wie er sie auf einer Bereisung des Landes gewann, die Ueberzeugung eines neuen Umsturzes, sobald dem Papst die Hilfe von außen fehlen werde. Mit dieser Ueberzeugung kehrte P., als die österreichischen Occupationstruppen auf das eifersüchtige Drängen Frankreichs den Kirchenstaat wieder räumten, nach Wien zurück. In Schönbrunn sah er den Herzog von Reichstadt wieder, dessen sinkenden Lebensmuth er neu zu beleben suchte, nicht ohne ihm zugleich jene Ruhe und Geduld anzuempfehlen, die allein der augenblicklichen Lage der Dinge zu entsprechen schien. Mitte Februar 1832 mußte sich P. einer zweiten Sendung nach Italien unterziehen. Als er den bereits kränkelnden Herzog verließ, wobei ihm dieser seinen eigenen Degen, auf den er seinen Namen hatte stechen lassen, zum Andenken gab, ahnte P. nicht, daß es ein Abschied fürs Leben war. Prokesch’s zweite Sendung nach Italien, die er ebenfalls selbst nach Tagebüchern und Aufmerkungen geschildert hat, wurde durch neue Unruhen im Kirchenstaate (Forli) veranlaßt. Cardinal Albani, der an die Stelle Oppizoni’s getreten war, rief die Hilfe österreichischer Truppen an und der Oberbefehlshaber im lombardisch-venetianischen Königreiche, Graf Radetzky, von seiner Regierung hiezu ermächtigt, ließ einige Bataillone in das Päpstliche einrücken. Da man aber in Wien die Verlegenheit fühlte, die dies der französischen Regierung Louis Philipp’s und seinem Minister Casimir Périer bereitete, so wurde, um die Truppen sobald als möglich aus dem päpstlichen Gebiete ziehen oder wenigstens den Zeitpunkt ihres Rückzuges dem französischen Cabinete bezeichnen zu können, dem Papst angerathen, seine Armee durch österreichische Officiere, die man ihm leihen wollte, neu zu organisiren und zugleich einen Kern von Truppen in der Schweiz anzuwerben, wozu sich Graf Salis Soglio erbot. P., dem die Aufgabe zufiel, diese Vorschläge dem Papst zu überbringen, erfuhr zu Bologna, daß am 23. Febr. ein französisches Geschwader in den Hafen von Ancona eingedrungen sei und daß ein französisches Landungscorps die Stadt besetzt habe, und als er infolge dessen selbst nach Ancona eilte, fand er auch die Festung bereits in den Händen der Franzosen und neben der päpstlichen Fahne die französische Tricolore auf den Wällen aufgepflanzt. Doch überzeugte er sich im Verkehr mit dem General Cubières, daß die Besetzung Ancona’s nichts als ein parlamentarisches Mittel war, um die Parteien Frankreichs zu beschwichtigen, dem die Enttäuschung derer in Italien, die auf Frankreich zählten, auf dem Fuße folgen mußte, und er trug sowohl hier als auch in Rom, wohin er sich nunmehr begab, um sowohl mit Papst Gregor XVI. als mit dem Staatssecretär, Cardinal Bernetti, über den eigentlichen Zweck seiner Sendung zu verhandeln, das seinige dazu bei, um die Anwesenheit der Franzosen in Ancona, deren Abzug zugleich mit jenem der Oesterreicher erfolgen sollte, bis dahin zu regeln. Auch der Auftrag der Bildung von zwei Schweizerregimentern wurde durchgeführt. Dagegen wollte das neuerdings unter Mitwirkung von P. in Angriff genommene Werk einer Reform des Kirchenstaates auch jetzt nicht gedeihen, als ein Brief Metternich’s seiner Sendung ein Ende machte. Der Tod Friedrich’s v. Gentz (1832), mit welchem er seit 1826 im lebhaftesten Briefwechsel gestanden hatte (mitgetheilt u. d. T.: „Aus dem Nachlasse des Grafen Prokesch-Osten“. 2 Bde. Wien 1881), gab den Anlaß zur Berufung Prokesch’s nach Wien, wo er nun in eine neue – die diplomatische Laufbahn – auch der Form nach eintrat. Den viermonatlichen Aufenthalt in Rom, das er am 24. Juli verließ und erst vierzig Jahre später wieder betreten sollte, bezeichnet P. selbst als einen der reichsten Momente seines Lebens. Denn neben der Last der Geschäfte, [640] die sich auf ihn häuften, fand er doch auch Zeit zum verständnißinnigen Genusse der Kunst und zu freundlichem Verkehr mit gleichgesinnten, reichbegabten und edlen Menschen. Im Hause des kaiserlichen Botschafters in Rom, des Grafen Lützow, traf er mit den deutschen Künstlern Overbeck, Steinle, Senff, Kadlik zusammen. Er fand hier auch seinen Landsmann und Jugendfreund Joseph Tunner, der ihn mit anderen Malern, wie Koch, Reinhard und Catel bekannt machte. Mit Koch besuchte er die Villa Massimi, mit deren Ausschmückung Overbeck, Führich und Koch beschäftigt waren. Bei Ritter Cammucini fand er den freundlichsten Willkomm. Innige Freundschaft verband ihn auch mit Thorwaldsen, den er durch den preußischen Gesandten v. Bunsen kennen lernte. Mit Cavaliere d’Este besuchte er alle Räume des Vaticans, Professor Gerhard am archäologischen Institut, Visconti, der Secretär der archäologischen Akademie, nahmen sich seiner freundlich an. Auch mit dem Hieroglyphenforscher Pallin, mit Mezzofanti, Monsignore Baini, Vorstand der päpstlichen Kapelle und andererseits Donizetti und Dessauer und der Sängerin Malibran kam er in Berührung. Zu seinen täglichen Begegnungen gehörte v. Kestner, der hannöversche Geschäftsträger, der kunstsinnige Sohn von Werther’s Lotte, der ihm u. a. manch’ werthvolle Erinnerungen an Goethe zeigte. Selbstverständlich konnte er unter den Personen seines Umganges auch die vorzüglichsten Vertreter des diplomatischen Corps registriren. Die geselligen Kreise des österreichischen Botschafters Grafen Lützow, des russischen Gesandten Fürsten Gagarin, des englischen Geschäftsträgers Seymour, ebenso die der römischen Familien Torlonia, Massimi u. a. boten viele Annehmlichkeiten dar. Am wohlsten fühlte sich P. in dem Hause des französischen Gesandten Grafen St. Aulaire, der selbst hochgebildet war und dem eine Frau von nie alternder „innerer und äußerer Schönheit“ mit drei blühenden Töchtern und einem wohlerzogenen Sohne zur Seite stand. Hier traf er mit der größten Schönheit Roms, Clara Vanutelli-Girometti, und Horace Vernet zusammen und verlebte er Stunden, „die allein glückliche genannt zu werden verdienen, da alles darin Maß und Gleichgewicht war“. Bei seinem Abschiede von Rom empfing er noch einen rührenden Auftrag von der Mutter Napoleon’s, Madame Lätitia, nämlich ihren Segen, den er mit ihrem Miniaturbild, auf dessen Rückseite sich eine Haarlocke Napoleon’s befand und einem Miniaturbild des letztern ihrem kranken Enkel, dem Herzog von Reichstadt überbringen sollte. Allein P. traf den Herzog nicht mehr am Leben. Auf der Rückreise zu Bologna erfuhr er, daß derselbe am 22. Juli zu Schönbrunn gestorben sei. Dem Herzog und sich selbst hat übrigens P. ein schönes Denkmal errichtet in der später von seinem Sohne herausgegebenen Schrift: „Meine Begegnung mit dem Herzog von Reichstadt und mein Verhältniß zu ihm“, worin er auch Aufklärung über das räthselhafte Verhalten Metternich’s gibt, der sich seiner Zutheilung zu dem jungen Herzoge deshalb widersetzt hatte, da er beide nicht für stark genug erachtete, um Versuchungen zu widerstehen, die nicht nur in der Stimmung Frankreichs, sondern selbst im Kaiser einen gewissen Rückhalt fanden, dagegen Oesterreich gegenüber England, Rußland und Preußen in die größte Verlegenheit zu stürzen drohten. Schon früher hatte P. ein „Schreiben über den Herzog von Reichstadt“ bei Herder in Freiburg erscheinen lassen – anonym, nur mit dem Beisatze: „Von einem seiner Freunde“, wie dies Metternich wünschte. Dies Schreiben, zu welchem die spätere Arbeit eine Ergänzung bildet, sollte das Bild des Herzogs namentlich gegenüber dem Werke Montbel’s richtig stellen, das zwar u. a. auch auf dem Tagebuche und mündlichen Mittheilungen Prokesch’s beruhte, aber dem letztern nicht genügte. Auch zur deutschen Uebersetzung dieses Werkes, welche, von Fürst Metternich veranlaßt, zu Leipzig 1833 erschien, hat P. Berichtigungen und Ergänzungen geliefert.

[641] Bald darnach gaben die neuen Zerwürfnisse und der offene Krieg, der zwischen der Pforte und Mehmed Ali ausgebrochen war, Metternich den Anlaß, P. nach Alexandria zu senden (1833), wozu sich derselbe nicht nur durch seine innige Vertrautheit mit den Verhältnissen des Orientes, sondern auch durch seine nie verhehlten Sympathien für Mehmed Ali ganz besonders eignete. Er selbst bezeichnet übrigens die Rolle, welche den Abgeordneten der Mächte in Alexandria zufiel, als eine wenig beneidenswerthe. „Aus Constantinopel fast immer mit Weisungen versehen, die, bis sie ankamen, durch Ueberstürzung und Schwanken dort weit überholt waren, konnte ihr Gewicht bei Mehmed Ali nur ein geringes, ein persönliches sein. Den Vertretern der Mächte in Constantinopel konnten sie allerdings den Stoff liefern zu einer richtigeren Beurtheilung der Menschen und Lagen, aber ihre Berichte kamen meist zu spät und paßten zu den dortigen Anschauungen nicht. Sie waren verurtheilt, sich zu allen den vergeblichen Einschüchterungsversuchen, von denen die Botschafter sich Erfolg versprachen, verwenden zu lassen, alle die Drohungen zu verwerthen, die am Morgen darauf wieder fallen gelassen wurden. Ich habe die Geduld Mehmed Ali’s, mit der er unsere Belästigungen ertrug, oft bewundert“. Nach Abschluß des Friedens zwischen Mehmed Ali und der Pforte (zu Kiutahia) und nachdem es ihm noch gelungen war, die Freilassung des bei der Erstürmung Akka’s in die Gefangenschaft Ibrahim-Pascha’s, des Sohnes des Vicekönigs, gerathenen Abdullah-Pascha zu erwirken, kehrte P. über Griechenland nach Wien zurück und begab sich sofort nach Münchengrätz, wo damals die Kaiser von Oesterreich und Rußland sich begegneten und wohin ihn Metternich beschied. Er lernte hier die Herren aus dem Gefolge des Czaren, namentlich die Fürsten Menzikoff und Suwaroff, die Grafen Orloff und Nesselrode und den „russischen Gentz“, Freiherrn v. Brunnow, kennen. In einer Audienz fand er Gelegenheit, in die Seele des Czaren tiefe Blicke zu werfen. Nach dem am 7. Februar 1833 erfolgten Einzuge des neuerwählten Königs Otto von Griechenland bestimmte die österreichische Regierung 1834 den inzwischen zum Oberstlieutenant vorgerückten P. zum bevollmächtigten Minister in Athen, in welcher Stellung er als gewiegter Diplomat und genauer Kenner der griechischen Zustände in steter Opposition gegen England, Frankreich und Rußland einen bedeutenden Einfluß auf die Geschicke Griechenlands bis zum Jahre 1848 nahm, wie dies vor allem aus seinem Briefwechsel mit Metternich (mitgetheilt u. d. T.: „Aus dem Nachlasse des Grafen Prokesch-Osten“. 2 Bde. Wien 1881) ersichtlich wird. Auch die Correspondenz von und nach Alexandria mit Wien lief durch seine Hände. Als Philhellene war er in das Land gekommen, als eifrigster Vertreter der Integrität der Türkei hat er es verlassen. Er rückte auf diesem Posten 1835 zum Obersten, 1843 zum Generalmajor vor, erhielt das Commandeurkreuz des österr. Leopoldordens und wurde am 1. Februar 1845 in den erblichen Freiherrnstand erhoben, 1848 aber zum Feldmarschalllieutenant befördert. Auch während seines langen Aufenthaltes in Athen war P. zugleich litterarisch thätig. Mit Land und Leuten und mit den jüngsten Ereignissen innig vertraut und im Besitz von Quellen, die nicht leicht eine andere Hand so vollständig sammeln konnte, schrieb er eine Geschichte des Befreiungskampfes der Griechen aus diplomatischem Standpunkte, die zugleich eine Menge falscher Ansichten und Ueberlieferungen berichtigen sollte. Allein er konnte für dies Werk lange Zeit keinen Verleger finden und seine eigenen Mittel reichten zum Verlage nicht aus. Er bot es, als ihn die Wiener Akademie der Wissenschaften 1848 zu ihrem correspondirenden Mitgliede wählte, derselben zur Herausgabe an. Während indeß in den fünfziger Jahren die akademischen Schriften von ihm, der 1853 zum wirklichen Mitgliede ernannt wurde, eine Reihe archäologischer und numismatischer Abhandlungen brachten, die auf Grund seiner im Orient gemachten Sammlungen erwachsen [642] waren, blieb dem griechischen Geschichtswerke nahezu zwanzig Jahre das Licht der Welt versagt, da dasselbe Enthüllungen über Rußland enthält, die man dem Publicum nicht zu Lebzeiten der dabei Betheiligten bekannt machen wollte (vgl. Aus Metternichs Papieren VIII, 128). Es war zum größeren Theile in Druck gelegt, als im J. 1853 seine Publication verboten wurde. Es ruhte nun in den Kellerräumen der Akademie, bis endlich im J. 1867 v. Beust diese Riegel wieder löste. Allein mittlerweile hatte der behandelte Stoff viel von seinem actuellen Interesse eingebüßt, so daß dessen Erscheinen nicht von jener unmittelbar packenden Wirkung war, die dasselbe in früheren Jahren geübt haben würde. Im März 1849 nach Wien zurückgekehrt, ward er für eine hochwichtige Mission nach Berlin ausersehen. Die Bedeutung und Schwierigkeit dieser Mission ist leicht zu ermessen, wenn man sich der Geschichte jener Zeit, der gegensätzlichen Bestrebungen Oesterreichs und Preußens und der Spannung zwischen beiden Staaten, die gegen Ende des Jahres 1850 auf’s äußerste gewachsen war, erinnert. Statt der Lösung fand bekanntlich damals die deutsche Frage eine Vertagung, wesentlich infolge der selbstständigen Action Prokesch’s. Von dem Ministerpräsidenten, dem Fürsten Felix Schwarzenberg, welchem er seit Jugend befreundet war, wurde P. zunächst nur zu der Specialmission nach Berlin ausersehen, den König zu hindern, die ihm vom Frankfurter Parlamente angebotene Kaiserkrone anzunehmen; als aber dies gelang, wurde P. zum bleibenden Gesandten Oesterreichs am dortigen Hofe ernannt. Berlin war ihm völlig neu. Er kannte nur den Grafen v. Arnim, weil er einmal Gesandter in Wien gewesen war. Aber er bemerkte bald, daß dieser, obgleich Minister des Aeußern, ebenso wie auch Graf Brandenburg, der Ministerpräsident, ohne entscheidenden Einfluß seien. Herr v. Radowitz wurde für ihn der Mann der Unterhandlung. Allein Schwarzenberg lehnte die Radowitz’sche Idee des engeren Bundes unter preußischer Spitze, des weitern mit dem Anschluß von Oesterreich ab und der engere Bund nahm einen noch engeren Charakter durch die Einschränkung auf den Fürstenbund zwischen Preußen, Sachsen, Hannover und einigen Kleinstaaten an. In Hessen standen sich Baiern und Preußen feindlich gegenüber. P. hatte Befehl. seine Pässe zu verlangen und abzureisen, wenn der erste Schuß falle und da dies wirklich geschah, so lagen Krieg und Frieden in der Toga des österreichischen Gesandten. Da that P. „eine jener Thaten, die im militärischen Leben, wenn sie glücken, das Maria Theresiakreuz eintragen“. Er reiste nicht ab. Statt die Pässe zu verlangen, nahm er sofort beim Könige Audienz. Friedrich Wilhelm IV. empfing ihn zu Potsdam. P. kannte den Charakter des Königs, dessen edle Haltung in dem ganzen Auftritt er nicht genug zu rühmen wußte, wie ihm denn auch sein gutes Verhältniß zu dem Fürsten den Muth gab, selbständig und gegen den Wortlaut seiner Instruction diesen letzten Friedensversuch zu wagen. In dem Gespräche, das verlegen auf beiden Seiten mit Bemerkungen über die Akropolis von Athen begonnen hatte, brach der König plötzlich los: „Oh, ich begreife ganz, daß der Kaiser von Oesterreich diesem König von Preußen, der nach der Vorherrschaft in Deutschland strebt, den Krieg macht; ich würde es als dieser Kaiser gerade so halten!“ Worauf P. erwiderte: „Majestät irren. Dieser Kaiser von Oesterreich wird warten, bis die von der Revolution gebotene Kaiserkrone den König von Preußen in den Abgrund gestoßen haben wird, wohin solche Gabe nur drängen kann, und ihm dann brüderlich die Hand reichen!“ Das erschütterte und ergriff den König und wendete die Unterredung dem Frieden zu. Fürst Schwarzenberg mißbilligte das Verhalten Prokesch’s, der junge Kaiser gab ihm das Großkreuz des Leopold-Ordens. Der Friede blieb bewahrt, aber P. war von diesem Tage an die gehaßteste Person in Berlin. Er lebte längere Zeit mit den Seinigen und einigen Freunden, zu denen merkwürdiger Weise sein gestürzter Gegner [643] v. Radowitz gehörte, in seinem Hause abgeschlossen, bis ihn seine Abberufung aus Berlin aus peinlicher Stellung befreite. Auch in Berlin war übrigens sein Haus ein wahrer Musensitz, an dem seine Gemahlin die Gäste – darunter vor allem Humboldt, Fürst Pückler-Muskau und Meyerbeer – durch ihre vorzügliche Stimme und ihren schönen Gesang entzückte.

An den Dresdener Conferenzen nahm P. lebhaften Antheil. 1850 war seine Ernennung zum Geheimen Rath erfolgt. Bei der Wiederherstellung des Deutschen Bundes und der Reactivirung des Frankfurter Bundestages wurde er 1853 zum Bundestagspräsidialgesandten ernannt. Auch in dieser Stellung bekämpfte er die preußischen Bestrebungen nicht nur mit diplomatischen Mitteln, sondern auch auf publicistischem Wege und es scheint sich hierauf der bei Schack (Ein halbes Jahrhundert. I. 325) angedeutete und von gegnerischer Seite wider ihn ausgebeutete Fund eigenhändig concipirter Zeitungsartikel in der Schublade eines zu seinem Mobiliar gehörigen Tisches zu beziehen. Reiches Material zur Schilderung seiner Frankfurter Thätigkeit liefert Poschinger’s Werk: Preußen im Bundestage I. II., das indessen zu unbefangener Würdigung der dereinstigen Ergänzung aus dem österreichischen Staatsarchive entgegensieht. Die unerfreuliche Wirksamkeit in Frankfurt war indeß von kurzer Dauer. Ende 1855 wurde P., der in diesem Jahre Paris besucht hatte, wo Napoleon III. den einstigen Vertrauten des Herzogs von Reichstadt mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit empfing, als Internuntius nach Constantinopel gesendet, wo er mit seiner reichen Erfahrung und Kenntniß der orientalischen Verhältnisse, neben Henry Bulwer der entschiedenste Gegner der russischen Politik, einen Einfluß auf den Divan übte, wie ihn keiner seiner Nachfolger zu erreichen wußte und nicht ohne Selbstbefriedigung ebenso glücklich als würdig die Interessen Oesterreichs vertrat. Graf Adolf Friedrich v. Schack, der seinen alten Freund 1870 hier nochmals sah, bemerkt (a. a. O. II. 101): „Ich fand denselben körperlich schon vom Alter gebeugt, so daß ich eine bange Ahnung seines nahen Endes nicht unterdrücken konnte. Doch hatte er noch dieselbe Geistesfrische wie früher. Es war bewunderungswürdig, welch’ lebhaftes Interesse er inmitten der vielen Geschäfte, die ihm sein Botschafterposten auferlegte, noch der deutschen Litteratur widmete. Er las Abends im Kreise seiner Familie mit wahrhaft jugendlichem Feuer Gedichte vor, die besonders starken Eindruck auf ihn gemacht hatten. Nachdem ich jeden Abend in der anregendsten Unterhaltung, die bis tief in die Nacht hinein dauerte, bei Prokesch verweilt, schied ich von ihm mit dem wehmüthigen Gefühl, einen Mann zu verlassen, der an mannigfaltiger geistiger Bildung und lebhafter Theilnahme für höhere Bestrebungen fast Alle, die ich gekannt, überragte. Wenn ich jetzt an ihn und an einige andere Männer zurückdenke, die gleich ihm mehrere Dezennien älter waren als ich und welche ich doch noch näher kennen zu lernen das Glück hatte, so ist mir, als hätte ich mich von einem Symposion erhoben, wie jetzt keines mehr gehalten wird“. Einige interessante Briefe aus diesem letzten Abschnitte seines Lebens brachte die „Deutsche Revue“ im Aprilhefte 1881. Einer derselben aus Constantinopel vom 21. October 1870 schließt mit den Worten: „Unsere richtige Politik ist keine andere, als uns mit Deutschland gut zu stellen. Darin liegt für uns Hilfe im Innern und Schutz nach Außen.“ P. bekleidete die Stelle eines Internuntius, später eines Botschafters an der Pforte bis zu seiner am 6. Nov. 1871 – angeblich auf Anregung Beust’s; vgl. jedoch des letzteren: Aus drei Vierteljahrhunderten II, 38 und die Mittheilungen Baron Warsberg’s, wonach zu derselben der Tod des ihm engbefreundeten Großveziers Aali-Pascha und der Systemwechsel der Pforte den Ausschlag gab – erfolgten Pensionirung, bei welcher Gelegenheit er, nachdem er bereits 1861 zum lebenslänglichen Herrenhausmitgliede ernannt und am 26. October 1863 zum Feldzeugmeister befördert worden war, [644] in den Grafenstand erhoben wurde. Den Rest seiner Tage verlebte P. meist in seiner Vaterstadt Graz, im Verkehr mit seiner Familie und mit einigen Freunden, darunter dem ehemaligen Kriegsminister Baron Kuhn. Er ordnete Papiere, welche sich auf die Geschichte des Orients bezogen und war mit der Redaction seines Tagebuches beschäftigt. Die wenige Wochen vor seinem Tode erschienene Schrift: „Mehemed Ali, Vicekönig von Aegypten“ (Wien 1877) und die „Dépêches inédites des Gentz und der Hospodare der Walachei und Moldau“, welche sein Sohn herausgab, sind dieser Sammlung entnommen. Den letzten Sommer (1876) brachte P. in Aussee zu. An einem Steinleiden erkrankt, ging er im October nach Wien, um sich einer Operation zu unterziehen, die indeß in Anbetracht seines hohen Alters nicht mehr vorgenommen werden konnte. Am 26. Oct. nachts starb er im 81. Jahre seines thaten- und verdienstreichen Lebens. Am 28. Oct. fand in Wien das militärisch-prunkvolle Leichenbegängniß statt; der Leichnam wurde sodann nach Graz überführt und daselbst in dem auf dem Leonharder Friedhofe befindlichen Mausoleum der Familie P. beigesetzt. P. hatte sich 1832 mit der von Fürst Pückler-Muskau hochgefeierten, kunstsinnigen Irene geb. Kiesewetter von Wiesenbrunn, einer Tochter des Hofrathes am Hofkriegsrathe Raphael Kiesewetter, dessen Haus in der Musikgeschichte Wiens eine Rolle spielt, vermählt, welche ihm nach 40jähriger glücklicher Ehe um vier Jahre im Tode voranging. Aus dieser Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor, von welchen der älteste Sohn, Graf Anton Prokesch-Osten, damals k. k. Major, vermählt mit Friederike Goßmann, und die Tochter Irene, vermählt mit dem k. k. Legationsrath Freih. v. Reyer, den Vater überlebten. Der jüngste Sohn war schon früher gestorben, der zweite, Karl, starb am 6. Februar 1864 als k. k. Oberlieutenant den Heldentod bei Oeversee in Schleswig-Holstein.

Innerhalb der österreichischen Diplomatie nahm P. eine eigenthümliche, ja in ihrer Art einzige Stellung ein. Man hat ihn als militärischen Diplomaten wohl mit Schwarzenberg und Ficquelmont verglichen. Richtiger würde ein Vergleich mit Männern wie Brunnow und Humboldt sein, insoferne er mit weltmännischer Bildung und staatsmännischer Erfahrung einen unendlich reichen Schatz des Wissens, empfänglichen Sinn für alles Schöne und Edle im Leben und die glückliche Gabe, seine Gedanken in anmuthige Formen zu kleiden, verband. Trotzdem muß uns eine Laufbahn fast beispiellos bedünken, die den bürgerlich Geborenen fast lediglich durch sein eigenes hervorragendes Verdienst, dem, wenigstens in jüngeren Jahren, die gewinnendste Liebenswürdigkeit zur Seite stand, von den untersten Stufen des Dienstes bis zu den höchsten Höhen des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens emporhob. Als Staatsmann aber hat ihn wohl Niemand richtiger beurtheilt, als sein eigener Sohn, welcher an die Spitze seines Briefwechsels mit Gentz und Metternich die Worte setzte: „Prokesch war der letzte Vertreter der Metternich’schen Schule; die Anschauungen, welche er dort von den Grundlagen der Machtstellung Oesterreichs und den Bedingungen des Gleichgewichts der europäischen Staaten gewonnen, haben ihn bis an das Ende seiner Laufbahn geleitet; mit ihm ist die ,alte Tradition’ zu Grabe gegangen“.

Der vorliegenden Skizze wurden außer der Biographie Schneller’s von Münch im 1. Bande von Julius Schneller’s hinterlassenen Werken und den dort (Bd. 1. 2) abgedruckten Briefen, ferner dem Artikel von Wurzbach und dem im Almanach der k. Akademie d. Wiss. in Wien 1877 enthaltenen Fragmente einer Autobiographie vornehmlich die im Texte erwähnten Werke von P. selbst zu Grunde gelegt. Vgl. überdies die Artikel-Serie der Augsb. Allg. Ztg. von 1876, verfaßt von Baron Anton Warsberg und die anziehende Lebensskizze von Dietrich Baedeker in: „Unsere Zeit“ 1876 (Schlußheft); ferner die „Neue freie Presse“ 1876 Nr. 4407: „Russenspiegel“ (aus den [645] nachgelassenen Papieren des Grafen P.-O.) und ebenda Nr. 4452 den Brief Prokesch’s an Ed. Mautner über den Tod seines Sohnes Karl; endlich: „Oesterr. Revue“ 1867 (Septemberheft): Prokesch-Osten, Bei Enthüllung des Denkmales des F. M. Fürsten Karl von Schwarzenberg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Napoleon Franz Joseph Karl Bonaparte (1811–1832); der einzige legitime männliche Nachkomme Napoléon Bonapartes