ADB:Salis-Soglio, Johann Ulrich von

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Artikel „Salis-Soglio, Johann Ulrich von“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 249–251, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Salis-Soglio,_Johann_Ulrich_von&oldid=- (Version vom 9. Dezember 2024, 22:25 Uhr UTC)
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Salis-Soglio: Joh. Ulrich v. S.-S., geboren am 16. März 1790, † am 17. April 1871. – Von Oberst Baptist v. S., dem Zeitgenossen des Ritters Herkules (s. oben), der sein von den Spaniern zerstörtes Haus in Soglio wieder erbaute und 1638 daselbst starb, stammt in drei Linien (casa Baptista, casa di mezzo und casa Antonia) das vielverzweigte Geschlecht der Salis-Soglio. Der erstgenannten gehörte Joh. Ulrich v. S.-S. an, Sohn des Obristzunftmeisters Daniel in Chur. Er widmete sich den Waffen. Schon 1809 im schweizerischen Generalstab, 1811 Officier bei den bairischen Chevauxlegers, 1813 und 1814 Ordonnanzofficier von Wrede, wohnte er den Treffen von Hanau, Brienne, Bar–sur-Aube, Arcis, La Fère Champenoise und anderen bei. 1815 trat er in Kriegsdienst in den Niederlanden. Erst in einem Schweizerregiment stehend, dann bei der Reiterei in der Nationalarmee, 1828 Oberst eines Kürassierregiments, nahm er 1840 seinen Abschied. In die Schweiz zurückgekehrt, wurde er 1842 eidgenössischer Oberst im Generalstabe, zu dessen hervorragenden Officieren der tapfere, erprobte und fein gebildete Kriegsmann zählte. Allein sein Eintritt in diese Stellung fiel in einen Zeitpunkt, der seine Laufbahn in derselben sehr undankbar gestaltete und zuletzt mit der schwersten Schickung für den trefflichen und liebenswürdigen Mann abschloß. Es waren die Jahre, in welchen politische und religiöse Gegensätze tiefgehendster Natur und Leidenschaften aller Art die heftigsten Parteizwiste in der Schweiz entfesselten und selbst militärische Angelegenheiten von dem Zwiespalte und dem Mißtrauen beeinflußt waren, welche zwischen den Parteien und den Kantonen herrschten. Schon 1844 machte S. hiervon die volle Erfahrung, als der damalige schweizerische Vorort Luzern ihn am 8. Mai zum Oberbefehl über eidgenössische Truppen berief, die zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung [250] nach dem Wallis, wo heftige Unruhen ausgebrochen waren, im Nothfalle instradirt werden sollten. Unter den Kantonen, die zur Stellung derselben aufgefordert wurden, weigerten sich Bern und Wadt geradezu, dem Rufe des Vororts nachzukommen, begieriger, auf eigene Faust im Wallis zu Gunsten einer Minderheit (der „Jungen Schweiz“) einzuschreiten, als die verfassungsmäßige Regierung gegen diese bei ihrer Einsetzung einst selbst mitwirkenden, ihr aber jetzt feindlichen Bewegungsmänner zu unterstützen. Die entschlossene Erhebung der großen Mehrheit des Volkes zur Behauptung der bestehenden Ordnung der Dinge machte dem Kampfe, der das Land erfüllte, ein unerwartet rasches Ende, so daß es zu keiner militärischen Dazwischenkunft weder der Eidgenossenschaft, noch der aufgeregten und zur Einmischung geneigten wadtländischen Nachbarn kam. S., der sich auf Befehl des Vorortes nach Bern, Freiburg, in die Wadt und zuletzt nach Sitten begeben hatte, wo er am zweiten Tage nach der entscheidenden, blutigen Katastrophe des Gefechtes am Trient (21. Mai) anlangte, hatte keine eidgenössischen Truppen dahin zu rufen; er sah seine Aufgabe darauf beschränkt, jene drohende wadtländische Einmischung durch die Vorstellungen zu verhüten, zu deren Behuf die in Sitten befindlichen eidgenössischen Commissäre Schmid und Meyer ihn am 27. Mai nach St. Moriz entsandten. Es gelang ihm, diesen Zweck zu erreichen. In der kleinen Schrift: „Einige Blätter aus der Brieftasche eines eidgenössischen Offiziers, im Mai bis Juni 1844 flüchtig aufgezeichnet, von J. U. v. S.-S.“ legte er nachher mit gutem Humor und doch voller Empfindung seine Eindrücke aus jenen Tagen nieder. Viel ernstere Folgen aber, als er es ahnen konnte, entwickelten sich für ihn aus diesen ersten Tagen seiner Betheiligung an den schweizerischen Wirren. S. hatte sich der erhaltenen Aufträge zu voller Zufriedenheit des Vororts Luzern entledigt. Allein dieser Vorort war damals schon als Haupt der katholisch-conservativen Kantone Gegenstand des Mißtrauens und tiefer Abneigung großer und kleiner andersgesinnter Kantone und aller schweizerischen Radicalen; damit war auch S., als gewesener Vertrauensmann des Vorortes, dem Hasse der Letzteren verfallen. Als ihnen kurz hernach, im October 1844, die Berufung der Jesuiten nach Luzern den Hebel lieferte, womit sie die Volksmassen der ganzen protestantischen Schweiz und einen guten Theil der Katholiken in nicht zu beschwichtigende Aufregung gegen Luzern und die ihm befreundeten Kantone bringen konnten, und als an dem Schutzbündniß der dadurch Bedrohten vom December 1845 (dem „Sonderbund“) sich die volle Scheidung der Schweiz in zwei Lager entwickelte, zwischen denen nur das Schwert entscheiden konnte, führte ein natürlicher Gedankengang Luzern und seine Verbündeten im Sommer 1847 dazu, dem Obersten v. S. den Oberbefehl über die Truppen anzutragen, mit welcher sie der Macht der Tagsatzungsmehrheit zu widerstehen gedachten. S., überzeugt, daß das Recht auf ihrer Seite stehe, glaubte sich verpflichtet, dem an ihn ergehenden Rufe, ungeachtet aller voraussichtlichen Schwierigkeiten zu folgen und trat so, obwohl bewußter Protestant, an die Spitze des Heeres der sieben katholischen Kantone. Er übernahm damit eine Aufgabe, die wol auch dem besten Strategen (er selbst war mehr tapferer Soldat und Truppenführer, als Feldherr) unlösbar geblieben wäre. Denn nicht allein gestalteten das Mißverhältniß der Zahl der ihm untergebenen Streiter zu derjenigen der Gegner und die isolirte Lage von Freiburg und von Wallis den bevorstehenden Kampf von vornherein sehr ungünstig für die sieben Kantone, sondern schwerere Hindernisse eines glücklichen Ausganges barg ihr eigenes Innere. War nämlich auch die Mehrzahl ihrer Bevölkerung zum entschlossenen Vertheidigungskampfe muthig bereit, so fehlte es doch nicht an Andersdenkenden in derselben, am meisten aber bei den Regierenden selbst, mit wenig Ausnahmen, an freudiger Zuversicht, an dem festen Entschlusse, auch persönlich alles, selbst [251] das Leben, einzusetzen, und an unzertrennlich fester Einigkeit. Umgestaltung der Dinge in der übrigen, von einer gewaltigen Strömung ergriffenen Eidgenossenschaft durch eine Offensive war undenkbar, selbst wenn Versuche dazu früher und kräftiger, als geschah, unternommen worden wären. So blieb man auf Vertheidigung gegen die unter Dufour’s vorsichtiger Leitung gesammelte und geführte Uebermacht beschränkt, die von allen Seiten herannahte. S. that was er vermochte. Er leitete die tapfere Gegenwehr der Luzerner und ihrer Hülfstruppen bei Honau, Root und Gisikon, dabei selbst leicht verwundet, sowie ihren Rückzug in der Richtung nach Luzern vor dem siegenden Feinde. Als aber am Abend des Treffens (23. November 1847) die luzernische Regierung und der siebenörtische Kriegsrath sich aus Luzern nach Uri flüchteten und ihm den Befehl zugehen ließen, wenn weiterer Widerstand vergeblich sein sollte, mit Dufour wegen Uebergabe der Stadt Luzern zu unterhandeln und mit der Armee sich zur Fortssetzung des Kampfes in die Urkantone zurückzuziehen, erkannte er die wirkliche Sachlage, die schon beginnende und rasch zunehmende Auflösung der Dinge, die auch in die Reihen seiner Truppen drang. Jede Aussicht auf einen glücklichen Ausgang des Krieges war verschwunden; ein Vorschlag, am folgenden Morgen den jetzt auf allen Straßen gegen Luzern vordringenden feindlichen Colonnen angriffweise zu begegnen, konnte nur zu nutzloser Verlängerung des Blutvergießens führen. S. wies denselben zurück und folgte am 24. den entwichenen Häuptern der sieben Orte über Winkel und Stans nach Uri, ging am 25. über die Furka ins Wallis und von da in die Lombardei. Seine öffentliche Laufbahn war zu Ende. Im Privatstande, in Bergamo, in Tirol, dann in München, zuletzt in der Heimath – in Chur, wo er starb, – brachte er den Rest seiner Jahre zu. Die Achtung, die jeder selbstlosen Aufopferung für Grundsätze und ernste Ueberzeugungen gebührt, – auch von aufrichtigen Gegnern – und die Zuneigung seiner Freunde blieben das Geleite des schwergeprüften Mannes. –

Repertorium der Eidgen. Abschiede der Tagsatzungen der Jahre 1814 bis 1848, Bd. I, (Bern 1847). – Geschichte der Schweiz von Vulliemin, 2. Band, (Lausanne 1876). – Tillier, Geschichte der Eidgen. von 1830 bis 1848, 2. Band, (Bern 1856). – Baumgartner, Die Schweiz in ihren Kämpfen und Umgestaltungen von 1830–1850, 4 Bde., Zürich 1853–1866. – Bernhard Ritter von Meyer, Erlebnisse, herausgegeb. von seinem Sohne gleichen Namens, 1. Band, (Wien u. Pest 1875). – Eigene Erinnerungen.