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Artikel „Scheurlin, Georg“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 156–158, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scheurlin,_Georg&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:04 Uhr UTC)
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Scheurlin: Georg S., Dichter, geb. am 25. Febr. 1802 zu Mainbernheim (Unterfranken), der Sohn eines Wundarztes. Nach dem frühen Tode des Vaters konnte die Mutter nur wenig thun für die weitere Ausbildung ihrer Kinder. Zwar bemühte sich der damalige Rector Dr. Stellwag die bedeutenden Anlagen des Knaben zu fördern, doch scheiterten alle Pläne an dem allzuknappen Maß der verwendbaren Mittel. So entschloß sich S., den höchsten Zielen entsagend, zum Volksschullehrer und erhielt, nachdem er seit 1821 fünf Jahre in einem Privatinstitute zu Erlangen gewirkt hatte, eine Stelle an der Stadtschule zu Ansbach mit einem Gehalt von zweihundert Gulden, welches freilich mit der Zeit auf das doppelte steigen konnte. Es ist gut, bisweilen dergleichen Rückblicke zu thun auf Verhältnisse, welche uns heutzutage unbegreiflich scheinen – wie denn in Scheurlin’s Leben noch manches dieser Art vorgekommen. Dabei sorgte der treue Sohn für die Mutter und die Geschwister und für die ihm selbst bald zahlreich erwachsende Familie, er arbeitete mit emsigem Fleiße, es war ein, nach dem strengsten Sinne des Wortes, im Schweiße des Angesichtes schwer verdientes Brod, indem er neben der nicht geringen Berufsarbeit noch Unterricht in der Musik, sowie im Malen und Zeichnen ertheilte und die Redaction des Ansbacher Tagblattes führte. Seine ersten Gedichte erschienen in einigen damals florirenden Taschenbüchern, z. B. in der von „Carl Fernau“ (von Daxenberger) 1845 u. 1846 herausgegebenen „Charitas“ – der Dichter erhielt aber niemals von seinen Gedichten einen buchhändlerischen Lohn oder Ehrensold, auch später nicht, nachdem sein Name schon fest begründet war und die Anthologie- und Musterbeispielesammler in ihren prächtigen Büchlein seine schönsten Erzeugnisse von kurzer Hand abschrieben und abdruckten! Eine reizende ganz in der musikalischen Sprache des Eichendorff’schen „Taugenichts“ gehaltene Humoreske „Studien eines verabschiedeten Waldhornisten“ erschien in der leider zu frühe verschwundenen, reich mit Prachtholzschnitten ausgestatteten „Haus-Chronik“ (München 1851 bei Braun und Schneider I 71 ff.). Gleichzeitig wagte er auch die erste Sammlung seiner „Gedichte“ (Ansbach 1851 bei Gummi, mit der Dedication an die Königin Marie von Baiern), womit er sich als einen wahren Dichter und Lyriker bewährte. S. besitzt wie Hermann Kurz bezeugt „ein ächt poetisches Talent, dessen große Kraft schon darin klar hervortritt, daß er, ob er sich gleich hie und da an die Romantiker und Uhland anlehnt, die größte Selbständigkeit bewahrt, was um so mehr alle Anerkennung verdient, als er nicht durch gründliche wissenschaftliche Bildung gehalten wurde. Seine Stoffe sind zwar beschränkt, meist behandelt er die Liebe und den Frühling, aber in immer neuen Variationen, welche durch die Wahrheit der Empfindung – denn bei ihm ist nichts gemacht, sondern aus dem Leben und dem Herzen hervorgegangen – durch die männlich ernsten und würdigen Gedanken, so wie durch die edle Einfachheit und den Wohllaut der Sprache jedes fühlende Herz fesseln müssen.“ Die Natur, die er mit voller Liebe erfaßt, gibt ihm ungesucht die glücklichsten Bilder, an die er beinahe in der Weise des Volksliedes seine dichterischen Anschauungen anknüpft. Ihm eignete auch eine Rhythmik der Sprache und eine melodiöse Sangbarkeit, welche viele Tondichter veranlaßte seine Lieder – oft ohne den Namen des Dichters – auf den Flügeln des Gesanges in die weite [157] Welt reisen zu lassen. Auch Balladen und Romanzen sind ihm gelungen, darunter der ganze Cyklus „das Kreuz im Altmühlthale“ und, eine wahre Perle der deutschen Lyrik nach Uhland’s Vorbild (der treue Kamerad) der gleich kraftvoll gehaltene „Treue Tod !“ Hier und da bricht zwar eine ächt kindliche Fröhlichkeit und Lebenslust in hellen Tönen hervor, aber im ganzen ist der Grundton seiner Lyrik tief elegisch, wie es bei seinen gedrückten und beschränkten Lebensverhältnissen kaum anders möglich war. Während andere im himmelstürmenden Weltschmerz mit dem Schicksal hadern, „läßt er sich nie von den Sorgen erdrücken, denn es erhält und kräftigt ihn das lebendigste Gottvertrauen und die vom Hauche Gottes erfüllte Natur. Seiner milden, menschenfreundlichen Gesinnung, die überall durchblickt, gibt er im „Samariter“ den „rührendsten Ausdruck“, trug er ja doch selbst so „ein still verhärmtes Angesicht“, welches „von der reichen, menschenvollen Welt“ vergeblich Liebe und Mitgefühl erbittet. Seine Minnelieder sind tief empfunden und reich an eigenthümlichen Gedanken; auch die Darstellung des tiefsten Seelenschmerzes gelingt ihm, aber er weiß immer eine schöne Mäßigung zu bewahren, die sich auch darin kund gibt, daß seine Lieder bei aller Kürze doch inhaltreich und ihr Schluß immer überraschend ist. – Es mußte etwas für den Dichter geschehen. Zarte Hände gedachten ihn seiner harten Stellung zu entreißen. Sie fingen ihren guten Willen nur ungeschickt an und der Dichter that so gar nichts, sich interessant oder bemerklich zu machen. Eine hohe Dame ließ den Catalog ihrer Privatbibliothek abschreiben, weil S. eine so schöne Handschrift hatte! … Es war die Zeit der Berufungen, Dichter und Gelehrte genossen die königliche Huld und Gnade. Endlich geschah etwas: S. der Dichter kam abermals seiner schönen Handschrift willen 1852 als – Kanzlist an das Oberconsistorium nach München, wo es Staub und Acten genug gab, aber keine Luft und Muße für den Poeten und von da übernahm das Handelsministerium den armen S. als Secretär (1856), wo es eine Registratur zu ordnen gab, und als auch dieses gethan war, erfolgte ein alle Ordnung erschütternder Umzug in ein neues Local und nachdem auch hier das Deck wieder klar gemacht war, erfolgte die Ordnung einer halb verwilderten Ministerialbibliothek. Kein Wunder daß zuletzt die Hände unter einer solchen Thätigkeit zitterten und der todmüde Mann mit seinem „still verhärmten Angesicht“ bei seinem gewissenhaftesten Pflichtgefühl kaum in feiertäglichen Nachmittagen an die Musen zu denken wagte. Deßungeachtet erschien 1858 eine neue größere Sammlung von Gedichten „Heideblumen“ betitelt (Heidelberg 1858 bei C. Winter), welche sattsam bewiesen, daß S. ein ächter Poet sei, mit einer unverwüstlichen Kraft und Frische und einem blühenden Frühling im Herzen, den selbst der versengende Reif von Harm und Kummer nicht zu schädigen vermochte. (Vgl. Lit.-Bl. von P. Heyse zu Eggers’ deutsch. Kunstbl. 1858, S. 93.)

Und wieder gingen zehn Jahre beharrlichen Stillschweigens vorüber, in welchen die vor allen Actenstößen fliehenden Musen nur mit scheuem Finger in den Morgenstunden der etwaigen Festtage am stillen Kämmerlein des Poeten anzuklopfen wagten; langsam reifte die lyrisch-epische Dichtung „Edwin“ (Sulzbach 1869). Die einfache, selbst erfundene Fabel spielt zur Zeit Heinrich des Löwen und auf der Insel Rügen; der Hauptwerth liegt nach Scheurlin’s Natur wieder in den landschaftlichen Schilderungen und in den köstlichen, eingestreuten Liedern. Ein Kritiker zog zur Charakterisirung des Ganzen damals eine nicht unpassende Parallele zwischen dieser Dichtung und Eugen Neureuther’s Aquarell-Compositionen: „Beide lieben ihre Schöpfungen mit einem reizenden Detail von Ornamenten zu umranken, bei S. tritt die landschaftliche Stimmung immer zuerst in den Vordergrund, welcher von einer wahren üppigen Wildniß der lieblichsten Zierpflanzen ornamental überwuchert ist, aus denen sich die Figuren dann [158] erst langsam losschälen, bis sie sich endlich plastisch vor dem Auge des Lesers abheben und in den Vordergrund treten. Dabei gebietet der Dichter über lebhafte Farbe und gewandte Form, welche sich jedoch stets der Idee unterordnet. Die versöhnende Macht der Poesie, die sich selbst vergessende und durch Entsagung Alles überwindende Liebe, bilden die überall und in den reizendsten Verschlingungen durchklingenden Grundgedanken des Werkes“, welches S. mit dankbarer Rührung am Sarkophage König Maximilian II. niederlegte. Es war übrigens Scheurlin’s Schwanenlied und der Preisgesang auf die Insel Rügen sein Abschied von der Welt. Denn als eine Sammlung von „Musiker-Novellen“ erschien (Hannover bei C. Rümpler 1872), wobei nur frühere Arbeiten – darunter auch der vorgenannte „Waldhornist“ – zum Wiederabdrucke kamen, erlosch das Leben Scheurlin’s am 9. Juni 1872, nachdem noch kurz vorher ein Handbillet König Ludwig II. den Dichter zu seinem siebenzigsten Geburtstage beglückt hatte. Pierer’s Universallexikon und Oettinger’s „Moniteur des Dates“ hatten Scheurlin’s Tod schon zwanzig Jahre vor seinem Ableben verzeichnet. – Er wird durch seine ächte deutsche Wahrheit und Treue der Empfindung, verbunden mit einer klangreich-melodischen Sprache und strenger Formvollendung immer eine ehrenvolle, bleibende Stellung im großen deutschen Dichterwalde behaupten. Leider ist ein Theil seiner vielfach in Taschenbüchern (Schad’s Musenalmanach u. s. w.) zerstreuten Gedichte und prosaischen Erzählungen immer noch nicht gesammelt. Eine Gesammtausgabe aber wäre eine Ehrenpflicht an den Manen des noch nicht nach Gebühr bekannten und gewürdigten Dichters. Die Wittwe Babette S. folgte ihrem Gatten am 4. März 1875; eine Tochter Scheurlin’s ist mit dem Dichter August Becker in Eisenach vermählt.

Vgl. Nr. 22 Münchener Propyläen 1869. S. 508 ff. – Beil. 59 „Allgemeine Zeitung“ 28. Febr. 1872. – Bruno Meyer: Deutsche Warte 1872. S. 511. – Heinrich Kurz, Gesch. der deutsch. Lit. 1873. IV, 268 ff. (mit Portr.). – Zwei Briefe Rückert’s an S. in C. Beyer, Neue Mittheilungen über Fr. Rückert. Leipzig 1873. I 124–28.