ADB:August (Kurfürst von Sachsen)

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Artikel „August, Kurfürst von Sachsen“ von August von Kluckhohn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 674–680, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:August_(Kurf%C3%BCrst_von_Sachsen)&oldid=- (Version vom 16. Oktober 2024, 00:38 Uhr UTC)
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August, Kurfürst von Sachsen, geb. 31. Juli 1526, † 12. Febr. 1586, der jüngere Sohn des einer Nebenlinie des Albertinischen Hauses angehörigen Herzogs Heinrichs des Frommen aus der Ehe mit Katharina von Mecklenburg. In seinem Geburtsorte Freiberg, wo der Vater Hof hielt, ehe ihm nach dem Tode des Herzogs Georg (1539) die Regierung des Albertinischen Stammlandes zufiel, genoß A. als Knabe den Unterricht des klassisch gebildeten Rectors Rivius, welcher, 1540 zum Zuchtmeister des Prinzen auf 2 Jahre bestellt, ihn später auch auf die Universität Leipzig begleitete. Inzwischen starb Heinrich der Fromme (1541) mit Hinterlassung eines Testaments, das im Widerspruch mit der sogen. großväterlichen Ordnung dem jüngeren Sohne August einen gleichen Antheil an dem väterlichen Erbe wie dem älteren Moritz zuwies. Anfechtbar wie es war, wurde dies Testament nicht vollzogen, vielmehr erfolgte die Huldigung auf Grund der „großväterlichen Ordnung“, wonach dem älteren Bruder die Regierung des Landes, dem jüngeren nur gewisse Besitzungen und Nutzungen zufielen.[WS 1] Im Ganzen bewies sich A. dem älteren und bedeutenderen Bruder immer freundlich und ergeben. Auf den Wunsch des letzteren geschah es auch, daß A. sich 1542 an den Hof des Königs Ferdinand nach Wien resp. Prag begab, jedoch, wie es scheint, weniger seiner Ausbildung wegen, als um die Annäherung des Herzogs Moritz an das österreichische Haus zu erleichtern. Daher willigte Moritz nur ungern in des Bruders Wunsch, den Hof Ferdinands, wo es ihm nicht gefiel, schon nach Jahr und Tag verlassen zu dürfen.

Noch ehe A. mit dem 18. Lebensjahre das Alter der Mündigkeit erreichte, begannen die freilich vergeblichen Bemühungen des älteren Bruders, die beiden Stifter Magdeburg und Halberstadt für ihn zu gewinnen. Dagegen verschaffte ihm Moritz 1544 die Administration des Bisthums Merseburg und überließ ihm außerdem einige Aemter und Städte seines Landes bis zum Ertrage von 35000 fl. Nun konnte es A. mit einem eigenen Hofhalte versuchen, gerieth aber bald durch übermäßigen Aufwand in Schulden und nahm daher im Herbst 1545 wieder Wohnung und Kost bei seinem Bruder in Dresden. In den ereignißreichen Zeiten des schmalkaldischen Krieges (1546–1547) dauerte das gute Einvernehmen mit Moritz fort; als dieser im Anschluß an Karl V. durch Verrath an seinen Glaubensgenossen und Verwandten die sächsische Kurwürde erwarb, sah er sich von dem jüngeren Bruder nach Kräften unterstützt. Wie ihn A. kurz vor dem Vertragsabschluß mit König Ferdinand und dem Einrücken der böhmischen und albertinisch-sächsischen Truppen in die Lande Johann Friedrichs nach Prag begleitet hatte, so betheiligte sich Jener auch in den folgenden Kämpfen. Er leitete die Vertheidigungsanstalten in Dresden und führte, als die Schlacht auf der Lochauer Haide geschlagen war, eine Truppenmacht nach Thüringen, um dort die Streitkräfte des schmalkaldischen Bundes zu bekämpfen und Besitz von dem Lande zu ergreifen.

Moritz lohnte die Treue des Bruders mit vermehrten Einkünften, wogegen A. auf die gesonderte Verwaltung der ihm früher zugewiesenen Landestheile verzichtete. Eine weitere Vermehrung des Einkommens (bis auf 40000 fl. jährlich) fand zu Anfang des Jahres 1548 mit Rücksicht auf die nahe Vermählung [675] Augusts statt. Am 7. März verlobte er sich nämlich auf einer Reise in Dänemark mit Anna, der 17jährigen Tochter des Königs Christian III. aus dessen Ehe mit Dorothea, der Tochter des Herzogs Magnus von Sachsen-Lauenburg, und schon am 7. Oct. d. J. wurde die Hochzeitsfeier mit großem Aufwand zu Torgau begangen. Wie leicht begreiflich, wünschte A. bald darauf eigenen Landbesitz und ein eigenes Hoflager zu erwerben, zu welchem Zweck ihm eine Reihe von Aemtern und Städten in gesonderter Verwaltung überlassen wurde. Er nahm seinen Aufenthalt jetzt in Weißenfels, fand aber bei der verschwenderischen Hofhaltung und in Folge der Steigerung seines Selbstgefühls, worauf die Ehe mit einer Königstochter nicht ohne Einfluß war, daß er einer reicheren Ausstattung, namentlich mit fürstlichen Jagdgründen, bedürfe. Es kam zu verdrießlichen Verhandlungen, die jedoch nur vorübergehend das gute Einvernehmen trübten, da Moritz selbst auf unberechtigte Wünsche des Bruders umsomehr Rücksicht nahm, als er seines Beistandes zu dem kühnen und bedeutungsvollen Unternehmen bedurfte, zu dem er schon im J. 1550 die einleitenden Schritte that. An dem Dresdner Vertrag vom 5. März d. J., der den Besitzstand Augusts und sein Verhältniß zu Moritz neu regelte, knüpfte sich ein „heimlicher Verstand, so H. August mit Kürfürst Moritz seiner Lande und Leute Wagniß halber gemacht“. In vollem Einverständniß mit dem Bruder und unter thätiger Beihülfe desselben spannte Moritz von langer Hand die Fäden aus, die ihn an die Spitze des Fürstenbundes gegen Karl V. brachten. Als der entschlossene Kurfürst im Frühjahr 1552 plötzlich nach Süddeutschland aufbrach, um die Gewaltherrschaft Karls V. zu stürzen, übertrug er A. die Regierung Sachsens, und als nach Erzwingung des Passauer Vertrages es galt, den angebahnten Frieden durch auswärtige Bündnisse zu sichern, sandte er den Bruder als Unterhändler nach Dänemark ab. A. war noch nicht von dort zurückgekehrt, als Moritz an den in der Schlacht von Sievershausen empfangenen Wunden am 11. Juli 1553 starb. Erst am 18. des folgenden Monats konnte er die Erbhuldigung zu Dresden empfangen.

Der neue Kurfürst beeilte sich, nicht allein mit dem Markgrafen Albrecht Friedrich zu schließen, sondern auch gegen die Ansprüche der Ernestiner – laut forderte der aus der kaiserlichen Haft entlassene Joh. Friedrich der Großmüthige die Kurwürde nebst den ihm entrissenen Landschaften zurück – durch ein neues Abkommen nicht ohne ansehnliche Opfer sicher zu stellen. Aber trotz des Naumburger Vertrages (1554) blieb August mit Argwohn und Furcht vor den feindlichen Vettern erfüllt, und daher zumeist empfing seine Politik Ziel und Richtung. So war es vornehmlich die Sorge vor den Ernestinern, was ihm die Freundschaft des österreichischen Hauses und die Aufrechthaltung des Friedensstandes in Deutschland werthvoll machte. Die Neigung, durch eine vermittelnde Politik dem Reiche Ruhe und Frieden zu sichern, legte A. schon während der Verhandlungen des Augsburger Reichstags von 1555 an den Tag. Wie er die Beschränkung des Religionsfriedens auf die nicht reichsunmittelbaren Güter durch eine den evangelischen Unterthanen katholischer Fürsten gewährte freie Religionsübung (vermittelst der Declaration König Ferdinands, die freilich nicht in das Friedensinstrument aufgenommen wurde) annehmbar zu machen suchte, so war er es auch, welcher von den protestantischen Kurfürsten zuerst den Widerstand gegen den geistlichen Vorbehalt aufgab und den so zu Stande gekommenen Religionsfrieden auch später nicht durch die Forderung der Freistellung gefährdet wissen wollte. In ähnlicher Weise wünschte Kurfürst A. die confessionellen Gegensätze innerhalb des deutschen Protestantismus, die in den nächsten Jahren immer mächtiger zu Tage traten, auf dem Wege der Vermittlung ausgleichen zu helfen. Ohne eigene Einsicht in theologische Fragen folgte er so lange unbedenklich [676] Melanchthon und dessen Schülern, als er in ihnen zugleich Anhänger Luther’s sah, die mit Unrecht von den Flacianern in Jena, den Schützlingen Joh. Friedrichs des Mittleren, verketzert würden. Ja den Verdacht und den Haß, den er gegen die Ernestiner hegte, übertrug er auch auf die theologischen Wortführer in Thüringen und hielt sich überzeugt, daß dieselben an den gegen ihn gerichteten politischen Intriguen ihrer Landesherrn nicht unbetheiligt seien. Wirklich gefährdet aber wurde die Stellung Augusts, als es Wilhelm von Grumbach, nach dem Ueberfall der Stadt Würzburg als Landfriedensbrecher mit der Acht belegt, gelang, den Herzog Joh. Friedrich d. M. für seine mit Hülfe des deutschen Adels, Frankreichs und Schwedens durchzuführende Umwälzung zu gewinnen, indem er den durch tödtlichen Haß und krankenhaften Größenwahn verblendeten Fürsten mit der Wiedergewinnung der sächsischen Kur oder gar mit der Erlangung der Kaiserkrone schmeichelte. Daß A. bei Kaiser und Reich auf die Achtserklärung gegen Joh. Friedrich drang und sich selbst mit der Execution gegen Gotha betrauen ließ, ist nicht zu tadeln, wohl aber die Grausamkeit, womit die ergriffenen Rädelsführer behandelt wurden, und die Härte, womit A. auch nach Jahren noch jede Fürbitte für den gefangenen Herzog, den Kaiser Maximilian ohne seine Zustimmung nicht freigeben durfte, von sich wies.

Die erhöhte Machtstellung hätte dem Kurfürsten dazu dienen können, mit um so größerem Nachdruck für die protestantischen Interessen in und außer dem Reich einzutreten. Aber dafür hatte A. kein Herz. Allerdings wollten er und seine Räthe 1566 auf dem Reichstage zu Augsburg den des Calvinismus angeklagten Kurfürsten Friedrich von der Pfalz auch deswegen nicht vom Religionsfrieden ausgeschlossen wissen, weil damit der Verfolgung der Reformirten in Frankreich und den Niederlangen Vorschub geleistet worden wäre, und A. ließ sich auch bereit finden, in Verbindung mit anderen protestantischen Fürsten für die von den Spaniern hart bedrängten niederländischen Glaubensgenossen ein Wort bei dem Kaiser einzulegen: im übrigen aber hielt er sich von jeder thatkräftigen Unterstützung sowol der verfolgten Niederländer als der Hugenotten in Frankreich fern und widerstrebte ebenso einer näheren Verbindung mit Elisabeth von England, so sehr auch die immer deutlicher zu Tage tretenden Restaurationspläne der katholischen Mächte mit dem Papst und Philipp II. an der Spitze die Protestanten aller Länder zu festem Zusammenhalten auffordern mußten. A. verschloß sein Auge absichtlich vor der um sich greifenden Macht und den drohenden Plänen Roms und fuhr selbst nach den Gräueln der Pariser Bartholomäusnacht (1572) noch fort, auch anderen protestantischen Fürsten als die weiseste Politik es anzupreisen, sich um fremde Händel gar nicht zu kümmern und nur darauf bedacht zu sein, daß den katholischen Mitfürsten in Deutschland keine Veranlassung zum Bruch des Religionsfriedens gegeben würde. Als ob dieser, auch wenn die deutschen Protestanten sich stille verhielten, von Rom, Madrid und andern katholischen Heerlagern aus für die Zukunft nicht gefährdet gewesen wäre! Vergebens hatten Friedrich von der Pfalz und seine calvinistischen Staatsmänner gehofft, in die Bahnen der von ihnen verfolgten antirömischen und antihabsburgischen Politik auch den Kurfürsten von Sachsen dadurch allmählich ziehen zu können, daß der jugendliche Joh. Casimir, der kampfbereite Helfer der auswärtigen Glaubensgenossen, sich mit Augusts Tochter Elisabeth (1570) vermählte. Aber weder persönliche Vorstellungen noch zahllose Briefe und Gesandtschaften, wodurch man den spröden Fürsten für die allgemeinen Angelegenheiten der protestantischen Welt zu gewinnen suchte, machten Eindruck in Dresden, und je tiefer sich der junge Pfalzgraf in die ausländischen Händel einließ, um so lebhafter wurde der Unwille des Schwiegervaters über die Heidelberger Politik.

[677] Auch in innern deutschen Angelegenheiten trat A. als Gegner derer auf, welche die im Augsburger Religionsfrieden ungelöst gebliebene Frage der Freistellung im protestantischen Interesse zur Entscheidung zu bringen hofften, indem sie sowol die Wahl Rudolfs II. zum Nachfolger Maximilians II. (1575) als die Bewilligung der Türkenhülfe (1576) von der definitiven Beseitigung des geistlichen Vorbehalts abhängig machen wollten. Daß diese Forderung auch auf dem Reichstage zu Regensburg nicht durchgesetzt wurde, haben Zeitgenossen der Absonderung Sachsens von der protestantischen Partei zugeschrieben. Es mag jedoch sein, daß die katholischen Stände selbst vereintem Druck in dieser Frage nicht nachgegeben hätten; sicher dagegen scheint, daß wenigstens die förmliche Aufnahme der einst auf Sachsens Betrieb den Protestanten ertheilten Ferdinandeischen Declarationen (Bekenntnißfreiheit der protestantischen Unterthanen geistlicher Stände) in den Religionsfrieden nur durch Augusts Abfall vereitelt worden ist. Außer persönlicher Gefälligkeit gegen den Kaiser Maximilian und der Berechnung der schwer wiegenden materiellen Vortheile, welche die dauernde Gunst des österreichischen Hauses ihm bot, bestimmte um diese Zeit den Kurfürsten vornehmlich der bittere Groll, womit er in Folge der kryptocalvinistischen Händel in seinem Lande sich gegen alle offenen und heimlichen Anhänger des Calvinismus, insbesondere gegen die kühn vorangehenden Pfälzer, erfüllt hatte.

Wenn A. Jahre lang die den Spuren Melanchthon’s folgenden theologischen Wortführer seines Landes gegen die Verdächtigungen der lutherischen Eiferer in Schutz genommen, so hatte ihn dabei, wie schon angedeutet, außer dem Hasse gegen Alles, was mit den Ernestinern in Verbindung stand, auch die Meinung geleitet, daß die Wittenberger Theologen und deren Anhänger sich in voller Uebereinstimmung nicht allein mit den Melanchthonischen, sondern auch den Lutherischen Doctrinen befänden. Wie Melanchthon selbst aus seiner Uebereinstimmung mit Calvin’s Abendmahlslehre vor dem Dresdener Hofe ein Hehl gemacht und nur gegen die Ausschreitungen der Ultralutheraner (Ubiquitisten) seine Stimme erhoben hatte, so hatten auch nach des Meisters Tode (1560) die Schüler und Freunde, so weit sie überhaupt zu einer klaren Einsicht in die dogmatischen Differenzen gelangten, nicht den Muth, ihre Abweichungen von Luther’s Lehre offen zu bekennen, sondern bestärkten vielmehr unter Paul Eber’s Leitung den Kurfürsten in der Meinung, daß sie die in der Pfalz zur Herrschaft gelangte reformirte Lehrnorm eben so entschieden wie die Doctrin der Flacianer verwürfen. Die Feindschaft Augusts gegen diese ließ Männer wie Peuzer, Schütz, Stößel u. A., die dem Fürsten nahe standen, hoffen, daß sie ihn allmählich und unvermerkt auf ihren Standpunkt herüberziehen würden, wenn es ihnen nur gelänge, die entschieden lutherischen Einflüsse zu beseitigen, die unter der Obhut der Kurfürstin Anna am Hofe sich geltend machten. Man weiß, wie die Kryptocalvinisten das Spiel verloren. Der Partei der Kurfürstin, mit dem Hofprediger Listenius an der Spitze, kamen auswärtige Einflüsse nicht minder als Unbesonnenheiten der Gegner zu Hülfe. Die nach dem Erscheinen der anonymen „Exegesis perspicua“ angestellte Untersuchung führte zur Entdeckung von Papieren, die im Zusammenhang mit aufgefangenen vertraulichen Briefen zwar nicht den Beweis einer hochverrätherischen Conspiration lieferten, wie der wuthentbrannte Kurfürst wähnte, wol aber den Plan enthüllten, der Doctrin Calvin’s zur Herrschaft zu verhelfen, und, was noch übler wirkte, unehrerbietige Anspielungen auf die Schwächen des Fürstenpaares enthielten. Daß die Schuldigen ihrer Aemter entsetzt und wegen der gegen den Landesherrn versuchten Täuschung gestraft wurden, mag man in der Ordnung finden: aber nicht Strafmaßregeln, sondern Akte der Rache, grausamster Rache waren es, die A. an Männern wie dem geh. Rath Craco und dem Polyhistor Peuzer verübte. Der Erstere, seit länger [678] als einem Decennium die Seele der sächsischen Politik und bei den theologischen Händeln nicht direct betheiligt, wurde mit entsetzlicher Grausamkeit zu Tode gequält, nachdem man ihm selbst mit Hülfe der Folter ein Geständniß geheimer Praktiken nicht hatte abringen können, und der Tod des vieljährigen Günstlings Peuzer war wenigstens eine Zeit lang beschlossene Sache. So lange seine schlimmste Feindin Anna lebte, mußte der betagte Gelehrte im Gefängniß, das auch Stößel bis zu seinem Tode und Schütz bis zu Augusts Ableben umschloß, schmachten.

Noch weit beklagenswerther waren die Folgen der Katastrophe von 1574 für die gesammte protestantische Sache. Zwar war die Hoffnung der Curie, den gegen das reformirte Kirchenwesen wüthenden Kurfürsten unter der Beihülfe des Herzogs von Baiern für den Katholicismus gewinnen zu können, eine voreilige: Albrecht V. hielt mit Recht einen derarthigen Versuch, so lange die eifrig lutherische Anna lebte, wenn nicht für aussichtslos, so doch für äußerst schwierig, und wenn auch im Lauf der Zeit wirklich Eröffnungen in jener Richtung zu Dresden gemacht wurden, so ist doch nicht anzunehmen, daß A. sich ernstlich darauf eingelassen. Aber auch ohne den Abfall des mächtigsten deutschen Kurfürsten zum Katholicismus hatten die Feinde des Protestantismus Ursache genug, über die Vorgänge in Sachsen und deren Rückwirkung auf ganz Deutschland, ja über Deutschland hinaus, laut zu jubeln. Denn der Sturz der Kryptocalvinisten und was demselben unmittelbar folgte, bedeutete den vollständigen Bruch mit der bisherigen Entwickelung des Kirchenwesens in den Ton angebenden sächsischen Landen, indem an die Stelle des Melanchthonischen „Corpus doctrinae“ und anderer demselben Geiste entsprossenen Lehr- und Bekenntnißschriften jene engherzige und verdammungssüchtige, aus dem „Torgauischen Buch“ hervorgegangene „Concordienformel“ trat, die auch in dem größten Theil des übrigen protestantischen Deutschlands unter verderblichen Kämpfen eine gedankenarme Orthodoxie zur Herrschaft brachte. Es war nicht das religiöse Leben allein, das die Concordienformel für lange erstarren ließ. Bezeichnend genug hat A. selbst, nachdem er sich früher des Sieges über die Flacianer gerühmt, die „Bezwingung des Calvinismus“ und die Publication des Concordienbuches auf Medaillen als einen Sieg der Allmacht Christi über den Teufel und die Vernunft darstellen lassen.

Besser verstand sich A. auf die Förderung seiner materiellen Interessen. Erweiterung seiner Macht, Vermehrung und gesteigerte Ausnützung seines Territorialsbesitzes war das Ziel, dem er mit ebensoviel Klugheit als Consequenz nachstrebte. Sittliche Bedenken konnten ihn dabei in der Wahl der Mittel kaum beschränken. Nichtswürdig war namentlich die Art, wie A. nach dem Tode des Herzogs Joh. Wilhelm von Sachsen-Weimar das Amt des Vormünders, das er an sich gerissen, mißbrauchte, um sich auf Kosten seiner Mündel mit der stattlichen Hennebergischen Erbschaft zu bereichern. Der kaiserliche Expectanzbrief auf fünf Zwölftel jenes Fürstenthums bildete einen der kostbarsten Preise, womit ihm die Unterstützung der habsburgischen Politik in Maximilians letzten Lebensjahren bezahlt wurde. Daß dabei, wie von unterrichteter Seite versichert wird, selbst eine Urkundenfälschung nicht gescheut worden, scheint uns nach Augusts Charakter leider vollkommen glaubwürdig. In anderen Fällen reichten die gemeinen jüdischen Schacherkünste, ohne offene Rechtsverletzung, hin, um aus dem Nothstande überschuldeter Nachbarn den bestmöglichen Nutzen zu ziehen; so namentlich bei der Erwerbung des Voigtlandes, wozu, beiläufig bemerkt, ebenfalls die kaiserliche Zustimmung nicht ohne Gegendienste in Reichsangelegenheiten erfolgte. Weitere und weniger theuer erkaufte Bereicherungen brachten die Sequestration von Mansfeld und die größere Abhängigkeit, worin A. die benachbarten [679] Stifter versetzte, indem er die Bisthümer Merseburg, Naumburg und Meißen nach und nach unter seine Verwaltung brachte.

Lobenswerth dagegen ist, was A. für die Verwaltung seines Landes gethan; auf diesem Gebiete steht er sogar unter den Fürsten seiner und der folgenden Zeit als selten erreichtes Muster da. Ein staatswirthschaftliches Talent ersten Ranges, war er unermüdlich thätig, alle Zweige der Verwaltung im Sinne einer neuern Zeit zu ordnen. Die Organisirung des Steuerwesens, die durchgreifende Verbesserung der Justiz, namentlich mit Hülfe der neugeschaffenen Constitutionen von 1572, sowie zahllose, die mannigfaltigsten Interessen der Unterthanen wie des Hofes berührende polizeiliche Anordnungen bekunden nicht allein das eifrige Streben nach Befestigung der landesherrlichen Macht und Hebung des fürstlichen Glanzes, sondern auch rühmliche Sorgfalt wenigstens für das materielle Wohl des Volks. Allerdings kann nicht geleugnet werden, daß seine von jeher hochgepriesene staatswirthschaftliche Thätigkeit zunächst nur das Interesse der eigenen Kasse im Auge hatte, und daß A. alle billigen Rücksichten gegen die Unterthanen bei Seite setzen konnte, wenn, wie bei dem höchst verderblichen Jagdunwesen, eine fürstliche Leidenschaft in Frage kam: aber die musterhafte Bewirthung der zahlreichen Kammergüter, auf denen Gartenbau, Obstbau und Viehzucht nicht minder gepflegt wurden als der Getreidebau und die Forstcultur; ferner der umsichtige und energische Betrieb des Bergbaus, der so überaus reiche Erträge lieferte; sodann die glückliche Förderung verschiedener Manufacturzweige, in denen die zu Tausenden gastlich aufgenommenen Niederländer ihre fleißige und geschickte Hand bewährten, so wie endlich der thatkräftige Schutz des Handels und Verkehrs, der in Verbindung mit dem Gedeihen der Bodencultur und des Gewerbewesens zur Zeit des Verfalles des deutschen Handels Sachsen zu einer seltenen commerciellen Blüthe erhob, – das alles, wenn auch nur auf die Mehrung des fürstlichen Schatzes berechnet, mußte doch den weitesten Kreisen des Volks zu Gute kommen.

Freilich würde ein hochgesinnter, humanen und idealen Bestrebungen zugänglicher Fürst von den nach und nach mit beispiellosen Reichthümern gefüllten Kassen einen andern Gebrauch gemacht haben. Der Natur des Kurfürsten A. entsprach es, Güter über Güter zu kaufen, andere colossale Summen gegen reichlichen Ertrag in und außer dem Lande hypothekarisch anzulegen und wieder andere auf kostspielige Bauten und zum Theil ganz unnütze Raritäten zu verwenden. Was den Armen zugeflossen oder zu anderen humanen Zwecken verwendet worden, darnach fragen wir vergebens. Auch das Interesse für die Wissenschaften ging nicht über eine gewöhnliche fürstliche Liebhaberei hinaus. Obwol nicht ohne mancherlei gelehrte Kenntnisse – er verstand Latein und suchte noch mit 50 Jahren, freilich nur um in die Geheimnisse der Kabbala einzudringen, Hebräisch zu lernen – so hatte er doch nur Verständniß für die rein praktischen Zweige der Jurisprudenz und Mathematik, und seine Beschäftigung mit der Mechanik und andern exacten Disciplinen schützte ihn nicht vor dem groben Aberglauben seiner Zeit. Was er aber für die Pflege einzelner, namentlich praktischer Wissenschaften (darunter auch Geschichte, wofür in Wittenberg und Leipzig besondere Lehrstühle errichtet wurden) gethan, wurde mehr als aufgewogen durch den verderblichen Kampf für die Glaubensreinheit an den sächsischen Hochschulen, so daß nach 15 Jahren auch Wittenberg sichtbar der Erstarrung verfiel. Die Gründung einer Hofbuchdruckerei und Hofbibliothek würde fruchtbringender gewesen sein, wenn nur nicht auf die streng gehandhabte Censur die litterarische Thätigkeit gehemmt hätte. Von der Hoheit der Wissenschaft hatte der ausschließlich auf das Materielle gerichtete Sinn Augusts keine Ahnung, [680] und wenn er der Kunst, insbesondere der Musik, Pflege angedeihen ließ, so war es dabei nur auf den Glanz und das Vergnügen des Hofes abgesehen.

Was Augusts Familienleben betrifft, so führte er mit der ihm früh (1548) vermählten Anna von Dänemark (geb. 25. Nov. 1532) eine glückliche Ehe. Sie war vielleicht die passendste Gemahlin, die der Kurfürst hätte finden können. Dem Gatten treu ergeben und so sehr unentbehrlich, daß sie ihn auf allen Reisen begleiten mußte, den Kindern, die freilich meist in frühen Jahren starben – von fünfzehn wuchsen nur vier heran – eine sorgfältige Mutter, besaß sie zugleich ein so seltenes wirthschaftliches Talent, daß sie an den Lieblingsbeschäftigungen Augusts thätig theilnehmen konnte. Wie sie mit Alles bewachendem Auge und geschäftiger Hand ein fürstliches Hauswesen, Küche und Keller miteingeschlossen, musterhaft zu verwalten verstand, so konnte sie auch, nachdem sie Jahre lang in der Landwirthschaft, insbesondere in der Gartenkunst und Milchwirthschaft, praktische Studien gemacht hatte, die Oberaufsicht der zahlreichen Kammergüter zum guten Theil selbständig übernehmen und fand dabei noch Zeit, mancherlei Medicamente, insbesondere ihr berühmtes aqua vitae zu brauen und mit dem Gemahl Alchymie, Chiromantie und Astronomie zu treiben. Sie ging in ihrer ökonomischen Thätigkeit weiter, als Manche mit der Würde einer Kurfürstin vereinbar fanden. Indeß hielt sie, auf ihre königliche Abstammung stolz, streng auf ihren Rang und entfaltete gern einen dem entsprechenden Glanz.

An den Staatsgeschäften sich direct zu betheiligen, würde Augusts autokratische Natur ihr nicht gestattet haben; aber ihres vielvermögenden, mit wirklicher Klugheit geübten Einflusses auf ihren Gatten sich wohl bewußt, griff sie unter der Hand wenigstens in die kirchlichen Angelegenheiten ein. Ihr entscheidender Antheil an der Katastrophe von 1574 ist bekannt; bekannt auch die Unversöhnlichkeit, womit sie die Häupter des Kryptocalvinismus bis an ihr Ende haßte. Auch sonst vernehmen wir selten, daß sie den harten Sinn ihres Gemahls zu mildern versucht hätte, wir müßten denn auf die von ihr befürwortete Begnadigung mancher Wilddiebe, welche A. mit unmenschlicher Grausamkeit zu behandeln pflegte, besonderes Gewicht legen. Nur zur Seite eines solchen Fürsten konnte sie den Landeskindern als „Mutter Anna“ erscheinen. Sie starb 1. Oct. 1585 im 37. Jahre einer schicksalsreichen Ehe. Für Augusts innerlich rohe Natur ist es bezeichnend, daß er schon sechs Wochen später mit einem dreizehnjährigen Kinde, Hedwig, der Tochter Joachim Ernsts von Anhalt, sich verlobte und am 3. Januar 1586 vermählte. Am 12. Februar ereilte jedoch auch ihn der Tod. Er starb in Folge eines Schlags zu Dresden und wurde am 15. März im Dom zu Freiberg beigesetzt.

Von den Darstellungen der sächsischen Geschichte kommt vornehmlich der II. Bd. des Böttiger’schen Werks, neubearbeitet von Flathe, Gotha 1870, in Betracht. – Joh. Falke, die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirthschaftlicher Beziehung. Leipzig 1868. – K. v. Weber, Anna, Kurfürstin zu Sachsen. Leipzig 1865. – (Zu vergl. Archiv für sächsische Geschichte. Bd. III., IV., VII., IX.) – Für die kirchlichen Verhältnisse insbesondere Calinisch, Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen. Leipzig 1866. (Zu vergl. v. Sybel’s histor. Zeitschrift. Bd. XVIII.)


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Punkt fehlt.