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Artikel „Rudolf II. Deutscher Kaiser“ von Felix Stieve in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 493–515, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rudolf_II._(Kaiser)&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 00:48 Uhr UTC)
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Rudolf II.: Deutscher Kaiser. Geboren am 18. Juli 1552 kurz vor 7 Uhr Abends zu Wien; † am 20. Januar 1612 zu Prag. Er war der zweite Sohn Kaiser Maximilians II. und der Tochter Kaiser Karl’s V., Maria; sein älterer Bruder Ferdinand war indeß schon kurz vor seiner Geburt gestorben. Ueber seine frühste Kindheit ist nichts bekannt. 1561 versprach Maximilian, um das Mißtrauen König Philipp’s II. von Spanien gegen seine kirchliche Gesinnung zu stillen, daß er seinen Erben an dessen Hofe erziehen lassen wolle. Demgemäß wurde R. am 3. October 1563 mit seinem nächstältesten Bruder Ernst nach Spanien gesandt. Als Hofmeister begleitete die Prinzen Adam v. Dietrichstein, als Lehrer Dr. jur. Johann Tonner, als Kämmerer Wolfgang v. Rumpf. Von ihrem Aufenthalte in Spanien fehlen wiederum alle Nachrichten. Im Juni 1571 ließ Philipp II. sie durch ein von Don Juan de Austria befehligtes Geschwader nach Genua bringen, von wo sie wol durch Oberitalien nach Wien zurückkehrten. Schon Ende August wohnten sie dort der Hochzeit Erzherzog Karls an. Aus dem Dunkel der folgenden Jahre tritt R. nur selten hervor. Am 26. September 1572 wurde er zum König von Ungarn und am 22. Sept. 1575 zum König von Böhmen gekrönt, am 27. October 1575 aber zu Regensburg als römischer König erkoren und am 1. November gekrönt. Außerdem ließ ihn sein Vater der eigenen Kränklichkeit halber Landtage in Ungarn und Böhmen abhalten, und 1576 betraute er ihn, während er selbst dem Regensburger Reichstage anwohnte, mit der Statthalterschaft in den Hauslanden. Im Uebrigen zog er den Sohn, dessen Wesen ihm vermuthlich nicht zusagte, nicht zu den Regierungsgeschäften heran. Schon am 12. October 1576 legte jedoch Maximilian’s Tod die Herrschaft in Rudolf’s Hände. Ferdinand I. hatte Innerösterreich und [494] Tirol mit Vorderösterreich an seine jüngeren Söhne überwiesen. Maximilian’s Testament bestimmte den Brüdern Rudolf’s nur ein Jahrgehalt von 25 000 Gulden und setzte R. zum Alleinerben der ihm gebliebenen Hausländer ein. So fielen diesem mit dem Deutschen Reiche die Erzherzogthümer Oesterreich ob und unter der Enns, das Königreich Ungarn und das Königreich Böhmen mit dessen Nebenländern Mähren, Schlesien und der Ober- und Niederlausitz zu. 1595 kehrten dann auch Tirol und Vorderösterreich durch den Tod des Erzherzogs Ferdinand an die Hauptlinie des Hauses zurück.

R. war ungewöhnlich begabt und hatte sich eine Bildung erworben, welche die der meisten Fürsten seiner Zeit weit überragte. Er beherrschte nicht nur außer der Muttersprache die lateinische, spanische, italienische, französische und – in geringerem Maße – die tschechische, sondern er besaß auch ausgedehnte und eindringende wissenschaftliche Kenntnisse. Diese zu mehren, war er auch als Herrscher unablässig bemüht. Er vergrößerte die von seinem Vater ererbte Bibliothek beträchtlich und zog an seinen Hof zu Prag nicht nur die in der Stadt lebenden, sondern auch zahlreiche auswärtige Gelehrte oder knüpfte doch mit diesen Verbindungen an. Seine Vorliebe galt der lateinischen Dichtkunst und der Geschichte, besonders aber der Mathematik, der Astronomie, der Physik und der Naturwissenschaft überhaupt. Unter den ihn umgebenden „Poeten“ ragten hervor Thomas Mitis, Nicolaus Pelargus, Karl v. Karlsberg, Kaspar Cropacius, Georg und Berchtold Pontanus v. Breitenberg, Johann Chorinus, Hugo Blotius u. a. Namhafte Historiker begegnen uns am Hofe nicht außer Johann Pistorius, welcher es vielleicht seinen Geschichtsforschungen zu danken hatte, daß er zum Beichtvater des Kaisers ernannt wurde; eine Reihe von damals angesehenen Männern aber empfing den Titel eines kaiserlichen Historiographen und insbesondere ehrte und unterstützte R. den verdienstvollen Franz Guilliman. Gern nahm er die Widmung geschichtlicher Werke entgegen und häufig las er in solchen, das Beachtenswerthe eigenhändig anzeichnend. Sehr groß war die Zahl der Mathematiker und Naturforscher, die er um sich versammelte, und hervorzuhebend sind aus ihr der Professor am Prager Karlscolleg Peter Codicillus, der zugleich ein tüchtiger Philologe war, der Botaniker Zaluzansky, die Aerzte Bartholomäus und Hippolytus Guarinoni aus Trient, Georg Handsch aus Lymuso, Johann Jessenius aus Breslau und Anselm Boetius de Boodt aus Brügge, vor allem aber Tycho de Brahe und Johann Kepler. Nichts bekundet deutlicher das tiefe Verständniß Rudolf’s für die Wissenschaft, als daß er Kepler nach nur kurzem Aufenthalte in Prag zum Nachfolger des hochberühmten Brahe bestellte, und nichts bezeugt klarer seine Liebe zur echten Wissenschaft, als daß er 1611 den aus Noth in andere Dienste getretenen Kepler bat, wenigstens noch bis zu seinem, des Kaisers, Tode in Prag zu bleiben. Dankbar hat daher der große Gelehrte durch seine „Tabulae Rudolphinae“ das wissenschaftliche Andenken Rudolf’s mit seiner Unsterblichkeit verbunden. Wie dieser die Arbeiten seiner Gelehrten mit dem lebhaftesten Antheil verfolgte, so war er auch selbst Stunden lang im Laboratorium, auf der Sternwarte und in Studien thätig. Wenn er sich daneben nicht minder eifrig mit Astrologie, Alchymie und ähnlicher Afterweisheit befaßte und deren Vertreter, wie die Goldmacher Michael Sendivog und John Dee oder der Spiritist und Gedankenleser Hieronymus Scoto bei ihm bereitwillige Aufnahme fanden, so war das durch die Richtung der Zeit bedingt und entsprang wiederum nur seinem Streben, die Geheimnisse alles Werdens und Seins zu ergründen. Er erwarb sich den Ruf, daß er in jenen dunklen Künsten tief eingeweiht sei, und wie eine Inschrift im Prager Schloß verewigte, daß Sendivog ihm eine Tinctur bereitet habe, mit der er die Metalle umgewandelt, so zeigte man noch im 18. Jahrhundert [495] in Wien Bleistangen, welche R. zur Hälfte in Gold umgeschaffen, in Prag aber einen Sessel, von dem aus unter Vermittlung Scoto’s der Teufel mit ihm verkehrt habe. Die gleiche Neigung und Begabung wie den Wissenschaften brachte R. der Kunst, dem Kunsthandwerk und der Technik entgegen. Er malte und schnitzte mit Geschick, fertigte schöne Gewebe, Uhren und mechanische Geräthe aller Art und auch in Goldschmiedearbeiten soll er gewandt gewesen sein. Noch zahlreicher als die Gelehrten waren an seinem Hofe die Maler wie Bartholomäus Spranger und Georg Hufnagel aus Antwerpen, Hans von Achen aus Köln, Johann Breughel aus Brüssel, Roland Saveri aus Kortrijk, Josef Heinz aus Basel und Johann Hofmann aus Nürnberg: die Kupferstecher wie Aegidius Sadeler aus Antwerpen; die Bildhauer wie Giovanni da Bologna aus Douai und Adrian de Fries aus dem Haag; die Medailleure und Bossirer wie Alessandro Abondio aus Florenz; die Kameen- und Gemmenschneider, die Edelsteinschleifer, die Kunstschneider, Uhrmacher, Erzgießer, Brokatwirker u. s. w. Die Glasarbeiter Rudolf’s wetteiferten mit denen Venedigs und führten die böhmische Glasindustrie zu jener Blüthe, welche sie für Jahrhunderte zum einträglichsten Gewerbszweig des Landes erhob. Weniger pflegte er die Baukunst, dagegen vermehrte er die von seinem Vater geschaffene Musikcapelle, an deren Spitze die Belgier Philipp v. Monte und Jacob Regnard standen, durch ausgezeichnete Kräfte wie Leo Haßler aus Nürnberg, Johann B. Pinelli aus Genua, Tiburtio Massaini und Johann Morsellini aus Cremona. Ebensowol der Kunst wie der Gelehrsamkit dienten seine Antiquare wie Ottavio Strada, seine Mechaniker, Techniker und mancherlei „Erfinder“. Das Schaffen all dieser Männer verfolgte er gern in seinem Werden und Fortschreiten und nicht selten gab er ihm selbst die Vorwürfe; was gut vollendet war, begrüßte er mit inniger Freude; ein Relief des Giovanni da Bologna stellte er eigenhändig in seinem Arbeitszimmer auf mit den zufriedenen Worten: „Das ist mein“. Der Besitz der in seinen Diensten gefertigten Werke allein genügte ihm indeß nicht. Von nah und fern brachte er vielmehr mit unermüdlichem Eifer, seinem Verständnisse und gewaltigen Kosten Gemälde der hervorragendsten Meister oder doch deren Copien, alte und neue Werke der Bildhauerkunst, Kameen und Gemmen, Medaillen und Münzen und Erzeugnisse des Kunsthandwerkes herbei. Die Sammellust seiner Zeit war ihm im vollsten Maße eigen und dem damaligen Brauche gemäß dehnte sie sich zugleich auf Edelsteine, Perlen, Kostbarkeiten, Seltenheiten und Wunderlichkeiten aller Art aus. Vier große Säle und mehrere Gänge seines Schlosses auf dem Hradschin füllten seine Sammlungen. Neben Gemälden von Raphael, Leonardo da Vinci, Tizian, Correggio und Dürer, neben der Apotheose des Augustus, neben Bildsäulen und Büsten sah man da eine als achtes Weltwunder gerühmte, von seinen Künstlern gefertigte Tischplatte aus Jaspisstücken, welche durch ihre natürliche Färbung und ihre kaum wahrnehmbare Zusammenfügung eine reiche Landschaft darstellten, einen schmiedeeisernen Thronsessel aus Nürnberg, den silbernen Codex des Ulfilas, die „Teufelsbibel“ von Braunau, die riesigste der Handschriften, Globen und Uhren, Porzellan- Thon- und Glaswaaren, indische und amerikanische Waffen und Geräthe, Einhörner, Muscheln, Früchte u. dgl. Unzähliges. Im Prager Zeughause häufte er zugleich kunstvolle und merkwürdige Rüstungen, Geschütze und Waffen auf. In seinem Schloßgarten pflegte er ausländische Bäume, Blumen und Heilkräuter, in seinen Zwingern, Vogelhäusern und Teichen die Thiere aller Zonen, in seinen Ställen die edelsten Rosse verschiedener Arten. Wie er selbst, so spähten auf seine Weisungen hin auch seine Gesandten und Agenten und die mit ihm in Verbindung stehenden Kaufleute unablässig nach neuen Erwerbungen aus und durch nichts konnten ihn Fürsten, Städte und Andere sich leichter gewinnen als [496] durch Schenkung oder Ueberlassung von Gegenständen, welche eine Zierde seiner Sammlungen bilden konnten. Mit der Zeit übertrafen diese an Mannigfaltigkeit und Werth alle anderen Europas. Nach seinem Tode leerten sich die Thierbehälter und Ställe bald; der Garten blieb noch längere Zeit eine Zierde der Burg; von den Sammlungen, namentlich von den Gemälden wurde ein Theil nach Wien übergeführt, Einzelnes im böhmischen Aufstande zerstört oder entfremdet, vieles 1631 von den Sachsen, 1648 von den Schweden geraubt; der Rest ging im 18. Jahrhundert zu Grunde oder wurde nach Wien gebracht.

Der Ruhm, welchen R. sich durch seine Sammlungen und seine, nicht aus Prunksucht und Eitelkeit, sondern aus innerem Antheil hervorgegangene Pflege der Wissenschaften und Künste bei der Mitwelt erwarb, hat seinem Namen bis zur Gegenwart mit Recht hellen Glanz bewahrt. Um so dunklere Schatten umweben das Andenken seiner Regierung. Nicht als ob sein ganzes Sinnen und Trachten in jenen Liebhabereien und Bestrebungen aufgegangen wäre oder als ob es ihm an Fähigkeit und Wissen für politisches Wirken gefehlt hätte. Er besaß den entschiedensten Willen, die Herrschaft auszuüben, und wenngleich er beim Regierungsantritte mit den Staatsgeschäften durchaus nicht vertraut war und in seiner Unerfahrenheit und Schüchternheit den Eindruck geringer Begabung hervorrief, so erregte er doch sehr bald und in der Folge stets durch eindringende Kenntniß aller Verhältnisse und durch treffendes Urtheil Bewunderung und zeigte er sich nicht selten seinen tüchtigsten Räthen an Scharfblick überlegen. Aber es lastete auf ihm das unselige Verhängniß einer Geisteskrankheit, welche er von der Mutter ererbt hatte. Dieselbe entsprach in ihren Formen ganz dem Leiden, von welchem in unseren Tagen der ebenfalls so reich begabte König Ludwig II. von Baiern heimgesucht war. Sie beeinträchtigte nicht die Denkkraft des Kranken und nie ist es dahin gekommen, daß R. intellectuell zur Regierung unfähig geworden wäre, wenngleich manche wunderliche Laune und in den letzten Jahren seines Lebens auch mancher tolle Plan durch die Krankheit erzeugt wurde; aber diese lähmte von vornherein seinen Willen; sie erschwerte es ihm je länger desto mehr sich zu Entschlüssen und Handlungen aufzuraffen, und sie erfüllte ihn in steigendem Maße mit angstvoller Schwermuth, Menschenscheu, Verfolgungs- und Größenwahn. Die Neigung zur Abschließung vom Verkehr und zur übertriebenen Schätzung seiner Würde, hatte ohne Zweifel durch den Aufenthalt am Hofe Philipp’s II. Nahrung empfangen und seinem Hange zur Schwermuth konnte derselbe nicht entgegenwirken. Wie die spanische Tracht hatte er auch die spanische „Grandezza“, die steife Förmlichkeit und Gemessenheit, angenommen. Schon seiner Erhebung auf den deutschen Thron, stellten sich bei den Reichsfürsten wegen seines zurückhaltenden und gedrückten Benehmens Bedenken entgegen und seit dem ersten Jahre seiner Regierung werden Klagen laut, daß ihn gehäufter Geschäftsdrang melancholisch mache und daß es schwer falle, Zutritt bei ihm zu erlangen. Im Verein mit anderen Leiden, welche seinen ohnehin schwächlichen Körper im Herbst 1578 und vom Ende 1580 bis tief in den Sommer 1581 hinein heimsuchten, trat dann die böse Anlage bereits als ausgesprochene Krankheit hervor und seit dem zweiten Auftreten hielt sie ihn dauernd gefangen. Bis dahin war er ein Freund vom Jagen und Reiten, von Turnieren und glänzenden Festen gewesen. In der Folgezeit widmete er sich solchen Vergnügungen nur mehr ganz ausnahmsweise. Zu Reisen war er kaum noch zu bewegen. Nur noch dem ungarischen Landtage von 1583 und den Reichstagen von 1582 und 1594 wohnte er bei und nur die Furcht vor der Pest vermochte ihn noch, 1599 und 1606 Prag zu verlassen. Seit 1598 eröffnete er nicht einmal mehr die böhmischen Landtage persönlich. Wenn er vom Beginn seiner Regierung an mit Vorliebe in Prag verweilte und dort [497] seit Ende 1582 dauernd seinen Hofhalt aufschlug, so schrieben das Eingeweihte ohne Zweifel mit Recht dem Umstande zu, daß er sich in Wien dem Verkehr mit seinen Brüdern nicht entziehen konnte. In den ersten Jahren seiner Regierung hatte er regelmäßig die Sitzungen der verschiedenen an seinem Hofe bestehenden Rathscollegien besucht; seit 1580 erschien er sogar in dem obersten derselben, im geheimen Rathe, nur mehr selten. Oeffentlich ließ er sich fast niemals sehen; er beschränkte sich darauf, täglich durch seine Gärten und bisweilen durch seine Ställe zu wandeln. Dabei und bei seinen Mahlzeiten liebte er keine Gesellschaft; nur ein Kämmerer hatte ihm bei letzteren die Speisen, ein anderer den Wein zu reichen. Er sprach sehr wenig und lachte nie; die sonst so gesuchten Hofnarren waren ihm verhaßt. Seine Lebensweise war höchst einförmig. Seine Kleidung war stets von demselben Stoff und Schnitt; seine Mahlzeiten mußten stets in gleicher Weise, zur gleichen Stunde, im gleichen Gemach aufgetragen werden. Alles Ungewohnte verursachte ihm Mißbehagen. Schwere Regierungssorgen aber, unglückliche Ereignisse, Todesfälle in seiner Umgebung, körperliches Unwohlsein, ja sogar die Erörterung ihm unangenehmer Angelegenheiten und das Erscheinen von Gesandtschaften und fürstlichen Besuchen konnten ihn so sehr aufregen, daß er heftigen Anfällen von Schwermuth unterlag. Mit den Jahren wuchs seine Krankheit überhaupt an Stärke und wie sie durch die Zurückgezogenheit, das nächtliche Studiren und das Verweilen in qualmigen Laboratorien und Werkstätten gefördert wurde, so zerrüttete R. seine Kraft im Verkehr mit Weibern, dem er sich mit seltener Maßlosigkeit und Wechsellust hingab. Ein wesentlicher Fortschritt des Leidens wurde beobachtet, seit die Bewerbung des Erzherzogs Maximilian um die polnische Krone 1588 einen so schimpflichen Ausgang genommen hatte. Im Herbst 1598 kam dann die Krankheit zu voller Entfaltung. Weniger noch als zuvor war R. seitdem zugänglich und seltener noch verließ er seine Gemächer und Gänge. Höchstens in den Ställen vermochten ihn noch Fremde, als Stallknechte verkleidet, zu Gesicht zu bekommen und im J. 1609 konnten die böhmischen Stände zweifeln, ob er überhaupt noch lebe. Rings um ihn her mußte Todesstille herrschen, nur einzelne aus seinen Ministern, Räthen und Dienern durften ihm – indeß nur auf seinen Ruf – nahen und in der Furcht, ermordet zu werden, ließ er in den nach außen gekehrten Gängen die Fenster bis auf kleine, schiefgeneigte Oeffnungen vermauern. In seiner Jugend war er leicht vom Zorn übermannt worden; später hatte sich derselbe in stillen Grimm, der ihm am Herzen fraß, verkehrt; jetzt brach er wieder leicht mit zügelloser Heftigkeit hervor und riß den Kaiser zu Schmähungen und zu Thätlichkeiten gegen seine Leute, ja gegen seine Minister hin. Jene Anlässe aber, welche früher schon ein stärkeres Auftreten der Krankheit bewirkt hatten, zogen jetzt häufig eine an Raserei grenzende Erregung nach sich, welche ihn mit dem Glauben erfüllte, er sei verzaubert oder vom Teufel besessen, ihn bei Tag und Nacht ruhelos umhertrieb und ihn zur Mißhandlung seiner Kämmerer und Diener, zum Zerschlagen von Geräthen und sogar zu Selbstmordversuchen verleitete. Eine Besserung war nun um so weniger mehr zu erzielen, als R. seinen Aerzten nicht folgen mochte und seine Lebensweise nicht änderte. Obendrein pflegte er, während er vorher äußerst mäßig gewesen war, in seinen letzten Jahren stark zu trinken.

Es konnte nicht fehlen, daß die Krankheit von Anfang an sein ganzes Wesen beeinflußte. Er war von Natur wohlwollend, gütig, dankbar und anhänglich. Dem Städtchen Reichenberg und dessen Söhnen bewahrte er sein ganzes Leben lang huldvolle Gesinnung, weil es ihm in seiner Jugend bei einem Besuche große Ehren erwiesen hatte, und als 1589 der Wein in Böhmen mißrieth, [498] erließ er den Winzern alle ihm zustehenden Abgaben auf anderthalb Jahre. Kaum zur Regierung gelangt, ernannte er seinen Hofmeister Dietrichstein zum Obersthofmeister, seinen Lehrer Tonner zum Reichshofrath und Wolfgang v. Rumpf zum Oberstkämmerer. Den Letzteren, der vor allem sein Herz gewonnen hatte, überhäufte er in der Folge mit Würden und Reichthum. Gegen diejenigen, welche seine Gunst oder seine Achtung erwarben, zeigte er sich überhaupt sehr freigebig und seinen Gelehrten und Künstlern spendete er gern Gehälter, Geschenke, Titel und Adelsdiplome. Wenn er sich anderen karg erwies, so hatte das seinen Grund nur in dem Zwange seines Geldmangels und in der Erfahrung, daß manche, die er bereichert hatte, seinen Dienst verließen. Er strafte ungern und verzieh den Bittenden leicht. Niemandem wollte er Leid zufügen und allen begegnete er milde und herablassend. Aber seine Krankheit bewirkte, daß er sich im allgemeinen gegen die Menschen mit Mißtrauen erfüllte, Einzelnen dagegen ein ungemessenes Vertrauen zuwandte. Schon 1582 durfte ihm während eines heftigeren Krankheitsanfalles nur Rumpf nahen und allmählich kam es dahin, daß alle Angelegenheiten nur durch diesen an den Kaiser gebracht werden konnten. Wie jedoch die Krankheit wuchs, so richtete sie seinen Argwohn auch gegen Rumpf und die anderen Minister und bestimmte R. nun, ganz untergeordneten Leuten sein maßloses Vertrauen zu schenken. Bereits 1594 wird der Kammerdiener Hans Popp als sein „Augapfel“ bezeichnet und 1597 wird erwähnt, daß Audienzen nicht durch den Oberstkämmerer, sondern durch die Kammerdiener zu erlangen seien. Lange Zeit hielt freilich den Kaiser seine Scheu vor jeder Veränderung davon zurück, die Räthe, welche seinem Argwohn verfallen waren, zu entlassen. Nachdem jedoch seine Krankheit zur vollen Ausbildung gediehen, ließ er sich durch einen Wuthanfall hinreißen, am 26. September 1600 Rumpf und den nächst diesem einflußreichsten Minister, den Obersthofmarschall Graf Paul Sixt von Trautson plötzlich wegzujagen. Seitdem begann das „Kammerdienerregiment“. Kammerdiener wie Hieronymus Machowsky, Philipp Lang, Johann Ericius und Kaspar Rutzky, Ofenheizer, Kunsthandwerker, Alchymisten, Maler und Aerzte erlangten in allen Beziehungen den größten Einfluß und konnten denselben in frechster Weise mißbrauchen, bis des Kaisers Argwohn sich auch gegen sie kehrte und sie – bisweilen plötzlich – ins Verderben stürzte. Den Ministern und Räthen gegenüber wechselte Rudolf’s Stimmung wie Aprilwetter und Einer nach dem Anderen fiel in Ungnade und wurde weggejagt oder veranlaßt, seinen Abschied zu nehmen. Erst seit dem Jahre 1607, seit dem Ausbruch der Streitigkeiten mit Mathias, trat wieder Stetigkeit in den politischen Würden ein und nun erlangten namentlich Andreas Hannewald und Hans Rupprecht Hegenmüller Vertrauen und Einfluß, ohne jedoch die „Winkelräthe“ beseitigen zu können. Der einzige von den Räthen aus früherer Zeit, welcher sich in seiner Stellung behauptete, war der Geheimsecretär Johann Barvitius, der seit 1594 das Vertrauen Rudolf’s genoß und oft sogar in der Nacht von ihm berufen wurde; wol fiel auch er mehrfach in Ungnade, entbehren konnte ihn der Kaiser jedoch nicht und so stand er noch an seinem Sterbebette. Wie sich aber das Mißtrauen des Kaisers gegen die Räthe seit 1598 vermehrte, so ging seitdem seine Scheu vor den Menschen in Ekel und Verachtung gegen sie über, indem er die Wirkungen seiner Stimmungen der Undankbarkeit und Erbärmlichkeit des Menschengeschlechts zuschrieb. Nicht weniger als in seinem Verhältnisse zu den Menschen machte sich ferner Rudolf’s Krankheit in der Schätzung seiner Persönlichkeit und seiner politischen Stellung geltend. Er besaß großartigen, echt königlichen Sinn. Schmeichler verachtete er, und wenn auch kühner Freimuth seinen Zorn aufbrausen ließ, so wußte er ihn dennoch, sobald er sich beruhigt hatte, zu schätzen. In den größten Bedrängnissen und unter [499] den schwersten Demüthigungen wußte er stets eine würdevolle Haltung zu bewahren. Diese Gesinnung und die Gemessenheit seines Benehmens, welche mit liebenswürdiger Herablassung verbunden war, verlieh ihm bis in seine letzten, von Krankheit und Kummer gebeugten Jahre hinein etwas sehr Imponirendes, obgleich er klein und schmächtig war und sein von krausem, blondem, früh ergrauendem Haare und Bart umrahmtes Gesicht mit den hellblauen, von buschigen Augenbrauen fast bedeckten Augen, der großen Nase und dem auffallend vorgeschobenen Unterkiefer nicht schön und ansprechend gefunden werden konnte. Indeß von Anfang an zeigten sich daneben die Wirkungen der Krankheit. Wenn man an seinem Hofe versicherte, daß er in seinen Eigenschaften Karl V. gleiche, so entsprach das wol seiner eigenen Meinung: durch Adrian de Fries ließ er von sich eine Büste als Gegenstück zu einer solchen jenes Kaisers schaffen. Er kleidete sich stets in kostbaren Silberbrokat, seine Gemächer stattete er mit außerordentlicher Pracht aus, bei den Festen, die er gab, entfaltete er große Verschwendung und noch als er bereits jedes öffentliche Auftreten scheute, ließ er sich Krone, Scepter und Reichsapfel für eine Million Gulden und eine Halskette von ungeheuerem Werthe anfertigen. Von seinen Räthen und Dienern verlangte er die größte Ehrfurcht und jede Verletzung derselben, jede Versäumniß gegen seine Person empfand er sehr schwer; sein Nachfolger bemerkte einmal, man erkenne die in seinem Dienste Gewesenen sofort an ihrem ehrfürchtigen Benehmen und ihren tiefen Verbeugungen. Ohne Zweifel geschah es auch guten Theils zur Vermehrung des eigenen Ansehens, daß er die Gebeine seiner Vorgänger auf dem böhmischen Throne 1589 im Prager Dom in ein prachtvolles Mausoleum barg. Durch das Kaiserthum, dessen wirkliche Macht so sehr geschwunden war, fühlte er sich ganz im Sinne des Mittelalters zum Erben der römischen Weltherrschaft und zum Oberhaupte und Schirmherrn der Christenheit berufen. Deshalb verweigerte er nicht nur gleich seinen Vorgängern den Päpsten den Obedienzeid und die Annahme einer Bestätigungsbulle, sondern er lehnte auch ab, sich vom Papste zum Kaiser krönen zu lassen, vertheidigte hartnäckig die hergebrachten Hoheitsrechte über die Kirche in seinen Erblanden und suchte sogar die Ansprüche der mittelalterlichen Kaiser auf die Vogtei über die Stadt Rom wieder zur Geltung zu bringen. Dem Könige von Spanien versagte er die begehrte Uebertragung des Reichsvicariates in Italien, während er selbst von jenem das Herzogthum Mailand und die Niederlande als alte Reichsgebiete wiederzuerlangen wünschte. Daß Spanien seinen Forderungen nicht willfahrte, trug wesentlich dazu bei, daß seine Heirath mit Philipp’s II. Tochter Isabella, worüber von 1579–97 verhandelt wurde, nicht zu Stande kam, und erfüllte ihn im Verein mit der Besetzung italienischer Reichslehen, welche Philipp sich erlaubte, ebenso gegen Spanien mit tiefer und nachhaltiger Abneigung, wie die Haltung der Päpste in den oben berührten Fragen ihn mit Groll gegen den römischen Stuhl durchdrang. Auch an der Hartnäckigkeit, womit R. seit 1598 dem Frieden mit den Türken widerstrebte, hatten die überspannte Auffassung des Kaiserthums und sein krankhaftes Ehrgefühl großen Antheil. Als Schirmherr der Christenheit fühlte er sich zum Kampfe gegen die Ungläubigen verpflichtet und unsterblichen Ruhm hoffte er aus demselben davon zu tragen. Jeden Sieg verewigte er durch Denkmünzen und nach den Erfolgen des Jahres 1597 ließ er nicht nur eine große Anzahl von Denksäulen errichten, eine Geschichte des Feldzuges veröffentlichen, eine prachtvolle Medaille prägen und eine von ungarischen Flußgöttern umgebene Bildsäule der Geschichte ausführen, sondern er entriß sich noch einmal seiner Einsamkeit, um die errungenen Siege in Turnieren, Ritterschlägen und anderen Festlichkeiten zu feiern. Diese Gesinnung trieb ihn zur Fortsetzung des Kampfes und ließ ihn auch nach schweren Niederlagen und in höchster Bedrängniß [500] den Frieden abweisen, weil dieser nur durch Gebietsabtretungen zu erlangen war. Noch deutlicher als in all diesen Thatsachen bekundete sich jedoch die Krankheit des Kaisers in der Eifersucht und Gereiztheit, womit er über dem Besitze seiner Macht wachte, in dem Argwohn, womit er bei jedem Versuche, seine Nachfolge festzustellen, die Absicht, ihn der Herrschaft zu berauben, voraussetzte, und in der grimmigen, sich zuletzt jeder vernünftigen Erwägung verschließenden Rachgier, womit er Antastungen und Beeinträchtigungen seines Ansehens und seiner Gewalt nachtrug und zu vergelten suchte. Diesen Wirkungen seiner Krankheit entsprangen die traurigen Verwickelungen und Schicksale seiner letzten Jahre und von ihnen dürfen wir die beiden Strafgerichte herleiten, welche die Böhmen und Deutschen ganz besonders gegen ihn erbitterten. Ohne Proceß setzte er 1594 den böhmischen Landhofmeister Georg Popel von Lobkowitz ab, warf ihn ins Gefängniß und beraubte ihn und seinen ins Ausland entflohenen Bruder Ladislaus aller Güter, weil sie beschuldigt wurden, unter den böhmischen Ständen hochverrätherische Verbindungen angezettelt zu haben, und nach 13jähriger Haft ließ er Georg, den Landesgesetzen zuwider, foltern und verursachte dadurch seinen Tod, weil mit Georg’s Vorwissen eine R. in sehr beleidigender Weise angreifende Schrift erschienen war. 1605 aber übergab er den hochverdienten und lange Zeit durch seine vollste Gunst ausgezeichneten Feldmarschall Hermann Christof von Rosworm dem Henker und zwar wol nicht wegen des Raufhandels, der einem Italiener das Leben gekostet hatte, sondern weil Rosworm „mit dem kaiserlichen Frauenzimmer Ungebühr getrieben“ und so an der Person seines Herrn gefrevelt hatte.

Die Geschichte der Geisteskrankheit Rudolf’s und ihres wachsenden Einflusses bietet den Schlüssel zur Geschichte seiner Regierung. Auch abgesehen von ihren schlimmsten Ausartungen mußte sie seinem politischen Walten ihr Gepräge aufdrücken. Die Arbeit, welche damals ein Fürst zu leisten hatte, war weit größer als in späterer oder früherer Zeit, weil Alles schriftlich abgehandelt wurde, auch geringfügige Angelegenheiten an den Fürsten gebracht und auch unbedeutende Erlasse und Briefe von ihm unterzeichnet werden mußten, das gesammte Verwaltungswesen in der Umwandlung zu neuer Gestaltung begriffen war und die Zahl der Beamten, namentlich der höheren, der Geschäftslast nicht entsprach. R. war nun infolge seiner Krankheit zu angestrengter Regierungsthätigkeit nicht fähig, anderseits aber nicht geneigt, wie es so manche Fürsten seiner Zeit thaten, seinen Räthen die Entscheidung zu überlassen. Er wollte nicht das Mindeste ohne sein Vorwissen geschehen lassen und keiner seiner Räthe hätte wagen dürfen, ein an ihn gerichtetes Schreiben zu erbrechen. Diejenigen, welchen er sein Vertrauen schenkte. vermochten wol ihn zu beeinflussen, aber in wichtigen Fragen blieb sein Urtheil stets selbständig und zäh hielt er an seinen Absichten fest: wenn man meinte, er habe ihnen entsagt, war er mehr als je auf ihre Durchführung bedacht. Sich zu entschließen, fiel ihm jedoch schwer. So mußte denn Verschleppung der Geschäfte um so ausgedehnter Platz greifen, je mehr die Hindernisse der Erledigung in Rudolf’s Persönlichkeit mit dem Fortschreiten seiner Krankheit wuchsen. Seit 1598 harrten oft viele Hunderte von Schriftstücken Wochen, ja Monate lang auf seinem Tische der Unterzeichnung. Dazu kam, daß er von Sachen, die ihm unangenehm waren oder Kummer bereiteten, nicht hören mochte, und daß er immer nur wenigen, oft nur einzelnen Zutritt gewährte. Deshalb mußten und konnten ihm seine Vertrauten Vieles verheimlichen und die Minister waren zu Willkürlichkeiten nicht nur ermuthigt, sondern geradezu gezwungen. Seit dem Herbst 1600 wurden ferner die Gebrechen der Regierung nicht nur durch den raschen Wechsel der Minister, sondern auch dadurch gesteigert, daß R. Leute, welche mit den Geschäften nicht vertraut waren, anstellen mußte, [501] weil Fähigere den unsicheren Dienst ablehnten, daß ein Mann, dem sich die anderen Minister untergeordnet hätten, fehlte und daß die Räthe sämmtlich durch Rudolf’s Launenhaftigkeit und Unschlüssigkeit verdrossen, unsicher und nachlässig wurden. Höchst nachtheilig wirkte endlich auch seine Abgeschlossenheit auf seine Beziehungen zu anderen Fürsten und zu den Unterthanen. Auf den persönlichen Verkehr legte man damals hohen Werth und er bot das Mittel zu großem Einfluß; ein geschicktes Wort, ein freundliches Benehmen konnte Zugeständnisse und Gnaden von hoher Bedeutung ersetzen und ernste Schwierigkeiten beseitigen. R. aber suchte die Reichsfürsten nicht auf und zog sie nicht an seinen Hof; Gesandte mußten oft Monate, ja Jahre lang auf Audienz warten und wurden dann angewiesen, ihren Vortrag auf wenige Minuten zu beschränken. Unterthanen wurden, auch wenn sie eine hervorragende Stellung einnahmen oder in wichtigen Angelegenheiten erschienen, noch seltener vorgelassen. Das empfand man als Geringschätzung und mit voller Schärfe wurden die Beschwerden, wurde die Nichterfüllung der gehegten Wünsche empfunden. Im Einzelnen sind wir über Rudolf’s politisches Walten mit Ausnahme der letzten sechs Jahre noch keineswegs erschöpfend unterrichtet. Sein Archiv scheint größtentheils verloren gegangen zu sein, Aufzeichnungen eingeweihter und verständiger Personen fehlen und die Forschung hat sich wie mit einem Theile der Geschichte des Reiches so besonders mit jener der Hausländer noch nicht eingehend genug beschäftigt. Aeußerst dürftig ist die Kunde von der Verwaltung der letzteren. Wir erfahren jedoch, daß R. sich um die Ausbildung einer Landwehr in denselben bemühte; daß er in Böhmen und Ungarn die Städte begünstigte; daß er sich in Böhmen emsig des Bergbaues und der Goldwäscherei in den Flüssen wie der Glasindustrie annahm, Handel, Schifffahrt und Straßenbau zu fördern suchte, ein einheitliches Stadtrecht einführte und zur Abwehr von Epidemien vier Kreisphysiker anstellte; daß er für Böhmen und für Wien eine Gewerbepolizeiordnung erließ; daß er in den Erzherzogthümern Oesterreich die Bauern von dem übermäßigen Druck der Gtundherren befreite und für alle Verhältnisse des öffentlichen Lebens zahlreiche Verordnungen gab: wir dürfen daher wol annehmen, daß er sich in jeder Beziehung das Wohl seiner Lande angelegen sein ließ. Auch dem Reiche bezeigte er Sorge für das allgemeine Wohl. Ihm verdankt es die letzte Reichspolizeiordnung. Er bemühte sich ferner, Einheit und Ordnung in das Münzwesen zu bringen, den Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden beizulegen, die infolge desselben sich häufenden Streifzüge und Einfälle der Heerhaufen und Freibeuter beider Theile zu verhüten und abzuwehren. Lievland aus den Händen der Moskowiter zu befreien, die Verbindung der von Frankreich geraubten Bisthümer Metz, Toul und Verdun mit dem Reiche zu erhalten, den Handel der Hansa gegen die Bedrückungen Englands, Dänemarks und Schwedens zu schützen u. s. w. All seine Bemühungen in dieser Richtung wurden indeß freilich durch den Zwist der Parteien im Reich und durch das Territorialbestreben der Stände von vornherein lahm gelegt oder an der Erreichung ihres Zieles gehindert.

Die leitenden Gesichtspunkte für seine Regierung wurden R. durch das Streben nach Erweiterung seiner Herrschergewalt und durch die katholische Restaurationsbewegung gegeben. Jenes Streben entsprach seinem Wesen und der Richtung seiner Zeit; obendrein wurde es im Reiche durch das Ankämpfen der Stände gegen den Einfluß des Kaiserthums und die Verfassung und Einheit des Reiches herausgefordert und in den Hauslanden war es ein schon von Ferdinand I. erkanntes und befolgtes Gebot der Selbsterhaltung für die habsburgischen Herrscher, die Macht der Stände zu beugen und auf die Umwandlung der lockeren Personalunion in einen einheitlichen Staat hinzuarbeiten. Die Anschauungen der Restaurationspartei aber hatte R. in Spanien in sich aufgenommen und er wurde [502] in ihnen ebensowohl durch sein absolutistisches Streben, welches seine vornehmsten Gegner in Protestanten fand, wie durch seine kirchliche Gesinnung befestigt. Man hat behauptet, die Religion sei ihm gleichgültig gewesen. Dazu berechtigt indeß weder die Thatsache, daß er in späteren Jahren wiederholt mit protestantischen Politikern Beziehungen anknüpfte und Protestanten unter seine Dienerschaft aufnahm, noch der Umstand, daß er bei der Auswahl seiner Gelehrten und Künstler das Bekenntniß nicht berücksichtigte. Jenes war die Folge der Rachsucht und des Mißtrauens, womit ihn seine Krankheit erfüllte; dieses ging aus jener lebhaften Neigung für Kunst und Wissenschaft hervor, welche ihn auch trotz den Vorurtheilen seiner Zeit den gelehrten Prager Rabbi Bezalel Löw in dessen Hause besuchen ließ. Wenn er seit der vollen Entfaltung seiner Krankheit beim Nahen der Osterbeichte große Aufregung zeigte, so beweist das nur, daß er den Gegensatz seiner Ausschweifungen zum christlichen Sittengesetze sehr wohl empfand, sich dem Zwange der Kirchengebote aber nicht zu entziehen wagte. Religiöse Stimmung drücken seine Wahlsprüche: „Omnia ex voluntate Dei“ und „Adsit“ aus. Die richtige Deutung des letzteren, mit dem er seit seinem Regierungsantritte den ersteren vertauschte, dürfte sein: „Auxilium Domini sit iniquis terror“. Noch 1588 wohnte er der feierlichen Uebertragung der Gebeine des hl. Procopius bei, noch 1593 gab er selbst den Vorwurf zu Türkenpredigten, noch 1596 wird uns bezeugt, daß er täglich der Messe und der Vesper anwohnte, und noch 1606 besuchte er mehrmals einen Marienwallfahrtsort. Sollte er, wofür indeß keine Zeugnisse vorliegen, in den äußerlichen Uebungen der Frömmigkeit mit der Zeit nachgelassen haben, so wäre das gewiß nur seiner Krankheit beizumessen. Sein Verhalten im Kampfe um den böhmischen Majestätsbrief zeigt ihn noch beherrscht von dem Einflusse jener streng katholischen Gesinnung, welche eifrige Anhänger Roms ihm in früheren Jahren wiederholt nachgerühmt hatten. Der Verwirklichung seiner Absichten stellten sich jedoch sowohl in kirchlicher wie in politischer Hinsicht seine Unentschlossenheit und der Mangel an Thatkraft entgegen. Obendrein gebrach es ihm wie an physischem so an moralischem Muthe und er war daher voll Vorsicht und Aengstlichkeit. Dazu kamen dann andere, außer seiner Persönlichkeit liegende, nicht minder starke Hindernisse. Sein Vater hinterließ ihm das Geldwesen in tiefer Zerrüttung und diese wuchs durch den Mangel an Ordnung, durch die übergroßen Ausgaben Rudolf’s für Künste und Wissenschaften, für deren Vertreter und seine Sammlungen und für seine Günstlinge, vor allem aber durch die Kosten, welche die Vertheidigung der Grenzen und später der Krieg gegen die Türken verursachte. Die regelmäßigen Einkünfte reichten von Anfang an kaum hin, um die Zinsen der Schulden zu bezahlen. R. war also auf die außerordentlichen Steuern der Hausländer und des Reiches angewiesen. Diese waren jedoch von der Bewilligung der Stände abhängig. In den Hausländern nun hatte sich die Masse der Herren, Ritter und Städte dem Protestantismus zugewendet. Dadurch war nicht nur ihre materielle Macht gewachsen, indem sie manche kirchliche Güter und Rechte an sich brachten, sondern sie wurden auch bis auf einen gewissen Grad unter Zurückdrängung ihrer Sonderinteressen dem katholischen Landesfürsten gegenüber geeinigt und angetrieben, mit jenem um die politische Gewalt zu ringen. Unter Rudolf’s schwachem Vorgänger hatten sie auch bereits gelernt, die Regierung durch Zurückhaltung in den Bewilligungen gefügig zu machen. Im Reiche lagen allen Ständen zuvorderst ihre Territorialinteressen am Herzen, die katholischen waren meist schlaff und furchtsam, die Kurpfälzer und die von ihnen geleitete Partei wurden durch ihre kirchlich-politischen Bestrebungen in feindseligen Gegensatz zum Kaiser gebracht und die ausschlaggebende Macht, Kursachsen, war anfangs R. nicht geneigt und stets stand zu fürchten, daß entschiedenes Vorgehen wider die Protestanten es zu [503] ungünstiger Haltung bestimmen werde. Ferner lag die Möglichkeit nahe, daß die in den Niederlanden und in Frankreich im Gang befindlichen Kriege in das Reich hinübergetragen würden oder in diesem selbst ein umfassender Kampf der Parteien losbreche, womit dann, abgesehen von anderen Nachtheilen sofort die Türkenhülfen aufhören mußten. Endlich hatte auch R. lange Zeit Minister, die weder fanatische Katholiken noch zu kühnen Wagnissen geneigt waren. Gleich nach seinem Regierungsantritte erscholl allerdings im Reiche das Geschrei, er habe seinen Hof von allen nicht eifrig katholischen Persönlichkeiten gesäubert. Das entbehrte jedoch der Begründung. Der leitende Minister Maximilian’s II., Johann Weber, behielt bis an seinen Tod sehr großen Einfluß und von den anderen Ministern und Räthen klagt der fanatische Reichshofrath Eder 1578: „Sie machen den Kaiser und den Erzherzog Ernst so kleinmüthig, daß diese sich bald fürchten werden, öffentlich Messe zu hören“. Auch Rumpf war zwar für seine Person gut katholisch, aber in seinem Wirken gemäßigt. Erst seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts traten in den geheimen Rath eifrige und rücksichtslose Vorkämpfer des Katholicismus und des Absolutismus. Diese Verhältnisse bestimmten nun bis zum Ende des 16. Jahrhunderts die Wege, auf welchen R. den beiden Hauptzielen seiner Regierung zustrebte. Er ging nicht mit raschen, durchgreifenden und umfassenden Thaten auf sie los, aber er behielt sie stetig im Auge. In seinen Hausländern duldete er es, daß man seine auf die Herstellung des Katholicismus gerichteten Befehle nicht beachtete, ja ihnen den kecksten Trotz entgegenstellte; aber er wurde nicht müde, sie zu wiederholen, bis sich endlich die Gelegenheit fand, den Gehorsam zu erzwingen. Er bemühte sich ferner, eifrige Geistliche in die wichtigen Kirchenämter zu bringen, und er begünstigte die Orden und besonders die Jesuiten, mit denen er übrigens nicht in persönliche Beziehungen trat; er förderte die Ansiedlung katholischer Herren aus dem Reiche, aus Spanien und aus Italien in seinen Ländern und katholischer Einwanderer in den Städten; er besetzte die Hofbehörden und die höheren Landesämter allmählich mit eifrigen Katholiken; er nöthigte vielfach den Städten katholische Richter, Stadtschreiber und Rathsherren auf und verbot häufig die Aufnahme von Protestanten zu Bürgern und er schützte und unterstützte das Vorgehen entschlossener kirchlicher Würdenträger und eifrig katholischer Herren gegen den Protestantismus in ihren Bezirken. Dabei kam ihm die sich durch die Einflüsse Deutschlands und Italiens auch in den Hausländern immer kräftiger entwickelnde Restaurationsbewegung je länger desto nachdrücklicher zu Hülfe. Eine umfassende Einschränkung des Protestantismus erfolgte indeß bis zum Ende des 16. Jahrhunderts nur in Oesterreich unter und ob der Enns, wo die Brüder des Kaisers, Ernst und Matthias, unter dem Einflusse Khlesl’s die Vertreibung der protestantischen Prediger und Lehrer aus denjenigen Städten, Märkten und Dörfern, welche nicht dem Besitz und Patronate protestantischer Grundherren unterstanden, durchsetzten. Erst die großen und leichten Erfolge, welche Erzherzog Ferdinand in Innerösterreich bei der Bekämpfung des Protestantismus davontrug, gaben dann R. den Muth, im Anfang des 17. Jahrhunderts für Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlesien und die Lausitzen Verfügungen zu erlassen, welche den Protestantismus mit völliger Vernichtung bedrohten. Sie im ganzen Umfange durchzuführen, wagte er indeß wieder nicht; nur in einzelnen Fällen und besonders in Städten erfolgten empfindlichere Bedrängungen der Protestanten.

Hand in Hand mit den kirchlichen Angriffen gingen – und zwar ebenfalls seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts in verstärktem Maße – Angriffe auf die politischen Rechte der Stände. An und für sich mußte deren Macht durch die Rückforderung der eingezogenen Kirchengüter und durch die Herstellung der Katholiken zustehenden Patronatsrechte geschmälert werden. R. tastete aber auch [504] geradezu die Landesverfassungen an. Insbesondere suchte er die ständischen Landesgerichte lahm zu legen und die Rechtsprechung an seine Behörden zu bringen, während er zugleich an Stelle der Landrechte das römische zu setzen trachtete. Auch in die den Ständen zustehende Verwaltung des Steuerwesens gestattete er sich weitreichende Eingriffe und während dem Herkommen und den bestehenden Gesetzen nach in jedem Lande nur Eingeborene oder doch Ansässige zu den Landschaftsämtern, zu den magistratischen Würden und mitunter auch zum Bürgerrecht gelangen sollten, drängte er hier und da ausländische Katholiken ein, welche dann, da die kirchlichen Gegensätze für die Auffassung aller Verhältnisse maßgebend waren, wie die eifrigen Katholiken insgemein als Vorkämpfer der landesherrlichen Gewalt auftraten. In den slavischen Ländern und in Ungarn bemühte sich R. überdies die Ausbildung des Einheitsstaates und die Sicherung der habsburgischen Herrschaft durch die Verbreitung und Stärkung des Deutschthums zu fördern. In den Hofbehörden für Ungarn wuchs stetig die Zahl der Deutschen; die oberen Befehlshaberstellen in den wider die Türken streitenden Heeren und in den Festungen wurden ausschließlich an Deutsche verliehen; die Besatzungen der Festungen wurden soviel wie möglich aus Deutschen gebildet; dem Fiscus verfallende Güter wurden an Deutsche gegeben und sogar verwaiste reiche Erbinnen des Adels wurden von R. als Obervormund mit Vorliebe an Deutsche vermählt. Ebenso wurden in Böhmen und Mähren Deutsche angestellt und angesiedelt, und wir dürfen annehmen, daß die großen Fortschritte des Deutschthums, welche sich dort unter Rudolf’s Regierung vollzogen, nicht nur dem unwillkürlichen Einfluß seines Hofes und anderer Umstände sondern auch seinem zielbewußten Bemühen zu danken waren. Wenn die tschechische Sprache damals ihr „goldenes Zeitalter“ erlebte, so war das gewiß nicht sein Werk und nur als bedeutungslose Höflichkeit ist es zu betrachten, daß er auch einen tschechischen Versmacher zum Hofpoeten ernannte. Wie er sich als Deutscher fühlte, so sprach er nichts lieber als Deutsch: das Tschechische dagegen soll er nie besser als nothdürftig haben erlernen mögen. Die Erfolge, welche das langsame, zähe und stetige Vorgehen des Kaisers erzielte, waren nicht unbedeutend. Ungleich größer war indeß die Erbitterung, welche es hervorrief, und sie empfing weitere Nahrung durch die Bestechlichkeit, den Eigennutz und die Willkür seiner Beamten, diese drei vornehmsten und häufigsten Gebrechen damaliger Regierungen, ferner durch das Eindringen von Verwandtengruppen in die höheren Aemter sowie durch die Gütereinziehungen und anderen Strafen, welche ohne einleuchtende Gründe und ohne ordnungsmäßiges Rechtsverfahren verhängt wurden, vor allem aber durch die Lasten des Türkenkrieges. Trotz dem Waffenstillstande, welcher von Maximilian II. 1568 mit der Pforte auf acht Jahre geschlossen und 1576 von ihm auf die gleiche Frist, 1584 von R. auf neun Jahre verlängert wurde, erfolgten häufig Einfälle der Türken in die Grenzgebiete und zu deren Abwehr sowie zur Sicherung der Grenzfestungen mußten fort und fort Geldhülfen der Hausländer in Anspruch genommen werden. 1593 erklärte dann Sultan Murad III. den Krieg. In diesem zeigten sich große Gebrechen des kaiserlichen Heerwesens. Die Hülfsschaaren des deutschen Reiches trafen meist erst im Sommer in Ungarn ein und so endete das Nahen des Winters, in welchem damals stets die Waffen ruhten, oft allzurasch die begonnenen Unternehmungen. Der Geldmangel hinderte die Bezahlung und die Verpflegung der Truppen und die Beschaffung des nöthigen Kriegsgeräthes, woraus Verzögerung und Hinderung von Angriffen, Krankheiten, Zuchtlosigkeit und Meutereien nachfolgten. Der bittere Haß zwischen Ungarn und Deutschen, zwischen diesen und Italienern rief im Schooße des Heeres lähmende Zwietracht und böse Händel hervor. Die Brüder des Kaisers, Matthias und Maximilian, welche mit dem [505] Oberbefehl betraut wurden, besaßen wie einige andere Führer keine kriegerische Begabung, eine Reihe der tüchtigsten Feldberren aber wurde rasch durch den Tod hinweggerafft. Nichtsdestoweniger konnte später ein urtheilsfähiger Venezianer behaupten, R. habe den Krieg sehr kräftig geführt, und dessen Verlauf war den kaiserlichen Waffen nicht ungünstig. Eine Reihe glänzender Siege wurde erfochten, der Verlust wichtiger Festungen durch die Eroberung anderer wettgemacht und Siebenbürgen unterworfen. Die Opfer, welche der Krieg erforderte, drückten jedoch immer härter auf die kaiserlichen Länder. Jahr aus Jahr ein mußten schwere Steuern geleistet und Truppen gestellt werden; Jahr aus Jahr ein litt man unter den Plünderungen, Gewaltthaten und Verwüstungen der durchziehenden oder im Quartier liegenden Truppen; ein großer Theil von Ungarn wurde durch die Züge der Türken und das Hausen der Kaiserlichen, ganz Siebenbürgen durch die wilde Grausamkeit der sich bekämpfenden Parteien verwüstet. Wiederholt vermehrten auch Blattern und andere Seuchen, Mißwachs und Wetterschaden das Elend. Dieses aber verschärfte den Unwillen über das kaiserliche Regiment. Je länger desto mächtiger wucherte Neigung zum Widerstande, zur Auflehnung empor. Wie die großen Heere, welche dem Kaiser alljährlich zur Verfügung standen, seine kirchlich-politischen Maßnahmen unterstützten und sein Ansehen hoben, so lähmten sie freilich auch jene Neigung und durch die Sorge um ihre eigene Sicherheit sahen sich die Stände gehindert, ihren Beschwerden durch Steuerverweigerung Nachdruck zu verleihen. Ueberdies wurde eine Erhebung durch die Abneigung und Eifersucht, welche die verschiedenen Länder, die verschiedenen Stände und die einzelnen Herren gegen einander hegten, sowie durch die politische Unfähigkeit und sittliche Schwäche oder Verkommenheit der meisten Adligen erschwert. Indeß die Lage wurde von Jahr zu Jahr gespannter und ein kräftiger Anstoß konnte den Bruch herbeiführen. Er erfolgte, indem sich im October 1604 ein siebenbürgischer Großer, Stephan Bocskay, empörte und der erste Angriff auf ihn fehlschlug. Nun breitete sich der Aufstand rasch über Siebenbürgen und Ungarn aus und schon im Sommer 1605 brachen Bocskay’s Schaaren unter entsetzlichen Gräueln in Mähren und Oesterreich ein. Die Türken nahmen das hochwichtige Gran und in den Ländern diesseits der Leitha bekundeten sowol die Bauern wie die Adligen Neigung zum Aufruhr. Die kaiserlichen Truppen aber waren zusammengeschmolzen und von Allem entblößt, meuterten oder drohten doch mit Auflehnung und lagerten sich zum Theil eigenmächtig in Oesterreich und Mähren ein. Dieser furchtbaren Gefahr gegenüber versank R. in den Abgrund seiner Krankheit und vermochte nicht, sich zur Abwehr aufzuraffen; gleichwol aber wollte er sich auch jetzt nicht zum Frieden verstehen. Der Papst, Spanien und Venedig spornten ihn zur Fortsetzung des Krieges und seine kirchliche Gesinnung sträubte sich gegen die von den Ungarn aufgestellte Forderung der Glaubensfreiheit; vor allem aber hielten ihn sein Größenwahn und seine krankhafte Rachgier ab, der Noth der Lage zu gehorchen. Erst nach langen Bemühungen ließ er sich durch seine Minister und Erzherzog Matthias bewegen, am September 1606 zu Wien mit Bocskay und den Ungarn, am 11. November aber zu Zsitvatorok mit den Türken Friedensverträge zu schließen, worin er auf Siebenbürgen und den größten Theil von Ungarn verzichtete und dem ihm gebliebenen Rest Ungarns Religionsfreiheit, Ständeherrschaft und Einstellung aller Germanisirungsversuche zusicherte. Indem er jedoch die Urkunden unterzeichnete, legte der Kranke heimlich Verwahrung gegen die darin enthaltenen Zusagen ein und den türkischen Vertrag hielt er hartnäckig in seinen Händen zurück, wodurch sowol die Abmachungen mit den Türken wie die mit den Ungarn wieder in Frage gestellt wurden. Die flehentlichen Bitten seines Bruders und seiner Räthe, die wachsende Geldnoth und Zerrüttung seiner Regierung, [506] die zunehmende Gährung in seinen Ländern, die Drohungen der Türken und die feindliche Haltung der Ungarn machten auf ihn keinen Eindruck. Längere Zeit hindurch konnte er sich freilich nicht zu entscheidenden Entschlüssen erheben. Seit dem Sommer 1607 unternahm er jedoch Schritte, welche den Wiener Frieden offen verletzten und seine Absicht, den Türkenkrieg zu erneuern, unzweideutig kundgaben. Dem gegenüber stifteten die Türken oberungarische Heiducken zum Aufstande an und rasch drangen diese Ende 1607 nach Westen vor. Die Stände in Ungarn und in den Ländern diesseits der Leitha waren durch Rudolf’s Verhalten und durch die Bedrückung von Seite der kaiserlichen Truppen im höchsten Grade erbittert. Wie die Dinge lagen, stand ein allgemeiner Aufstand in nächster Sicht und zugleich war ein nachdrücklicher Angriff der Türken zu fürchten. Der Kaiser aber zeigte sich wiederum völlig unfähig, der von ihm heraufbeschworenen Gefahr zu begegnen und steigerte durch sein Verhalten nur noch die Erregung. Da entschloß sich Erzherzog Matthias, auf eigene Hand mit Hülfe der Stände Rettung für die Hauslande zu suchen. Als er jedoch zu diesem Zwecke im Januar 1608 auf dem Preßburger Landtag erschien, wurde er zu einem noch viel weiter reichenden Unternehmen geleitet.

Die gefährlichen Erkrankungen, von welchen R. in jüngeren Jahren wiederholt heimgesucht wurde, die zunehmenden Ausbrüche seines Geistesleidens und der Umstand, daß er sich nicht verheirathete, hatten seit dem J. 1581 zahlreiche und angelegentliche Bemühungen um die Ordnung der Nachfolge von Seiten der Erzherzoge, Spaniens, des Papstes und der dem Hause Oesterreich freundlichen Kurfürsten veranlaßt. Galt auch für Ungarn und Böhmen mit dessen Nebenländern das Erbrecht der herrschenden Familie, so war dasselbe doch nicht gegen Anfechtungen gesichert und bedurfte von Fall zu Fall erneuter Anerkennung; der Besitz der deutschen Krone aber war von völlig freier Wahl des paritätischen Kurfürstencollegs abhängig und durch die Abneigung der Kurpfälzer sowie durch die Umtriebe Frankreichs und anderer Mächte ernstlich gefährdet; ja auch das Eintreten eines Zwischenreiches bedrohte das habsburgische Haus und die katholische Restaurationspartei in Deutschland und in Europa mit schwerem Nachtheil. Nur in den ersten drei Jahren zeigte sich indeß R. den an ihn gebrachten Wünschen geneigt. In der zweiten Hälfte des Jahres 1584 scheint sich bereits seine Stimmung in’s Gegentheil verkehrt zu haben und zwar dadurch, daß man ihm vorschlug, sein Bruder Ernst solle die Infantin Isabella heirathen und mit ihrer Hand die Niederlande erhalten, damit er in den Besitz einer fürstlichen Stellung gelange und zum römischen Könige erwählt werden könne, ohne vorher die Kronen von Ungarn und Böhmen erhalten zu haben. Man gedachte damit wol den Bedenken des Kaisers, seinem Bruder bereits die Nachfolge in den Hausländern sichern zu lassen, die Spitze abzubrechen. Da jedoch R. die Niederlande für sich begehrte und da er auf die Heirath mit Isabella ebensowenig verzichten wollte, wie er sich dazu entschließen konnte, so mochte ihn der Antrag unter dem Einflusse seiner Krankheit mit dem Argwohn erfüllen, daß man ihm mit der Braut und den Niederlanden auch die Herrschaft überhaupt zu entziehen trachte. Seitdem bestimmte dieser Verdacht seine Stellung zur Nachfolgefrage und je mehr sein Verfolgungswahn sich entwickelte, desto mehr beeinflußte ihn die Sorge vor Entthronung. Jedem Antrage auf Ordnung der Nachfolge wich er von vornherein oder doch sehr bald aus und gegen die Brüder, welchen dieselbe gesichert werden sollte, erfüllte er sich mit Mißtrauen und Abneigung: zuerst gegen Ernst, dann nach dessen Tode gegen Albrecht, welcher mit Isabella vermählt und zum Statthalter der Niederlande ernannt wurde, und schließlich auch gegen Matthias, welcher dem Alter nach auf Ernst folgte und mithin nach diesem zunächst erbberechtigt war. Dabei konnte er sich jedoch auch nicht zur Heirath entschließen, [507] obwol er seit der Vermählung Albrecht’s oft genug Miene machte, um die Hand dieser oder jener Prinzessin anzuhalten. So blieb die Nachfolgefrage offen. Inzwischen aber schritt seine Krankheit fort und gestalteten sich die Verhältnisse im Reich und in den Hausländern immer bedenklicher. Schon im November 1600 einigten sich daher die Erzherzoge Matthias, Maximilian und Ferdinand zu Schottwien, daß man, falls der Kaiser sich nicht bewegen lasse, Matthias zum Regenten zu bestellen und ihm die Nachfolge zu sichern, die böhmischen Stände und die Kurfürsten zu selbständigem Vorgehen auffordern solle. Nachträglich fand man indeß die Aufmahnung der Stände zur Beseitigung des Kaisers zu bedenklich und unter den Kurfürsten, an die man sich wandte, konnten sich mehrere nicht in den Gedanken finden, daß ihr von Gott gesetztes Oberhaupt geisteskrank sei, vor allem aber konnten sie sich nicht entschließen, die Ehrfurcht vor dem Kaiser so weit beiseite zu setzen, daß sie ohne dessen Zustimmung zur Wahl geschritten wären. Das gleiche Hinderniß stellte sich einem zweiten Versuche entgegen, welchen die Erzherzoge 1606 nach einer in Linz gehaltenen Besprechung unternahmen, um sich über Rudolf’s Widerstreben hinwegzusetzen. Darauf schlossen sie mit Zuziehung des inzwischen mündig gewordenen Erzherzogs Maximilian Ernst von der Grazer Linie am 25. April 1606 zu Wien einen Vertrag, welcher R. wegen seiner Geisteskrankheit für unfähig zur Regierung erklärte, Matthias zum Haupte des Hauses ernannte, ihm unbeschränkte Vollmacht zur Betreibung der Nachfolgefrage übertrug und ihm ihren vollsten Beistand dazu versprach, daß man den Kaiser mit Hülfe der Katholiken in den Hausländern und dem Reiche sowie Spaniens und des Papstes zur Abdankung bewege oder gewaltsam absetze. Auch diese Vereinbarung erwies sich jedoch als unausführbar. Dagegen that R. in seinem Haß und Argwohn gegen Matthias Schritte, welche denselben mit dem Verlust der Nachfolge bedrohten, und er zwang ihn in seinem Mißtrauen, diejenigen Räthe zu entlassen, welche bis dahin einer Vereinigung des Erzherzogs mit den unzufriedenen Ständen der Hausländer entgegengearbeitet hatten. Anderseits gedieh die Gefahr der Lage durch den Haiduckenaufstand, wie erwähnt wurde, zum äußersten und es bildeten sich unter den Ständen in Ungarn, Mähren und Oesterreich Verschwörungen, welche nicht nur den Kaiser, sondern sein ganzes Haus mit dem Verlust der Herrschaft bedrohten. Unter diesen Umständen ließ sich Matthias in Preßburg bewegen, an die Spitze einer ständischen Empörung gegen R. zu treten. Unter dem Vorwande, die Bestätigung des Türkenfriedens erwirken zu wollen, barg sie die Absicht, ihm alle Hausländer außer Tirol und Vorderösterreich zu nehmen und ihn mit seinem Hofhalt nach Innsbruck zu weisen. Am 1. Februar 1608 wurde zu Preßburg das Bündniß zwischen Matthias und den ungarischen und österreichischen Ständen geschlossen. Die widerstrebenden Mitglieder der beiden Landschaften zwang man durch Drohungen zum Beitritt. Den Anschluß der Mähren bewirkten die dortigen Verschworenen. Mitte April brach Matthias mit einem großen Heere von Ungarn und Oesterreichern auf und rückte, unterwegs die Böhmen an sich ziehend, gegen Prag.

R. täuschte sich nicht über den wahren Zweck des Preßburger Bundes, aber seine Krankheit, welche in dieser Bedrängniß wieder mit voller Gewalt hervortrat, ließ ihn weder durch schleunige Zugeständnisse dem Angriffe vorbeugen noch rasch genügende Vorkehrungen zur Abwehr treffen noch, als er endlich bedeutende Streitkräfte gesammelt hatte, deren Verwendung zum Kampfe wagen. Durch Verhandlungen suchte er Zeit zu gewinnen und durch weithergeholte Vermittlung sich zu retten. Seine erbitterten und mißtrauischen Gegner ließen sich jedoch nicht mehr hinhalten und beschwichtigen. Wenn sie ihr Ziel nicht vollständig erreichten, so hatte das R. lediglich dem Umstande zu danken, [508] daß die Böhmen den Anschluß an die Empörung verweigerten und die Schlesier und Lausitzer ihrem Beispiele folgten. Am 25. Juni 1608 mußte R. durch den Vertrag von Lieben Ungarn, Oesterreich und Mähren an Matthias abtreten und ihm unter Bürgschaft der böhmischen Stände die Anwartschaft auf die Krone Böhmens zusichern. Den Beistand der Böhmen mußte R. damit bezahlen, daß er ihnen die Beobachtung ihrer politischen Vorrechte gelobte und volle Religionsfreiheit in Aussicht stellte. Sehr bald erließ er jedoch sowol in Böhmen wie in Schlesien neue gegen den Protestantismus gerichtete Befehle und nachdem im Januar 1609 der böhmische Landtag, welcher die kirchlichen Verhältnisse ordnen sollte, zusammengetreten war, zeigte sich sofort, daß er den Protestanten nicht die mindesten Zugeständnisse zu machen beabsichtigte. Seine kirchliche Gesinnung und seine Krankheit wehrten ihm die gewohnten Bahnen zu verlassen. Als jedoch nun die Böhmen sich zum Aufstande anschickten, vermochte er sich wiederum nicht zu bewaffneter Abwehr zu entschließen und allmählich gelang es den Böhmen, ihn soweit einzuschüchtern, daß er am 9. Juli 1609 einen „Majestätsbrief“ unterzeichnete, welcher allen Einwohnern Böhmens ohne Unterschied des Standes Religionsfreiheit und den Herren, den Rittern und den Bürgern der königlichen, d. h. der Krone unmittelbar unterworfenen Städte das Recht, Kirchen und Schulen anzulegen, zugestand, das alte utraquistische Consistorium und die Prager Universität den Protestanten überwies und zu deren Verwaltung die Einsetzung von „Defensoren“ durch die protestantischen Stände gestattete. Außerdem mußte R. einen von den katholischen und protestantischen Ständen geschlossenen Vertrag genehmigen, welcher u. a. auch den Protestanten auf den königlichen Gütern die Erbauung von Kirchen und Friedhöfen erlaubte. Im weiteren Verlaufe des Landtages mußte er ferner nicht nur zulassen, daß den Defensoren die Wahrnehmung der gesammten Interessen der Protestanten übertragen würde, sondern er mußte auch bewilligen, daß jene ermächtigt wurden, zur Abwehr von Beeinträchtigungen der Protestanten einen Ausschuß der Stände und die protestantischen Landesbeamten zu gemeinsamer Berathung zu berufen, und daß ein paritätischer Gerichtshof Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten entscheiden solle. Auf diese Weise wurden die böhmischen Protestanten als selbständige, festgeschlossene Körperschaft der Regierung gegenübergestellt, während die politischen Rechte der Landschaft, in welcher sie weitaus die Mehrheit bildeten, durch die im J. 1608 gemachten und neuerdings erfolgende Zugeständnisse wesentlich erweitert wurden. Durch das Beispiel der Böhmen ermuthigt, forderten aber auch die Protestanten der Nebenländer Glaubensfreiheit und Abstellung ihrer politischen „Beschwerden“, und wie R. in Hinsicht auf letztere eine Reihe von Bewilligungen nicht zu versagen wagte, so gewährte er durch Majestätsbriefe den Schlesiern, der Ober- und Niederlausitz, der Grafschaft Glatz und dem Kreise Eger volle Glaubensfreiheit, eigene Consistorien und das uneingeschränkte Recht, Kirchen und Friedhöfe anzulegen.

An seiner Nachgiebigkeit hatte wesentlichen Antheil die Furcht, daß Matthias die protestantischen Stände an sich ziehen und so das 1608 begonnene Werk zum Abschluß bringen könne. Seit dessen Empörung war Rudolf’s Abneigung gegen den Bruder zu grimmigem Hasse gewachsen und mit diesem verband sich ein glühendes Verlangen nach Rache. All sein Sinnen und Wünschen richtete sich mit der ganzen Kraft seiner Krankheit darauf, die abgetretenen Länder wieder an sich zu bringen und Matthias von der Nachfolge in Böhmen und im Reiche auszuschließen. Daß jener mit den protestantischen Ständen seiner Länder durch deren kirchliche und politische Forderungen in harte Kämpfe verwickelt wurde, suchte R. zu benützen, um die Unzufriedenen wieder für sich zu gewinnen. Anderseits wandte er sich an einen Kurfürstentag, der im Juli 1608 in Fulda [509] zusammentrat, und dann an die geistlichen Kurfürsten insbesondere, um durch Hülfe des Reiches die Wiedereinsetzung zu erlangen. Seit Ende December 1608 ließ er sogar durch Erzherzog Leopold mit Matthias selbst wegen der Rückgabe der Länder verhandeln. Im Juli 1609 aber faßte er den Plan, jenem Vetter zu den Kronen von Böhmen und Deutschland zu verhelfen, damit Leopold nicht nur Matthias derselben beraube, sondern auch die abgetretenen Gebiete wieder erobere und die Stände sämmtlicher Hausländer durch Vernichtung ihrer Glaubensübung und ihrer politischen Rechte für ihre Empörung strafe. Den Weg zur Ausführung dieser Entwürfe glaubten der wahnsinnige Kaiser und der unerfahrene, durch Liebeshoffnungen und Ehrgeiz verblendete Leopold dadurch eröffnet, daß am 25. März 1609 Herzog Johann Wilhelm v. Jülich gestorben war, ohne Söhne oder Brüder zu hinterlassen, und damit seine reichen und weiten Lande erledigt waren. Dieser Erbfall war in Aussicht getreten, als im J. 1590 Johann Wilhelm, der einzige Sohn seines damals bereits hochbetagten und schwachsinnig gewordenen Vaters tobsüchtigem Wahnsinn verfallen war, und man hatte sich seitdem in der politischen Welt lebhaft mit der Angelegenheit beschäftigt, weil die Lande sowol an und für sich wie namentlich wegen ihrer Lage für die im Reich und in Westeuropa mit einander ringenden Parteien und Mächte nicht geringe Bedeutung besaßen und, während Johann Wilhelm sich wie sein Vater zum Katholicismus bekannte, nun die sogenannten „Interessenten“, drei protestantische Fürsten, welche mit seinen Schwestern vermählt waren, und später auch das Haus Sachsen Ansprüche auf das Erbe erhoben. R. hatte alsbald Schritte gethan, um zu verhüten, daß sich die Interessenten der Regentschaft bemächtigten; aber in seiner Unschlüssigkeit und Zaghaftigkeit hatte er weder die Erbfrage zum Austrage gebracht noch die Erbansprüche Sachsens, wie dieses anbot, für sein Haus erworben noch auch seinen Vetter, den Markgrafen Karl v. Burgau, nachdem sich derselbe mit der jüngsten Schwester Johann Wilhelm’s vermählt hatte, dessen wiederholten Bitten entsprechend in den Jülicher Landen festen Fuß fassen lassen. Sogar nach dem Tode des Herzogs hatte er sich mit der Abordnung einiger Commissare von geringem Ansehen, welche das Erbe bis zu seinem Rechtsausspruch in Sequestration nehmen sollten, begnügt und so war es zwei Interessenten möglich geworden, den größten Theil der erledigten Gebiete in ihre Gewalt zu bringen. Jetzt dagegen entschloß sich R. plötzlich den Erzherzog Leopold als Commissar zu entsenden. Er dachte nicht daran, das Erbe sich oder seinem Hause zu gewinnen. Leopold sollte sich nur Ansehen erwerben und den Dank der katholischen Partei und Sachsens verdienen, damit seine Wahl zum römischen und böhmischen König ermöglicht werde und er dann Rudolf’s Rache vollstrecken könne. Die Verwirklichung dieser Absichten wurde jedoch durch die Entwicklung vereitelt, welche sich im Reich vollzogen hatte.

Seine Reichspolitik entsprach in Zielen und Wegen derjenigen, welche er bis zum Ende des 16. Jahrhunderts; in seinen Hauslanden beobachtete. In der Sorge, die vorhandene Spannung zum offenen Bruch zu treiben, vermied er umfassende Gewaltmaßregeln gegen die Protestanten, nahm den Trotz und die Uebergriffe der Kurpfälzer und ihrer Freunde hin, gestattete sogar dem Kecksten und Unruhigsten seiner Gegner, dem Pfalzgrafen Johann Kasimir, die Vormundschaft über den unmündigen Kurfürsten Friedrich v. der Pfalz auf sehr wol anzufechtende Ansprüche hin zu übernehmen, enthielt sich der bewaffneten Theilnahme an den hier und da ausbrechenden Kämpfen und suchte vielmehr zu vermitteln und wies nicht nur die wiederholten Anträge an die Spitze eines katholischen Bundes zu treten, ab, sondern bemühte sich auch, die Bildung eines solchen zu verhindern. Die päpstlichen Bemühungen um einen Bund aller christlichen Mächte wider die Türken begegneten bei ihm kühler Zurückhaltung, denn er [510] fürchtete, daß auch dieser Bund das Mißtrauen der Protestanten erregen werde. Diesem Mißtrauen keine Nahrung zu geben und Verbindungen der Protestanten oder der Katholiken mit dem Auslande, die das Reich in die großen westeuropäischen Kämpfe verwickeln konnten, zu verhüten, das schien ihm unumgänglich geboten. Als die Excommunicationsbulle, welche Sixtus V. 1585 gegen König Heinrich von Navarra und Condé erließ, das Gerücht erzeugte, der Papst wolle auch die protestantischen Kurfürsten absetzen, bemühte R. sich angelegentlich, den römischen Eiferer zu bewegen, daß er durch eine ausdrückliche Erklärung diese Sorge beseitige. Daß die Mahnungen der Päpste, die von den Protestanten eingezogenen Kirchengüter zurückzufordern, bei ihm keinen Anklang fanden, versteht sich bei solcher Gesinnung von selbst; mitunter ertheilte er sogar protestantischen Stiftsinhabern Indulte, welche ihnen ohne die verfassungsmäßige Bestätigung des Papstes die Ausübung der Hoheitsrechte zugestanden, und wie er seit 1588 die ordentlichen Kammergerichtsvisitationen einstellte, um den Administrator von Magdeburg nicht offen zurückweisen zu müssen, so zog er auch auf den Reichstagen in der von den Katholiken angeregten Frage der Ausschließung aller protestantischen Administratoren und in dem Streite über die dem Religionsfrieden zuwider säcularisirten Kirchengüter gütliche Vermittelung einer schroffen Entscheidung vor. Ebensowenig benützte er – worüber ein Venezianer sein Erstaunen ausdrückt – die sich ihm durch die Zwietracht der deutschen Stände und günstige Fügungen darbietenden Gelegenheiten, seinen Besitz zu erweitern, und die bescheidene Unterstützung, welche er seinem Bruder Maximilian bei dessen Bewerbung um die polnische Krone lieh, war der einzige Schritt, durch welchen er sich angriffsweise an ausländischen Händeln betheiligte. Aber wo Andere zum Schutze und zur Ausbreitung des Katholicismus im Reiche die Hand anlegten, da verfehlte er nicht, durch Mandate, Commissionen und Achtserklärungen – oft genug mit grober Verletzung der Formen und der Wesenheit des geltenden Rechtes – Beistand zu leisten, und als Vermittler in Streitigkeiten suchte er stets den Vortheil der katholischen Partei zuzuwenden. So geschah es im Kölner Bisthumskriege, im Straßburger Capitels- und Bisthumsstreite, im Kampfe um die Abtei Fulda, in zahlreichen kirchlich gemischten Reichsstädten und auf den Reichsversammlungen. Die mächtig wachsende Restaurationsbewegung häufte die Gelegenheiten zum Eingreifen des Kaisers und ermöglichte dessen Erfolge. Mit der Förderung des Katholicismus wuchs aber wie in den Hausländern so auch im Reiche der politische Einfluß des Kaisers. Jeder Gewinn, welchen er dem Katholicismus erringen half, hob sein Ansehen und je mehr die katholischen Stände von der Restaurationsbewegung ergriffen wurden, desto entschiedener standen sie um ihrer Kirche willen zum Kaiser und zur Reichsverfassung. Die Lahmlegung des Kammergerichtes, welche seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts durch den Vierklosterstreit erfolgte, zog eine bedeutende Erweiterung der Thätigkeit des Reichshofrathes, des kaiserlichen Hofgerichtes, nach sich, wie denn von vornherein die Wirksamkeit dieser Behörde durch die Restauration, der R. mit ihren Mandaten und Urtheilen beistand, sehr gehoben wurde. Ihren Werth für seine Macht im Reiche würdigte R. voll und daher wies er die Angriffe der Protestanten auf die Gerichtsbarkeit des Reichshofrathes stets mit der größten Entschiedenheit zurück. Auch im Reiche war wie in den Hausländern Erweiterung der Herrschergewalt sein Ziel. Den Reichsstädten gegenüber stellte er 1582, als sie sich weigerten, die von den Kurfürsten und Fürsten beschlossenen Türkensteuern vor Abstellung ihrer „Beschwerden“ zu bewilligen, geradezu absolutistische Grundsätze auf und der hartnäckige Widerstand, welchen sie ihm leisteten, mochte dazu beitragen, daß er nicht nur damals sondern auch mehrfach später Fürsten gegen Reichsstädte begünstigte, obgleich die Richtung seiner Politik ihm nahe [511] gelegt hätte, in den Städten eine Stütze gegen die Fürsten zu suchen. Trotz allen seinen Bestrebungen und Erfolgen blieb nun freilich seine Macht im Reiche eine sehr beschränkte, indeß immerhin konnte man im Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr wie bei Rudolf’s Regierungsantritt behaupten, der Kaiser vermöge nichts als Privilegien zu unterzeichnen.

Ganz wie in den Hausländern ging jedoch auch im Reiche dem Walten des Kaisers eine stets wachsende Erbitterung und Gährung in protestantischen Kreisen zur Seite. Das Streben nach politischer Unabhängigkeit, welches seit der Gründung des deutschen Reiches die örtlichen Gewalten immer aufs neue und immer stärker zum Kampfe gegen das Kaiserthum und die Reichseinheit getrieben hatte, war seit der Abdankung Karl’s V. in den katholischen Ständen durch kirchliche, bei einem Theile der übrigen Stände durch sonstige Interessen gedämpft, in den Kurpfälzern und anderen protestantischen Ständen dagegen durch die kirchlichen Verhältnisse verschärft worden. Empfing der Kaiser von der ersten Gruppe und bis auf gewisse Punkte auch von der zweiten Unterstützung, so trat ihm die dritte schroff entgegen. Den Kampfplatz für sie boten vornehmlich die Reichsversammlungen. R. würde daher am liebsten die Berufung solcher gänzlich unterlassen haben. Das Bedürfniß nach Türkensteuern zwang ihn jedoch 1582 zu Augsburg und 1594, 1598 und 1603 zu Regensburg Reichstage und in deren Gefolge einige Deputationstage zu halten. Dadurch wurde die stille Zerbröckelung des Reiches in Territorien, welche sonst ohne Zweifel eingetreten sein würde, verhindert, die protestantische Bewegungsspartei aber in ihrem Gegensatze zu Kaiser und Reich weitergeführt, indem sie mit ihren kirchlichen und politischen Forderungen, welche sie theils zu ihrer Vertheidigung theils zum Angriffe aufstellte, auf den Widerstand des Kaisers und der reichstreuen oder doch der katholischen Stände stieß. In unvermeidlicher Folgerichtigkeit vorschreitend, bestritt sie die Gerichtsbarkeit des Reichshofrathes und die Befugniß des Kaisers und der Reichstage, den Eintritt in ausländische Kriegsdienste und Bündnisse mit fremden Mächten zu verbieten, leugnete die Verbindlichkeit der Mehrheitsbeschlüsse, die auf Reichs-, Deputations- und Kreistagen gefaßt wurden, und legte die Thätigkeit des Kammergerichts lahm, kurz, sie bekämpfte die Berechtigung und hinderte die Wirksamkeit aller der Einrichtungen, in welchen sich noch die Einheit des Reiches und die Kaisergewalt darstellten. Die Zurückhaltung Rudolf’s, der sich damit begnügte, Türkenhülfen zu erlangen, und die Politik der reichstreuen Protestanten verhüteten lange Zeit den offenen Bruch. Endlich erfolgte dieser jedoch, als der Kaiser 1608 einen Reichstag zu Regensburg versammelte, welcher ihm die Mittel verschaffen sollte, um den Frieden mit den Türken und den Ungarn über den Haufen zu werfen. Erbittert und erschreckt durch diese seine Absicht und vor allem durch die Execution, welche Herzog Maximilian von Baiern unmittelbar vor der Eröffnung des Reichstages im Auftrage des Kaisers gegen die Reichsstadt Donauwörth vollzogen hatte, ermuthigt durch eine vorübergehende Schwenkung in der Haltung Kursachsens und durch die Empörung des Erzherzogs Matthias und gereizt durch eine Forderung der katholischen Stände, welche sie mit der Entziehung aller von ihnen in Besitz genommenen Kirchengüter und anderen ungeheueren Opfern zu bedrohen schien, verließen die Kurpfälzer und ihr Anhang den Reichstag unter Verwahrung gegen seine Beschlüsse und zerrissen damit offen den Reichsverband. Der innere Krieg schien unmittelbar bevorzustehen. In Erwartung desselben errichteten die Kurpfälzer und einige andere Fürsten die „Union“, Baiern, die geistlichen Kurfürsten und mehrere Bischöfe die „katholische Defension“, welche später den Namen der Liga erhielt. So lagen die Verhältnisse im höchsten Grade gefährlich, als Erzherzog Leopold in den jülicher Landen erschien und sich der Festung Jülich bemächtigte. [512] Die Ueberzeugung, daß er die Erbschaft dem Kaiser oder Spanien zuwenden solle, führte der Union neue Mitglieder zu und rief sie unter die Waffen. Sie verbündete sich mit Frankreich, England und Holland, um Leopold zu vertreiben, und plante zugleich einen großen Krieg zur Eroberung der geistlichen Fürstenthümer und zum Umsturz der Reichsverfassung. R. ließ Leopold ohne genügende Unterstützung und traf keine Vorkehrungen wider die furchtbare Gefahr, welche von der Union drohte. Erst auf Andringen einiger Fürsten, welche sich in Prag um ihn versammelt hatten, bot er dem Kurfürsten von Sachsen, den er nun mit den jülicher Landen belehnte, und dem Herzoge von Baiern den Auftrag zur Execution gegen die Unirten an. Als Letzterer ablehnte, sank er in seine Unthätigkeit zurück. Leopold mußte aus Jülich weichen, die Festung fiel in die Hände der Gegner und nur die Ermordung Heinrich’s IV. von Frankreich und die Rüstungen der Liga hielten die Unirten von weiteren Unternehmungen ab. R. brütete seit Leopold’s Entsendung nur über seinen Racheplänen. Er erneuerte anfangs seine Ränke, um die Unterthanen des Matthias an sich zu ziehen; dann setzte er seine Hoffnung auf eine Zusammenkunft der Erzherzoge und befreundeter Fürsten, welche angeblich eine Aussöhnung zwischen ihm und Matthias, in Wahrheit aber seine Wiedereinsetzung in die abgetretenen Länder bewirken sollte. Die Furcht, daß die Versammlung auf Ordnung der Nachfolge dringen werde, ließ ihn jedoch lange Zeit mit der Berufung zögern. Erst Ende April 1610 durften die Kurfürsten von Mainz, Köln und Sachsen, die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand, ein Vertreter des Erzherzogs Albrecht und der Landgraf Ludwig von Hessen erscheinen, mit welchen sich der gerade in Prag weilende Herzog Heinrich Julius von Braunschweig vereinigte. Inzwischen aber hatte der kranke Kaiser den Plan gefaßt mit einem Heerhaufen, den Leopold in seinem Bisthum Passau für den Jülicher Krieg warb, Matthias gewaltsam zu stürzen und dazu den bewaffneten Beistand des Fürstentages zu begehren. Der nachdrückliche Widerspruch des Kurfürsten von Köln schreckte ihn hiervon zurück, doch bezeichnete er den Fürsten als ihre Aufgabe, daß sie ihm die abgetretenen Länder wieder verschaffen und Matthias zum Verzicht auf die böhmische Krone bewegen sollten. Gegen ihren Willen mußten sie sich wirklich herbeilassen, ein der ersten Forderung entsprechendes Ansinnen an Matthias zu stellen; nachdem es jedoch entschieden zurückgewiesen worden, gelang es ihnen mit unsäglicher Mühe durch ihr nachdrückliches Auftreten, R. dahin zu bringen, daß er sich mit einer durch die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand zu leistenden Abbitte, mit der Vernichtung des Wiener Vertrags von 1606, mit der Anerkennung als Haupt des Hauses und als Lehensherr Oesterreichs und mit anderen geringen Zugeständnissen begnügte. Am 30. September 1610 unterzeichnete Matthias den Vertrag; am 9. October erschienen die Erzherzoge vor dem Kaiser, um die Abbitte zu leisten, welche er jedoch „dem Hause zu Ehren“ nicht vollziehen ließ. Den getroffenen Vereinbarungen zufolge sollte R. das im Stift Passau liegende Kriegsvolk binnen kurzer Frist abdanken. Sein kranker Sinn konnte jedoch den Gedanken an Rache nicht fahren lassen. Obgleich er den Herzog von Braunschweig und den Erzherzog Leopold mit der Entlassung der Passauer beauftragte, plante er doch auch wieder, den eben geschlossenen Vertrag durch einen neuen Fürstentag aufheben zu lassen oder gar das Kriegsvolk zum Angriff zu verwenden. Durch diesen Zwiespalt seines Willens und durch andere Umstände, namentlich das Fehlen der nöthigen Geldmittel wurde die Abdankung der Passauer so lange verzögert, daß sie schließlich von der äußersten Hungersnoth getrieben, am 26. December 1610 eigenmächtig unter der Führung des Obersten Lorenz Ramee nach Oberösterreich aufbrachen, um durch Steiermark nach Tirol und Vorderösterreich zu ziehen. Der Paß nach Steiermark wurde ihnen jedoch verlegt und sie wandten sich daher [513] wieder nach Norden und rückten, als sie sich wegen Mangels nicht mehr in Oberösterreich halten konnten, Ende Januar 1611 nach Böhmen ein. Die Entrüstung, welche sich hierüber auf einem eben zusammengetretenen böhmischen Landtage kundgab, bestimmte R., den Passauern den Rückzug zu befehlen. Diese aber marschirten geradewegs auf Prag. Da beschlossen die Böhmen Rüstungen und baten Matthias um Hülfe. Ihre alte Abneigung gegen R. war durch den Majestätsbrief und die anderen Zugeständnisse, die sie ja erzwungen hatten, nicht aufgehoben worden und hatte durch neue Restaurationsmaßregeln des Kaisers, durch die andauernde Unordnung seiner Regierung und durch die Unruhen, welche die Passauer Werbung von Anfang an verursacht hatte, weitere Nahrung empfangen. Jetzt stieg ihre Erbitterung zum Gipfel und zu ihr gesellte sich die Furcht vor Vergewaltigung durch die Passauer. So faßten sie denn den Gedanken, R. durch Matthias zu ersetzen. Die Ahnung dieser Absicht bestimmte R., daß er den Passauern den Erzherzog Leopold entgegensandte, um ihren Rückzug zu bewirken und ihre Abdankung zu vollziehen. Der junge Fürst, welcher nur höchst ungern der Hoffnung, mit Hülfe der Passauer die böhmische Krone zu erlangen und den Protestantismus zu unterdrücken, entsagt hatte, ließ sich jedoch, als er mit jenen zusammentraf, durch Ramee verleiten, zu dem alten Plane zurückzukehren und das Volk nach Prag zu führen. R. wiederholte seinen Befehl. Nachdem aber die Passauer am 15. Februar die Kleinseite von Prag besetzt hatten, ging er auf ihre Absichten ein. Seiner Art nach konnte er sich indeß auch jetzt nicht zu rücksichtslosem Angriffe auf die in der Alt- und Neustadt versammelten Stände entschließen und als diesen von allen Seiten bewaffnete Schaaren zuzogen, begann er mit ihnen Verhandlungen. Während derselben wuchsen ihre Streitkräfte und Matthias erklärte auf ihr Ansuchen um bewaffnete Hülfe offen, daß er solche leisten werde, sobald seine seit dem Einfall der Passauer in Oberösterreich begonnenen Rüstungen hinlänglich vorgeschritten seien. Da entschloß sich R. aufs neue zur Abdankung der Passauer. Gleich darauf entfloh der elende Ramee mit der Reiterei und auf die Nachricht vom Nahen österreichischer Truppen verließ auch Leopold in der Nacht auf den 11. März mit dem Fußvolke die Stadt. R. vermochte sich nicht zum Mitziehen aufzuraffen und so gerieth er in die Gewalt der böhmischen Stände und des österreichischen Vortrabs, welche am 11. März den Hradschin besetzten. R. versuchte nun, seinen Bruder durch Verhandlungen zur Umkehr zu bewegen. Als dieser sich nicht beirren ließ, schien er sich in sein Geschick zu fügen. Nachdem jedoch Matthias am 24. März in Prag eingetroffen war, richtete R. Hülfsgesuche an die Kurfürsten und suchte auf jede Weise der Abdankung zu entgehen. Sogar nachdem er hatte bewilligen müssen, daß Matthias am 27. Mai zum böhmischen Könige gekrönt wurde, sträubte er sich unter mannichfachen Vorwänden gegen die Ueberlassung der Regierung an seinen Bruder. Erst am 11. August unterzeichnete er die Urkunde, welche ihm nur die Krone des Reiches und den Mitbesitz von Tirol und Vorderösterreich ließ, und was er dabei empfand, bekundete er, indem er die Feder mit der ganzen Faust führte und seinen Namen mehr sudelte als schrieb, dann aber seinen Hut auf den Boden warf und die Feder mit den Zähnen zerriß. Seine Krankheit wurde durch die Aufregungen und Demüthigungen denen er ausgesetzt war, nur gesteigert und verwirrte nun erst recht sein Wollen. Mit dem protestantischen Obersten Gunderot, einem englischen Abenteurer, zwei Kammerdienern, einigen anderen Bediensteten und ein Paar Reichshofräthen heckte er die seltsamsten Anschläge aus. Zur Uebersiedelung ins Reich, welche sein Ansehen erfordert hätte, konnte er sich nicht entschließen, obgleich er oft genug davon sprach und stets einen Wagen dafür bereit halten ließ. Vielmehr [514] plante er allerlei Heirathen und ein Bündniß mit der Union, demzufolge ihm diese die abgetretenen Länder wieder erobern sollte. Dann wandte er sich an einen Kurfürstentag. welcher aus Anlaß der böhmischen Vorgänge zu Nürnberg im Herbst 1611 zusammentrat. Er suchte dort zu verhindern, daß Matthias zum römischen Könige erwählt werde, und überhaupt die Ordnung der Nachfolge zu hintertreiben, überdies aber eine Verwahrung der Kurfürsten gegen seine Absetzung zu veranlassen. Dem König Matthias zeigten sich nun freilich die Kurfürsten nicht geneigt, aber sie drangen doch auf die Ordnung der Nachfolge und bereiteten dem Kaiser eine neue tiefe Demüthigung. Schon der Prager Fürstentag hatte ihm die Mängel seiner Regierung nachdrücklich vorgehalten und eine Beaufsichtigung des Reichshofraths durch den Reichserzkanzler, den Kurfürsten von Mainz, beantragt. Die Nürnberger Versammlung ordnete nun eine Gesandtschaft nach Prag ab, welche jene Vorstellungen in verschärfter Weise wiederholte. Nichtsdestoweniger gab R. seine wirren Pläne nicht auf. Er setzte die Verhandlungen mit den Unirten fort und suchte auch Kursachsen für seine gewaltsame Wiedereinsetzung zu gewinnen. Die Unausführbarkeit dieser Pläne erkannte er indeß wol selbst und die Krankheit, welche sie ihm eingab, hinderte ihn auch wieder an Thaten, welche wie ihm so seinem Hause und dem Reiche höchst verderblich werden mußten.

Zudem hatte sich inzwischen Wassersucht bei ihm entwickelt. Am Schenkel öffnete sich eine Wunde, der Brand trat hinzu und am 20. Januar 1612 erlöste ein sanfter Tod R. aus den Banden seines Geistesleidens. Das ganze Haus Habsburg, die österreichischen Länder und die Katholiken im Reich begrüßten sein Ableben als ein rettendes Glück. Schon damals wurden jedoch auch Stimmen laut, welche den Kaiser dankbar priesen, daß er durch seine Mäßigung und Vorsicht den Frieden im Reiche so lange erhalten habe, und noch weit voller und häufiger ertönte dies Lob, nachdem man die entsetzlichen Leiden des dreißigjährigen Krieges erduldet hatte. In der That ist es wol unzweifelhaft, daß ein entschiedeneres Auftreten Rudolf’s den Ausbruch jenes schrecklichen Kampfes beschleunigt haben würde. Die Verzögerung desselben war indeß freilich ebensowenig sein Verdienst, wie ihm die Gebrechen seiner Regierung, das Unheil, welches er verursachte, und sogar seine persönlichen Fehler und Laster zur Schuld gerechnet werden dürfen. Ein mitleidswürdiges Verhängniß gestaltete sein Leben und den bösen Wirkungen seiner Krankheit gaben der Mangel an Verständniß für ihre eigenartigen Erscheinungsformen und das überstarke Legitimitätsgefühl der Zeitgenossen freien Raum zur Entfaltung. Von den unehelichen Kindern Rudolf’s, deren eines noch am Tage vor seinem Tode geboren worden sein soll, sind vier bekannt, welche 1607 von ihm legitimirt und in den Markgrafenstand erhoben wurden. Der älteste Sohn, Julius, welchen der Vater zärtlichst liebte, wurde 1606 wahnsinnig und nachdem er in Tobsucht schreckliche Unthaten verübt hatte, ließ ihn der Kaiser in Haft bringen, in welcher er am 25. Juni 1609 starb. Der zweite Sohn, Don Matthias de Austria, war zum geistlichen Stande bestimmt; 1608 wurde über seine Erhebung zum Cardinal verhandelt; 1616 erscheint er als Oberst in kaiserlichen Diensten; Weiteres wissen wir nicht. Seine mit ihm von derselben Mutter, Euphemie von Rosenthal, stammende Schwester Karolina heirathete am 10. Februar 1608 den Grafen Franz Thomas von Cantecroy. Ueber das vierte Kind, Don Carlos, ist nichts bekannt.

Mich. Eyzinger, Thesaurus Principum 1591. – Im. Weber, Dissertatio de Rudolpho II, 1707 (mit Verweisen auf einen großen Theil der älteren Litteratur.) – F. Ch. Khevenhiller. Annales Ferdinandei, 1716 fg. Bd. I bis VIII. – A. Gindely, Rudolf II. und seine Zeit, 2 Bde. 2. Aufl. 1863 bis 65. – J. Svátek, Culturhistorische Bilder aus Böhmen. 1879. – Jahrbücher [515] der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. 1883 fg. – J. M. Schottky, 2 Bde. Prag 1831–32. – B. Dudik, Forschungen in Schweden für Mährens Geschichte. – Dan. Eremitae Iter Germanicum in dessen: Opuscula varia ed. J. G. Graevius 1701. – Albéri, Relazioni Venete I, VI. – Rudolfi II. epistolae ineditae … ed. B. c. de Pace 1771. – L. Ranke, Zur deutschen Geschichte. 2. A. 1874 (Werke VII). – P. v. Chlumecky, Karl v. Zierotin. 2 Bde. 1862–79. – J. F. v. Hammer-Purgstall, Khlesl’s Leben, Bd. I–II, 1847 fg. – Fr. Hurter, Geschichte K. Ferdinand’s II., Bd. I–VI. – M. Ritter, Geschichte der deutschen Union. 2 Bde. 1867–73. – Derselbe, Politik und Geschichte der Union zur Zeit des Ausgangs Rudolf’s II. u. s. w. in den Abhandl. der k. bair. Ak. d. W. 1880. – Derselbe, Quellenbeiträge zur Geschichte des Kaisers Rudolf II. in den Sitzungsberichten ders. Ak. 1872. – Fr. v. Bezold, Briefe des Pfalzgrafen Johann Kasimir. 2 Bde. 1882–86. – Derselbe, Kaiser Rudolf II. und die heilige Liga, in den Abhdl. d. k. bair. Akad. 1886. – H. v. Zwiedineck, Die Obedienzgesandtschaften der deutschen Kaiser, Archiv f. österreich. Geschichte. Bd. 68. – A. Stauffer, Hermann Christof Rusworm. 1884. – Briefe und Acten z. Geschichte des dreißigjährigen Krieges 1870 fg. 5 Bde. – Stieve, Der Ursprung des dreißigjährigen Krieges, Bd. I, 1875. – Derselbe, Die Verhandlungen über die Nachfolge Kaiser Rudolf’s II., in Abhandl. d. k. bair. Akad. d. W. 1879. – Derselbe, Briefe des Reichshofraths Dr. Georg Eder, in Mittheilungen d. Instituts f. öst. Gesch. VI. – Dazu die Litteratur über die Geschichte der österreichischen Länder und andere die Zeit Rudolf’s betreffende Werke und Abhandlungen. Auch noch ungedruckte Acten sind benutzt worden. – Bildnisse des Kaisers bei Custos, Atrium heroicum I, 1601, Kilian, Des Hauses Oesterreich Contrafacturen, 1629, S. Birken u. s. w.