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Artikel „Regnart, Jakob“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 568–570, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Regnart,_Jacob&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 12:10 Uhr UTC)
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Regnart: Jakob R., ein niederländischer Componist des 16. Jahrhunderts, dessen Leben erst in der jüngsten Zeit durch archivalische und bibliographische Untersuchungen in seinem wahren Verlaufe aufgedeckt ist (Monatshefte für Musikgesch. 1880, S. 88 ff.), so daß alle früheren Darstellungen als hinfällig erscheinen. Sein Geburtsland ist Flandern, doch der Ort noch unbekannt. Wenn bisher Douai angenommen wurde, so ist dies eben nur eine Vermuthung, die ihren Grund darin hat, daß seine Brüder August und Franciscus dort lebten. Jakob kam schon als Knabe nach Wien an die kaiserliche Hofcapelle und wurde Alumnus. Die deutschen Hofcapellen dieser Zeit bezogen fast alle Knabensänger aus den Niederlanden. Sie erhielten in den Alumnaten eine wissenschaftliche und musikalische Erziehung, wurden später, wenn ihre Stimme mutirte, auf eine Hochschule auf Kosten des betreffenden Fürsten gesandt und fanden dann gewöhnlich eine feste Stellung am Hofe ihres Herrn. So auch R., der unter dem Kaiser Ferdinand I. Sängerknabe war und unter seinem Nachfolger Maximilian II., am 1. December 1564 als Tenorist in die kaiserliche Capelle in Wien mit einem Monatsgehalte von 12 Gulden eintrat. 1566 begleitete die Elite der Sänger den Kaiser auf den Reichstag nach Augsburg und es befindet sich R. auch darunter. Am 1. August 1573 wurde er zum Lehrer der Chorknaben mit 15 Gulden monatlichem Gehalt ernannt, am 24. October 1579 zum Untercapellmeister und 1580 finden wir ihn in der königl. Capelle in Prag. In Dresden war am 18. Januar 1580 Antonio Scandello, der [569] Hofcapellmeister gestorben und wandte man sich unter Anderen auch an R., um ihn nach Dresden zu ziehen; er lehnte aber ab, dagegen zieht ihn der Erzherzog Ferdinand, der in Innbruck residirte, am 9. April 1582 als Vicecapellmeister an seinen Hof, als Alexander Utendal gestorben war und ernennt ihn später zu seinem Capellmeister. Das Jahr dieser Ernennung ist noch nicht festgestellt und nur aus seinen Druckwerken erfahren wir, daß er sich seit 1588 obigen Titel beilegt. Erzherzog Ferdinand starb im J. 1595 und R. scheint nach den Registern der Hofcapelle einige Zeit ohne Anstellung gewesen zu sein, denn erst mit dem 1. Januar 1598 wird er wieder als Vicecapellmeister der kaiserlichen Capelle genannt. R. muß im Anfange des Jahres 1600 gestorben sein, denn am 31. December 1599 unterzeichnet er seine letzte Messensammlung und bittet den Kaiser in der Dedication, für seine Frau und Kinder sorgen zu wollen, da er jeden Augenblick seinen Tod erwarte. Da nun diese Messensammlung erst 1602 von der Wittwe, die nach München übergesiedelt war, herausgegeben wird, so ist anzunehmen, daß der bald darauf eingetretene Tod Regnart’s die Herausgabe so lange verzögert hat. Seine Frau war die Tochter des bairischen Bassisten Hans Vischer (Fischer) in München, mit Namen Anna, und muß er etwa um 1581 dieselbe geheirathet haben, da er in obiger Dedication von sechs unmündigen Kindern spricht, die er hinterläßt. Frühere Biographen haben sich durch den Aufenthalt der Wittwe in München verleiten lassen, R. für einen bairischen Capellmeister zu halten und verwechselten dabei den Kurfürsten Maximilian von Baiern mit dem Kaiser Maximilian. Doch der Irrthümer sind so vielfältige begangen worden, daß es uns zu weit führen würde, sie alle anzuführen und sei deshalb auf die oben angezeigte Biographie in den Monatsheften verwiesen. – R. stand als Componist unter seinen Zeitgenossen sehr geachtet da. Dies beweisen nicht nur die vielfachen Ausgaben seiner Werke, sondern auch die zahlreiche Aufnahme einzelner Gesänge in die Sammelwerke damaliger Zeit, in denen von den Verlegern stets die beliebtesten Compositionen aufgenommen wurden. Obgleich sich Regnart’s Messen, Motetten und andere kirchliche Gesänge in der Art des Stils und der Contrapunktik in keiner Weise von denen seiner Zeitgenossen unterscheiden, so liegt doch in der Stimmenführung und der dadurch erzeugten harmonischen Klangfarbe ein Reiz, der ihnen die bevorzugte Stellung sichert. Am meisten fanden aber seine Compositionen der deutschen Lieder Anklang und unter diesen wieder die dreistimmigen Lieder nach Art „der Neapolitanen oder welschen Villanellen“. Dem ersten Theile dieser Tricinien, der 1576 in Nürnberg erschien, läßt er folgendes launige Gedicht an die „Music verstendigen Leser“ vorangehen: „… Laß dich darumb nit wenden ab, | Das ich hierin nit brauchet hab, | Vil zierligkeiten der Musik, | Wiß, das es sich durchauß nit schick, | Mit Villanellen hoch zu prangen, | Und dardurch wöllen Preiß erlangen, | Wird sein vergebens und umb sunst, | An andre ort gehört die kunst.“ Und im dritten Theile, der in erster Ausgabe 1579 erschien, sagt er am Schlusse des einleitenden Gedichtes: „Nimm nichts davon, thu nichts dazu, | Sing sie allein, wie dann wöllen | Gesungen werden Villanellen, | Bleibsttu nicht bei der art, | so werdens dir gefallen hart.“ Es sind aber auch launige Gebilde, die uns hier R. vorführt. Sie sind ein Gemisch von deutscher Gemüthlichkeit und Ursprünglichkeit mit niederländischem Phlegma und niederländischer Motivbildung, denn eine Melodiebildung war dem Niederländer noch versagt, das war eine Gottesgabe, die bis dahin nur dem Deutschen eigen war. Franz Commer besaß sämmtliche 67 Tricinien in Partitur, wovon er leider nur drei in den 18. Band seiner Collectio (Berlin 1870, T. Trautwein) aufgenommen hat. Doch nicht genug, daß R. den deutschen Componisten nachahmen wollte, er streute auch die Eigenthümlichkeiten des mehrstimmigen [570] improvisirten Liedergesanges des Volkes ein, welches noch mit Vorliebe in Quintenfolgen sang. So erhalten wir ein merkwürdiges Gemisch von Kunst- und Volksgesang, der aber den damaligen kunstgeübten Sängern sehr viel Vergnügen gemacht haben muß, denn die 67 Lieder liegen uns noch bis zum Jahre 1611 in 10 Auflagen vor (siehe die Bibliographie in den Monatsh. f. Musikgesch. XII, 99 ff.). Leonhard Lechner, ein Zeitgenosse Regnart’s, bearbeitete 21 Lieder aus dem 1. und 2. Heft zu fünf Stimmen, die in Nürnberg 1579 und 1586 erschienen, doch streift er ihnen dadurch das originelle Gewand ab und macht Kunstlieder daraus, die mit den Regnart’schen nur noch einzelne Motive gemein haben. Lechner ist für diesen Mißgriff nur zu entschuldigen, wenn er diese Arbeit aus Geldnoth auf die Speculation des Nürnberger Verlegers gemacht hätte, denn sonst müßte man ihm jegliche Erkenntniß der Eigenart der Regnart’schen Lieder absprechen. – R. schrieb außerdem noch zwei Hefte vier- und fünfstimmige deutsche Lieder; sie zeichnen sich aber in keiner Weise von den übrigen Machwerken niederländischer Componisten aus, die sich am deutschen Liede vergriffen. Es sind meist recht trockene Compositionen, wie die von Hollander und manche von Lassus. Dem Niederländer war es nicht gegeben, sich in die deutsche Denkweise einzuleben. Er nahm wol seine Texte, aber seine tiefe Empfindungsweise und schwärmerische Vertiefung in den Text konnte er ihm nicht nachempfinden. Selbst die Art der Stimmenbehandlung war bei ihm eine andere, und während der Deutsche den getragenen melismenreichen Gesang liebte, gab der Niederländer kurze und schnelle Noten und zerhackte den Text auf jämmerliche Weise. Trotz dem Gefallen, den die Regnart’schen Tricinien in Deutschland hervorriefen, fanden sie doch keine Nachfolge und Nachahmung und die Art starb mit ihm dahin. Wir bedauern dies nicht, denn es war immerhin mehr Caricatur, als Naturwahrheit. Fast möchte es scheinen, als wenn er sich über den deutschen Volksgesang lustig machte und ihn persiflirte.