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Artikel „Marbod, König der Markomannen“ von Georg Heinrich Kaufmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 291–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Marbod&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 00:59 Uhr UTC)
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Marbod: M. (Maroboduus), König der Markomannen in Böhmen, gelangte zur Herrschaft um 10 vor Chr., wurde gestürzt 19 nach Chr., starb in Ravenna 41 nach Chr. Neben Armin ist M. die hervorragendste Gestalt unter den Germanen jener entscheidenden Tage. Er stammte aus einem adligen Geschlecht (Vellejus II, 108: genere nobilis, Strabo VII p. 290 widerspricht nur scheinbar), trat als Jüngling in das römische Heer ein, kam selbst nach Rom, erregte die Aufmerksamkeit des Augustus und ward von ihm durch Gnadenerweisungen ausgezeichnet. Er erkannte, daß Roms Ueberlegenheit in der Ordnung beruhte, welche die Kräfte der Masse zusammenfaßt und er machte den Versuch, auch in seinem Volke eine festere Ordnung aufzurichten. Wann und aus welcher Veranlassung er den römischen Dienst verließ, ist nicht bekannt, aber er war wol bereits in der Heimath, als Drusus in den Jahren 12–9 v. Chr. den Schrecken der römischen Waffen bis an die Elbe trug und das unterworfene Gebiet durch ein Netz von Straßen und Kastellen sicherte. Da das südliche Baiern, die Schweiz, Tirol und die anstoßenden Lande südlich der Donau bereits (15. v. Chr.) unterworfen und als Provinzen eingerichtet waren und Carnuntum (unterhalb Wien, da wo jetzt Petronell liegt) einen Waffenplatz an der Donau bildete wie Mainz am [292] Rhein, so bedrohten die römischen Heere Germanien von zwei Seiten und namentlich waren auch schon die Sitze der Markomannen gefährdet. Ihr Gebiet ist nicht mit Sicherheit zu umgrenzen, wahrscheinlich lag es am oberen Main, südlich vom Thüringer-, westlich vom Böhmerwald, grenzte also an der Donau an die römische Provinz Raetien. M. bewog sein Volk dies Gebiet zu verlassen und in dem rings von Gebirgen umschlossenen Böhmen Zuflucht zu suchen, das wahrscheinlich bereits früher von den Markomannen erobert war. Er wurde der Führer der Unternehmung und sei es zugleich, sei es in der Folge der König des Volkes. Ungestört durch die Römer begründete und erweiterte M. hier seine Macht. Wer sich von den Markomannen seiner Gewalt nicht fügen wollte, mußte aus dem Lande weichen, und auch die angrenzenden Stämme brachte er in Abhängigkeit, sogar die Langobarden und Semnonen. Sein Schatz war gefüllt, und römische Händler kamen zahlreich in sein Land, lieferten ihm manch nützliches Geräth und ließen sich auch dauernd in seiner Hauptstadt oder richtiger im Schutze seiner Burg nieder. Mit dem Staate Rom suchte M. ebenfalls gute Beziehungen zu unterhalten. Er fühlte sich stark, aber er war vorsichtig. Seine Gesandten führten beim Kaiser bisweilen eine demüthige, bisweilen aber eine so stolze Sprache, als wenn ihr Herr dem Kaiser nicht nachstünde. Völkerschaften und Einzelne, die von Rom bedrängt wurden, fanden bei ihm Schutz. So lange diese Macht bestand, war die römische Herrschaft in den neugewonnenen Gebieten bedroht und damit die Vormauer von Italien und Gallien. Im J. 6 n. Chr. entschloß sich deshalb Tiberius, M. anzugreifen. Dieser Krieg gab dem unter Tiberius dienenden Vellejus Paterculus Anlaß über ihn zu berichten. Dazu kommen noch Angaben bei Strabo und Tacitus. Dio Cassius nennt M. nicht. Tiberius bot außer der Rheinarmee auch die Donaulegionen gegen M. auf. Sein Legat Sentius Saturninus zog vom Rhein her durch das Gebiet der Chatten, er selbst von Carnuntum. Zusammen führten sie 12 Legionen, mit den Hülfstruppen weit über 100,000 Mann, an den Grenzen des Feindes sollten sie sich vereinigen. Noch je fünf Tagemärsche waren sie auseinander – da ward Tiberius zurückgerufen, um den dalmatinischen Aufstand niederzuwerfen, der Italien bedrohte. M. war bereit „auf gleiche Bedingungen“ Frieden zu schließen und obwol die Römer drei Jahre lang durch den dalmatinischen Aufstand bedrängt waren, so hielt er den Frieden doch. Er mußte wol überzeugt sein, daß Rom in Kürze doch wieder übermächtig dastehen werde, oder gestattete ihm die Natur seiner Herrschaft nicht, einen so langwierigen Angriffskrieg zu beginnen? Auch an dem Kampfe Armins gegen Varus 9 n. Chr. und später gegen Germanicus 14–16 betheiligte er sich nicht, leistete aber auch den Römern keine Hülfe. Nur schickte er den Kopf des Varus, den ihm Armin hatte überbringen lassen, nach Rom. Im J. 17 entspann sich dann ein Krieg zwischen Armin und M. Inguiomer, nächst Armin wol der bedeutendste unter den Häuptlingen der Cherusker, stand auf Marbod’s Seite. Dagegen hatten sich einige Stämme von M. losgesagt und dann Armin angeschlossen. Vielleicht gab dieser Gegensatz zwischen Armin und Inguiomer oder der Abfall jener Stämme den Anlaß zu dem Kriege, aber eine bestimmte Nachricht ist darüber nicht erhalten. Es kam zu einer Schlacht, welche unentschieden blieb, jedoch fühlte sich M. so geschwächt, daß er den Rückzug antrat und in Rom um Hülfe bat. Tiberius mischte sich nicht ein, aber auch Armin griff M. nicht weiter an. Dagegen regten sich jetzt die von ihm bisher niedergehaltenen Häuptlinge. Catwalda, der vor M. zu den Gothen geflohen war, wagte es im J. 19 mit einer tüchtigen Schar nach Böhmen zurückzukehren, gewann die Häuptlinge und nahm die Königsburg ein, in welcher M. seinen Schatz verwahrte. M. floh über die Donau zu den Römern, und Tiberius wies ihm Ravenna als Wohnsitz an, wo er noch 22 Jahre [293] lebte. Sein Gefolge, das ihm nach germanischer Sitte in das Elend folgte, wurde von ihm getrennt und an der March angesiedelt, bald vermehrt durch das Gefolge des nach kurzer Herrschaft ebenfalls auf römisches Gebiet getriebenen Catwalda. Von Marobod’s Königthum wird gerühmt, daß es straffer ausgebildet gewesen sei als sonst bei den Germanen. Im Besonderen habe er ein Heer von 70,000 Mann zu Fuß und 4000 Reitern gehabt und es in einer der römischen ähnlichen Ordnung ausgebildet. Aber bei Gelegenheit des Kampfes zwischen M. und Armin schildert Tacitus, Ann. II, 45 beide Heere mit denselben Worten und daraus, sowie aus der Thatsache, daß seine angebliche Leibwache ein Gefolge war, ergibt sich, daß Marobod’s Heer die Grundlagen der germanischen Heerverfassung nicht verlassen hatte. Dasselbe Urtheil gilt von seinen staatlichen Einrichtungen. Die größere Gewalt, die er besaß, lag vorzugsweise in der Kraft und Rücksichtslosigkeit, mit der er seinen Willen geltend machte. Dazu boten die wenig entwickelten Ordnungen des germanischen Staates reiche Gelegenheit – aber er wandelte die abhängigen Völkerschaften nicht in Provinzen um und es ist nichts davon bekannt, daß er die Landsgemeinde beseitigt, die Gerichtsverfassung geändert oder römische Beamtenverfassung einzuführen versucht hätte. Es erweckt deshalb nur falsche Vorstellungen, wenn man sein Königthum einen „Militärstaat“ nennt oder einen „vollendeten Einheitsstaat“, wie dies zuletzt wieder von H. Schiller, Geschichte der römischen Kaiserzeit, Gotha 1883 I. 223 und 268 f. geschehen ist. Die weltgeschichtliche Bedeutung des Mannes liegt in dem Antheil, den er an dem Widerstande der Germanen gegen Rom hat. Und dieser Antheil ist größer als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Eine Zeit lang bildete er die einzige Macht, die noch widerstandsfähig war, und wenn er sich an dem Kampfe Armin’s gegen Germanicus nicht betheiligte, so hatte er doch einen indirecten Einfluß darauf. Sein bloßes Dasein mußte wirken, hier ermuthigen, dort zur Vorsicht mahnen. Jedenfalls hinderte oder erschwerte er die Wiederholung des combinirten Angriffs der Rhein- und Donauarmee.

Darstellungen: Außer dem oben genannten Buche von H. Schiller noch folgende: Dudik, Mährens allgemeine Geschichte, I. 1860 S. 16 f. Felix Dahn, Könige der Germanen, 1861, I. 104 ff. Des Referenten Deutsche Geschichte bis auf Karl d. Gr., 1880 I. 37 ff. u. 59. A. F. Abraham, Zur Geschichte der germanischen und pannonischen Kriege, Berlin 1875, (Programm) behandelt einige Punkte.