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Artikel „Segest“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 605–607, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Segest&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 22:01 Uhr UTC)
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Segest (Sigi-gast), cheruskischer Gaukönig (oder Edler), Vater der Thusnelda, welche, einem Andern verlobt, Armin (s. A. D. B. I, 534) nach dem Jahre 9. n. Chr. entführte. Die Cherusker hatten keinen König oder Richter (Grafen) der ganzen Völkerschaft, nur Vorsteher der einzelnen Gaue, welche man Könige nannte, wenn sie, obzwar durch Volkswahl, aus einem bestimmten Geschlecht, Richter (Grafen), wenn ohne Rücksicht auf ein solches Geschlecht bestellt wurden. Bei den Cheruskern walteten Könige: denn das Geschlecht Armins, der seinem Vater Segimer folgte, heißt ein „königliches“. Während nun Armin [606] der Führer der gegen Rom kämpfenden Gaue der Cherusker und der ihnen verbündeten Völkerschaften ward, während Inguiomer, der Vaterbruder Armin’s, in all den sieben Jahren gewaltigster Erhebung gegen Rom an der Spitze seines Gaues neutral zu bleiben vermochte, stand S. von Anfang bis zu Ende – eine kurze nothgedrungene Unterbrechung abgerechnet – auf der Seite Roms. Er verrieth Varus vor dem verhängnißvollen Aufbruch aus dem Sommerlager den ganzen Plan der Verschwörer und Empörer und forderte die Römer auf, ihn selbst, Armin und die andern Führer, ohne welche die Gemeinfreien nichts wagen würden, sofort zu verhaften. Varus verschmähte den Rath und zog in sein Verderben. Nun ward auch S. trotz allen Widerstrebens von der allgemeinen Begeisterung gezwungen gegen Rom zu fechten. Aber so bald er konnte, trat er auf die Seite Roms zurück und ward nun (a. 15) von Armin in seinem befestigten Hofe belagert. Es gelang ihm, Boten, darunter seinen Sohn Segimund, an Germanicus, der am Rheine stand, zu senden mit der Bitte um Hülfe. Der Römerfeldherr fand die Hoffnung, die Zwietracht zu schüren unter den Feinden, schwer wiegend genug, um, soeben von einem Zuge wider die Chatten am Taunus zurückgekehrt, nochmal umzuwenden und in das Cheruskerland zu eilen zum Entsatz: die Belagerer wurden durch Gefecht zum Abzug gezwungen, S. mit einer großen Schar von Gesippen und Schutzhörigen befreit; darunter waren auch edle Frauen und die schwangere Thusnelda, welche der Vater wieder in seine Gewalt gebracht hatte. S., eine Hünengestalt, berief sich auf die von jeher d. h. seitdem ihm Augustus das Bürgerrecht verliehen, Rom – und zwar aus Ueberzeugung von dem Nutzen solchen Verhaltens auch für sein Volk – bewährte Treue. Er habe wiederholt Varus gewarnt: nach dessen Untergang sei er im Bürgerkrieg von Armin, dem Entführer seiner Tochter, gefangen worden und habe, befreit, Armin gefangen. (Man staunt billig, daß bei dem damaligen Kriegsrecht beide Gefangene am Leben blieben!) Sobald nur irgend möglich, habe er sich wieder auf die Seite Roms gestellt, nicht um Gewinns willen, sondern um sich von dem Treubruch los zu machen, und für die Germanen als Vermittler auftreten zu können. Er erbat dann Verzeihung für seinen Sohn Segimund, der, Priester am Altar der Ubier zu Köln, auf die Nachricht von der Erhebung seines Volkes die Priesterbinde zerrissen und den „Rebellen“ sich angeschlossen hatte. Daß Thusnelda nur gezwungen zugegen sei, gab er zu. Germanicus sicherte allen Schonung zu und S. Wohnsitze in „der alten Provinz“ d. h. auf dem linken Rheinufer: auf dem rechten mochte sich der Römerfreund doch nicht sicher genug fühlen. Später wurden auch Segest’s Bruder Segimer und dessen Sohn (Sesithacus = Sesithank) in Ergebung aufgenommen und nach Köln gebracht; beide hatten gegen Rom gefochten, beiden ward verziehen, sogar dem Sohne, welcher doch mit der Leiche des Varus seinen Spott getrieben haben sollte. Noch einmal wird S. erwähnt: „Hoch in Ehren gehalten sah er in Rom dem Triumphzuge des Germanicus zu, in welchem seine Nächsten, sein Sohn Segimunt, seine Tochter Thusnelda, deren zweijähriger Knabe Thumelicus und sein Neffe Sesithank, als Gefangene aufgeführt wurden.“ Die Verwandtschaftsverhältnisse werden dadurch etwas undurchsichtig, daß der (sehr häufige) Name Segimer sowohl dem Vater Armin’s und zugleich Bruder Segest’s zukam: diese einfache Annahme erklärt alle Schwierigkeiten, welche begegnen, wenn man nur Einen Segimer annimmt, der dann der Vater Armin’s und zugleich Bruder Segest’s gewesen sein soll: aber nirgends sagt Tacitus, so unvermeidlich das gewesen wäre, daß Armin der Neffe Segest’s, also der Vetter Thuneldens war. Beifolgender Stammbaum enthält das Richtige:

[607]

 
 
 
 
 
 
 
 
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Aktumer, Chatte.
 
 
 
Segimer.
 
Inguiomer
 
Segest
 
 
 
Segimer
 
Ukromer, Chatte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Tochter
 
Flavus
 
Armin
 
Thusnelda
 
Segimund
 
Sesithank
 
Rhamis
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Italicus
 
 
 
 
 
Thumelicus.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Quellen: Tacitus Annal. I, 55, 57, 58, 59, 71. ed. Jakob Grimm. Göttingen 1835. – Strabo VII, 1. ed. Müllenhoff, Germania antiqua, Berol. 1873, S. 69 (daselbst auch über die richtige Schreibung der Namen).
Litteratur: Fröhlich, Der Triumphzug des Germanicus (Aarau 1879). – Linsmayer, Der Triumphzug des Germanicus (München 1880), dazu aber Dahn, Bausteine II (Berlin 1880). – Böttger, Hermann der Cheruskerfürst (Hannover 1875). – Dahn, Die Könige der Germanen I, S. 123 (München 1861). Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker II, S. 63. Berlin 1881. Deutsche Geschichte Ia, S. 366 (Gotha 1883).