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Artikel „Thusnelda“ von J. A. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 233–234, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thusnelda&oldid=- (Version vom 25. April 2024, 13:14 Uhr UTC)
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Thusnelda – ihren und ihres Sohnes Namen hat nur der Geograph Strabo (7, 1, 4) aufbewahrt – ist die einzige Frau der germanischen Urzeit, über deren Schicksal uns Näheres überliefert ist. Unwillkürlich möchte man all die Vorzüge, die Tacitus in seiner Germania den deutschen Frauen beilegt, in der Persönlichkeit vereinigt denken, die jener als die edelste aus allen mit markigen Strichen heraushebt. Segestes, ein Häuptling der Cherusker, ihr Vater hatte sie mit einem Manne verlobt, der ihr gleichgültig war. Ihre Liebe gehörte dem Arminius, der zuerst in römischem Waffendienste die militärische Tüchtigkeit erprobt hatte, die ihn zum Befreier seines Vaterlandes machen sollte. Dem Arminius blieb keine andere Wahl als die Tochter seines Gegners zu entführen. [234] Zwar gelang es diesem, die Geraubte wieder in seine Hand zu bringen, aber anstatt sie mit eigener Kraft gegen Arminius zu behaupten, rief er den Landesfeind zu Hülfe, der denn auch den Segestes und seinen Anhang von der Umlagerung des Arminius befreite. Th. fiel in die Hände des Caesar Germanicus, der die edle Beute nicht wieder fahren ließ. Als sie ihm vorgeführt wurde, – wir wiederholen den Bericht des Tacitus – schritt sie mehr von des Gatten als des Vaters Geiste beseelt einher, ohne eine Thräne zu vergießen und ohne ein flehendes Wort zu sprechen. Sie hatte die Hände unter der Brust zusammengefalten und starrte stumm auf ihren schwangern Leib (Ann. 1, 57). So ertrug sie heldenmüthig die unermeßliche Schmach. Unterdessen setzte Arminius seine ganze Kraft und Leidenschaft ein, um das Unheil, das sein Volk getroffen hatte und noch weiter bedrohte, abzuwenden. Die Gefangenschaft seiner Gattin, „ihr der Dienstbarkeit preisgegebener Leib trieb ihn fast zum Wahnsinn“. Aber Th. war nicht mehr zu retten. Sie wurde als Gefangene nach Rom gebracht und gebar dort einen Sohn, der nach Strabo Thumelicus hieß. Drei Jahre später am 27. Mai des Jahres 17, ward sie gefesselt mit ihrem Sohne, ihrem Bruder Segimund, der im J. 9 v. Chr. Priester an der Ara Augusti in der Hauptstadt der Ubier gewesen war, und vielen germanischen Edeln im Triumphe aufgeführt. Unter den Zuschauern befand sich, wenn wir Strabo glauben, ihr eigener Vater. Wann Th. gestorben ist, wissen wir nicht. Auch über das Loos des Thumelicus lassen sich nur Vermuthungen aufstellen. Dasjenige Buch der Annalen, in dem Tacitus erzählt hat, wie „des Schicksals Laune mit dem Knaben ihr Spiel getrieben“, ist mit andern Büchern verloren gegangen. Wahrscheinlich hatte man ihn aufgespart, in der Arena als Fechter dem römischen Volke zur Augenweide zu dienen. Im J. 47, als die Cherusker einen König von den Römern erbaten, war von dem Geschlechte des Arminius nur Italicus, der Sohn des Flavus, am Leben (Tac. ann. 11, 16). Es ist eine wohlbegründete Annahme der Archäologen, daß uns ein Bild der schwergeprüften Frau aus dem Alterthum überkommen ist. In der „Loggia di Lanzi“ zu Florenz befindet sich eine mehr als lebensgroße Marmorstatue, die durch den die ganze Gestalt erfüllenden Ausdruck der Schwermuth auffällt. (Göttling, Thusnelda und Thumelicus in gleichzeitigen Bildnissen nachgewiesen 1850.) Das Gesicht ist von germanischem Schnitte, der Kopf ist wie unter der Wucht eines herben Geschickes gebeugt. Die linke Brust so wie beide Arme der schwermuthsvollen Gestalt sind entblößt. Wie dieser Umstand, so entspricht die ganze Gewandung der Schilderung, die Tacitus von der Tracht der germanischen Frauen entwirft.

J. A.