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Artikel „Schelling, Caroline“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 3–6, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schelling,_Caroline_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 02:51 Uhr UTC)
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Schelling: Dorothea Caroline Albertine S., Tochter des berühmten Orientalisten Johann David Michaelis, wurde am 2. September 1763 zu Göttingen geboren. Ungewöhnlich begabt, geistreich, von lebhafter Phantasie und warmer Empfindung, eignete sie sich eine vielseitige, nichts weniger als oberflächliche Bildung an und gewöhnte sich schon im Hause ihres Vaters an den Verkehr mit wissenschaftlich hervorragenden Männern der verschiedensten Art. Am 15. Juli 1784 verheirathete sie sich mit einem Jugendfreunde, dem Bergmedicus Dr. Johann Franz Wilhelm Böhmer zu Clausthal im Harz, dem Sohne des Göttinger Professors und geheimen Justizrathes G. L. Böhmer. Nach kurzer, glücklicher Ehe starb ihr Gatte schon am 4. Februar 1788. Zwei ihrer Kinder folgten ihm bald im Tode; nur eine Tochter, Auguste, am 28. April 1785 geboren, blieb ihr. Von Clausthal kehrte Caroline im Herbst 1788 ins Elternhaus nach Göttingen zurück, wo sie unter anderm in freundschaftliche Beziehungen zu Bürger und dessen Schüler August Wilhelm Schlegel trat; dann lebte sie vom Sommer 1789 bis zum Herbst 1791 in Marburg bei ihrem Bruder Fritz, der daselbst als Professor der Medicin wirkte, und suchte erst nach dem Tode ihres Vaters (22. August 1791) für die Wintermonate Göttingen wieder auf. Fleißig verkehrte sie wieder mit Bürger, dessen persönliche Schicksale und künstlerische Bestrebungen ihre volle Theilnahme gewannen; mit Schlegel führte [4] sie einen regen Briefwechsel und behielt so, wenn auch ihr gegenseitiges Verhältniß mehrmals gestört, ja zeitweise heftig erschüttert wurde, einen nachhaltigen, bedeutenden Einfluß auf seinen Geist und Charakter. Dagegen zog sie sich vor der Bewerbung eines anderen Freundes, des späteren Generalsuperintendenten Löffler in Gotha, zwar ohne verletzende Schroffheit, doch entschieden zurück. Zu Anfang des März 1792 ging sie nach Mainz, wo ihre Jugendfreundin Therese Heyne, seit 1785 mit Georg Forster verheirathet, sie freundlich aufnahm. Anfangs lebte sie hier ganz eingezogen, bis die Einnahme der Stadt durch Custine (im October 1792) auch ihre republikanische Begeisterung anfachte. Mit Forster schloß sie sich den Clubbisten an, die sich für die Grundsätze der französischen Revolution in Mainz erhoben. Ohne gerade das Volk aufzuwiegeln oder zur politischen Proselytenmacherin zu werden, äußerte und benahm sie sich in der kritischen Zeit doch mannichfach unvorsichtig. In diesen aufregenden Tagen löste sich überdies ihr Verhältniß zu dem hannöverischen Prinzenerzieher Tatter, den sie innig geliebt hatte, jetzt aber unmännlich und ängstlich ihr ausweichen sah. Um diese Hoffnung betrogen, warf sie sich einem galanten Franzosen in die Arme. Der flüchtigen Verbindung entsprang ein Knabe, der aber nur wenige Jahre alt wurde. Besonders nahm sie sich in Mainz Forster’s, als diesen seine Gattin (im December 1792) verließ, mit schwesterlicher Freundschaft an. Dies und der Umstand, daß ihr Schwager, der frühere Wormser Professor Georg Böhmer, von dem sie jedoch wenig wissen wollte, bei Custine als Secretär diente, machte sie verdächtig, und so wurde sie, als sie zu Ende März 1793 nach Forster’s Abreise Mainz verließ, um zu Gotter und dessen Frau, ihrer besten Freundin, nach Gotha zu gehen, von den deutschen Truppen, welche Mainz belagerten, gefangen genommen, und mehrere Wochen zu Königstein im Taunus in strenger Haft, dann milder in dem nahen Städtchen Kronberg festgehalten. Endlich erwirkte, nachdem von allen Seiten Verwandte und Freunde sich für sie bemüht hatten, ihr jüngster Bruder Philipp (später Arzt in Harburg) im Juli 1793 von Friedrich Wilhelm II. ihre Befreiung. Und Schlegel eilte von Amsterdam herbei und geleitete die vielfach verdächtigte und gekränkte Frau nach Leipzig, wo sie zunächst bei dem Buchhändler Göschen, dann in der Nachbarschaft einen Zufluchtsort und an Schlegel’s jüngerem Bruder Friedrich einen begeisterten Freund fand. Im Februar darauf folgte sie der Einladung Gotter’s und siedelte nach Gotha über; aber auch hier sah sie sich fast von allen gemieden, selbst von denen, die ihr früher mit am nächsten gestanden waren. Im Sommer besuchte sie ihr elterliches Haus in Göttingen, wurde aber bald durch ein Rescript des hannöver’schen Universitätscuratoriums vom 16. August 1794 aus dieser Stadt ausgewiesen. Auch in Dresden, wohin sie im Herbst überzusiedeln gedachte, wurde ihr der Aufenthalt nicht gestattet. Schon überlegte sie ernstlich, ob sie nicht nach Holland oder gar nach Amerika mit August Wilhelm Schlegel auswandern sollte; der Plan, sich sobald als möglich mit einander zu verbinden, stand bei beiden nunmehr fest. Vorerst aber ging Caroline im April 1795 von Gotha nach Braunschweig, wo jetzt ihre Mutter sich niedergelassen hatte. Dorthin kam im Sommer Schlegel von Amsterdam zurück; dort feierte er alsbald, nachdem er die Vorurtheile seiner Mutter und seiner Geschwister gegen Caroline überwunden hatte, seine Verlobung mit ihr. Am 1. Juli 1796 fand die Hochzeit statt; darnach reisten die beiden sogleich nach Jena ab, das Schlegel, vor allem durch Schiller’s und Goethe’s Nähe angelockt, zu seinem Wohnorte gewählt hatte. Im innigen Verkehr mit diesen Freunden, zu denen sich bald mehrere andere gesellten, und in eifrigster litterarischer Arbeit, bei der Caroline ihren Gatten erfolgreich unterstützte, vergingen die nächsten Jahre. Kleinere Reisen führten Caroline öfters nach Weimar, ferner im Frühling 1797 und im Sommer [5] 1798 nach Leipzig und Dresden, im Mai 1800 nach Bamberg. Von da begab sie sich im Juni nach dem Bade Bocklet, um ihre durch ein lang andauerndes Nervenfieber geschwächte Gesundheit wieder herzustellen. Hier starb am 12. August 1800 ihre ungewöhnlich begabte und überaus frühzeitig geistig entwickelte Tochter Auguste, nach ihrem eigenen Bekenntniß das Theuerste, was sie auf Erden hatte, an der Ruhr. Der unerwartete Verlust drückte Caroline tief darnieder. Körperliche Krankheit kam dazu, von der sie sich während des folgenden Herbstes und Winters in Bamberg, dann zu Braunschweig (vom October bis zum März), schließlich zu Harburg (im April) nur langsam erholte. Aber auf das innigste befestigte der Tod Augustens die Freundschaft Carolinens mit Schelling, für den in Carolinens eigenem Herzen doch längst eine leidenschaftliche Neigung entbrannt war. Für ihn war die Verstorbene zur Braut bestimmt gewesen; ihn nahm die Mutter nunmehr in ihrer Seele als den Bruder ihres Kindes an. Und Schelling stand ihr seit ihrer Rückkehr nach Jena (23. April 1801) mit der treuesten und liebevollsten Sorgfalt bei, als Vertrauter, Berather, Vermittler und Helfer in allen Angelegenheiten, die sie und ihren Gatten betrafen. Denn Schlegel selbst, im August 1798 zum außerordentlichen Professor in Jena ernannt, hatte seit dem Winter 1800/1 seinem Katheder daselbst Valet gesagt und weilte meistens ferne von Caroline in Berlin, wo er öffentliche Vorlesungen über Litteratur und Kunst hielt. Mit seinem Bruder Friedrich aber, der noch in Jena wohnte, und besonders mit dessen Freundin und späterer Gattin Dorothea Veit hatte Caroline sich so gründlich überworfen, daß sie sich gegenseitig auf den nothdürftigsten, kühlsten Verkehr beschränkten. Auch ihr Verhältniß zu Schiller war längst, nicht ohne Friedrich’s Schuld, getrübt worden; nur die alten Beziehungen zu Goethe blieben unverletzt. Aber auch Schlegel’s lange Entfernung entfremdete die beiden Gatten mehr und mehr von einander. Schlegel’s Briefe wurden immer kälter, geschäftsmäßiger, sein ganzes Benehmen rücksichtsloser; daß Carolinens Liebe zu ihm nach und nach erlosch, war in der Hauptsache seine Schuld. Im Frühling 1802 besuchte sie ihn zu Berlin. Damals kam es zwischen ihnen zum Entschluß der Ehescheidung; äußere Umstände verzögerten dieselbe noch ein volles Jahr; erst am 17. Mai 1803 wurde sie gerichtlich vollzogen. Caroline trennte sich von Schlegel mit der dauernden Empfindung dankbarer Freundschaft und herzlicher Achtung; aber im Bewußtsein der wiedergewonnenen Freiheit fühlte sie sich endlich nach so vielen Aufregungen und Leiden ruhig und „fast glücklich“. Einige Tage darnach reiste sie mit Schelling über Bamberg und Würzburg nach Murrhardt in Württemberg, wo Schelling’s Vater am 26. Juni die beiden traute. Mehrere Wochen später setzten sie ihre Fahrt über Stuttgart, Tübingen, Ulm und Augsburg nach München fort. Dort ernannte im September die bairische Regierung Schelling zum Professor an der neugewonnenen Universität Würzburg. Die geplante Reise nach Italien unterblieb nun vorläufig; statt dessen zog das paar über Regensburg, Nürnberg und Bamberg alsbald in die neue Heimath. Doch war auch hier ihres Bleibens nicht lange. Als im Preßburger Frieden zu Weihnachten 1805 Baiern Würzburg an den Großherzog von Toscana abtrat, gab Schelling seine dortige Stellung auf und ging im April 1806 nach München, wo er Mitglied der Akademie und 1808 Generalsecretär der Akademie der bildenden Künste wurde. Caroline folgte ihm schon gegen Ende Mai 1806. Im August 1809 unternahm sie mit ihrem Gatten eine Reise zu seinen Eltern in Maulbronn, wurde dort von einem mit Ruhr verbundenen epidemischen Nervenfieber ergriffen und starb daran nach dreitägiger Krankheit am 7. September 1809. Ein Meisterstück der Geister nannte sie Schelling einige Monate nach ihrem Tode in einem Briefe an ihren jüngsten Bruder, ein seltenes Weib von männlicher Seelengröße, [6] von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens vereinigt. „Sie war ein eigenes, einziges Wesen; man mußte sie ganz oder gar nicht lieben. Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkte zu treffen, behielt sie bis ans Ende.“ Aehnliche Worte bewundernder Verehrung haben verschiedene hervorragende Zeitgenossen von ihr geäußert. August Wilhelm Schlegel aber gab ihr noch 1828 das Zeugniß, daß sie alle Talente besessen habe, um als Schriftstellerin zu glänzen, ohne daß jedoch ihr Ehrgeiz darauf gerichtet gewesen wäre. Meistens begnügte sie sich, im Stillen an den Aufsätzen und Recensionen Schlegel’s mitzuarbeiten, für ihn fremde Bücher zu lesen, einzelne Abschnitte seiner Essays zu entwerfen und diese Entwürfe hie und da schon mit Worten auszuführen, die keiner Veränderung oder Verbesserung durch den Gatten mehr bedurften. So hatte sie namentlich an dem Aufsatz über Shakespeare’s „Romeo und Julia“ (1797), an der Beurtheilung einiger Schauspiele und Romane von Iffland, J. Schulz, Lafontaine (1798) und an dem Gespräch „Die Gemälde“ (1798) wesentlichen Antheil; sie vor allem spornte Schlegel zur Uebersetzung der Dramen Shakespeare’s wieder und wieder an; „Romeo und Julia“, „Was ihr wollt“ und namentlich die in den ersten Jahren ihrer Ehe ausgearbeiteten Verdeutschungen Shakespeare’s gingen erst durch ihre Hand, bevor sie in die Druckerei kamen. Selbständig verfaßte sie einige Recensionen belletristischer Werke, die in der Jenaer Litteraturzeitung, im „Athenäum“, in Becker’s „Erholungen“ und ähnlichen Zeitschriften jener Jahre gedruckt wurden. Auch ein vereinzeltes „Fragment“ steuerte sie zum „Athenäum“ bei. Nach einem Brief ihres Bräutigams Schlegel an Schiller hatte sie um 1796 auch eine Erzählung geschrieben; erhalten ist neben litterarischen Scherzen und anderen Kleinigkeiten nur der fragmentarische Entwurf eines Romans, der die seelische Entwicklung eines in gewissen Punkten ihr ähnlichen Weibes darstellen sollte. 1801 verdeutschte sie ein französisches Singspiel „Philippe et Georgette“ in freier Weise, später übersetzte sie einige Sonette Petrarca’s; doch wurde von dem allen fast nichts gedruckt. Die Vermuthung, daß der Schelling zugeschriebene Roman „Nachtwachen von Bonaventura“ von ihr herrühre, hat sich durch nichts bestätigt. Augenscheinlich gleichfalls nicht von ihr stammt der von Meusel, Goedeke und andern ihr zugeschriebene Roman „Die Höhle des Todes. Aus dem Französischen von Friederike Caroline Schlegel. Leipzig 1800 bei Wilhelm Rein“, eine abgeschmackte Ritter- und Gespenstergeschichte vom gewöhnlichsten Schlage, mit deren Inhalt und Ausdrucksweise die (überdies nicht Friederike heißende) Gattin August Wilhelm Schlegel’s kaum etwas zu thun hatte. Ihr schriftstellerisches Talent bewies die letztere am meisten in ihren anmuthig plaudernden, von Verstand, Phantasie, wahrem Kunstsinn und poetischem Geist durchdrungenen, mit Neckerei und feiner Bosheit gewürzten Briefen, den schönsten Frauenbriefen aus der Glanzperiode unserer neueren Litteratur.

Caroline. Briefe an ihre Geschwister, ihre Tochter Auguste, die Familie Gotter, F. L. W. Meyer, A. W. und Fr. Schlegel, J. Schelling u. a. nebst Briefen von A. W. und Fr. Schlegel u. a. Herausgegeben von G. Waitz. 2 Bände. Leipzig 1871. – Caroline und ihre Freunde. Mittheilungen aus Briefen von G. Waitz. Leipzig 1882. – R. Haym in den Preußischen Jahrbüchern, Bd. 28, S. 451–506.