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Artikel „Harleß, Gottlieb Christoph Adolf von“ von Christoph Ernst Luthardt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 763–766, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Harle%C3%9F,_Adolf_von&oldid=- (Version vom 13. Oktober 2024, 16:33 Uhr UTC)
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Band 10 (1879), S. 763–766 (Quelle).
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Harleß *): Gottfried Christoph Adolf von H.[1], Dr. der Philosophie und Theologie, Präsident des protestantischen Oberconsistoriums zu München, geb. am 21. Novbr. 1806 als der Sohn eines Kaufmanns zu Nürnberg und als der ältere von drei Brüdern, deren einer als Seminarinspector zu Schwabach, der jüngste als Professor der Medicin in München vor ihm gestorben sind, hat seine Jugend in Nürnberg verlebt und diese Zeit in der 1. Abtheilung seiner „Bruchstücke aus dem Leben eines süddeutschen Theologen“, Bielefeld und Leipzig, 1872 (1. Abth.: „Das alte Haus“) in einer auch kulturgeschichtlich interessanten Weise geschildert. Das Nürnberger Gymnasium das er besuchte, erhielt kurz vor seinem Abgang (1823) an K. Roth einen energischen reformirenden Rector, dem der Schüler bald befreundet nahe trat und blieb. Anfangs mehr philosophischen als theologischen Studien auf der Universität Erlangen sich widmend, wurde er in Halle (seit 1827) vornehmlich durch Tholuck zu einer tieferen Erfassung des Christenthums und der Theologie, die er als Beruf erwählt hatte, geführt. Der Weg zum Docenten der Theologie führte damals in Erlangen nicht blos durch den Dr. phil. (Abhandlung „De creatione ex nihilo“, 1828) sondern auch durch die Habilitation für den philosophischen Lehrstuhl (Habilitationsschrift „De malo eiusque origine“, 1829 – im Zusammenhang mit früheren philosophischen Studien gerade über diese Frage –) hindurch. [764] 1830 habilitirte er sich als Licentiat der Theologie mit einer Abhandlung „De revelatione et fide“. Daneben war er Assistent und Lehrer der hebräischen Sprache am Gymnasium zu Erlangen. Am 27. Novbr. 1831 verheirathete er sich; verlor aber bereits im folgenden Jahre seine Gattin in Folge der Entbindung von einem todten Knaben. 1836 ging er eine zweite Ehe ein und hat in derselben Freud und Leid des Lebens reichlich erfahren. Die 9 Kinder dieser Ehe und seine Gattin haben ihn überlebt. 1833 erhielt er, nachdem Winer 1832 nach Leipzig gegangen, eine außerordentliche Professur der neutestamentlichen Exegese, 1836 eine ordentliche Professur zugleich für Moral und theologische Encyklopädie, und daneben das Amt eines Universitätspredigers. Außer kleineren Arbeiten („Die kritische Bearbeitung des Lebens Jesu von Dr. Dav. Strauß nach ihrem wissenschaftlichen Werthe beleuchtet“[WS 1], Erl. 1836; „De historiae in dijudicandis religionibus momento, ratione habita libri quem dicunt Jamblichi de mysteriis“, 1837. „Oratio de superstitionibus eorum qui religionem e ratione humana emendare conantur“, 1837. „Lucubrationum evangelia canonica spectantium pars I. Fabula de Matthaeo syrochaldaice conscripto“, Erl. 4. 1841. Pars. II. „De compositione evangelii quod Mathaeo tribuitur“, 1842) entstanden in dieser Zeit seine drei Hauptwerke: der „Commentar zu dem Briefe Pauli an die Ephesier“ 1834 (2. unveränderte Aufl. Stuttg. 1858), ausgezeichnet nicht blos durch die umfassende Berücksichtigung der Geschichte der Auslegung und die philologische Akribie, sondern besonders auch durch seine theologische Entwickelung der apostolischen Ideen, durch welche er auf die neutestamentliche Exegese überhaupt fördernd einwirkte; „Theologische Encyklopädie und Methodologie“, Nürnb. 1837, in welcher er den Begriff der Kirche zu Grunde legte und deren Widmung an K. Roth bemerkenswerth ist; und seine „Christliche Ethik“, Stuttg. 1842, von welcher noch in demselben Jahre eine zweite Auflage nöthig wurde (die 6. Aufl. erweitert 1864, die 7. Aufl. Gütersloh 1874). Das gesunde von allem krankhaft pietistischen freie Urtheil und die eingehende Verwerthung der heil. Schrift und der Werke Luther’s, in denen H. vor Andern heimisch war, machen diese Arbeit noch heute werthvoll. Für ihn wie für weite Kreise bedeutsam wurde seine Begründung der „Zeitschrift für Protestantismus und Kirche“, Erl. 1838, Neue Folge 8. 1841; seit 1846 fortgeführt von Höfling, Thomasius und Hofmann, später noch von Schmid, von Scheurl und Frank, bis sie 1876 einging. Diese Zeitschrift setzte sich sowol die Vertretung des Protestantismus und der protestantischen Kirche gegen den Ultramontanismus und romanisirende Richtungen, als des Lutherthums gegen die Gefahren der Union sowie die Erneuerung kirchlicher Erkenntniß und Praxis überhaupt erfolgreich zur Aufgabe. Jener erste Gegensatz veranlaßte H. zur Abfassung des anonym erschienenen „Jesuitenspiegels“, 1839, in welchem er die unsittliche Kasuistik der Jesuitenmoral durch zahlreiche Quellenbelege nachwies, welche diese Schrift noch jetzt lehrreich machen. Zugleich wurde er als Abgeordneter der Universität für die Ständekammer in München (1840) und als energischer Vorkämpfer in der Opposition, zu welcher Frhr. v. Thon-Dittmer, Graf Buttler-Heimhausen, Frhr. v. Rotenhan u. A. gehörten, gegen das ultramontane Regiment des Ministers Abel (1836–46), besonders in die Kämpfe über die berufene Kniebeugungsfrage der protestantischen Soldaten, vor allem gegen Döllinger, welcher die ultramontanen Zumuthungen vertrat, verflochten. Dadurch entstand die „Offene Antwort an den anonymen Verfasser der 2 Sendschreiben, die Frage von der Kniebeugung der Protestanten betr.“, München 1843, und die Schrift „Die evangelisch-lutherische Kirche in Baiern und die Insinuationen des Herrn Prof. Döllinger“, Erl. 1848. Diese Kämpfe machten ihn in München so mißliebig, daß man ihn im März 1845 seiner Professur [765] enthob und als Consistorialrath nach Baireuth versetzte. Aber noch in demselben Jahre wurde er nach Sachsen gerufen. Er hatte schon 1844 auf einer Conferenz in Leipzig einen Vortrag „Ueber die Lehre von den Gnadenmitteln im Allgemeinen“ gehalten (von Neuem gedruckt in: „Die kirchlich-religiöse Bedeutung der reinen Lehre von den Gnadenmitteln. Mit besonderer Beziehung auf das heil. Abendmahl. Drei Abhandlungen von Dr. A. v. Harleß und Dr. Th. Harnack“, Erl. 1869). Nun berief ihn das sächsische Ministerium (Beust) an die Universität Leipzig als Professor, bald (1847) auch die Stadt als Pastor an St. Nicolai, und nach Ammon’s Tode wurde er 1850 zum Oberhofprediger, vortragenden Rath (Geh. Kirchenrath) im Cultusministerium und Vicepräsident des Landesconsistoriums in Dresden ernannt. Die Zeit seiner Wirksamkeit in Sachsen so kurz sie dauerte (bis zum November 1852) bezeichnet die Höhe seines Wirkens und vielleicht die glücklichste Zeit seines Lebens. Wenigstens blieben seine Gedanken und Erinnerungen stets diesen sächsischen Jahren in Leipzig und Dresden zugewandt. Sie bezeichnen auch einen Wendepunkt im kirchlichen Leben Sachsens, sowol durch den Anstoß, der von ihm auf die theologisch-kirchliche Gesinnung der Theologiestudirenden an der Universität ausging und von da aus immer weitere und nachhaltigere Kreise zog, als durch die Wirkung, die er als Prediger und Seelsorger auf die Gemeinde in Leipzig wie auf die höheren Kreise in Dresden übte. Nach beiden Seiten hin bezeichnet er die Wendung vom Rationalismus zur kirchlichen Richtung. Der Eindruck seiner kernhaften und zugleich gewinnenden Persönlichkeit, die Macht seines Wortes auf der Kanzel und die vielseitige Bildung, die ihm eignete, gewannen der Sache, die er vertrat, Eingang in weiten Kreisen. Der Polemik gegen rationalistische Bestrebungen diente sein „Votum über die eidliche Verpflichtung der protestantischen Geistlichen auf die kirchlichen Symbole“, Leipzig 1846. Seine Predigten sind gesammelt in der „Sonntagsweihe“, Leipzig, 7 Bde. (1846–54 2. Aufl. 4 Bde. 1859–60). Zugleich trat er an die Spitze des von Dresden nach Leipzig übergesiedelten Missionscollegiums (Mission in Indien), zuerst als stellvertretender Vorsitzender 1847, dann nach Graf Einsiedels Rücktritt an dessen Statt, 1853, und hat dieser Arbeit bis zu seinem Tode seine Theilnahme gewidmet. Im Herbst 1852 folgte er einem Rufe des baierischen Königs Max als Präsident des Oberconsistoriums in München. Er glaubte der Aufforderung des Landesherrn seiner ursprünglichen Heimath nicht widerstreben zu sollen, und die Gefahr einer kirchlichen Separation welche der baierischen Landeskirche von Seiten des Löheschen Kreises drohte, ließ es ihm doppelt als Pflicht erscheinen. Es gelang ihm diese Gefahr abzuwenden und die gesunde kirchliche Strömung zu fördern. Aber die Reaktion, welche sich gegen eine Reihe von kirchlichen Maßnahmen 1856 erhob und zu ihrer Zurücknahme führte, hatte einen Stillstand in jener Entwickelung und für ihn überhaupt eine theilweise Lähmung seiner Wirksamkeit zur Folge. Seine kirchliche und politische Stellung (er war als Präsident des Oberconsistoriums zugleich Mitglied der Kammer der Reichsräthe) ist seitdem mannigfacher Mißdeutung und vielfachen Angriffen von der Presse ausgesetzt gewesen. Aber er war noch derselbe, der einst der Opposition gegen Abel angehörte und den Jesuitenspiegel geschrieben, und den männlichen Charakter mußten auch seine Gegner achten. Sein persönlicher und literarischer Einfluß auf die kirchlich lutherischen Kreise aber blieb noch lange ein vorwiegender. Er war bis weit herunter der persönliche Mittelpunkt derselben und der Mann des allgemeinen Vertrauens (vgl. sein „Sendschreiben an die deutschen Gemeinden evangelisch-lutherischen Bekenntnisses“, Gotha 1873; sein Präsidium der beiden Versammlungen der allgem. lutherischen Conferenz zu Hannover 1868 und zu Leipzig 1870; seine Vorstandschaft des Missionscollegiums). Seine literarischen Arbeiten der letzten Decennien [766] galten theils einzelnen Fragen, welche die kirchlichen Kreise bewegten („Kirche und Amt nach lutherischer Lehre“, Leipzig 1853; „Die Ehescheidungsfrage. Eine erneute Untersuchung der neutestamentlichen Schriftstellen“, Stuttg. 1861; „Staat und Kirche, oder Irrthum und Wahrheit in den Vorstellungen vom christlichen „Staat“ und „freier Kirche““, Leipzig 1870), oder der Gefährdung der lutherischen Kirche in andern Ländern („Geschichtsbilder aus der lutherischen Kirche Livlands vom Jahre 1845 an“, Leipzig 1869), theils der Religionsgeschichte und Religionsphilosophie im Anschluß an frühere Studien und in Veranlassung neuerer Erscheinungen („Das Buch von den ägyptischen Mysterien“, München 1858. „Jacob Böhme und die Alchymisten. Beitrag zum Verständniß Jakob Böhme’s. Nebst einem Anhang: J. G. Gichtel’s Leben und Irrthümer“, Berlin 1870); theils den Culturfragen der Gegenwart („Das Verhältniß des Christenthums zu Cultur- und Lebensfragen der Gegenwart“, Erl. 1863), wozu er durch seine vielseitige Bildung ganz besonders geeignet und berufen war, wie er denn außer seiner Erschlossenheit für das gesammte Gebiet des Geistes- und Bildungslebens speciell in Poesie und Musik selbstthätig heimisch war. Seine Thätigkeit aber wurde allmählich (seit 1875) durch ein Augenleiden gehemmt, das sich einstellte und endlich zu völliger Erblindung führte. So wurde er denn mit Beginn des J. 1879 in Ruhestand versetzt. Im Laufe dieses Jahres bildete sich bei ihm noch ein schmerzhaftes Drüsenleiden aus, welches ihn am Sprechen verhinderte und schließlich die Kräfte des sonst so stattlichen und kräftigen Mannes rasch verzehrte. Den 5. September 1879 ist er entschlafen.

Vgl. seine eigene Selbstbiographie in der oben erwähnten Schrift: Bruchstücke aus dem Leben eines süddeutschen Theologen. In zwei Abtheilungen: 1. Kinderjahre, 2. Studentenjahre, Bielefeld und Leipzig 1862. Dass. Neue Folge (1. Lern- und Lehrjahre, 2. Die sieben Jahre in Sachsen: fünf Jahre 1845–1850 in Leipzig; zwei Jahre 1850–1852 in Dresden), 1875. – Ferner Rede am Grabe etc. von K. Buchrucker, Decan und Stadtpfarrer in München, München 1879, und des Unterzeichneten Worte am Grabe in der Allg. Ev.-Luth. Kirchenzeitung 1879, Nr. 37. S. 877 ff.

*) Zu S. 607.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 763. Z. 19 v. u. l.: Harleß: Gottlieb Christoph Adolf v. H. [Bd. 29, S. 775]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: kein schließendes Anführungszeichen