Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Capito, Wolfgang Fabricius“ von Johann Jakob Herzog in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 772–775, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Capito,_Wolfgang&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 17:59 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 3 (1876), S. 772–775 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wolfgang Capito in der Wikipedia
Wolfgang Capito in Wikidata
GND-Nummer 118518968
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|3|772|775|Capito, Wolfgang Fabricius|Johann Jakob Herzog|ADB:Capito, Wolfgang}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118518968}}    

Capito: Wolfgang Fabricius C. (latinisirt aus Koepfel), geb. 1472 zu Hagenau im Elsaß, † 1541. Er zeigte frühe eine ungewöhnliche Beweglichkeit und Vielseitigkeit des Geistes. Der Vater, ein ehrbarer Meister der Schmiedezunft (daher der Beiname Fabricius, den der Sohn sich gab) wollte nicht, daß er Geistlicher werde, welcher Stand ihm durchaus kein Vertrauen einflößte. Auf Geheiß des Vaters studirte der Sohn zuerst Medicin zu Freiburg im Br. und wurde daselbst 1498 Doctor der Medicin. In Ingolstadt wurde er Magister der freien Künste. Nach Freiburg zurückgekehrt, warf er sich auf das Studium der Rechte und wurde bald Licentiat in diesem Fache. Nach dem Tode des Vaters in seiner Neigung nicht mehr gehemmt, studirte er Theologie, wurde ebenfalls in Freiburg Licentiat der Theologie (1511) und fing an, im Auftrage der Facultät theologische Vorlesungen zu halten. In C. stand die Willens- und Thatkraft in keinem Verhältnisse zu dem frühreifen, weitsehenden Geiste. Von Natur war er geneigt, jegliche Kampfstellung zu meiden; so kam es, daß er unzufrieden mit der herrschenden Scholastik, eifrig mit Augustin und griechischen, auch hebräischen Sprachstudien sich beschäftigend, daher bei seinen Collegen und den Mönchen anrüchig, gerne den Ruf annahm, den der Propst der Benedictiner-Chorherrenabtei zu Bruchsal 1512 an ihn richtete, daselbst mit der [773] Würde eines Chorherrn das Amt eines Stiftspredigers zu bekleiden. Doch bald sagte es ihm nicht mehr zu, theils weil er als Rechtsgelehrter mit Rechtsgutachten und Proceßführung belastet wurde, theils weil seine sich läuternde Ueberzeugung zu dem Amte, das er versah, nicht mehr paßte. War er doch schon damals, nach langen innern Kämpfen, über die Lehre von der Wandlung im Abendmahl hinaus gegangen, darin bestärkt durch ein Gespräch mit dem ihm von Basel her bekannten Pellican (1514).

Im folgenden Jahre (1515) erhielt er unerwartet vom Rathe in Basel, mit Bewilligung des Bischofs und des Domcapitels, einen Ruf als Prediger am Münster, welchen Ruf er mit Freuden annahm, angezogen durch den bekannten freisinnigen Geist des Bischofs Christoph v. Uttenheim, durch die wissenschaftliche Bedeutung der blühenden Universitätsstadt, die er während seiner Studienzeit besucht hatte, durch die Anwesenheit des Erasmus. Er verbrachte hier einige Jahre einer sehr ersprießlichen Wirksamkeit, bis ihm auch in Basel die Luft zu schwül wurde. Mit Sorgfalt vermied er jede directe Polemik, wirkte aber durch positive Darlegung der christlichen Wahrheit vorbereitend für die Reformation. Obgleich in ihm etwas weit Besseres lebte als in Erasmus, so schloß er sich doch sehr innig an diesen an, dessen zurückhaltendes Wesen ihm sehr zusagen mußte. Erasmus, damals beschäftigt mit der ersten Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes und der lateinischen Uebersetzung desselben, gebrauchte Capito’s Beihülfe in Bezug auf die hebräischen Namen und den hebräischen Wortlaut der Citate aus dem Alten Testament. Derselbe trat auch in die theologische Facultät ein, deren Decan er für das J. 1518 wurde, nachdem er ein Jahr zuvor das Rectorat bekleidet hatte. In seiner akademischen Wirksamkeit stellte er sich die Aufgabe, die scholastische Richtung durch exegetische Studien zu verdrängen. Er hielt daher vorwiegend exegetische Vorlesungen. Schon seit mehreren Jahren hatte er, was damals eine Seltenheit war, sich mit dem Studium der hebräischen Sprache und des Alten Testamentes beschäftigt. Nun ließ er die Früchte seines Fleißes erscheinen, und noch im J. 1516 den ersten hebräischen Psalter drucken. In demselben Jahre erschien der erste Theil seiner hebräischen Grammatik, welchem im J. 1517 der zweite folgte. Im begleitenden Vorworte an Hartmann von Hallwyl, einen seiner Leitung übergebenen hoffnungsvollen Jüngling, verbreitet er sich über die schädlichen Wirkungen der theologischen Scholastik und setzt hinzu: „die Schrift soll immer in der Theologie herrschen.“ Doch von gedrückter Stimmung augenblicklich fortgerissen, gesteht er in demselben Vorworte, daß er keine Kraft noch Lust in sich fühle, den zu Bildung und Erkenntniß führenden Weg, den er zu spät erkannt habe, zu betreten. Daher wir auf den Rath, den er dem Bischof von Basel gab, am Werke der Reformation seines Klerus nicht zu verzweifeln, noch auf die Unterredung mit Zwingli, worin Capito mit ihm übereinkam, daß der Papst gestürzt werden müsse, kein zu großes Gewicht legen dürfen. Immerhin konnte Luther’s muthiges Auftreten (1517) seine Wirkung auch auf ihn nicht verfehlen. Auf Anregen Capito’s veranstaltete Froben im J. 1519 die Ausgabe der bis dahin im obschwebenden Streite erschienenen Schriften Luther’s, die nach Italien, Frankreich, Spanien, England verbreitet wurde, wie dies C. selbst Luthern meldet. Da das Gerücht sich verbreitete, daß Luther bald von Wittenberg könnte vertrieben werden, bot ihm jener im Namen eines gelehrten Bischofs einen Ort der Zuflucht und selbst Unterstützung an Geld an. Indessen nahm die Sache bald eine andere Wendung, Erasmus wollte durchaus nicht, daß Froben mit Herausgabe der Schriften Luther’s fortfahre. Wie wenig auch C. gewillt war, in dem großen die Zeit bewegenden Streit eine entschiedene Stellung einzunehmen, ergibt sich aus einigen sehr bezeichnenden Aeußerungen desselben. Er rieth nämlich Luther, sich eine Thür offen zu [774] behalten, durch die er schlüpfen könne, wenn er angegriffen werde. Dann hob er rühmend hervor, daß ungeachtet der Drohungen der Gegner Luther’s Grundsätze schon viel zu tief eingedrungen seien, als daß sie durch irgend eine Macht ausgerottet werden könnten. „Es gibt einige“, setzt er hinzu, „die mich im Verdacht haben, daß ich bei Luther in Gunsten stehe, obschon ich mich eifrig bemühe, zurückhaltend zu sein.“

Eine höchst eigenthümliche Episode in Capito’s Leben ist seine dreijährige Anstellung in Mainz, 1520–1523, im Dienste des als freisinnig geltenden Erzbischofs Albrecht als Prediger am Dom, als geistlicher Rath und auch als Kanzler des Erzbisthums. Höchst ungern sah ihn der evangelisch gesinnte Theil der Basler Bürgerschaft wegreisen. C., der in Mainz wegen Unannehmlichkeiten das Predigen bald aufgab, leistete seinem Erzbischofe in sonstigen Beziehungen wichtige Dienste und wurde so in die der Reformation abholde kirchliche Politik Albrechts verflochten, wodurch er sich von Luther (17. Jan. 1522, de Wette II, 129) eine derbe und wohlverdiente Strafpredigt zuzog. Er sah bald darauf Luther in Wittenberg und es gelang ihm, sich mit demselben auszusöhnen; aber ein heilsamer Stachel blieb ihm im Herzen.

Das mag wesentlich dazu beigetragen haben, daß er die wenn auch äußerlich glänzende aber für sein Gewissen gefährliche Stellung in Mainz aufgab und sich 1523 in Straßburg niederließ, wo er bereits im August 1521 die ihm vom Papst zugesicherte Stelle als Propst des Stiftes zu St. Thoma durch Procuration in Besitz genommen hatte. Hier erfolgte nun Capito’s völlige Entscheidung für die Reformation. Straßburg blieb bis an sein Lebensende die Stätte seiner Wirksamkeit, die er auch nach Deutschland sowie nach der Schweiz ausdehnte. Er fand den Boden vorbereitet durch Matthäus Zell, dessen Predigten in die Gemüther der Bürgerschaft zündend einschlugen und auch die benachbarten Landleute in großen Scharen nach Straßburg herbeizogen, um „das neue Evangelium“, bald auch um „die deutsche Messe“ zu hören. Der Rath nahm sich gegen den Bischof des unerschrockenen Predigers, dem die Gemeinde sehr anhing, kräftig an, wobei ihm zu statten kam, daß die weltliche Herrschaft des Bischofs über die Stadt schon längst aufgehört, daß derselbe gar nicht in der Stadt verweilte, wo er sich durch einen Vicar vertreten ließ. C. wollte anfangs nach seiner beliebten Manier äußerlich Frieden halten; er berief sich darauf, daß auf beiden Seiten das auserwählte Häuflein zu finden sei, mied die Parteinamen Papisten und Lutheraner, und sprach dem Matthäus Zell zu, er möchte doch mit großer Schonung den Schwachen predigen. Zell erwiderte: „Wenn wir den Menschen gefielen, wären wir nicht Christi Diener.“ Von nun an wurde er der getreue, unwandelbare Kampfgenosse von Zell, Butzer und andern evangelischen Streitern, theils in Schriften, theils auf der Kanzel. Nach einiger Zeit erhielt er die Predigerstelle zu St. Peter. Es gab Streit mit katholischen Predigern; sie stellten sich nicht zu der ihnen angebotenen Disputation. Der Rath befahl durch ein eigenes Mandat, daß nichts anderes als das heilige Evangelium gepredigt werde. Bald darauf stellte er es den Mönchen und Nonnen frei, die Klöster zu verlassen. Die Bürgerschaft erklärte in einer Eingabe an den Rath, bei dem Worte Gottes Leib und Gut lassen zu wollen. Von den evangelischen Predigern im Bunde mit Jakob Sturm gingen mit Bewilligung des Rathes seit 1523 die Anfänge der Universität Straßburg aus, behufs der Heranbildung junger Geistlichen. Nichts vermochte den Fortgang der Reformation aufzuhalten, so sehr auch der Bischof und die katholische Geistlichkeit das versuchten. Der Bischof wollte, daß man mit Abschaffung der vier letzten täglichen Messen wenigstens das damals in Aussicht gestellte Concil abwarte. Die Sache fand schnelle Erledigung. Am 20. Febr. 1529 kam der große Schöffenbeschluß zu Stande, wodurch [775] mit 184 Stimmen gegen 94 verneinende die Messe abgeschafft wurde, bis bewiesen werde, daß sie ein Gott wohlgefälliges Werk sei.

Die Reformation wurde wie anderwärts so auch in Straßburg durch den Bauernaufruhr, die wiedertäuferische Bewegung und den Sacramentsstreit durchkreuzt. C. nahm in diesen Beziehungen, seinem Charakter gemäß, keine schroffe Stellung ein. Er erkannte die Gerechtigkeit mancher Forderungen der Bauern, ermahnte sie aber, mit seinen Collegen Butzer und Zell, zur Mäßigung. Der Aufruhr, der besonders das untere Elsaß ergriffen, wurde unterdrückt im Frühjahr 1525 durch die Niederlage der Bauern in der Nähe von Schlettstadt. Die Wiedertäufer tauchten auch in Straßburg auf. C. behauptete, unter ihnen treffliche und für wahre Frömmigkeit empfängliche Seelen gefunden zu haben, und er schien sich bisweilen zu ihnen in ein Verhältniß zu stellen, das Butzer nicht billigen konnte. Doch verkannte er keineswegs das irrthümliche und umstürzende Wesen der ganzen Bewegung und konnte nicht umhin, des Rathes scharfe Maßregeln gegen dieselben zu billigen. C. wurde auch in den Sacramentsstreit hineingezogen. Seine innere Stellung dazu ist ausgedrückt in den Worten: „Die Nachwelt wird über unsre Streitlust lächeln, mit welcher wir wegen des Zeichens der Eintracht so viele Zwistigkeiten anregen.“ – Die Bewegung in Straßburg knüpfte sich an die Person von Karlstadt, der 1526 mit Frau und Kind nach Straßburg gekommen und durch seine ökonomische Noth das Mitleiden erregte, während er für seine Ansicht mit Eifer Propaganda machte. C., der es überhaupt mißbilligte, daß Karlstadt in heftiger Weise Luther angegriffen, setzte, um die Gemüther zu beschwichtigen, in einer eigenen Schrift auseinander, was man halten solle von dem Zwiespalt zwischen Luther und Karlstadt. Er gibt darin Luther das ehrenvollste Zeugniß, warnt aber vor übertriebener Werthschätzung des Mannes und bezeichnet als Brauch und Zweck des Abendmahls die Betrachtung und das Gedächtniß Christi, zur Erfrischung unsrer Hoffnung, durch die wir in Gott durch Christum vereinigt sind. Dabei beklagte er, daß Karlstadt die Kirche in Straßburg in Unruhe gebracht. C. war mit Butzer der Verfasser des Glaubensbekenntnisses der vier Städte Straßburg, Constanz, Lindau, Memmingen (Confessio Tetrapolitana), welches dem Kaiser auf dem Reichstage von Augsburg 1530 übergeben wurde und die vermittelnde Stellung der Straßburger Theologen deutlich kennzeichnet. C. nahm nicht Theil am Gespräche zu Marburg 1529, wol aber an der Wittenberger Concordia vom J. 1536, die bald Anlaß zu neuem Streite, zu erneuter Zwietracht geben sollte. Sehr verdienstlich war einige Jahre vorher seine Mitwirkung an der Bernersynode vom J. 1532 gewesen, wozu er, damals gerade in Bern anwesend, von der dortigen Regierung ersucht worden war. Die Ergebnisse der Berathung dieser Synode wurden von C. zusammengefaßt zu einer Kirchenordnung und Pastoralinstruction, die zu den ausgezeichnetsten Denkmälern des reformatorischen Geistes im 16. Jahrhundert gehört, sie blieb lange unter dem Namen Bernersynodus nebst den 10 Thesen der Disputation vom J. 1528 das Particularsymbol der bernerischen Landeskirche. C. starb im Nov. 1541; er hinterließ eine Wittwe, die seine zweite Frau war, und selbst Wittwe Oekolampad’s, nachher noch mit Butzer verheirathet, welcher letztere so der Vater und Versorger der Kinder wurde, welche sie Oekolampad und C. gegeben hatte.

S. Capito und Butzer etc. von Joh. Wilh. Baum, als 3. Theil der Väter und Begründer der reformirt. Kirche. Elberfeld 1860, woselbst auch das Verzeichniß der Schriften Capito’s.