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Artikel „Oekolampadius, Johannes“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 226–236, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oekolampad,_Johannes&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 02:16 Uhr UTC)
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Oekolampadius: Johannes Oe., Humanist und Theolog des 16. Jahrhunderts, Reformator von Basel, ist geboren 1482 in dem Städtchen Weinsberg, das damals zur Pfalz, seit 1504 zum Herzogthum Würtemberg gehörte, † den 24. November 1531 zu Basel. Wie sein Familienname ursprünglich gelautet, ist ungewiß: jedenfalls nicht „Hausschein“, wie man die gräcisirte Namensform Oeco- oder Icolampadius später zurückübersetzt hat, sondern entweder (wie er in Heidelberger Urkunden heißt, vgl. Ullmann in den theol. Stud. u. Krit. 1845, S. 154) „Hußgen“ oder „Heußgen“, oder nach anderer Vermuthung Hausch oder Huschke, was dann seine humanistischen Freunde zum Zweck der Gräcisirung in Husschin oder Hausschein umformten. Sein Vater war bürgerlichen Standes und ziemlich wohlhabend, wahrscheinlich Kaufmann, wie er denn auch seinen Sohn, das einzige Kind seiner Ehe, das am Leben blieb, anfangs zum Kaufmannsstande bestimmte. Die Mutter aber, eine geborene Pfister, aus einem alten Basler Geschlecht, eine fromme, kluge und wohlthätige Frau, setzte es durch, daß der zarte, aber geistig begabte Knabe einer wissenschaftlichen Laufbahn sich widmen durfte. Seinen ersten Unterricht erhielt er in der Schule seiner Vaterstadt, später auf der Stadtschule der benachbarten kaiserlichen Reichsstadt Heilbronn. Dann sandte ihn der Vater zum Studium der Rechte nach Bologna. Da er aber das italienische Klima nicht vertragen konnte, an der Jurisprudenz keinen Geschmack fand und durch den Betrug eines Bologneser Kaufmanns in Geldverlegenheiten kam, vertauschte er 1499 die italienische Universität mit Heidelberg, das Studium der Rechte mit dem der Humaniora und Theologie. (Die Chronologie ist nicht ganz sicher: nach Capito kam er schon als zwölfjähriger Knabe nach Heidelberg, von da nach Bologna, dann wieder nach Heidelberg zurück, wo er im October 1499 als Joannes Hussgen de Wynsberg, Herbip. dioec., immatriculirt ist, s. Ullmann a. a. O. S. 155). Es war die Zeit des ersten Aufblühens der humanistischen Richtung in Heidelberg, insbesondere der allerdings nur kurz dauernden (1498–1500) Wirksamkeit des christlichen Humanisten Jakob Wimpheling, der großen Einfluß auf Oe. gehabt zu haben scheint. Sonst ist uns vom Gang seiner Studien wenig bekannt: er studirte den Thomas von Aquin, an dem er mehr Gefallen fand als an Duns Scotus; noch mehr aber fühlte er sich hingezogen theils zu den mittelalterlichen Mystikern Gerson und Richard von St. Victor, theils zu den, gerade auch von Wimpheling empfohlenen Kirchenvätern. An den sonst üblichen akademischen Disputationen betheiligte er sich wenig (wohl in Uebereinstimmung mit dem damaligen Heidelberger Theologen Jost Hahn, der seinen Schülern empfahl, über Glaubenssachen nie zu disputiren), liebte es vielmehr nur im engeren Freundeskreis die Gedanken auszutauschen oder einsamen Betrachtungen sich hinzugeben: er wollte lieber, wie sein Biograph sagt, „ein Zögling der heiligen Wahrheit selber sein als ein Schüler thörichter Meister“. Nachdem er im October 1503 unter dem Decanat des M. Johann Hartlieb magister artium geworden, erhielt er von dem Kurfürsten Philipp von der Pfalz den Auftrag, die Studien seiner jüngeren Söhne zu leiten. Da ihm aber das Hofleben [227] wenig zusagte, so gab er diese Stelle bald wieder auf und kehrte, nachdem er die Priesterweihe empfangen, nach seiner Vaterstadt Weinsberg zurück, wo seine Eltern aus eigenen Mitteln eine Pfründe für ihn stifteten. Er hielt damals Predigten über die sieben Worte Christi am Kreuz, die Ulrich Zasius zu Freiburg 1512 herausgab u. d. T. „Declamationes oder Reden Icolampads über das Leiden und die letzte Predigt unseres Herrn Jesu Christi am Kreuz, unter dem Bild eines wegziehenden Predigers“; sie sind gewidmet dem Dr. Lamparter, Kanzler des Herzogs von Würtemberg, den O. seinen Mäcenas nennt (s. A. D. B. XVII, 579). Proben daraus, die für die damalige buntallegorisirende Predigtmanier ebenso charakteristisch sind wie für den religiösen Standpunkt des Verfassers siehe bei Herzog I, 109.

Nicht lange aber duldete es ihn in der Stille seiner geistlichen Amtsthätigkeit. Sein Wissenseifer trieb ihn hin zu den beiden ersten Autoritäten der damaligen humanistischen Wissenschaft, zu Reuchlin und Erasmus. Zur Fortsetzung seiner philologischen und theologischen Studien, insbesondere zu gründlicher Erlernung der beiden Grundsprachen der hl. Schrift, begab er sich zunächst nach Stuttgart zu Joh. Reuchlin, der ihn freundlich aufnahm, dann nach Tübingen, wo er den 9. April 1513, obwol schon dreißigjährig, als M. Joh. Icolumbadius de Winsperg, immatriculirt wurde (s. Urkunden zur Gesch. der U. Tübingen S. 593). Hier befreundete er sich mit dem kaum sechzehnjährigen Ph. Melanchthon und trieb mit ihm humanistische Studien, z. B. die Lectüre Hesiod’s. Von Tübingen scheint er dann noch einmal nach Heidelberg gegangen zu sein, um bei dem getauften spanischen Juden M. Adriani sich im Hebräischen zu vervollkommnen; auch trat er jetzt in Verbindung mit dem damals (1512 ff.) in Heidelberg studirenden jungen Schwaben Johann Brenz, den er im Griechischen unterrichtete, sowie mit dem damaligen Stiftsprediger in Bruchsal, Wolfgang Capito, mit welchen beiden ihn sein späterer Lebensgang wiederholt zusammenführte (vgl. A. D. B. III, 314 u. 772 ff.).

Bereichert mit Kenntnissen und Erfahrungen kehrt Oe. in seine Vaterstadt und zu seinem geistlichen Amt zurück, aber auch jetzt wieder nur für kurze Zeit. Schon 1515 folgt er einem Ruf des frommen und gelehrten Bischofs von Basel, Christoph v. Utenheim (1502–26), der damals einen Kreis von Gelehrten in seiner Bischofsstadt sammelte, und dem er durch seinen seit 1513 gleichfalls dort weilenden Freund Capito empfohlen war. Oe. predigte im Dom, trat aber zugleich in Verbindung mit dem damals vorübergehend in Basel weilenden Erasmus, an welchen er durch Sapidus in Schlettstadt aufs wärmste empfohlen war und den er bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten, besonders bei Herausgabe seiner Anmerkungen zum Neuen Testament mit seinen hebräischen Sprachkenntnissen unterstützte. Zugleich bewarb sich Oe. bei der Universität Basel um die theologischen Grade: 1515 wurde er Baccalaureus der Theologie unter dem Rectorat von Peter Wenk, 9. October 1516 Licentiat der Theologie, und endlich, nachdem er über den Propheten Obadja, über den paulinischen Epheserbrief und über das erste Buch der Sentenzen des Lombardus Vorlesungen gehalten, am 9. September 1518 Dr. theol. In der Zwischenzeit war er, wie es scheint, nach Weinsberg zurückgekehrt, wo er seinen geistlichen Functionen als Priester und Prediger oblag, aber auch mit wissenschaftlichen Arbeiten sich beschäftigte, z. B. mit einer Vergleichung der hieronymianischen Bibelübersetzung mit dem Grundtext, mit einem Index zu den Werken des Hieronymus, wobei sein Freund Brenz mit half, sowie mit Abfassung einer Schrift De risu paschali d. h. über die Sitte damaliger Prediger, am Osterfest ihre Zuhörer mit allerlei Späßen zu belustigen (gedruckt 1518 bei Froben in Basel mit einer Vorrede von Capito).

Von Erasmus (Löwen, 13. März 1518) dringend eingeladen. wieder nach [228] Basel zu kommen und ihm bei der zweiten Ausgabe seines Neuen Testamentes behülflich zu sein, verweilte er wieder längere Zeit daselbst und benutzte diese Zeit zugleich zur Herausgabe seiner schon in Heidelberg entworfenen griechischen Grammatik unter dem Titel: „Graecae literaturae dragmata“ d. h. Aehrenbündel der griechischen Litteratur. Eine Berufung nach Wittenberg, die Reuchlin gewünscht hatte (Mai 1518), unterblieb, weil Oe. selbst sich in Basel gebunden glaubte. Aber schon im December 1518, kurz nachdem er die theologische Doctorwürde erlangt, verließ er Basel und folgte einem Ruf als Domprediger nach Augsburg. War Oe. schon bisher, im unsteten Schwanken zwischen litterarischer und clerikaler Thätigkeit, zwischen Erasmischem Humanismus und „monachischer Superstition“ (nach einer brieflichen Aeußerung von Erasmus war er damals plane monachus et superstitione submolestus), zu keiner inneren Klarheit und keiner befriedigenden Lebensstellung gelangt, so sah er sich jetzt vollends in Augsburg, wo seit Luthers persönlicher Anwesenheit im October 1518 Anhänger der alten Kirche und Freunde Luther’s (ein Langenmantel, Frosch, Bernhard und Konrad Adelmann u. s. w.) einander gegenüberstanden, mitten hineingestellt in den die Geister und bald die ganze christliche Welt bewegenden Kampf. Freimüthig rügte Oe. in einer öffentlichen Rede die Gebrechen des Clerus (Mai 1519), ja er schloß bald immer entschiedener den Freunden Luther’s sich an, auf welchen er zuerst durch seine Predigten über die zehn Gebote, dann durch seine Ablaßthesen aufmerksam geworden war. Als damals Dr. Eck aus Ingolstadt in einem Brief an den Bischof von Meißen die geringschätzige Aeußerung hingeworfen hatte, daß in Augsburg nur einige „ungelehrte Kanoniker“ den lutherischen Irrthümern ergeben seien, fühlte Oe. sich bewogen, in Gemeinschaft mit B. Adelmann in einer 1519 herausgegebenen anonymen Schrift unter dem Titel „Responsio indoctorum canonicorum“ Luther’s aufs wärmste sich anzunehmen und dem anmaßenden Ingolstädter Professor zu bedeuten, daß seine eigenen Bücher wimmeln von Irrthümern und Barbarei (vgl. die Erlanger Ausgabe der Opp. Lutheri varii arg. 4, 59 ff.). Mit seinem alten Universitätsfreund Melanchthon, dem jetzigen Wittenberger Collegen Luther’s, unterhielt Oe. damals von Augsburg aus einen sehr regen brieflichen Verkehr: mit besonderem Interesse empfing er im Juli 1519 Melanchthon’s ausführlichen Bericht über die Leipziger Disputation zwischen Eck und Luther (d. d. 21. Juli s. Corp. Ref. I, 87). Um dieselbe Zeit aber, wo er immer offener als Parteigenosse des Wittenberger Mönchs hervortrat, beschäftigte sich Oe. auch wieder mit Uebersetzung griechischer Kirchenväter, so einer Rede Gregor’s von Nazianz, die voll ist vom Lob des asketischen Lebens und die er der Tochter seines Freundes Peutinger widmete, um sie in ihrer Neigung zum Klosterleben zu bestärken, sowie einiger Predigten desselben Kirchenvaters, die er als Muster christlicher Beredtsamkeit dem Bischof Konrad von Würzburg dedicirte. Seine Dompredigerstelle gewährte ihm wenig Befriedigung: er verzweifelte an seiner eigenen Befähigung zum Predigtamt wegen seiner schwachen Stimme und seines Mangels an Erfahrung und Menschenkenntniß. Plötzlich reift in ihm der Entschluß, den er freilich schon länger mit sich herumgetragen hatte, in das nahe bei Augsburg in der Diöcese Freising gelegene Brigittenkloster Altenmünster einzutreten, um hier Muße zu finden zum Studiren und zum Gebet, unter der ihm willig zugestandenen Bedingung, daß es ihm gestattet sei, im Kloster selbst „nach der Regel des göttlichen Worts“ zu leben und wieder auszutreten, wenn er einmal in anderer Weise im Dienste des göttlichen Wortes nützlich werden könnte. Am 23. April 1520 wurde er von dem ihm persönlich befreundeten Fürstbischof Philipp von Freising, einem Bruder des Kurfürsten Ludwig von der Pfalz, als Mönch der heilgen Birgitta eingekleidet. Erst jetzt gab er seinen Freunden Nachricht von seinem Schritt [229] und dessen Beweggründen: sie staunten und bedauerten ihn (so Capito an Luther und Melanchthon C. Ref, I, 163; Hedio in einem Brief an Zwingli; Erasmus an Oe. vom 4. November 1520). Oe. ließ sich dadurch nicht irre machen: er hatte sich vorgenommen, „sich selbst zu leben und um die Meinungen der Menschen sich nicht weiter zu kümmern“. Aber nicht volle zwei Jahre dauerte sein Aufenthalt im Kloster (April 1520 bis Februar 1522). Der Sturm, der in die Zeit gefahren und vor dem er hinter den Klostermauem Schutz gesucht, ließ ihn auch hier keine Ruhe finden, sondern trieb ihn wieder hinaus in die Reihen der Kämpfenden. In den ersten paar Monaten zwar fühlte er sich glücklich in seinem klösterlichen Stillleben, predigte fleißig und gab patristische Schriften heraus (z. B. eine Rede des Johannes von Damask, des Gregor von Nazianz, einen Brief des hl. Basilius, eine christliche Spruchsammlung eines griechischen Mönches u. s. w.). Nachdem aber im September 1520 Dr. Eck mit der päpstlichen Bannbulle gegen Luther in Deutschland erschienen, erbat sich der von dem Bann mitbedrohte Domherr Bernhard Adelmann in Augsburg von Oe. ein Gutachten über Luther und „die lutherische Kezerei“. Er gab es, wie er selbst sagt, nicht vorsichtig, aber getreulich und freimüthig, indem er erklärte: Luther stehe der evangelischen Wahrheit näher als seine Gegner. Adelmann hatte nichts eiligeres zu thun, als das Gutachten an Capito mitzutheilen, der es drucken ließ. Eck war wüthend über Oe. und verlangte vom Augsburger Rath die Unterdrückung der auch in deutscher Uebersetzung verbreiteten Schrift. Oe. bedauerte die ohne seinen Willen erfolgte Veröffentlichung, weniger um seiner selbst als um seiner Klosterbrüder willen, die dadurch in üblen Ruf zu kommen fürchteten. Einige kleine Schriften Oekolampadius’ und einige seiner im Kloster gehaltenen Predigten über Marienverehrung, Abendmahl u. s. w., insbesondere aber seine 1521 zu Basel gedruckte Schrift über die Beichte (Quod non sit onerosa Christianis confessio), die auch Luther’s Beifall fand, erregten immer größeren Anstoß. Auch konnte Oe. bei seiner schwachen Gesundheit die klösterlichen Uebungen des Fastens, Nachtwachens u. dergl. nicht vertragen, sondern fiel in eine lebensgefährliche Krankheit, von der er sich nur langsam erholte. Um drohenden Conflicten auszuweichen, verließ Oe. das Kloster „mit Einwilligung der Seinigen“ im Februar 1522. „Er hörte auf Mönch zu sein, um wieder Christ zu werden.“

Nach seinem Austritt aus dem Kloster wußte er anfangs nicht, wohin er sich wenden sollte. Er begab sich nach Mainz, wo er eine Zeitlang bei seinem Freund Capito, dem damaligen Domprediger und geistlichen Rath des Kurfürsten Albrecht, sich aufhielt; dann nach Weinsberg, wo er seine Eltern noch am Leben fand, und von da, noch vor Ende Februar 1522, nach Heidelberg, wo er an der Universität anzukommen hoffte. Da man aber hier als Vorbedingung seiner Anstellung „Abschwörung der lutherischen Ketzerei“ von ihm verlangte, wozu er sich nicht verstehen wollte (vgl. Ullmann a. a. O. S. 160), und da aus demselben Grund auch eine Berufung nach Ingolstadt sich zerschlug, so ging er zu Anfang April 1522 zu Franz von Sickingen nach der Ebernburg, wo damals so viele reformatorisch gesinnte Männer eine Herberge und Zufluchtsstätte fanden. Hier übernahm er das Amt eines Burgcaplans und benutzte die ihm von seinem Schloßherrn eingeräumte Freiheit, um verschiedene Neuerungen beim Gottesdienst einzuführen, z. B. deutsche Bibellectionen bei der Messe, tägliche Schriftvorlesungen, Weglassung einzelner Ceremonien u. s. w., Aenderungen, die er dann auch theils in Predigten vor der Gemeinde (z. B. einer Predigt über das Lesen des Wortes Gottes in der Landessprache, abgedruckt bei Hagenbach S. 191 ff.) und in Briefen an auswärtige Freunde (z. B. Hedio in Mainz) rechtfertigte. Daneben beschäftigte er sich auch wieder, theils auf der Ebernburg, theils während [230] eines kurzen Aufenthalts in Frankfurt, mit patristischen Arbeiten, z. B. Uebersetzung von 20 Predigten des Chrysostomus. Noch vor Ausgang des Jahres aber verließ er die Ebernburg wieder, wo er zwar gastfreundliche Herberge, aber doch nur ein „steinigtes Erdreich für seine evangelische Aussaat“ gefunden hatte, und reiste, wie es scheint in Begleitung der beiden Ritter Ulrich v. Hutten und Hartmuth v. Cronberg nach Basel (Strauß, Hutten S. 478; vgl. auch S. 465), wo er am 16./17. November eintraf und im Hause seines Freundes, des Buchhändlers Kratander, abstieg.

Frei, wie er selbst bekennt, von der früheren Kleinmüthigkeit und Verzagtheit trat er in den neuen Wirkungskreis ein, der sich ihm hier an der altbekannten Stätte eröffnete, die er in gewissem Sinne seine Heimat nennen konnte (Basilea mihi ab avo patria sagt er in der Vorrede zu seinem Jesaias-Commentar). Zunächst freilich war seine Stellung eine sehr bescheidene und unsichere, zumal da der Rath damals fest an der päpstlichen Kirche hielt und da die eidgenössische Tagsatzung darauf drang, daß in Basel keine lutherischen Bücher gedruckt würden. Oe. wohnte als gelehrter Flüchtling im Hause Kratander’s und arbeitete für dessen Officin kleinere Schriften aus, besonders Uebersetzungen aus Chrysostomus. Dann übernahm er Vicarsdienste für einen kranken Pfarrer zu St. Martin, jedoch ohne Gehalt und ohne Sacramentsverwaltung. Sein früheres Verhältniß zu Erasmus, der seit 1521 seinen dauernden Aufenthalt in Basel genommen, hatte sich gelöst, seit Oe. mit Luther und vollends, seit er mit Hutten in Verbindung getreten war. Dagegen suchte er jetzt, seit seinem Eintritt in das Gebiet der schweizerischen Reformation, mit dem Führer derselben, Ulrich Zwingli in Zürich, Beziehungen anzuknüpfen, die sich bald zu einem innigen Freundschaftsbund gestalteten (s. den ersten Brief Oekolampadius’ an Zwingli vom 10. December 1522 und Zwingli’s Antwort vom 14. Januar 1523 in den Opp. Zwingl. VII, 251 und 261).

Bald eröffnete sich ihm eine Lehrthätigkeit an der Universität, indem er 1523 vom Rath, wenngleich anfangs im Widerspruch mit der Universität, zum Lector der heiligen Schrift ernannt wurde und unter steigendem Beifall über alttestamentliche Propheten und paulinische Briefe Vorlesungen hielt, die auch von Geistlichen und Bürgern besucht wurden. Die Kunde von diesen Vorlesungen und deren Erfolg drang sogar nach Wittenberg, von wo aus Luther und Bugenhagen ihn in mehreren Briefen beglückwünschten. Bald ging er einen Schritt weiter. Veranlaßt durch Angriffe katholischer Gegner auf die Männer der neuen evangelischen Richtung schlug Oe. im August 1523 Thesen am schwarzen Brett an und lud zu einer öffentlichen Disputation ein, indem er sich erbot, „nicht in Schimpf oder Schulrecht, auch nicht in häderischer Weise, sondern in friedlicher Berichtung und Zusammenvergleichung heiliger Schrift von der wahren evangelischen Lehre Bericht zu geben, in der Hoffnung, daß solches Mittel, Zwietracht hinzunehmen und christliche Liebe zu befestigen, fruchtbar sein werde.“ Die Universität protestirte und verbot durch ein ausdrückliches Mandat allen ihren Angehörigen die Theilnahme. Das Gespräch fand dennoch statt in den letzten Augusttagen vor vielen Zuhörern in deutscher Sprache und mit so glücklichem Erfolg, daß Erasmus, obwol mit dem Auftreten seines ehemaligen Freundes nicht einverstanden, darüber nach Zürich schrieb: „Oecolampadius apud nos triumphat“ (31. Aug. 1823 s. Opp. VII, 308). Im nächsten Jahr (15./16. Februar 1524) folgte, von einem Prediger Stör aus Liestal veranlaßt, eine neue Disputaiion über den Cölibat der Geistlichen, wobei Oe., obwol damals noch dem ehelosen Leben den Vorzug gebend, doch für Freigebung der Priesterehe sich aussprach. Weit stürmischer verlief eine dritte Disputation, die von dem Franzosen Wilhelm Farel, der damals als Flüchtling in Basel weilte, [231] angekündigt, von der Universität verboten, von dem Rath erlaubt, am 28. Februar vor einem zahlreichen Auditorium stattfand und wobei Oe. als Dolmetscher sich betheiligte. Farel wurde wegen seines stürmischen Vorgehens und besonders wegen beleidigender Aeußerungen gegen Erasmus aus der Stadt verwiesen (Pfingsten 1524). Der vorsichtigere Oe. aber in Verbindung mit seinem Collegen Konrad Pellikan und einigen jüngeren Männern setzte seine reformatorische Wirksamkeit auf Kanzel und Katheder nicht blos fort, sondern wurde auch vom Rath gegenüber allen Anfechtungen katholischer Gegner geschützt und bald darauf zum ordentlichen Pfarrer oder Leutpriester bei St. Martin ernannt (15. Februar 1525). Dabei wurde ihm ausdrücklich gestattet, „das heilige Evangelium und Lehre Gottes frei öffentlich und unverborgen“ zu verkündigen; nur sollte ohne vorhergehende Genehmigung des Rathes keine Neuerung im Gottesdienst vorgenommen werden. Der Rath seinerseits erbat sich über die von einem Theil der Prediger und der Gemeinden immer offener begehrten Cultusänderungen ein Gutachten von Erasmus. Dieses fiel sehr zurückhaltend aus: er wollte es mit den Freunden des Neuen ebensowenig als mit denen des Alten verderben, warnte vor Ueberstürzung, vertröstete auf ein zukünftiges Concil, rieth zu einer zuwartenden Haltung.

Da brach der Sacramentsstreit aus, 1524–1525, und fand in Basel einen Hauptschauplatz. Allerlei Schwärmer und Wiedertäufer: Denk, Müntzer, Hubmaier, Karlstadt u. s. w., kamen nach Basel und suchten von hier aus ihre Lehren in der Schweiz und Süddeutschland zu verbreiten. Mehrere von ihnen suchten sich auch Oe. zu nähern, ihn für sich zu gewinnen oder wenigstens nach auswärts das Gerücht zu verbreiten, daß er ihr Meinungsgenosse sei. Die Stellung des milden und friedlichen, in seinen dogmatischen Anschauungen noch vielfach unbefestigten, aber redlich nach Wahrheit und Klarheit ringenden Mannes wurde eine schwierige. Zwar den Lehren der Wiedertäufer trat er bei all seiner persönlichen Milde doch von Anfang an entschieden entgegen und suchte, im Einverständniß mit Zwingli, das Recht der Kindertaufe aus Schrift und Geschichte zu erweisen. In dem Abendmahlsstreit aber, der jetzt von dem aus Wittenberg nach Basel geflüchteten Andreas Karlstadt entzündet wurde, wandte er sich, obwol er des Letzteren leidenschaftliches Auftreten mißbilligte und obwol er von Melanchthon gewarnt wurde, sich von der Wahrheit nicht abwendig machen zu lassen, doch mehr und mehr auf die Seite Karlstadt’s: er will dessen Ansicht nicht in allen Punkten unterschreiben, glaubt aber in der Hauptsache ihm zustimmen zu müssen (quamvis non subscribamus illi per omnia, summam tamen rei non improbandam esse censeo). In Basel selbst wurden Karlstadt’s Schriften vom Rath verboten; eine beabsichtigte Disputation oder Collation über die Abendmahlslehre kam nicht zu Stande. Umsomehr fühlte sich Oe. getrieben, seine Ansicht in einer ausführlichen Schrift der Prüfung der Gelehrten vorzulegen. Er that dies in einer im September 1525 (nicht in Basel sondern wahrscheinlich in Straßburg) gedruckten Schrift: „De genuina verborum Domini interpretatione: Hoc est corpus meum etc. juxta vetustissimos auctores expositio“, worin er, in wesentlicher Uebereinstimmung mit Zwingli und anderen oberdeutschen Theologen, sehr entschieden für die figürliche Deutung der Einsetzungsworte („corpus = figura corporis“) und für die Lehre von einer „geistlichen Genießung des Fleisches Christi“ sich ausspricht.

Die Schrift erregte in Basel selbst einen gewaltigen Sturm gegen ihren Verfasser. Der Rath, von Oekolampad’s Gegnern zum Einschreiten aufgefordert, setzte eine Commission nieder zur Begutachtung der Schrift, zu welcher Erasmus, Bonifacius Amerbach u. A. gehörten; alle Urtheile fielen ungünstig aus, so behutsam auch einige der Votanten sich ausdrückten. Die Schrift wurde confiscirt [232] und den Basler Buchdruckern verboten, irgend etwas von Oe. zu drucken (Februar 1526), ja ihm selbst drohte die Ausweisung oder Verhaftung. Die Freunde riethen ihm Basel zu verlassen, Capito bot ihm ein Asyl in Straßburg, die Züricher eine Lehrstelle in ihrer Stadt an. Oe. beschloß, ruhig in Basel zu bleiben, bis man ihn ausweisen würde; ja er wagte es um dieselbe Zeit, in seiner Gemeinde einen einfacheren Abendmahlsritus einzuführen, ohne jedoch denselben anderen Gemeinden aufdringen zu wollen.

Neue Gefahren drohten der Sache der Reformation in Basel wie in der ganzen Schweiz durch das Religionsgespräch zu Baden im Aargau (Mai 1526). So wenig Oe. Anfangs Lust hatte sich an demselben zu betheiligen, so fiel ihm doch bei dem Ausbleiben Zwingli’s die doppelt unangenehme Rolle zu, bei diesem Gespräch die reformirte Partei in erster Linie, ja fast allein vertreten zu müssen. Bei seiner principiellen Abneigung gegen alles öffentliche Disputiren über religiöse Fragen und bei der bekannten Streitsucht und Schlagfertigkeit seiner beiden Hauptgegner Faber und Eck hatte Oe. in Baden in der That einen schweren Stand. Aber trotz aller Gehässigkeit der Gegner disputirte Oe. mit solcher Tapferkeit, Geschicklichkeit und Geduld, daß auch die Widersacher seinem Auftreten ihre Bewunderung nicht versagen konnten. Freilich hatten die Gegner die Majorität zum Voraus so sehr auf ihrer Seite, daß das Resultat der Abstimmung nicht zweifelhaft sein konnte. Oe. und Zwingli wurden lauter denn je als Ketzer verschrieen; die strengsten Maßregeln sollten gegen das Umsichgreifen der Irrlehren in der Schweiz von seiten der Tagsatzung wie der Bischöfe ergriffen werden. Dennoch war der moralische Eindruck und der schließliche Erfolg gerade der entgegengesetzte: in Zürich befestigte sich die Reformation, in Basel und Bern wurde ihr Sieg vorbereitet.

In Basel fuhr Oe. unter dem Schutz des Rathes fort mit seinen biblischen Vorlesungen und Predigten, ließ seine neue Gottesdienstordnung drucken (unter dem Titel „Form und Gestalt“ u. s. w.), führte deutschen Gemeindegesang ein; der Rath selbst öffnete die Klöster und schaffte unnöthige Feiertage ab. Im Mai 1527 wurden die Geistlichen beider Parteien vorgefordert und beauftragt, binnen Monatsfrist Schriften über die Messe einzureichen. Die der katholischen Partei war verfaßt von Augustin Maier (Marius), Weihbischof und Münsterprediger; die der evangelischen war von Oe. verfaßt, von sechs anderen Geistlichen unterschrieben. Beide wurden gedruckt, der Rath aber hielt mit seiner Entscheidung zurück: sintemal der Handel schwer sei, müsse man die Sache vor ein allgemeines Concil bringen. Endlich kam der Bescheid: die Messe solle nicht abgeschafft, aber dem Gewissen des Einzelnen überlassen werden; auf der Kanzel solle sie weder gelobt noch getadelt werden. Bald darauf kam es, infolge des Berner Religionsgesprächs (Januar 1528), an welchem Oe. aus Basel wie Zwingli aus Zürich theilnahmen, zur Durchführung der Reformation in Stadt und Kanton Bern. Dieser Vorgang des mächtigsten Kantons übte auch einen Rückschlag auf Basel. Die reformatorische Partei wurde immer kühner. In der Bürgerschaft gährte es. Die Zünfte rotteten sich zusammen, Volksversammlungen wurden gehalten. Der Rath hielt sich immer noch in der Schwebe. Um Ostern drohte ein Bildersturm auszubrechen. Einige Eiferer drangen ohne Oekolampadius’ Wissen und Willen in die Martinskirche und warfen sämmtliche Bilder hinaus. Aehnliches wiederholte sich in anderen Kirchen. Die Anstifter wurden verhaftet, aber wegen drohenden Aufstandes bald wieder freigelassen. Die ganze Stadt theilte sich in zwei Lager – ein für die Dauer unerträglicher Zustand. Da veranlaßte Oe. die evangelisch Gesinnten zu einer Petition an den Rath wegen Abschaffung der Messe (December 1528). Unter Beihülfe eidgenössischer Vermittler kam ein Vergleich zu Stande, wonach vorläufig bis Pfingsten nur noch [233] in drei Kirchen Messe gelesen, dann aber eine öffentliche Disputation gehalten werden sollte, um über die definitive Gestaltung des Gottesdienstes zu entscheiden. Bald nach Abreise der Vermittler wurde der mühsam geschlossene Vergleich wieder verletzt. Darum drangen jetzt die Evangelischen auf Säuberung des Raths von katholischen Elementen und Neubesetzung desselben nicht mehr durch Cooptation, sondern durch Wahl des Großraths. Es kam zu einem bewaffneten Auflauf; der Rath wurde solange gefangen gehalten, bis er in die Forderungen der Bürgerschaft willigte (9. Februar 1529). Die Gegner der Reformation verließen die Stadt. Am 14. Februar verpflichtete sich der vermehrte große Rath durch einen feierlichen Eid, getreulich und ernstlich zu verhandeln, was zur Aufrichtung göttlicher Lehre, zum Nutzen und Wohlfahrt gemeiner Bürgerschaft dienen möge. Damit war der Reformation freie Bahn gemacht; Basel trat ein in das Burgrecht, d. h. das Schutz- und Trutzbündniß der reformirten Kantone.

Oe., der den Gegnern als Anstifter aller dieser Bewegungen galt, obwol er sich alle Mühe gegeben, dieselben in friedlichen Bahnen zu halten, wurde jetzt, unter Beibehaltung seiner Professur, zum ersten Münsterpfarrer und Oberpfarrer (Antistes) der gesammten Geistlichkeit in Stadt und Land ernannt; schon einige Zeit vorher (im März 1528) war er, nach dem Tode seiner Mutter, in die Ehe getreten mit einer jungen Wittwe, Wibrandis Keller geb. Rosenblatt, der Tochter eines Ritters und kaiserlichen Feldobersten. Er entwarf jetzt eine Reformationsordnung (enthaltend die Grundzüge des Bekenntnisses, aber auch Verordnungen über die öffentliche Sittlichkeit, Ehe, christliche Hausordnung etc.), die der Rath am 1. April 1529 publicirte. Kirchen- und Schulwesen wurde visitirt und neuorganisirt, an die Geistlichen ein Ausschreiben gerichtet, das von Oe. verfaßt war und eine Mahnung zur reinen Lehre, reinem Leben und reinem Gottesdienst enthielt (Epistola paraenetica, ut vitae doctrinaeque ac cerimoniarum puritatem in omnibus sectentur). Sofort schritt man auch zur Wiederherstellung der Universität, deren Mitglieder großentheils geflohen waren: Simon Grynäus aus Vöhringen in Schwaben, Paul Phrygio aus Schlettstadt, Sebastian Münster aus Ingelheim etc. wurden berufen; Oe. selbst nahm seine seit 1529 unterbrochenen Vorlesungen erst 1531 wieder auf. Zur Leitung der kirchlichen Angelegenheiten beantragte Oe., der von Anfang an mehr als Zwingli auf Auseinanderhaltung der staatlichen und kirchlichen Angelegenheiten und auf selbständige Repräsentation der Kirche bedacht war (hierin ein Vorläufer Calvin’s), bei dem Rath in einer „Oratio de reducenda excommunicatione apostolica“ die Einsetzung eines Collegiums von 12 Männern, den vier Hauptpredigern der Stadt, vier Rathsmitgliedern und vier achtbaren Männern aus der Gemeinde, also eines Presbyteriums oder Consistoriums. Der Rath fürchtete durch Einsetzung einer solchen kirchlichen Centralbehörde zuviel von seinem Einfluß auf die kirchlichen Dinge zu verlieren und ging deshalb nicht auf alle Vorschläge Oekolampadius’ ein, bewilligte aber durch eine „Verordnung wegen der Bänne“ (am 14. December 1530) die Einrichtung eines sogenannten Bannes (bestehend aus drei Männern vom Rath, einem von der Gemeinde) für jede einzelne Gemeinde der Stadt sowol als der Landschaft. Zur Handhabung einer guten Zucht unter den Geistlichen und zu deren wissenschaftlicher Fortbildung dienten regelmäßige Pfarrsynoden, die, solange Oe. lebte, wiederholt unter seinem Vorsitz zusammentraten (die letzte im September 1531, die Oe. mit einer Synodalrede begrüßte).

Während so die Neuorganisation des Basler Kirchenwesens in den Jahren 1528–1530 sich vollzog, wurde Oekolampad’s Mitwirkung auch für auswärtige kirchliche Angelegenheiten wiederholt in Anspruch genommen. Der zuerst von Karlstadt entzündete Abendmahlsstreit mit den Wittenberger Reformatoren hatte durch Zwingli’s und Oekolampads’ Eingreifen seit 1525 immer weitere [234] Dimensionen angenommen. Die Schrift des Letzteren („De genuina interpretatione etc.“, s. o.) war von Seiten der schwäbischen Prediger, an die sie zunächst gerichtet war (dilectis in Christo fratribus per Sueviam Christum annunciantibus wie sie in der vorgesetzten Dedication heißen), nicht ohne Erwiderung geblieben. Im Namen von 14 schwäbischen und fränkischen Predigern, meist Landsleuten und alten Freunden Oekolampads’, hatte der ihm von Heidelberg her nahe verbundene Johann Brenz sie beantwortet durch das sogenannte Syngramma Suevicum vom 21. October 1525; Oe. ließ dieses drucken zugleich mit seiner Replik unter dem Titel „Antisyngramma ad ecclesiastes Suevos una cum horum syngrammate“, 1526. Dann schrieb er über dieselbe Frage noch eine Schrift gegen den Nördlinger Prediger Theodor Billikan und zwei Sendschreiben an seinen alten Freund Wilibald Pirkheimer in Nürnberg (1526 und 1527). Gegen Luther, der zu dem schwäbischen Syngramma eine Vorrede geschrieben, richtete Oe. seine „Billige Antwort des Sakramentes halber“ (1526); Luther’s gegen ihn und Zwingli gerichtete Schrift: „Daß die Worte das ist mein Leib noch feststehen gegen die Schwarmgeister“ beantwortet er 1527 durch seine „Andere billige Antwort, daß der Mißverstand Luther’s auf die ewig beständigen Worte etc. nicht bestehen mag“; und als Luther nun wiederum 1528 in seinem „Großen Bekenntniß vom Abendmahl“ noch eingehender als früher seine eigene Ansicht zu begründen, aber auch noch schroffer als früher seine Gegner abzufertigen sucht, so bedauert Oe. zwar aufs lebhafteste die leidenschaftliche Sprache des Mannes, den er bisher „als einen wohlverdienten und theuren Knecht des Evangeliums“ so hoch geachtet, wird aber nicht müde, auch diese Schrift wieder – gemeinsam mit Zwingli – in ebenso ruhigem als freimüthigem Ton zu beantworten („Zwo Antworten auf Dr. Martin Luther’s Buch“, 1528), und auch an Melanchthon, als Antwort auf ein aus Speier an ihn gerichtetes Schreiben, eine kleine dogmenhistorische Untersuchung zu richten: „Dialogus, quid de eucharistia veteres Graeci et Latini senserint“, 1529.

Der Worte waren jetzt genug gewechselt. Im Interesse beider Parteien lag es, den unheilvollen Streit zu beenden und zu gemeinsamer Gegenwehr gegen die von Seiten der katholischen Majorität in Deutschland und der Schweiz drohende Vergewaltigung sich aneinander zu schließen. Dies war es, was Landgraf Philipp von Hessen bezweckte durch die Einladung zu dem Marburger Religionsgespräch (s. das Schreiben an Oe. und Zwingli in den Opp. Zwinglii 8, 312), an welchem Oe. gemeinsam mit seinem Freunde Zwingli in den Octobertagen 1529 sich betheiligte. Die gewünschte Einigung konnte freilich Oe. mit all seiner Milde und Feinheit ebensowenig zu Stande bringen, als der schroffere Zwingli oder der vielgewandte Unionsmann Martin Butzer (vgl. die Artikel Luther A. D. B. XIX, 682 f., Melanchthon A. D. B. XXI, 272 und die umfassende Litteratur über das Marburger Colloquium von Schmitt, Christoffel, Schirrmacher etc. und besonders Köstlin, Luther II, 127 ff.). Oe. selbst berichtet über den Hergang in einem Brief an seinen Freund B. Haller in Bern Epp. Oecol. Fol. 24. – Auch sonst war Oe. in diesen Jahren 1529–1531 vielfach durch auswärtige Angelegenheiten in Anspruch genommen: so hatte er 1529 Theil an der Einführung der Reformation in dem benachbarten Mülhausen, 1530 mit den Waldensern, die sich zuerst brieflich, dann durch Abgeordnete an ihn wandten und über eine Reihe von Fragen sich sein Gutachten erbaten (s. Oecol. Epp. Fol. 2; Herzog, Waldenser S. 334); 1531 hilft er mit bei der Reformation mehrerer schwäbischer Reichsstädte, Biberach, Memmingen und besonders Ulm, wo er auf Einladung des Predigers Konrad Sam und des Bürgermeisters Besserer mehrere Wochen weilte (s. Keim, Reformation der Reichsstadt Ulm, 1851, S. 228 ff.). Auch mit den Freunden der Reformation in [235] Frankreich und England stand er in Verbindung und unterhielt mit ihnen u. a. einen ausgedehnten Briefwechsel.

Bald aber wurden Oekolampadius’ Sorgen und Arbeiten wieder ganz und gar durch die schweizerischen Angelegenheiten in Anspruch genommen, als die confessionelle Spannung zwischen den reformirten und katholischen Kantonen sich steigerte, als die letzteren 1529 mit Ferdinand von Oesterreich sich verbündeten, als alle Mahnungen zum Frieden und zur Mäßigung überhört wurden, als endlich der unheilvolle Kappeler Krieg zum Ausbruch kam, als die Schreckenskunde von der Niederlage der Züricher und Zwingli’s Tod im Januar 1531 nach Basel gelangte. Auf Oe. wandten sich jetzt die Blicke der evangelischen Partei in der Schweiz; ihn begehrten die Züricher als Zwingli’s allein ebenbürtigen Nachfolger. Nach reiflicher Ueberlegung lehnte O. den Ruf ab (1. November, s.Epp. Fol. 212b), da er glaubte, aus guten Gründen Basel nicht verlassen zu dürfen. Aber er selbst sollte seinen schmerzlich betrauerten Freund nur noch um wenige Wochen überleben. Schon länger kränklich, vom Schmerz über Zwingli’s Tod und die bedrohliche Lage seiner Glaubensgenossen niedergebeugt, erlag er plötzlich einem an sich unbedeutenden Krankheitsanfall (anthrax am os sacrum), erst 49 Jahre alt, mit Hinterlassung einer Wittwe und dreier Kinder, denen er die Namen Eusebis, Aletheia, Irene gegeben hatte, damit sie, wie er sterbend wünscht, ihrem Namen Ehre machend, gottesfürchtig bleiben möchten, friedsam und der Wahrheit treu. Die Wittwe verheirathete sich später wieder mit Oekolampadius’ Freund Wolfgang Capito, † 1541, und nach dessen Tod mit Martin Bucer, † 1552; sie selbst starb als Wittwe dreier Reformatoren 1564. Oe. wurde im Kreuzgang des Basler Münsters bestattet; seine Grabschrift nennt ihn einen theologus trium linguarum peritissimus, verus episcopus, ut doctrina sic vitae sanctiomonia pollentissimus; später wurden ihm in Basel und in Weinsberg Denkmäler errichtet.

Als Theolog ist Oe. weniger originell als Luther, weniger volksthümlich als Zwingli, weniger gelehrt als Melanchthon, weniger consequent und energisch als Calvin, aber er nimmt zwischen diesen allen gewissermaßen eine Mittelstellung ein und steht insbesondere zu Zwingli in einem ähnlichen Verhältniß der Abhängigkeit, aber auch der Ergänzung wie Melanchthon zu Luther. Neben Zwingli, mit dem er in den letzten Jahren seines Lebens aufs engste verbunden war, hat er doch auch wieder eine gewisse Selbständigkeit bewahrt in der Lehre vom Abendmahl, die er tiefer, in der Lehre von der Gnadenwahl, die er milder faßt, wie er denn auch mit seinen kirchenpolitischen Anschauungen in der Mitte steht zwischen Zwingli und Calvin. Eine gewisse „natürliche Güte“ haben Freunde wie Gegner an ihm anerkannt. Erasmus schätzte ihn hoch, besonders wegen seiner hebräischen Sprachkenntnisse, hat sich aber später von ihm abgewandt, als sich Oe. erst Luther, dann Zwingli zuwandte. Auch Luther pries ihn früher als einen guten frommen Mann, beklagte sich aber später, daß er solche Lästerworte gegen ihn ausgespieen, obwol Oe. weit mehr Grund hatte, über Luther’s leidenschaftliche Sprache und ungerechte Anathematismen sich zu beklagen. Capito sagt von Oe.: „seine ganze Seele athmete Christum“; der St. Galler Keßler (Sabbata I, 171 ff.) nennt ihn einen „theologus pientissimus et vir doctissimus, einen ernsthaften Prediger und Bischof nach der Beschreibung St. Pauli; also daß er auch von seinen allermißgünstigsten Widersachern in keinerlei Laster kann angetastet, sondern muß gepriesen werden.“ Eine gewisse natürliche Weichheit und Schüchternheit, ein gewisses Schwanken zwischen einer mystischen Gefühls- und einer rationalisirenden Verstandesrichtung hat er nie ganz überwunden; aber eben darin liegt auch wieder seine Eigenthümlichkeit und seine geschichtliche Bedeutung: in dieser wohlthuenden Verbindung eines warmen, [236] frommen Herzens mit einem hellen, klaren, milden Geist. „Schon in diesem Leben“ – schreibt er einmal an Capito – „ist alles golden für die, welche an Christus glauben“; und als am Morgen seines Sterbetages, am 24. November 1531, ein heller Sonnenstrahl sein Sterbebett beleuchtete, sprach er, die Hand aufs Herz legend: „Hier ist des Lichtes genug!“

Eine Gesammtausgabe der Schriften Oekolampad’s gibt es nicht; die wichtigsten sind oben angeführt; ein Verzeichniß derselben gibt Grynäus; vervollständigt ist dasselbe von Herzog und Hagenbach; Briefe von ihm und an ihn stehen in den Briefsammlungen von Erasmus, Zwingli, Melanchthon, bei Füßli epp. Zürich 1742, sowie bei Herminjard, Correspondance des reformateurs, Bd. I u. II, bei Herzog II, 265 ff. und an anderen Orten. – Biographien Oe.’s haben geschrieben W. Capito 1536, Heß 1791, Tischer 1804, Escher in der Allg. Enc. III, 2, 8 ff., Herzog 1843 in 2 Bänden, Hagenbach 1859 in dem Sammelwerk: Väter und Begründer der ref. Kirche, Bd. II. Außerdem sind zu vergleichen die Schriften zur deutschen, schwäbischen und schweizerischen Reformationsgeschichte, bes. Wurstisens Basler Chronik; Ochs, Gesch. der Stadt Basel; Basler Chroniken, herausgeg. von W. Vischer und A. Stern, Bd. I; Archiv für schweiz. Reformationsgeschichte, S. 460 ff., 491 ff.