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Artikel „Keßler, Johannes“ von Ernst Götzinger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 657–658, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kessler,_Johannes&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 09:56 Uhr UTC)
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Keßler: Johannes K., ist im J. 1502 zu St. Gallen von unbemittelten Eltern geboren. Schon als Knabe zum geistlichen Stande bestimmt, erhielt er in der Klosterschule dürftige Anfänge des Unterrichts. Seine theologischen Studien begann er in Basel, da aber sein zartes Gewissen hier noch zu keiner bestimmten Stellung zum Reformationsgedanken kam, beschloß er in Wittenberg bei Luther selbst Klarheit zu erholen. Es ist bekannt, wie er in der Fastnacht 1522 mit seinem Studiengenossen, einem sonst unbekannten Johannes Spengler, den eben von der Wartburg zurückkehrenden Reformator, als Rittersmann gekleidet, im schwarzen Bären zu Jena antraf und was daselbst verhandelt worden. Der Aufenthalt in Wittenberg, wo K. neben Luther und Melanchthon auch Bugenhagen und Karlstadt hörte, war für die Lebensrichtung des Jünglings entscheidend; als er nach anderthalb Jahren in die Heimath zurückkehrte, stand sein Entschluß fest, ein geistliches Amt nicht zu übernehmen; – in den Kirchen St. Gallens wurde nämlich im J. 1524 noch überall Messe gelesen – und obgleich mit sehr schönen gelehrten Kenntnissen versehen, ging er zu einem Sattler in die Lehre. Zwar hatte Joachim v. Watt schon seit 1520 für die neue Lehre gewirkt und u. A. den ihm befreundeten Prädikanten Vorlesungen über die Apostelgeschichte gehalten; aber erst, als K. seit Neujahr 1524 einem kleineren Kreise jüngerer Bürger regelmäßige biblische Vorträge hielt, kam die Sache der Reformation in rechte Bewegung; bald erweiterte sich der Kreis der Zuhörer, man wechselte schnell die immer wieder zu eng gewordenen Locale, bis die Menge endlich mit der Bitte vor den Rath trat, derselbe möchte der Predigt des Evangeliums die Stadtkirche öffnen. Das war, was Vadian erwartet und gewünscht hatte; der Rath willigte ein und K. zog sich in die Sattlerwerkstätte zurück, gründete sich auch schon 1525 einen gesegneten Hausstand. Erst im Jahre 1537 gab ein Ruf des Rathes den bescheidenen Handwerker seinem ursprünglichen Wirkungskreise zurück; K. wurde zum Lehrer an der lateinischen Schule ernannt; daneben erhielt er 1540 das Amt eines ordentlichen Predigers an der Stadtkirche, später auch die Würde eines Antistes der St. Gallischen evangelischen Kirche. Er starb am 17. März 1574. K.’s literarische Bedeutung liegt in der von ihm verfaßten Chronik; ihr Titel lautet: „Sabbata. Chronika, Inhaltend historien, geschichten und händel, etlicher die sich von erwellung an Caroli V Röm. Kai. in miner Herren statt allhie zuo Santgallen, och etlicher, so sich an anderen orten mer zuogetragen und verloffen habend. Sampt zwaier epitome, das sind kurtze beschribungen, Aines von Jesu Christo unserem ainigen waren und von iewelten her uralten christenlichen globens. Das ander von dem papst, der romischen kirchen hopt und ain grundfeste aines nuwen globens, volgende historien klerer ze verstoen, vorangesetz, geschriben durch Johannßen Keßler, gemelter statt Santgallen burger“. Sie ist von dem Unterzeichneten in den St. Galler Mittheilungen, Heft V-X, 1866 und 68 zum erstenmal vollständig veröffentlicht worden. Den Namen trägt das Buch daher, daß es „an den sabbaten, das sind an den fyrtagen und fyrabendstunden, so meniglich an der handarbeit ruowet und müeßig gat“, ausgearbeitet wurde. Hervorgegangen ist die Arbeit aus dem lebendigen Gefühle, daß es „die türen und wunderbarlichen [658] historien, geschichten und löf dißer unßer gegenwurtigen zit wol wirdig und notwendig“ sei, „unseren kindkinder zu entdecken“. Denn in Johannes K. lebt eine unerschütterliche, kindliche und doch feste Ueberzeugung, daß Gottes gnädige Hand und Weisheit selber der entarteten Menschheit das neuerwachte Evangelium geschickt habe, er hat seine Boten, die Reformatoren, ausgeschickt, er hat ihren Predigten Segen gegeben, er hat alles zum besten gelenkt, er hat der Vaterstadt ihren Bürgermeister und Reformator, den Doktor v. Watt, er Zürich den Zwingli, Deutschland Luthern und Melanchthon geschenkt, er ist’s auch, der die persönlichen Geschicke des Chronisten leitet und führt. Dieser Grundgedanke gibt dem Werke eine fast biblische Würde, eine reine Lieblichkeit, eine unbestechliche Wahrheit, eine Milde und Sanftheit auch gegen feindselige Gewalten und Mächte, welche dieses Chronikbuch zu einer der lieblichsten Erscheinungen der Reformationszeit stempeln. Was immer zu erzählen ist, Begebenheiten von religiöser oder politischer Art, deutsches oder schweizerisches, der Menschen oder der Natur, fremder Menschen oder seiner Freunde oder seiner selbst, nichts wird blos seiner äußeren Thatsache nach aufgeschrieben, sondern es erscheint alles reflektirt aus dem liebend frommen Spiegel dieses zarten gottgläubigen Gemüthes. Dabei steht aber dem Chronisten zugleich eine seltene Kraft anschaulicher Erzählung zu Gebote, ein helles, für Erscheinungen der Geschichte wie der Natur gleich offenes Auge; er wirkt in hohem Sinne malerisch, und manche seiner körperlichen Schilderungen, z. B. Luthers, Melanchthons, Erasmus’ vergleichen sich den besten Holzschnitten der Zeit. Man hat dieses Zeitbuch „das gute Gewissen der Reformationszeit“ genannt. Die Chronik ist sofort nach der Rückkehr des Verfassers aus Wittenberg im J. 1523 begonnen und bis zum J. 1539 fortgesetzt worden. Nach einer Erzählung und Schilderung des Auftretens Luthers und nach einer überaus anschaulichen Schilderung „anderer gelerten personen, welche Gott fürnemlich zuo offenbarung der warhait anfangs zuo unser zit verordnet hat“, setzt die Chronik mit dem J. 1523 ein, um in freier chronologischer Folge alles das zu erzählen, was draußen und in der Heimath begegnet ist; an der Spitze jedes Jahres steht der Name des neugewählten Bürgermeisters der Stadt St. Gallen. Sehr vieles ist von K. selber erfahren, erlebt, beobachtet worden; anderes ist ihm von glaubwürdigen Augenzeugen, denen er fleißig nachging, berichtet, z. B. das Meiste von den werthvollen Abschnitten über die Wiedertäufer und den Bauernkrieg; wieder anderes ist neu erschienenen Druckwerken, neuen Zeitungen u. dgl. entnommen, wobei ihm ohne Zweifel besonders Vadian Handreichung that, alles aber trägt den Stempel des unmittelbar Erlebten, Gesehenen oder Gehörten. Die vorliegende Originalhandschrift der Sabbata, welche im Besitze der Stadtbibliothek steht, ist im J. 1533 begonnen worden; K. sah sich genöthigt, in Folge des für die evangelischen Eidgenossen ungünstigen Landfriedens von 1531 die ersten Jahrgänge im Sinne einer neutraleren Berichterstattung umzuarbeiten; über größere Fragmente der ursprünglichen Erzählung, die sich erhalten haben, habe ich in den St. Gallischen Mittheilungen, Neue Folge, Heft 4, S. 103 ff. Nachricht gegeben. Bei der Umarbeitung setzte nun K. dem zeitgeschichtlichen Texte zwei Vorreden, an seine beiden Söhne und an seinen Freund Johannes Rütiner, und die beiden oben im Titel der Sabbata genannten Epitome voraus.

Eine eingehende Würdigung unseres Geschichtswerkes hat Gerold Meyer von Knonau in Sybels historischer Zeitschr. Bd. XXIV S. 43 ff. gegeben; über K. im Allgemeinen siehe dessen Biographie von Joh. Jakob Bernet. St. Gallen, 1826 und noch einmal St. Gallen 1830 in: Verdienstvolle Männer der Stadt St. Gallen.