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Artikel „Olbers, Heinrich Wilhelm Mathias“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 236–238, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Olbers,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 16:06 Uhr UTC)
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Band 24 (1887), S. 236–238 (Quelle).
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Olbers: Heinrich Wilhelm Mathias O., Astronom und Arzt, geb. zu Arbergen am 11. October 1758, † zu Bremen am 2. März 1840. O. war der Sohn eines Geistlichen, das achte unter sechzehn Geschwistern. Vom Vater erhielt er den ersten Unterricht, nachher besuchte er Athenäum und Gymnasium illustre in dem benachbarten Bremen und erwarb sich daselbst ausgedehnte Kenntnisse aller Art. Als Autodidakt in der Sternkunde versuchte er sich bereits mit der Berechnung der Sonnenfinsterniß von 1774; ebenso fallen in seine Gymnasialzeit mehrfache dichterische Versuche. Im J. 1777 bezog er die Universität Göttingen als Studiosus der Medicin, und dieser Wissenschaft widmete er sich unter Blumenbach’s und Baldinger’s Leitung mit solchem Eifer, daß ihn der letztere „einen seiner besten Zuhörer“ nennen konnte. Daneben wurden bei Lichtenberg und Kästner physikalische und mathematische Vorlesungen gehört. Olbers’ Dissertation „De oculi mutationibus internis“, die 1780 gedruckt ward, läßt bereits recht deutlich seine Doppelneigung hervortreten, insofern darin ein Problem der physiologischen Optik mit mathematischen Hilfsmitteln angegriffen und bewältigt wird. Eine 1781 angetretene und vollendete Studienreise führte den jungen Gelehrten nach Wien, wo er den Tag über die Spitäler und Hörsäle besuchte, des Abends in den feinen Zirkeln der Kaiserstadt jene Lebensart sich aneignete, die ihn noch in den späteren Jahren ausgezeichnet haben soll, und die Nächte den astronomischen Beobachtungen widmete. So verfolgte er auf der Wiener Sternwarte den Lauf des soeben erst von W. Herschel entdeckten Planeten Uranus. Gegen Ende des genannten Jahres ließ sich O. in Bremen als praktischer Arzt nieder, um diese Stadt niemals wieder für längere Zeit zu verlassen. Seine Praxis wurde bald eine sehr ausgedehnte, und lange Jahre hindurch zeichnete er sich durch glückliche Kuren aus, insbesondere auch bei mehreren Cholera-Epidemien. Seit 1789 glücklich verheirathet, verlor er seine Gattin im J. 1820 durch den Tod, und von da an begann er auch mehr und mehr von der eigentlich praktischen Thätigkeit sich zurückzuziehen, ward aber noch nach wie vor als Consiliarius von seinen Amtsgenossen zum Krankenbett gerufen. Größere Reisen unternahm er nur selten, so während der Zeit der Fremdherrschaft zweimal im Auftrage seiner Heimathsstadt nach Paris, wo ihm der Umgang mit den berühmten Vertretern seines Lieblingsfaches über manche amtliche Unannehmlichkeiten hinweghalf. Auch ihm selbst wurden von Seiten astronomischer [237] Freunde vielfach Besuche in Bremen zu Theil. Man wußte dort sehr wohl, welch trefflichen Bürger man an ihm hatte; noch bei Lebzeiten ward sein Brustbild in Marmor aufgestellt. O. erfreute sich einer trefflichen Gesundheit, welche es ihm ermöglichte, sich Jahrzehnte hindurch mit vier Stunden Schlaf zu begnügen und nach der ermüdenden Arbeit des Tages unabänderlich einen Theil der Nacht am Fernrohr hinzubringen; nur katarrhalische Beschwerden befielen ihn häufig und verließen ihn nicht bis zu seinem Tode, dessen unmittelbare Ursache die Wassersucht war. Ahnend hatte er schon früher ausgesprochen, sein Ende werde im Monat März erfolgen, der sich ihm stets für die Beobachtung des gestirnten Himmels besonders günstig erwiesen habe.

Da O. mit Leib und Seele an seinem Berufe hing, so bezog sich auch seine wissenschaftliche Thätigkeit theilweise auf Fragen, welche mit jenem in Beziehung standen. Er suchte eifrig hinter die Geheimnisse des damals viel besprochnen thierischen Magnetismus zu kommen und verfaßte eine Abhandlung „Erklärung über die in Bremen durch Magnetismus vorgenommenen Kuren“, in welcher er die Realität solcher Heilungen zugab, jedoch zugleich seiner Ueberzeugung Ausdruck gab, daß eine fortgeschrittene Physiologie dereinst die Erscheinungen ohne die Annahme einer besonderen Geheimkraft werde erklären können. Die Impfung ward großentheils durch Olbers’ Bemühung in Bremen eingeführt. In der physikalischen Gesellschaft hielt er zum öftern Vorträge über Fragen der Heilkunde, und unter seinen Papieren fanden sich ungedruckte Arbeiten über Croup und Wasserscheu. Dagegen ist die in einigen Büchern enthaltene Angabe, daß O. eine Pariser Preisfrage über die Behandlung der Halsbräune gelöst habe, unrichtig; derjenige, dem der Preis zuerkannt ward, war der bremische Arzt Albers. Die letzte im Druck erschienene Arbeit von O. führt den Titel: „Tycho Brahe als Homöopath.“ – Die Witterungskunde beschäftigte unsern O. sowohl unter dem medicinischen als auch unter dem allgemein naturwissenschaftlichen Gesichtspunkte. Ein noch der Göttinger Periode angehöriger Versuch über die Vorausbestimmung des Wetters ist auf uns gekommen, und in einer späteren Studie wird die allfallsige meteorologische Bedeutung des Mondes eingehend gewürdigt. Der Autor entscheidet sich mit Recht dahin, daß ein gewisser, wenn auch schwacher lunarer Einfluß nicht zu verkennen sei.

Ungleich hervorragender ist O. als Astronom. Daß er sich schon als Student tüchtig in der Sternkunde ausgebildet hatte, ist uns bekannt, und später leistete dem jungen Arzte die Freundschaft mächtigen Vorschub, welche ihn mit dem Oberamtmann Schröter im benachbarten Lilienthal verband, denn dieser besaß damals die besten Spiegelteleskope auf dem Continent. O. errichtete sich auf dem Dache seiner Wohnung ein niedliches und äußerst zweckmäßig eingerichtetes Observatorium, welches die volle Bewunderung des trefflichen v. Zach gefunden hat. Mit demselben war eine ausgewählte Fachbibliothek verbunden, in der namentlich die Kometenliteratur in einer nicht leicht anderswo anzutreffenden Vollständigkeit vertreten war. Mit den Kometen beschäftigte sich O. besonders gerne; von ihnen handelt die große Mehrzahl unter den 42 selbständigen Abhandlungen, welche er geschrieben hat. Als er 1797 seinem Freund v. Zach im Manuscript eine neue Lösung der seit Halley auf der wissenschaftlichen Tagesordnung stehenden Aufgabe vorlegte, aus drei geocentrischen Beobachtungen die parabolische Bahncurve eines Schweifsterns zu berechnen, entzückte diese originelle Methode den gewiegten Praktiker so, daß er sie sofort, ohne nur erst die Einwilligung des Autors einzuholen, zu Weimar in Druck gab. Später hat dann Encke eine neue Auflage dieses trefflichen Werkchens besorgt, und man kann sagen, daß das „Olbers’sche Verfahren“ auch heute noch jeder kometarischen Bahnbestimmung zu Grunde liegt. Als Beobachter erwarb sich O. großen Ruf durch [238] die Entdeckung zweier Planetoiden, der Pallas (28. März 1802) und der Vesta (29. März 1807). Mit Glück griff er auch ein in den Streit über die Entstehung der Meteorite, indem er durch Rechnung nachwies, daß dieselben ihrer ungeheuren Geschwindigkeit halber nimmermehr als Auswürflinge der – an sich sehr unwahrscheinlichen – Mondvulkane betrachtet werden könnten. Reges Interesse nahm O. an allen auf die Geschichte der Astronomie bezüglichen Fragen, und sein feiner Takt befähigte ihn, ein entscheidendes Wort mitzusprechen bei den damals lebhaft betriebenen Erörterungen über die Ehrenrettung des Pesther Astronomen Pasquich gegen Kmeth und über die angebliche Kometenentdeckung des Malteserritters D’Angos. Mag man aber Olbers’ Wirken noch so hoch schätzen und noch so bereit sein, J. J. v. Littrows Urtheil zu unterschreiben („Aus Olbers’ Sternwarte, d. h. aus seinem Wohnzimmer, sind Beobachtungen und Entdeckungen hervorgegangen, deren jede einzelne auch das größte Observatorium für immer unsterblich machen würde“), so wird man doch nicht in Abrede stellen können, daß ein noch größeres Verdienst für O. es war, das Talent entdeckt zu haben, durch welches die moderne Astronomie erst ihre wirkliche Grundlage erhielt. Es ist bekannt, und im Artikel Bessel nachzulesen, daß O. als Arzt zufällig in das Kulenkamp’sche Handelshaus kam, daselbst auf die schüchternen astronomischen Versuche des jungen Comptoiristen aufmerksam wurde und nun nicht eher ruhte und rastete, bis das Genie in die richtige Bahn gebracht war. Innige Freundschaft hielt denn auch stets die beiden ausgezeichneten Männer verbunden, und O. erkannte neidlos in Bessel sein „trefflichstes Werk“ an.

Barkhausen, Bruchstücke aus dem Leben von Dr. H. W. M. Olbers in den Biograph. Skizzen verstorbener Bremischer Aerzte und Naturforscher, Bremen 1844, S. 591 ff. – R. Wolf, Geschichte der Astronomie, München 1877.