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Artikel „Christoffel, Raget“ von Huldreich Christoffel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 608–609, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Christoffel,_Raget&oldid=- (Version vom 14. Oktober 2024, 21:11 Uhr UTC)
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Christoffel *): Raget Ch., schweizerischer Kirchenhistoriker und Schriftsteller, geboren am 24. Juni 1810 in Scheid, einer romanischen Berggemeinde des Kantons Graubünden, † als Pfarrer zu Wintersingen (Kt. Baselland) am 29. Januar 1875. Seine Eltern waren einfache aber angesehene Bergbauern. Da ein Vorfahr zu den Reformatoren der Gemeinde gehört hatte, so vererbte sich in der Familie die Geschichte der Reformation der Gemeinde (vgl. Bart. Anhorn, Heilige Widergeburt der Evangel. Kirchen in den gemeinen dreyen Pündten der freien hohen Rhaetiae, S. 66 ff.), sowie diejenige des Kantons und der schweren Kämpfe, welche Graubünden zum Schutze der Glaubensfreiheit zu bestehen hatte, in lebendiger Erzählung fort und weckte in dem Knaben Sinn und Vorliebe für dieselbe. Der in der Landesgeschichte wohlerfahrene Vater, Landammann Thomas, weckte durch anschauliche Schilderungen und die Lectüre der Biographien hervorragender Reformatoren und der Landeschroniken von Guler und Sprecher in dem aufgeweckten Knaben eine fürs Leben andauernde Liebe zur Geschichte.

Von 1823–25 besuchte Ch. die von Oberst Scherrer geleitete Privatschule in Fürstenau, um vor allem die deutsche Sprache zu erlernen, trat dann im J. 1825 in die Kantonsschule in Chur ein, um sich für das Studium der Theologie vorzubereiten. Hier wirkten damals einige Männer, die mit vorzüglichem Lehrgeschick und gründlichem Wissen ausgestattet waren, wie der Hellenist Rector Lucius Hold, ein Schüler von F. A. Wolf, Antistes Paul Kind, der Germanist Dr. Kaltschmidt u. a. m., die in ihm den Grund zu einer tüchtigen philologischen und historischen Bildung legten. Im Herbste 1833 begann er das Studium der Theologie an der damals mit der Kantonsschule verbundenen theologischen Bildungsanstalt. Ch. bewahrte zeitlebens seinen Churer Lehrern eine dankbare Anhänglichkeit.

Durch anregenden Unterricht und eifrige Privatstudien wohl vorbereitet bezog er 1835 die Universität Jena. Die Vorlesungen der Theologen Baumgarten-Crusius und Kirchenrath Danz, des Philosophen J. F. Fries und vor allem des Kirchenhistorikers K. Hase, mit dem der „Urschweizer“ persönlich befreundet wurde und in andauerndem brieflichen Verkehr blieb, übten auf Ch. einen gewaltigen Eindruck aus. Große Förderung gewährten ihm die Kränzchen und der häufige private Verkehr mit seinen Professoren.

Im J. 1836 wurde Ch. ordinirt und versah von da bis 1840 das Pfarramt in Almens, im Domleschg, Graubünden. Seit einem Besuche der Erziehungsanstalt in Hofwyl, Kt. Bern, wo einige seiner Universitätsfreunde angestellt waren, stand er in Correspondenz mit dem berühmten Gründer und Vorsteher derselben, E. v. Fellenberg, der ihn im J. 1840 zum Director seiner Realschule ernannte. Von 1843–47 wirkte er als Lehrer und Rector an der Bezirksschule in Schöftland, Kt. Aargau. Diese praktische Bethätigung im Schuldienste veranlaßte ihn, sich mit der Geschichte des Erziehungswesens in der Schweiz, sowie mit den Schriften der vorzüglichsten Pädagogen, [609] namentlich Pestalozzi’s, vertraut zu machen. Im J. 1847 folgte er einem Rufe an die Pfarrei Wintersingen, Kt. Baselland, die er bis zu seinem Tode versah. Hier namentlich widmete er sich in den Stunden, die ihm seine Amtsgeschäfte frei ließen, dem Studium der Schriftwerke der schweizerischen Reformatoren, der schweizerischen und der italienischen Reformationsbewegungen. Daneben bemühte er sich als Mitglied des Erziehungsdepartements mit Hingabe und Verständniß um die Hebung des Schulwesens von Baselland und war ein eifriger Förderer des Armenerziehungswesens und anderer gemeinnütziger Bestrebungen.

Ch. war ein echter Sohn seines Landes, ein scharf ausgeprägter Charakter, eine klar umzeichnete Gestalt. Eine starke Liebe zu seinem Vaterlande, ein Trieb, an allem sich zu betheiligen, was zu dessen Erstarkung und Weiterentwicklung diente, war der Grund, warum er regen Antheil nahm an dessen Politik und noch in seinen letzten Lebensjahren mit Begeisterung sprach von dem idealen Hochflug der 30er und 40er Jahre; gerne erinnerte er sich auch der Tage in der deutschen Burschenschaft und seiner activen Betheiligung am Sonderbundsfeldzuge und an den Neuenburger Wirren. Lange Zeit war er Mitarbeiter an hervorragenden schweizerischen politischen Blättern. Er war ein Geistlicher von hellem, freien Blick, mit offenem Sinn für alle Lebensfragen, mit warmem Interesse für den wissenschaftlichen Fortbau der Theologie, treu dem Geiste, der ihn in Jena ergriffen hatte, und bewahrte sich ein frommes, pietätvolles Gemüth und eine auf reiche Lebenserfahrung gegründete feste evangelische Ueberzeugung.

Seine bekanntesten pädagogischen Schriften sind „Pestalozzi’s Leben und Ansichten, in einem Auszuge aus Pestalozzi’s Schriften“ (Zürich 1846), ein Buch, das große Verbreitung fand, sowie „Martin Planta, der Vorläufer Pestalozzi’s und Fellenberg’s“ (Bern 1865). Für das Sammelwerk „Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformirten Kirche“ verfaßte er im Auftrage von Prof. K. R. Hagenbach in Basel „Huldreich Zwingli. Leben und ausgewählte Schriften“ (Elberfeld 1857), nachdem er schon früher eine „Zeitgemäße Auswahl aus Huldreich Zwingli’s praktischen Schriften, in’s Schriftdeutsche übersetzt, mit Erläuterungen“ (Bändchen 1–9. 15. Zürich 1843) herausgegeben hatte. Die warmherzige und volksthümliche Zwingli-Biographie wird in ihrer Eigenart noch heute anerkannt und gewürdigt. In der Evangelisch-reformirten Kirchenzeitung von Thelemann und Stähelin, im Evangelischen Kalender von Professor Piper und in verschiedenen theologischen Zeitschriften erschienen größere Aufsätze über die reformatorische Bewegung in Italien, über den Cardinal Gasparo Contarini u. a. m. Mehr erbaulichen Inhaltes sind „Lebens– und Leidensbilder evangelischer Märtyrer Italiens“; „Charakterbilder aus der Reformationsgeschichte Italiens“; „Die Waldenser und ihre Brüder“ etc. An der Vollendung einer volksthümlichen Darstellung der „Geschichte der Reformation in der Schweiz“ verhinderte ihn schwere Erkrankung und Tod.


[608] *) Zu S. 486.