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Artikel „Amsdorf, Nikolaus von“ von Heinrich Theodor Flathe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 412–415, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Amsdorf,_Nikolaus_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 06:38 Uhr UTC)
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Amsdorf: Nicolaus v. A., geb. 3. Dec. 1483 wahrscheinlich zu Torgau, nicht in Großzschepa bei Wurzen, das sein Vater Georg erst 1503 erwarb, † 1561. A. entstammte einem alten Adelsgeschlechte, das, früher im Mansfeldischen begütert und nach einem Dorfe bei Eisleben benannt, sich im 15. Jahrhundert ins Meißnische gewendet hatte. Mütterlicherseits war er mit Joh. von Staupitz verwandt, dessen Einflusse es vielleicht zuzuschreiben ist, daß er gegen die Gewohnheit des damaligen Adels sich für den geistlichen Stand entschied. Zu Leipzig vorgebildet, bezog er 1502 die neueröffnete Universität Wittenberg, wurde daselbst 1504 Magister, 1507, in welchem Jahre ihm der Kurfürst ein Canonicat an dem mit der Universität verbundenen Allerheiligenstift übertrug, Baccalaureus, 1511 Licentiat der Theologie und hielt als solcher theologische und philosophische Vorlesungen. Schon vor den 95 Thesen nahm er Luthers reformatorische Ideen in sich auf und blieb von da an dessen unerschütterlichster Anhänger und rüstigster Mitarbeiter. Ihm widmete Luther seine Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“; er war Luthers Begleiter wie zur Disputation nach Leipzig so zum Reichstage nach Worms, er war auch Zeuge seiner Entführung und einer der wenigen Mitwisser um das Geheimniß derselben, bei ihm wohnte Luther während seiner heimlichen Anwesenheit in Wittenberg 1521, er vertrat diesen auch als Prediger in der Pfarrkirche. Als Mitverfasser des vom Kurfürsten der Universität abgeforderten Gutachtens billigte er die Abschaffung der Messe von Seiten der Augustiner und rieth dieselbe in den übrigen Kirchen nachzuahmen, vermochte jedoch dem Unwesen der aus Zwickau herbeigezogenen Schwarmgeister nicht Einhalt zu thun. Im J. 1524 auf Luthers Empfehlung zum Superintendenten und Pfarrer an der Ulrichskirche nach Magdeburg berufen, ordnete er hier das Kirchenwesen nach dem Vorbilde Wittenbergs, sowol dem Widerstande des anfangs noch römisch gesinnten Magistrats und der Domgeistlichkeit, unter letzterer besonders Cubito’s und Valentin’s, als auch den Angriffen anderer Papisten und der Sectierer im eigenen Lager furchtlos die Stirn bietend, mitunter selbst sie mit übereifriger Heftigkeit bekämpfend. Gleiche Energie bewährte er in Goslar, wo er 1528 ebenfalls die Reformation einführte und bei einer zweiten Anwesenheit durch Feststellung einer Kirchenordnung dauernd begründete. Zu dem nämlichen Zwecke berief ihn 1534 Herzog Philipp von Grubenhagen nach Einbeck und 1539 auf Wunsch Heinrichs des Frommen der Kurfürst Johann Friedrich nach Meißen, wo er im Dom den evangelischen Gottesdienst einrichtete.

Von allen Mitarbeitern am Werke der Reformation stand kaum einer Luthers Herzen näher als A., mit dem ihn eine auf die innigste Uebereinstimmung des Charakters gegründete Freundschaft verband. „Mein Geist ruhet aus in meinem Amsdorf“, sagte Luther; er gehörte zu des Reformators vertrautesten Hausfreunden, ihn vor allen zog derselbe um seines frommen Sinnes, seines [413] treuen, aufrichtigen und beständigen Herzens und seines scharfen Judiciums willen in schwierigen Fällen zu Rathe. Dafür vergalt ihm A. mit unbegrenzter Hingebung und nimmer wankender Treue. An Kühnheit und Unerschütterlichkeit des Glaubensmuthes, an eiserner Unbeugsamkeit des Willens, an Aufrichtigkeit und Geradheit des Wesens, auch an Tiefe des Gebetseifers steht er Luthern nicht unebenbürtig zur Seite, zu dessen transcendentalem Mysticismus sein Scholasticismus, seine dialektische Gewandtheit gewissermaßen eine Ergänzung bildete. „Einen Theologen von Natur“ nennt ihn deshalb Luther und Myconius rühmt ihn als einen Mann, mächtig im Wort und in der Lehre. Dagegen ging ihm für die Poesie und den Humanismus jedes Verständniß ab, ebenso fehlte ihm, der in freiwilligem Cölibat lebend nie die sänftigende Macht des Familienlebens an sich erfahren hatte, das Herzgewinnende, das Luther in so hohem Maße besaß. Er stieß durch Rauheit und finstere Strenge ab, seine herrische Unduldsamkeit machte ihn zum grimmigen Widersacher nicht bloß des römischen Antichrists sondern jedes Andersdenkenden und zum eigensinnigsten, starresten Verfechter der ihm allein für rein geltenden lutherischen Lehre. Nicht ohne Grund fürchtete daher Melanchthon Amsdorf’s Einfluß auf Luther, der sich durch ihn in seiner einseitigen Auffassung bestärken ließ. A. war es auch, der 1534 Luthers Streit mit Erasmus aufs neue anschürte. Dem milden Melanchthon entfremdete er sich mehr und mehr, verwarf dessen Visitationsbüchlein, besonders aber wich er in der Lehre von den guten Werken und vom Abendmahl von ihm ab. Alle Vermittelungsversuche mit den Zwinglianern waren ihm ein Greuel, daher er über das Fehlschlagen des Marburger Gesprächs frohlockte; er verwarf die Unterscheidung zwischen buchstäblichem und geistigem Sinne, erklärte sich entschieden gegen die Straßburger, Bucer und Seb. Frank und und war mit der Wittenberger Concordia (1536) sehr unzufrieden. Auf dem Convent zu Schmalkalden, dem er als Vertreter Magdeburgs beiwohnte, verfocht er, nachdem er bereits an den Berathungen über die von Luther gestellten Artikel Theil genommen, den Genuß des Sacraments durch die Ungläubigen mit äußerster Hartnäckigkeit, war bei den Verhandlungen in Hagenau, in Worms, in Eisenach, wo er sich sehr scharf gegen die Doppelehe des Landgrafen Philipp aussprach, und trug wesentlich zu dem Scheitern des Regensburger Religionsgesprächs bei, zu dem ihn der Kurfürst ausdrücklich geschickt hatte, um darüber zu wachen, daß man der reinen Lehre nichts vergebe. Bald jedoch sah sich A. zu einer wichtigeren Stellung berufen. Als nämlich das Bisthum Naumburg-Zeitz durch den Tod des Bischofs Philipp erledigt worden war, ernannte Kurfürst Johann Friedrich, unter Verwerfung des vom Capitel gewählten Dompropstes Julius v. Pflugk, kraft der von ihm beanspruchten landesherrlichen Befugniß A. zum Bischof, den für diese Würde außer anderen Eigenschaften die von den Statuten des Stifts geforderte adelige Geburt empfahl. Ungern ließen die Magdeburger ihn ziehen. Ungern folgte A. dem Rufe. Am 20. Jan. 1542 wurde er in Gegenwart des Kurfürsten und einer großen Menge Volkes von Luther feierlich als der erste evangelische Bischof ordinirt. Freilich bestand sein Gehalt nur in 600 Fl. nebst freier Tafel und Holzfuhre, so daß Luther nicht mit Unrecht meinte, A. sei aus einem reichen Pfarrherrn ein armer Bischof geworden, und da der Kurfürst die weltliche Verwaltung des Stifts selber an sich nahm und durch einen eignen Stiftshauptmann, Melch. v. Kreutzen, führen ließ, so stellte er auch nur einen geistlichen Würdenträger ohne weltliche Regierungsrechte vor. Dadurch gerieth er von vorn herein zu dem Kurfürsten, der ihm auch das Prädicat „von Gottes Gnaden“ nicht zugestehen wollte, in eine schiefe Stellung, mit dem habsüchtigen Stiftshauptmann aber, ferner mit dem Naumburger Superintendenten Medler in Mißhelligkeiten, so daß es mehr als einmal Luthers [414] Zuspruch bedurfte, um seine Sehnsucht zurück nach Magdeburg zu dämpfen und seinen Muth aufzurichten. Denn auch die von ihm mit allem Eifer begonnene Reformation des Stifts stieß bei dem Capitel und einem großen Theile des zu Pflugk haltenden Stiftsadels auf Widerstand und selbst von seiten des Hofes sah er sich hierbei nicht so wie er gehofft hatte, unterstützt: das Visitationswerk namentlich konnte erst 1545 begonnen und in Folge der Widerspänstigkeit der Ritterschaft nicht überall durchgeführt werden.

Diese eigennützige und der Reichsverfassung zuwiderlaufende Besetzung des Naumburger Bisthums durch den Kurfürsten wurde eine der hauptsächlichsten Veranlassungen zum schmalkaldischen Kriege. A., der schon seit dem Beginne der Reformation die Ansicht vertreten hatte, daß ein christlicher Fürst im Nothfall um des Evangeliums willen Krieg führen dürfe, war durchaus kriegerisch gestimmt. Nicht zufrieden, den Kurfürsten in Schrift und Wort gegen die Anklage des Ungehorsams und der Rebellion zu vertheidigen und die Stiftskleinodien nebst den wichtigsten Documenten nach Weimar, wohin ihn der Kurfürst zu Gemahlin und Söhnen berufen hatte, in Sicherheit zu bringen, bot er sogar die Stiftsunterthanen gegen Herzog Moritz auf, ohne dadurch verhindern zu können, daß dieser das Stift mit leichter Mühe in Besitz nahm und Pflugk als rechtmäßigen Bischof in dasselbe einführte. A. wendete sich auf den Grimmenstein nach Gotha, kehrte zwar, als sein Gegner vor dem heimkehrenden Kurfürsten entweichen mußte, noch einmal nach Zeitz zurück, mußte aber nach der Schlacht bei Mühlberg eiligst wieder fliehen, diesmal um sein Bisthum nie wiederzusehen. Trotzdem blieb er ungebrochenen Muthes; noch während der Belagerung von Wittenberg ließ er eine Schrift ausgehen. „Daß der Papst der rechte Antichrist ist“. Zwei Jahre verweilte er als exul Christi in Weimar, von der Kurfürstin und den jungen Herzögen hoch geehrt. Der gefangene Kurfürst wendete sich oft an ihn um Rath und erhielt von ihm bald Trost, bald ernstliche Ermahnung zur Beständigkeit, daß er ja nicht in das Concil einwillige. Auch bei Gründung der Universität Jena wurde er fleißig zu Rathe gezogen und, obgleich er selbst nie an ihr gelehrt hat, wurde dieselbe durch seinen Einfluß je länger je mehr eine Veste des strengen Lutherthums, gegenüber dem in Wittenberg dominirenden Philippismus. Gegen das Interim sprach er sich in mehreren Schriften mit solcher Heftigkeit aus, daß der Kurfürst selbst ihm rieth, er möge, um den Kaiser nicht noch mehr aufzubringen, lieber weg und nach Magdeburg ziehen. Hauptsächlich durch ihn wurde seitdem diese Stadt der Mittelpunkt alles Widerstandes gegen das Interim, der Herd aller Angriffe gegen die Anhänger desselben sowie gegen die Adiaphoristen in Wittenberg und im Meißnischen. Nicht minder fiel er über Osiander wegen dessen Rechtfertigungslehre her. Er sah die Zeit Daniels und der Apokalypse angebrochen. Nach der Uebergabe von Magdeburg bot der gefangene Johann Friedrich dem verehrten Manne aufs neue ein Asyl. A. wählte Eisenach, dort lebte er mit einem Gnadengehalte von 200, später 300 Fl. und Naturalverpflegung ohne bestimmtes Amt aber als oberster geistlicher Rathgeber und Leiter des Kirchenwesens in den ernestinischen Landen. Hier ward ihm die unbeschreibliche Freude zu Theil, seinen aus der Gefangenschaft heimkehrenden Herrn zu empfangen und einzuholen, das Jahr darauf berief ihn der Kurfürst an sein Sterbebett; am 5. März hielt ihm A. die Leichenpredigt. Selbst über das Grab hinaus vertheidigte er seinen lieben Herrn gegen die Verunglimpfungen der Meißner.

Auch bei den jungen Herzögen genoß er nicht geringeres Ansehen als bei ihrem Vater, ihm selbst galt es als Gewissenspflicht, sie trefflich zu berathen und geistlich zu leiten. Die strengen Lutheraner verehrten ihn als einen andern Luther, als den Elisa, den Elias zurückgelassen. Auf seinen Betrieb wurde [415] Matth. Flacius als eine neue Säule der Orthodoxie nach Jena berufen, unter seinen Auspicien wurde, ebenfalls im Gegensatz zu den Wittenbergern, die Jenaer Ausgabe von Luthers Werken 1555–1558 veranstaltet, die er mit einer Vorrede versah. Selbst das hohe Alter vermochte seine Arbeitskraft kaum zu vermindern, seine Strenge nicht zu mildern. Während der 1554 im ernestinischen Sachsen unternommenen Visitation gerieth er mit dem Gothaer Superintendenten J. Menius in einen heftigen Streit über G. Mejors[1] Lehre von der Nothwendigkeit der guten Werke, die A. nicht als zur Seligkeit sondern nur als Früchte der Seligkeit und Gerechtigkeit von nöthen anerkennen wollte. Auch in der Vorrede zu Luthers Werken erklärte er jene Lehre „für die erste und letzte, auch die ärgste und schädlichste Ketzerei, so je auf Erden kommen“, bewirkte durch seine Denunciation des Menius Entsetzung und ließ sich sogar von dem Zorn über die demselben von den eigenen Parteigenossen gemachten Zugeständnisse zu der mehr nach dem Ausdruck als dem Sinne nach verfehlten Behauptung hinreißen, daß gute Werke zur Seligkeit schädlich seien. Doch söhnte er sich bald wieder mit den Orthodoxen aus, um im Verein mit ihnen aufs neue die philippistische Richtung zu bekämpfen, trieb dieselben von Weimar aus auf dem Wormser Colloquium 1557 zum völligen Bruch mit Melanchthon, bestimmte den Herzog zur Verwerfung des von letzterem in versöhnlichem Sinne verfaßten Frankfurter Recesses, bekämpfte denselben im Auftrage des Herzogs in einer eigenen Recusationsschrift, stellte dem Synergismus des Leipziger Superintendenten Pfeffinger die Behauptung von der gänzlichen Unfreiheit des menschlichen Willens, also von der unbedingten Prädestination entgegen und begrüßte die Verdammung von neun der gefährlichsten Irrthümer durch das Weimarer Confutationsbuch mit lauter Freude, stellte sich auch in dem darüber zwischen Flacius und Strigel entbrannten Streite entschieden auf die Seite des ersteren. Trotzdem billigte er nicht in allen Stücken das zelotische und hierarchische Gebahren der Flacianer, daher es auch geschehen konnte, daß durch den plötzlichen Sturz derselben im J. 1561 seine eigene Stellung zum Herzog Johann Friedrich dem Mittleren nicht berührt wurde, daß er sogar noch gegen das Ende seines Lebens von den Eiferern bitter gelästert wurde, weil er in einem zu Magdeburg durch den zelotischen Superintendenten Heßhus mit dem Magistrate angezettelten Streite für den letzteren Partei ergriffen hatte. Lebenssatt starb er 14. Mai 1565 und wurde auf Befehl des Herzogs mit allen bischöflichen Ehren in der St. Georgskirche zu Eisenach begraben.

Die erste gründliche Darstellung seines Lebens, zugleich mit einer Uebersicht seiner äußerst zahlreichen, meist polemischen Schriften sowie der ihn betreffenden Litteratur hat E. J. Meier gegeben in: „Das Leben der Altväter der lutherischen Kirche“, herausgeg. von M. Meurer, 3 Bd. 1863.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 415. Z. 7 v. o. l.: Major’s. [Bd. 2, S. 797]