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Artikel „Heßhusen, Tilemann“ von Wilhelm Gaß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 314–316, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hesshusen,_Tilemann&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 22:42 Uhr UTC)
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Heßhusen: Tilemann H. (oder Heßhus), nimmt unter den Epigonen des strengen und streitfertigen Lutherthums eine historisch denkwürdige Stelle ein. Von einem Schüler Melanchthon’s, in dessen Convict er um 1550 studirte und [315] dessen eigener Anhänger G. Major ihm 1553 den theologischen Doktorhut verlieh, hätte man einen ganz anderen Lebensgang erwarten sollen. Geboren am 3. Novbr. 1527 zu Niederwesel im Cleve’schen wurde er schon 1552 Pastor Primarius zu Goslar, erregte jedoch durch sein leidenschaftliches Auftreten solchen Widerwillen, daß er sich nur bis 1556 behaupten konnte. Er ging als Professor und Prediger nach Rostock, aber eine zweite Absetzung nöthigte ihn, schon im folgenden Jahre von dort zu scheiden, indem er zugleich einem höchst ehrenvollen Rufe nach Heidelberg folgte. Er wurde unter Otto Heinrich Professor der Theologie, Generalsuperintendent und Präsident des Kirchenraths daselbst, trat also mitten in die dortigen confessionellen Kämpfe, welche er wider Willen nach der entgegengesetzten Seite entscheiden half. Sein Streit mit Klebitz offenbarte den schroffen und mit Melanchthon zerfallenen Lutheraner; Friedrich III. entließ ihn wegen völliger Unfügsamkeit 1559 seines Amts. Nicht anders erging es ihm in Bremen, wo er wider die Calvinisten eiferte, nicht anders und noch schlimmer 1560 in Magdeburg, von wo er 1562 gewaltsam ausgewiesen wurde. Er nahm darauf 1563 seinen Wohnsitz als Privatmann in seiner Vaterstadt Wesel; hier gerieth er alsbald über die Abendmahlslehre [WS 1] in einen Kampf mit Rollius und Heydtfeld, der 1565 zu seiner Ausweisung auch aus Wesel führte. Nach einer ruhigeren Wirksamkeit in Neuburg als Prediger am Hofe des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken seit 1565, ließ er sich 1569 nebst Anderen an die Universität Jena, also in ganz lutherische Umgebungen berufen. Allein sein Schicksal blieb dasselbe, schon der nächste Umschwung brachte ihn zu Falle. Durch den Kurfürsten August 1573 von Jena vertrieben, war er wieder so glücklich, gleich darauf nach Königsberg, also auf einen damals höchst unruhigen Schauplatz berufen zu werden. Als Nachfolger Mörlins und Bischof von Samland, genoß er anfänglich Ehre und Einfluß, bald aber kehrten sich seine eigenen polemischen Waffen wider ihn; man entdeckte in seiner Lehre von Christus eine, zwar höchst subtile Abweichung, die aber doch so wichtig genommen wurde, daß seine Widersacher, Wigand an der Spitze, Absetzung über ihn verhängen konnten. Auch von dort mußte er 1577 weichen, doch fand er ein letztes Unterkommen an der Universität Helmstädt, woselbst er als Professor unter mancherlei kleinlichen Streitigkeiten über die zunächst noch geltende und von ihm selber anerkannte Concordienformel bis an seinen Tod am 25. Septbr. 1588 gewirkt hat. – So erlebte dieser Mann – „Brausekopf“ nennt ihn Planck – rasch nach einander Ehren und Unehren, Vertreibung und Auszeichnung; zuerst von Melanchthon, dann von Chyträus und Chemnitz empfohlen, ließ ihn geringer Differenzen halber selbst die eigene Partei fallen. Fast sind seine Schicksale merkwürdiger als er selbst, sie werfen ein Licht auf seinen Charakter, aber sie beugten ihn nicht. Von seinen Schriften hat nur das „Compendium theologicum“ von 1571, mehrfach wiederholt, einen systematischen Zusammenhang, alle übrigen dienen der Gelegenheit und dem Streit. An Geist und Gelehrsamkeit stand er gegen einen Flacius weit zurück, er war ihm aber ähnlich an geistlichem Stolz und richterlichem Selbstgefühl. Das „Predigtamt“, sagt er, soll nicht abgehen ohne Furcht, mit ihm verbindet sich eine Macht, „alle falsche Lehre und Secten öffentlich mit Namen zu nennen“, ein „geistlicher Gerichtszwang“, welcher den Pfarrherrn berechtigt, Sünden zu vergeben und zu behalten. Und von dieser Schlüsselgewalt hat H. nicht allein theoretisch, sondern namentlich praktisch durch seine an mehreren Orten verkündigten Bannsprüche einen herrischen Gebrauch gemacht, obwohl ohne sich zu genügen, denn noch in seinem Testament beklagte er, die Sünder nicht noch härter gestraft, die Rottengeister nicht noch eifriger widerlegt zu haben. Seine Schrift: „Von Amt [316] und Gewalt der Pfarrherren“ ist neuerlich von Fr. A. Schütz, Leipzig 1854 wieder herausgegeben worden.

Außer der ausführlichen, zahlreiche Actenstücke enthaltenden Hauptquelle: Historia Heshusiana, Quedlinburg 1716, ist zu vergl. E. Henke’s Artikel in Herzogs Encyclopädie.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 316. Z. 5 v. o.: Zu Heßhusius vgl. noch Julius Wiggers in Lisch, Jahrb. XIX. [Bd. 15, S. 795]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Abendmalslehre