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Artikel „Wiggers, Moritz“ von Heinrich Klenz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 465–468, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wiggers,_Moritz&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 04:26 Uhr UTC)
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Wiggers: Moritz Karl Georg W., Politiker, geboren am 17. October 1816 zu Rostock, † am 30. Juli 1894 ebendaselbst. W. war ein Sohn des Rostocker Theologieprofessors Gustav Friedrich W. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und lag in Rostock, Heidelberg und Göttingen dem Studium der Rechtswissenschaften ob. Nachdem er die vorgeschriebene Prüfung bestanden hatte, ließ er sich im J. 1843 als Advocat und Notar in Rostock nieder. Die [466] Bewegung von 1848 rief ihn ins öffentliche Leben; bald stand er mit an der Spitze der damaligen demokratischen Partei. Als im Herbste des genannten Jahres die mecklenburgischen Abgeordneten zur Vereinbarung einer constitutionellen Verfassung zusammentraten, wurde W. von ihnen zum ersten Präsidenten der „Mecklenburgischen constituirenden Versammlung“ erwählt, und nach Einführung des constitutionellen Staatsgrundgesetzes (10. October 1849) wurde ihm wiederum das Präsidium der zweiten, constitutionellen mecklenburgischen Abgeordnetenkammer übertragen. Dieselbe trat im Frühjahr 1850 zusammen, wurde jedoch nach wenigen Wochen vertagt und am 1. Juli aufgelöst, da die Regierung sich dem infolge Bundesrathsbeschlusses eingesetzten Schiedsgericht von Freienwalde unterworfen hatte, welches die Verfassung für ungültig erklärte. W., welcher schon die Rechtsgültigkeit der Vertagung nicht anerkannt hatte, berief nach 12 Wochen die constitutionelle Kammer wieder; der Zusammentritt wurde aber durch Gewalt gehindert. Wegen Begünstigung der Flucht des aus Spandau durch Karl Schurz befreiten und über Mecklenburg nach England geretteten Dichters Gottfried Kinkel (im November 1850) angeklagt, wurde W. freigesprochen. (Vgl. Wiggers’ Aufsatz „Gottfried Kinkel’s Befreiung“ in der Gartenlaube [1863, Nr. 7–10]. In derselben Zeitschrift [1864, Nr. 15 u. 16] veröffentlichte W. auch: „Ein Besuch bei Garibaldi auf Caprera“.) Dagegen wurde W. in den „Rostocker Hochverrathsproceß“ verwickelt. „Mit Wissen und Einverständniß des Berliner Polizeipräsidenten v. Hinckeldey hatte ein geheimer Agent der dortigen Polizeibehörde schon im Winter 1851/52 in einen Kreis von Rostocker Patrioten, welche die 1850 erfolgte Aufhebung des constitutionellen Staatsgrundgesetzes von 1849 und der damit eingetretene Wechsel des Regierungssystems zusammengeführt hatte, sich einzudrängen gewußt und ihren harmlosen Zusammenkünften eine Wendung zu geben versucht, daß das Ganze zu gelegener Zeit für eine Verschwörung sich ausgeben ließ. Im März 1853, nachdem jene Zusammenkünfte schon seit einem halben Jahre nicht mehr stattgefunden hatten und ihre Zwecke von allen Theilnehmern als aufgegeben betrachtet wurden, war der Zeitpunkt gekommen, wo die Berliner Polizeibehörde die Früchte ihrer Bemühungen glaubte einernten zu sollen. Die Entdeckung der ‚Verschwörung‘ ward von ihr mit großem Geräusch gleichzeitig in Preußen und Mecklenburg in Scene gesetzt. Mit vielen anderen Rostockern wurden in die nun beginnende Untersuchung auch die beiden Söhne des Consistorialrathes W. verflochten.“ (Dr. Gustav Friedrich W. Ein Denkmal, Leipzig 1861, S. 66 f.) Die beiden Brüder wurden am 1. Mai 1853 in das Bützower Criminalgefängniß abgeführt und saßen dort in Untersuchungshaft bis zum 9. Januar 1857. Darauf wegen Hochverrath vorbereitender Handlungen zu drei Jahren Zuchthaus verurtheilt (jedoch nicht einstimmig, da mehrere Mitglieder des Gerichtshofes sich für Freisprechung erklärt hatten), mußte W. noch bis zum 24. October 1857 in Gefangenschaft bleiben, worauf er infolge großherzoglichen Befehls freigelassen, aber aus der Zahl der Advocaten gestrichen wurde. (Näheres findet man in den Schriften: Julius W., 44 Monate Untersuchungshaft. Ein Beitrag zur Geschichte des „Rostocker Hochverrathsprocesses“, 1. u. 2. [verm.] Aufl. Berlin 1861. – Herm. Wex, Der Rostocker Hochverrathsproceß vor dem Forum des Hamburger Niedergerichts, 1861. – K. Türk, Die Revision des Rostocker sogen. Hochverrathsprocesses, 1866; 2. Aufl. 1867.) Seitdem lebte W. in seiner Vaterstadt als Privatmann, seine Thätigkeit gemeinnützigen Dingen widmend. Am politischen Leben betheiligte er sich zunächst wieder als Mitglied des Ausschusses des Nationalvereins und des Abgeordnetentages. Im J. 1867 wurde er, da ihm die Wahl in Mecklenburg verschlossen war, vom dritten Berliner Wahlkreise in den constituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt und [467] blieb auch der Vertreter des genannten Wahlkreises in den folgenden ordentlichen Norddeutschen Reichstagen. Im J. 1871 wurde er in den Deutschen Reichstag, und zwar außer in Berlin auch im dritten mecklenburgischen Wahlkreise (Parchim-Ludwigslust) gewählt; er nahm die Wahl für letzteren an und vertrat denselben bis zum Jahre 1881 auf den Bänken der deutschen Fortschrittspartei. Als das herannahende Alter ihn auf eine Fortsetzung des parlamentarischen Wirkens verzichten ließ, widmete er sich fast ausschließlich dem Projecte eines Schifffahrtscanals von Rostock nach Berlin, zu welchem Zwecke er den Mecklenburgischen Canalverein zu Rostock gegründet hatte, und erzielte wenigstens den Anfang einer größeren Wasserverbindung Rostocks mit dem Binnenlande. Auch machte er sich als Mitbegründer und langjähriges Mitglied des Centralvereins für Hebung der deutschen Fluß- und Canal-Schifffahrt zu Berlin verdient. (Vgl. Rostocker Zeitung 1894, Nr. 351.)

Als Schriftsteller verfaßte W. gemeinschaftlich mit seinem älteren Bruder Julius eine „Geschichte der drei mecklenburgischen Landesklöster Dobbertin, Malchow und Ribnitz. 1. Hälfte: Von der Stiftung derselben bis zur Überweisung an die Stände im Jahre 1572“ (1848) und eine „Grammatik der italienischen Sprache, nebst einem Abriß der italienischen Metrik“ (1859). Allein verfaßte W. folgende staats- und volkswirthschaftliche Schriften: „Die Vertheilungsverhältnisse des Grundbesitzes, die agrarische Gesetzgebung und deren Wirkung in Mecklenburg-Schwerin. Ein Vortrag auf dem volkswirthschaftlichen Congreß zu Frankfurt a. M. am 14. September 1859.“ (Separatabdruck aus dem Arbeitgeber. 1859.) – „Die Nothwendigkeit einer gründlichen Reform der wirthschaftlichen Zustände in dem Hafenorte Warnemünde.“ (1860.) – „Zwei Vorträge über die agrarischen Zustände in Mecklenburg-Schwerin, gehalten auf dem volkswirthschaftlichen Congresse zu Frankfurt a. M. und Köln.“ (1861.) – „Volkswirtschaftliche Flugblätter“: I. „Die Nothwendigkeit der Reform des Gewerbewesens in Mecklenburg.“ (1861.) II: „Das Project einer auf dem Principe der Selbsthülfe zu gründenden Gewerbehalle in Rostock.“ (1861.) III: „Vortrag über das Project eines mecklenburgischen Grenzzolles.“ – „Die Errichtung eines allgemeinen städtischen Wasserwerkes in Rostock.“ (1861.) IV: „Die Verhandlungen des volkswirthschaftlichen Congresses zu Weimar über das mecklenburgische Grenzzoll-Project.“ (1862.) – „Die mecklenburgische Steuerreform, Preußen und der Zollverein.“ (1862.) – „Der Vernichtungskampf wider die Bauern in Mecklenburg.“ (1864.) – „Die Wiederherstellung der Leibeigenschaft in Mecklenburg.“ (1864.) – „Die Finanzverhältnisse des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin.“ (1866.) – „Vor und nach dem Reichstage.“ (Zwei Reden. 1867.) – „Die Vererbpachtung der Domanialbauerngehöfte im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin.“ (1869.) – „Die Reform der bäuerlichen Verhältnisse im Domanium des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin.“ (1869.) Hieran schließen sich seine Schriften zur Canalfrage: „Der Rostock-Berliner Canal.“ (1869.) – „Das Project des Rostock-Berliner Schifffahrtscanals.“ (3 Abth. 1873, 1874, 1875.) – „Bericht über den Stand des (vorgenannten) Projectes.“ (1875.) – „Die Bedeutung des Rostock-Berliner Schifffahrtscanals für die landwirthschaftlichen Interessen der Provinz Brandenburg und der Großherzogthümer Mecklenburg.“ (2 Abth. 1877 und 1878.) – Endlich: „Die Rostock-Warnemünder Hafenbaufrage.“ (1884.)

Als Grundzug von Wiggers’ Charakter bezeichnet die Rostocker Zeitung (1894, Nr. 354), welcher er so lange Jahre nahegestanden, „die unbeugsame Treue der Überzeugung“, die auch von seinen Gegnern an ihm geachtet wurde. Aus Überzeugung stand und blieb er auf liberaler Seite; aus Ueberzeugung hielt er daran fest, daß auch für sein engeres Vaterland eine constitutionelle [468] Verfassung das Beste sei. Seine Überzeugung „trieb ihn, den Friedliebenden, mit unwiderstehlicher Kraft in den Kampf … Er stand in demselben fest und unbeugsam, und bis in seine hohen Tage hinein hat er für die als recht erkannte Sache seine Kräfte eingesetzt und kein Opfer gescheut, wenn die liberale Partei ihn rief. Und derselbe Mann, der an den exponirtesten Punkten kämpfte und stritt, war im Grunde eine milde, allem Unholden, allem Streite abgeneigte, eine friedliche Natur, welche am wohlsten sich in stiller Häuslichkeit fühlte unter den Geistesschätzen unserer großen Denker, in der Pflege der edlen Tonkunst.“ – Unter sein Porträt schrieb W.: „Des Volkes Wille ist das höchste Gesetz im Staat“.