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Artikel „Meurer, Moritz“ von Gotthard Lechler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 535–537, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meurer,_Moritz&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 08:07 Uhr UTC)
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Meurer: Moritz M., ein trefflicher Geistlicher und theologischer Schriftsteller, wurde zu Pretzsch an der Elbe, einige Meilen oberhalb Wittenberg, den 3. August 1806 geboren. Sein Vater war dort Justizbeamter, wurde indeß 1811 nach Wermsdorf als Justizamtmann versetzt, wo der Knabe mit seinen Eltern die unruhigen Kriegsjahre verlebte. Nachdem er theils von einem Onkel, theils in der Stadtschule zu Oschatz, theils durch Privatunterricht in Oelsnitz (Voigtland) vorbereitet worden, besuchte er 1819–1825 die Fürstenschule zu Grimma, der er seine gediegene humanistische Bildung verdankte. Studirt hat er 1825–1828 auf der Universität Leipzig. Hier wurde sein liebster Lehrer, der im Herbst 1826 von Königsberg nach Leipzig berufene Professor Dr. August Hahn, dessen Respondent er war bei seiner Disputation am 4. April 1827 über das Wesen des Rationalismus. Unter denen, auf welche der edle und wahrhaft fromme Mann einen nachhaltigen segensreichen Einfluß geübt hat, war in Sachsen M. einer der ersten. Nach Vollendung seiner Studien wurde M. Hauslehrer bei dem Schwager Dr. Hahn’s, dem Director des Predigerseminars, Consistorialrath und Superintendenten Dr. Heubner in Wittenberg. Vier Jahre lang blieb er in der Lutherstadt in dieser Stellung, Jahre, die für ihn durch den Umgang mit dem ehrwürdigen geistvollen Mann, in welchem Hunderte ihren geistlichen Vater verehren, voll tiefgehender Anregung und fruchtbarer Anfassung nach Geist und Herz geworden sind. Für seine spätere Amtsführung, sowie für die Richtung seiner Studien, insbesondere für seine Liebe und Verehrung Luther’s wurde dort der erste Grund gelegt. Dem Dr. Heubner hat er bis zu dessen Ende die dankbarste Pietät bewahrt. Ihm und dem Dr. Schmieder in Wittenberg, dessen erste Gattin Meurer’s Schwester war, hat er seine größere Biographie Luther’s gewidmet. Wegen angegriffener Gesundheit mußte er im Elternhause ein Jahr zubringen. Aber Ende des Jahres 1833 wurde er Lehrer an dem Schullehrerseminar zu Weißenfels unter Director Dr. Harnisch. Aus erbaulichen Reden, die er im Seminar gehalten hat, ist später die Schrift hervorgegangen: „Moses, der Knecht Gottes“, 1836. Nun aber wurde M. durch den Fürsten von Schönburg-Waldenburg 1834 zum Diaconus in Waldenburg und Pfarrer zu Schwaben ernannt, 1835 zum Archidiaconus daselbst befördert; 1841 aber wurde er von derselben Patronatsherrschaft zum Pfarrer des nahegelegenen Callenberg ernannt, welche Stelle er bis zu seinem Tode 35 Jahre lang bekleidet hat. In den Gemeinden, die ihm anvertraut wurden, arbeitete er mit Freuden und größter Gewissenhaftigkeit. Seine Predigten, frisch aus der Schrift geschöpft, von persönlichem Leben im Glauben getragen, durch vielseitige Erfahrung und Menschenkenntniß bereichert, werden als anfassend und erfrischend geschildert, als ebenso schlicht und klar wie tiefgehend und weihevoll. Nicht nur auf der Kanzel, am Altar und an Gräbern, auch in den Häusern diente er als ein treuer Seelsorger der Gemeinde, mit Hausbesuchen bei Kranken und Betrübten, mit Warnung und Mahnung an Verirrte; und dabei verfuhr er mit einer Lauterkeit der Liebe und mit einer Weisheit der Art, daß Segen von ihm ausging. Indeß beschränkte er sich nicht auf die ihm zugewiesene Gemeinde und auf den geordneten Dienst am Wort. An Conferenzen von Pastoren und Kirchenfreunden, engeren und umfassenderen, nahm er eifrigen Antheil, und bald war er ein einflußreiches, anregendes Mitglied derselben. Aber auch durch sein schriftliches Wort hat er von frühe an in weiteren Kreisen gewirkt. Von 1836 an bis Ende 1840 war er Mitredacteur des „Pilgers aus Sachsen“. Zu dieser kirchlich publicistischen Arbeit befähigte ihn die Gabe klarer volksmäßiger Sprache. Die schwindelhafte Aufregung durch den Prediger Martin Stephan in Dresden griff auch im Muldenthale um sich. Dieser separatistischen Bewegung trat M. theils durch Artikel im „Pilger“, theils durch eine Erklärung in Gemeinschaft mit Amtsbrüdern, [536] voll Besonnenheit und Nüchternheit entgegen. Später, als er nicht mehr Mitherausgeber war, bekämpfte er als einfacher Mitarbeiter in zeitgemäßen Artikeln 1844 f. die „lichtfreundliche“ Bewegung, 1845 den „Ronge-Götzendienst“, die Agitation für Abschaffung des apostolischen Glaubensbekenntnisses u. s. w.

Die Berufsarbeit in einem Pfarramt, das ihm ländliche Stille gewährte, machte es ihm möglich, größere litterarische Arbeiten zu unternehmen, welche sich theils auf Luther und andere Reformatoren, theils auf praktisch kirchliche Fragen und Aufgaben bezogen. Schon als jungen Candidaten hat ihn wie gesagt der mehrjährige Aufenthalt in Wittenberg, zumal unter dem täglichen Umgang mit Dr. Heubner, zur Lectüre von Luther’s Schriften und zur Beschäftigung mit dessen Geschichte geführt. Zu diesen Studien kehrte er als Mann zurück, und arbeitete nun eine umfassende Lutherbiographie aus, welche unter dem Titel: „Luther’s Leben aus den Quellen erzählt“, 1843–46 in 3 Bänden erschien. Das Werk kam 1852 und 1876 überarbeitet und verbessert, je in einem Bande zum zweiten und dritten Male heraus, erschien auch bereits 1848 zu New-York in englischer Uebersetzung. Einen Auszug aus diesem größeren Werk für das Bedürfniß der Gemeinde ließ der Verfasser 1850 und in 2. Auflage 1861 erscheinen. Welches Ziel M. bei dem Hauptwerk sich vorgesetzt hatte, und was die Eigenthümlichkeit desselben sei, deutet der Titel selbst an. Der Verfasser wollte, „ohne eigenes Urtheil und Dareinreden“ lediglich aus den Quellen selbst schöpfen und aus diesen ein lebensvolles Ganzes bilden. Das hat er mit aller Gründlichkeit und Sorgfalt gethan. Aus Anlaß von 300jährigen Gedächtnißtagen ließ M. einige kleinere Monographien zur Reformationsgeschichte erscheinen, so 1837: „Der Tag zu Schmalkalden und die Schmalkaldischen Artikel“; 1839: „Luther als Jubelfestprediger“; 1846: „Martin Luther’s letzte Lebenstage, Tod und Begräbniß“; 1860: „Philipp Melanchthon’s Leben“; 2. Aufl. 1869. Aehnlich: „Katharina Luther geb. v. Bora“; 1854, 2. Aufl. 1873. M. erweiterte den Gesichtskreis seit 1861. Bisher hatte er ausschließlich nur den Reformator selbst und was ihn anging, biographisch und monographisch behandelt. Nun schritt er zu einer Gruppe von Lebensbildern aus der Reformationsgeschichte, die er in Verbindung mit gleichgesinnten Freunden in 4 Bänden von 1861–64 herausgab unter dem Titel: „Das Leben der Altväter der lutherischen Kirche, für christliche Leser insgemein aus den Quellen erzählt.“ Er selbst bearbeitete, abgesehen von dem kürzeren Leben Luther’s, das den ersten Band bildet, die Biographien Philipp Melanchthon’s und Johann Bugenhagen’s (Band 2), Nicolaus Hausmann’s (Band 3) und des Friedrich Myconius (Band 4). Ueberaus sinnig und dem Grundsatz quellenmäßiger Erzählung entsprechend, stellt M. den Lebensgang des Myconius und dessen Perioden seit seinem Eintritt in das Franziskanerkloster Cap. 3–5 unter die Ueberschriften: „Die Wüste und der Lebensbrunnen“, „Die Schnitterarbeit“, endlich: „In Christi Bild“, – alles das gemäß einem Traumgesicht, das der Novize während der ersten Nacht, die er im Kloster verlebte, gehabt, und das er als Mann in einem Brief an Paul Eber ausführlich berichtet hat.

M. war nicht blos auf dem Felde kirchlicher Wissenschaft zu Hause, sondern war auch ein treuer und einsichtsvoller Freund kirchlicher Kunst, insbesondere der Kunst des Kirchenbaus und alles dessen, was zur Einrichtung und Ausstattung der Kirche gehört, der Ornamentik und Paramentik. Im J. 1855 wurde ein Neubau der Kirche zu Callenberg nothwendig. Diesen hat er mit unermüdetem, opferwilligem Eifer, aber auch mit meisterhaftem Verständniß so geleitet, daß die in romanischem Stil gebaute, 1859 eingeweihte neue Katharinenkirche eine der schönsten Dorfkirchen des Landes und ein Denkmal für ihn selbst [537] geworden ist. Von da an behielt er die kirchliche Kunst stets im Auge, schrieb Artikel für das „Christliche Kunstblatt“, und für die Schrift: „Altarschmuck“, 1868, veranstaltete im Juli 1863 mit Freunden eine Ausstellung kirchlicher Kunstgewerbserzeugnisse in dem Bade Hohenstein, welche von nah und fern zahlreiche Besucher anzog, und führte in Beantwortung einschlagender Fragen, mit Ertheilung von Aufschlüssen und Rathschlägen einen ausgebreiteten Briefwechsel. Schließlich hat er alles, was er auf diesem Gebiete erlebt und erforscht, angemessen und bewährt gefunden hatte, vollständig und geordnet zusammengefaßt in seinem letzten Buche: „Der Kirchenbau, vom Standpunkt und nach dem Brauche der lutherischen Kirche“ 1877. Er wollte darin nicht einen Uebergriff wagen in das Gebiet der Fachmänner, sondern nur als ein praktischer Kirchenmann Geistlichen, Kirchenpatronen und Kirchenvorständen seine Erfahrungen und Rathschläge in Betreff der kirchlichen Baukunst, Ornamentik und Paramentik zur Orientirung darbieten; und er hat hiermit ein nützliches Handbuch geschaffen. M. ist sein Leben lang ein treuer Bekenner evangelisch-lutherischer Lehre, ein thätiger Freund und tapferer Kämpfer lutherischer Kirche gewesen. Insbesondere in der Landeskirche Sachsens stand er, vermöge seiner tüchtigen Amtsführung, seiner Gelehrsamkeit und vielseitigen Arbeit als eine Säule da. Mit zwei wackern Amtsbrüdern begründete er 1850 die Dresdener Pastoralconferenz, welche heute noch regelmäßig stattfindet, hielt sich aber auch von der 1859 begründeten Meißner Conferenz nicht fern, nahm vielmehr einige Male an derselben Theil. Von 1860 an bis 1873 führte er die Redaction des Sächsischen Kirchen- und Schulblattes. Dem aufrichtigen Charakter, dem mannigfach verdienten Mann hat es an Ehren und Zeichen der Anerkennung nicht gefehlt. Die theologische Facultät zu Leipzig promovirte ihn 1855 aus Anlaß der Jubelfeier des Augsburger Religionsfriedens honoris causa zum Licentiaten der Theologie, auf Grund seiner reformationsgeschichtlichen Schriften. Im folgenden Jahr 1856 wurde er zur Mitwirkung bei der allgemeinen Kirchenvisitation in der Diöcese Pirna, 1859 in der Ephorie Leipzig II berufen. Zum Abgeordneten für die evangelisch-lutherische Landessynode hat ihn der Wahlbezirk Glauchau-Waldenburg zweimal gewählt, 1871 und 1876. Durch königliche Huld wurde ihm am 12. April 1875 das Ritterkreuz des sächsischen Verdienstordens verliehen.

M. war zweimal glücklich verehelicht. Mit seiner ersten Gattin, einer gebornen Petzolt, wurde er 1834 in Wittenberg getraut; vier Söhne und zwei Töchter wurden ihm in dieser Ehe geboren. Nachdem seine Frau im April 1848 gestorben war, schloß er im Mai 1852 eine zweite Ehe mit Auguste geb. Hartenstein, mit der er fast 25 Jahre in edlem Frieden leben durfte. Im J. 1876 machte sich bei dem sonst körperlich und geistig kräftigen Mann das Alter fühlbar. Dennoch verrichtete er den Winter über seine Amtsarbeiten noch mit dem gewohnten Eifer. Nach einer Hauscommunion am 16. April 1877 in dem eingepfarrten Ort, bei rauher Witterung, erkrankte er an einem gastrisch-rheumatischen Fieber, und am 10. Mai, dem Himmelfahrtsfeste, ist er sanft entschlafen.