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Artikel „Heubner, Heinrich Leonhard“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 285–287, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heubner,_Leonhard&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 23:28 Uhr UTC)
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Heubner: Heinrich Leonhard H. wurde am 2. Juni 1780 als Sohn des Pfarrers in Lauterbach bei Marienberg im Erzgebirge geboren. Den Keim der Frömmigkeit legte dem frühzeitig seines Vaters Beraubten die Mutter ins Herz. Von seinen Lehrern in Schulpforta zog ihn besonders der bibelfeste Mathematiker J. G. Schmidt an, der, ein Schüler des Bengel’schen Apokalyptikers Christian August Crusius (s. A. D. B. IV, 630), den Anstrich eines Sonderlings hatte (s. F. C. Kraft, Vita Caroli Davidis Ilgenii. Altenburgi 1837, S. 204 f.). Auf der Universität Wittenberg (seit 1799) übten den meisten Einfluß auf ihn aus der Kirchenhistoriker Schröckh (siehe A. D. B. XXXII, 498) und der Kantianer Karl Ludwig Nitzsch (XXIII, 723). Des letzteren formaler Supernaturalismus vertiefte sich ihm durch das Studium der Schriften des ehemaligen Wittenberger Professors und nunmehrigen Oberhofpredigers Reinhard in Dresden (XXVIII, 32). Infolge der durch einen Studienfreund ihm vermittelten Bekanntschaft mit der Brüdergemeinde [286] und den Schriften Zinzendorf’s gestaltete sich seine Frömmigkeit zur innigsten Gemeinschaft mit dem Herrn, der sich ihm auch zu erkennen gab. Nach bestandener Candidatenprüfung habilitirte er sich 1805 als Privatdocent mit der Dissertation „Historia antiquior dogmatis de modo salutis tenendae et justificationis seu veniae peccatorum a Deo impetrandae instrumentis“ (Viteb. 1803). Als Adjunct der philosophischen Facultät (seit 1807) verfaßte er eine gegen die natürliche Wundererklärung gerichtete Abhandlung „Miraculorum ab Evangelistis narratorum interpretatio grammatico-historica asserta contra eos, qui e naturae causis illa deducere conantur et ab ipsis scriptoribus sacris deducta esse affirmant“, Viteberg. 1807). Im J. 1808 wurde er zum dritten Diakonus an der Stadtkirche, 1811 auch zum außerordentlichen Professor der Theologie ernannt. Er hat sein geistliches Amt, in welchem er 1825 zum Archidiakonus, später zum Superintendenten und Consistorialrath aufrückte, während der Belagerung Wittenbergs 1813 und 1814 treu und muthig verwaltet, und es ist ihm so theuer gewesen, daß bei seinem Verlust ihm zu Muthe sein würde, als hätte ihn der Herr von seinem Angesicht verstoßen. Für die Erhaltung der Wittenberger Hochschule hat er zu Gott gefleht, und als dieselbe 1816 gleichwol aufgehoben und mit Halle vereinigt wurde, da war es ihm, als habe Gott sich von ihm gewendet. Die Umwandlung des Universitätsgebäudes in eine Kaserne begleitete er mit den Worten: ubi olim Musae habitarunt, nunc Bellona resonat. Am dritten Jubelfeste der Reformation war aus dem Universitätsfonds das evangelische Predigerseminar gestiftet und eröffnet worden („Das königliche Predigerseminar in Wittenberg“, Berlin 1862. „Lebenslauf der sämmtlichen Mitglieder des k. Predigerseminars zu Wittenberg vom 1. Juli 1817 bis Ende December 1866. Stuttg. 1868). H. wurde Ephorus und dritter, nach Nitzsch’s und Schleusner’s (s. A. D. B. XXXI, 474) Heimgang (1832) erster Director desselben. Seine Seminaristen (unter ihnen Liebner, R. Stier) verehrten ihn als ihren geistlichen Vater. Auch bei seinen Mitbürgern, unter denen er umherging „als ein wandelndes Gewissen“ (Tholuck), genoß der Vater Heubner, wie er allgemein genannt wurde, unbedingte Verehrung. Durch seine Autorität ward die lichtfreundliche Bewegung, welche Uhlich in Wittenberg entfachen wollte, im Keime erstickt, und die politische Bewegung des Jahres 1848, ihm als Abfall von Christo erscheinend, ging still an Wittenberg vorüber. Durch Jesu Gnade für sich ein Plätzchen im Himmel, ob auch nur auf der Armensünderbank, erhoffend, ist er entschlafen am 12. Februar 1853. Ein Nachruf der Seminargemeinschaft hebt mit den Worten an: „In Zion ist ein Held gefallen, ein Rüstzeug in des Herren Hand“.

Heubner’s Stärke liegt nicht auf dem Gebiete der Wissenschaft, sondern in der durch seine gesalbte Persönlichkeit getragenen geistlichen Praxis. Nicht im Schreiben – so lautet ein Ausspruch von ihm – ist das wahre Verdienst eines Menschen, sondern im Handeln, und in einem Briefe an Neander (1843) bemerkt er: „Eines ist was christliche Herzen bindet, Jesum lieben, das Ihnkennen für die Wissenschaft aller Wissenschaften halten und sich seines Namens, seines Kreuzes, seines Blutes vor dieser Welt nicht schämen“. Mit den Erweckten in Nord- und Süddeutschland (Kottwitz, Barth, Schubert) stand H. in enger Fühlung, er selbst „eine eherne Säule in der Zeit des herrschenden Unglaubens, festgewurzelt wie eine Ceder Libanons, ein Lichtpunkt in den Finsternissen dieser verweltlichten Zeit“. Er hat eine Höllenfahrt in das eigene Herz gefordert, bis an sein Lebensende fromme Seelen zu häuslichen Bibelstunden um sich versammelt, hinter den schwärmerischen Bewegungen in Pommern den lebendigen Christus vermuthet. Mit seinen Seminaristen hat [287] er mehr Andachtsübungen als gelehrte Studien getrieben. Bibelkritische Untersuchungen dünkten ihm Kärrnerarbeit, geistlich Unlebendigen zu überlassen. Das innere Zeugniß sei mehr werth, als die Argumente der Wissenschaft. Die Frage, warum Jesus nichts Schriftliches hinterlassen habe, beantwortete er dahin: das Schreiben wäre unter seiner Würde gewesen. Der neueren, von Schleiermacher und Hegel beeinflußten Theologie stand er mißtrauisch gegenüber. Schleiermacher hat er nur als Philosophen gelten lassen wollen, Herder ein Großmaul genannt, auch die Theologie seines Schwagers R. Rothe nicht unbedenklich gefunden. Wenn er auch, wie die Erweckten insgemein, die christliche Frömmigkeit nicht an eine bestimmte Confession gebunden achtete, so war es doch für den „urechten Erben des vom großen Reformator nachgelassenen Vermächtnisses“ (Niedner), „das brennende und scheinende Licht auf dem Leuchter Wittenberg“ (G. Rietschel), naturgemäß, daß sein Pietismus lutherisch accentuirt war. Er hat sich daher, wenn auch unbrüderlicher Parteigeist ihm fern lag, gegen die Union und den Genuß des Abendmahls nach unirtem Ritus gesträubt. I. A. Dorner nennt H. das Musterbild eines Lutheraners in supernaturalistischer Gestalt, imponirend nicht durch Wissenschaft, aber durch schlichte, gesunde Frömmigkeit, durch Lauterkeit des Charakters, Würde des Gemüthes und feurigen Eifer im Predigtamt, Seelsorge und Vorbildung der Seminaristen auf ihren praktischen Beruf. Von pietistischen Staatsmännern (Geheimrath Nikolovius in Berlin und Graf Einsiedel in Dresden) ist bei Besetzung theologischer Professuren und geistlicher Stellen sein Rath „unter Garantie völliger Verschwiegenheit“ eingeholt worden.

Von Heubner’s litterarischen Arbeiten sind zu nennen die von ihm besorgte 5. Auflage von Reinhard’s „Versuch über den Plan, welchen der Stifter der christlichen Religion zum Besten der Menschheit entwarf“ (Wittenberg 1830). Sodann die neubearbeitete 6. Auflage von Büchner’s „Biblischer Real- und Verbal-Handconcordanz“ (Halle 1840). Noch auf der 23. Auflage (Berlin 1899) steht zu lesen: „durchgesehen und verbessert von Dr. L. Heubner“. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß hat A. Hahn die „Praktische Erklärung des Neuen Testamentes“ (4 Bde., Potsdam 1855–68), H. Heubner „Predigten über freie Texte“ (Potsdam 1857) und „Katechismuspredigten“ (2. Auflage, Halle 1865) sowie eine „Christliche Topik oder Darstellung der christlichen Glaubenslehre für den homiletischen Gebrauch“ (Potsdam 1863) herausgegeben.

(Schmieder) Nekrolog in der Evangel. Kirchenzeitung 1853, Nr. 30 f. – Zum Gedächtniß Heubners. Hsg. von den Mitgliedern des k. Predigerseminars. Wittenberg 1853. – G. Rietschel, Predigt bei der Gedächtnisfeier des hundertjährigen Geburtstags H. L. Heubners. Wittenberg 1880. – Wachs, Erinnerungen an Vater Heubner. Wittenberg 1880. – Einige Züge aus dem Leben des unvergeßlichen Vaters Heubner (1881). – A. Koch, H. L. Heubner. Züge und Zeugnisse aus und zu seinem Leben u. Wirken. Wittenberg 1885. – Tholuck und G. Rietschel in: Realencyklopädie für protestant. Theologie und Kirche. 3. Aufl. VIII, 19. – A. Hausrath, Richard Rothe und seine Freunde (Berlin 1902) I, 158 ff.