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Artikel „Hahn, August“ von Adolf Schimmelpfennig in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 356–358, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hahn,_August&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 13:23 Uhr UTC)
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Hahn: Dr. August H., Generalsuperintendent von Schlesien, geb. am 27. März 1792 in Groß-Osterhausen bei Querfurt, † am 13. Mai 1863 in Breslau, Sohn eines Dorfschullehrers, empfing den ersten gelehrten Unterricht von dem Pfarrer seines Geburtsortes, besuchte alsdann das Gymnasium in Eisleben und studirte von 1810–13 in Leipzig Theologie. Nach mehrjährigem Hauslehrerleben fand er 1817 Aufnahme im Wittenberger Predigerseminar und dort vollzog sich wol auch der Umschwung in seinen dogmatischen Ansichten. Ein an ihn ergangener Ruf nach Heidelberg gab 1819 Anlaß zu seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor der Theologie und Pfarrer der Altstadt in Königsberg, doch legte er nach seiner Beförderung zum ordentlichen Professor 1822 sein geistliches Amt, mit welchem die Superintendentur verbunden war, wieder nieder. Durch seine verdienstvollen Untersuchungen über „Marcion’s Evangelium in seiner ursprünglichen Gestalt“ 1823, und eine von ihm mit Sieffert 1824 herausgegebene „Syrische Chrestomathie“ in weiten Kreisen bekannt geworden, wurde H. 1826 nach Leipzig berufen und hier erregte er durch seine Habilationsschrift „De rationalismi, qui dicitur, vera indole“ und seine „Offene Erklärung an die evangelische Kirche zunächst in Sachsen und Preußen“, sowie durch seine Aufforderung an die Rationalisten, aus der evangelischen Kirche auszutreten, allgemeines Aufsehen. Er hatte die Zeichen der Zeit richtig erkannt; zwar wurde über dieses gallicinium Lipsiense, wie man seine Provocation nicht ohne Humor treffend genannt hat, viel gespottet, aber es fand den Beifall der durch das Phantom der Demagogie in Furcht gesetzten Machthaber und kündigte die über dem Rationalismus sich zusammenziehenden Gewitter an. Eine Streitschrift Hahn’s gegen Bretschneider „Ueber die Lage des Christenthums in unserer Zeit“, 1832, welche zur Kenntniß Friedrich Wilhelms II. gebracht wurde, führte 1833 zu seiner Berufung nach Breslau als ordentlicher Professor und Consistorialrath. Eine Gelegenheit, seine Gewandtheit, sich in die Zeit zu schicken und den Umständen Rechnung zu tragen, zu erproben, sollte sich bald finden. Die Gemeinde Hönigern bei Namslau hatte sich aus Abneigung gegen die Union hartnäckig geweigert, die neue Agende in ihrer Kirche brauchen zu lassen und hielt [357] nach der Suspension ihres Pastors die Kirche verschlossen; Hahn, dazu ausersehen, das Weihnachten 1834 zur Wegnahme der Kirche nach Hönigern abgeschickte Militaircommando als geistlicher Commissarius zu begleiten, um die durch Anwendung von Waffengewalt zu Paaren getriebene Gemeinde zu versöhnen und zur Annahme der Agende zu bewegen, ließ sich durch seinen streng lutherischen Standpunkt nicht abhalten, die Staatsgewalt in Bekämpfung des Lutherthums mit Hand und Mund zu unterstützen. Die Separation der Lutheraner von der Landeskirche hat er nun zwar mit aller Dialectik und Ueberredungsgabe nicht abgewendet, indeß, als es sich 1843 um Wiederbesetzung der durch Ribbeck’s Rücktritt erledigten Generalsuperintendentur handelte, erinnerte man sich der von ihm 1834 geleisteten Dienste. Ribbeck, aus Erfurt nach Breslau versetzt, hatte in Schlesien nicht heimisch werden können; völlig isolirt und durch den Widerstand, auf welchen seine Versuche, die in der schlesischen Kirche ziemlich in Vergessenheit gerathenen Bekenntnißschriften wieder zur Geltung zu bringen, gestoßen waren, noch mehr vergrämt, hatte er selber seine Abberufung beantragt. Wenn irgend Jemand, so war H. der Mann, das eingebüßte Terrain wiederzugewinnen und die Restauration der Bekenntnisse durchzuführen. Sein berühmter Name, seine bedeutende Gelehrsamkeit, seine Vertrautheit mit den Verhältnissen der Provinz, der er seit 10 Jahren angehörte, seine verbindliche und einnehmende Freundlichkeit im persönlichen Verkehr gereichten ihm bei der jüngeren Generation der Geistlichkeit, welche durchweg von ihm geprüft war und zum Theil schon zu seinen Füßen gesessen hatte, zur größten Empfehlung; nichtsdestoweniger war sein Anfang ein schwerer. Die ältere Geistlichkeit hatte sein Auftreten in Leipzig nicht vergessen und die Stellung, welche er sofort zur Ordinations- und zur Verfassungsfrage nahm, war wenig geeignet, ihm ihre Sympathien zu erwerben; bald sah er sich einer von Professor Suckow geführten starken Opposition gegenüber, aber für liberale Bestrebungen war damals die Zeit nicht günstig, und als erst das unter einem besonderen Präsidenten zur selbständigen Behörde erhobene Consistorium von den widerstrebenden Elementen gesäubert und in den neu ernannten orthodoxen Superintendenten eine Anzahl williger Gehülfen in der Provinz gewonnen war, hörte auch der Widerstand auf und die schlesische Geistlichkeit ging, wohin sie geführt wurde. Das Verdienst, Schlesien der lutherischen Orthodoxie wieder erobert, freilich damit zugleich auch die Union ihres Inhalts entleert zu haben, wird H. nicht streitig gemacht werden können und ist höchsten Ortes durch Verleihung des rothen Adlerordens zweiter Klasse anerkannt worden. Der über den Rationalismus der Geistlichkeit erkämpfte Sieg war indessen unvollständig, so lange die Gemeinden rationalistisch sangen. Kein einziges der vielen in Schlesien bräuchlichen Gesangbücher stimmte zu der orthodoxen Predigt, die sich auf den Kanzeln etablirt hatte, am wenigsten das weit verbreitete Gerhard’sche. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, wurde die Ausarbeitung eines neuen Gesangbuchs beschlossen und alsbald ins Werk gesetzt; es erschien mit Hahn’s Vorwort 1857 unter dem Titel „Evangelisches Kirchen- und Hausgesangbuch“, war aber so hyperorthodox ausgefallen, daß den Gemeinden der Gegenwart dergleichen zur Erbauung anzubieten, allgemeine Verwunderung erregte; nichtsdestoweniger wurde mit Einführung desselben unter dem Drucke von oben zunächst auf den Dörfern vorgegangen und das Gelingen ermuthigte zu größerer Entschiedenheit. Die daraus entstandenen Wirren hat H. nicht mehr erlebt; sie bilden eine keineswegs erfreuliche Episode in der Geschichte der schlesischen Kirche. H. gehörte zu den gelehrtesten Theologen seiner Partei. Seine Forschungen über Bardesanes („Bardesanes gnosticus, Syrorum primus hymnologus“, 1819) und Marcion („De gnosi Marcionis“, 1820, 1821; „Antitheses Marcionis“, 1823; „De canone Marcionis“, 1824, 1826) haben dazu beigetragen, das Dunkel zu [358] lichten, welches namentlich die Person des letzteren verhüllte. Um die Textkritik hat er sich durch die Revision des van der Hoog’schen alttestamentlichen und Knapp’schen neutestamentlichen Textes verdient gemacht. Beide von ihm veranstalteten Textausgaben (des A. T. 1831, des N. T. 1840, 1861) sind stereotypirt worden. Sein Hauptwerk aber ist das 1828 in erster, 1857 in zweiter Auflage erschienene „Lehrbuch des christlichen Glaubens“. – Von seinen Familienverhältnissen sei beiläufig bemerkt, daß er mit Rothe in Heidelberg und Heubner in Wittenberg verschwägert war.

Im Anschluß an den Nekrolog im kirchlichen Amtsblatte für Schlesien 1863, Nr. 12.