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Artikel „Staupitz, Johann von“ von Johann Friedrich von Schulte in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 529–533, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Staupitz,_Johann_von&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 23:05 Uhr UTC)
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Staupitz: Johann v. St., Theolog, geboren im Meißnischen, vielleicht in dem seiner Familie gehörigen Dorfe Müglenz unweit Wurzen, aus einer altadeligen [530] Familie sicher vor 1470, † zu Salzburg am 28. December 1524. Wo er in den Orden der Augustiner-Eremiten eingetreten und das Gelübde abgelegt hatte, ist nicht festzustellen, vielleicht in München. Nach Beschluß des Generalcapitels vom J. 1497 sollte er in Tübingen die theologische Doctorwürde erwerben. Hierher kommt er 1497 und wird in diesem Jahre immatriculirt, bezeichnet als magister artium und theologiae lector ordinis heremitarum S. Augustini. Zum Prior des Klosters erhoben, begann er am 29. October 1498 mit Vorlesungen über die Bibel sein theologisches Lehramt, schon am 10. Januar 1499 mit solchen über die Sentenzen (des Petrus Lombardus), wurde am 6. Juli 1500 Licentiat und am nächsten Tage Dr. theologiae. Hier verfaßte er auch die anzuführende erste Schrift. In diesem Jahre wurde er abberufen, um als Prior das Münchener Kloster zu leiten, wo er Jubilate 1503 den neuen Prior bestätigt, nachdem er am 7. Mai 1503 auf dem Capitel zu Eschwege auf Vorschlag des sein Amt niederlegenden Proles zum Vicar der Congregation gewählt worden war. Er ist aber nicht lange in München gewesen, sondern von dem Kurfürsten Friedrich III., dem Weisen, bei der Gründung der Universität Wittenberg zugezogen worden, hatte an diese durch Privilegium König Maximilian’s I. vom 6. Juli 1502 gestiftete und am 18. October dieses Jahres feierlich eröffnete Universität, an der auch dem dortigen Augustinerconvent eine Lehrbetheiligung zustand, eine Reihe von Männern berufen lassen, die ihm von Tübingen her bekannt waren. Als dann die Verhältnisse der deutschen Congregation zu dem General sich immer schwieriger gestalteten, nahm St. den Auftrag des Kurfürsten, beim Papste die Bestätigung der neuen Universität zu erwirken, an und reiste Ende des Jahres 1506 nach Bologna, wo es ihm rasch gelang, die am 12. Juni 1507 ausgestellte Bestätigungsbulle von Papst Julius II. zu erwirken. Er ist im Sommer nach Wittenberg zurückgekehrt. Auf einer Visitationsreise lernte er im Augustinerkloster zu Erfurt Martin Luther kennen, nahm sich des sich abquälenden jungen Bruders warm an und führte ihn auf den Weg hin, welchen Luther einschlug; Luther selbst sagt im letzten Briefe an St., daß durch St. „das Licht des Evangeliums aus der Finsterniß, in welcher es verborgen gehalten war, zuerst in seinem Herzen wieder aufzuleuchten begonnen habe“. St. bewirkte, daß Luther im J. 1507 die Priesterweihe erhielt und 1508 – St. war gerade Decan – nach Wittenberg als Lehrer der Theologie berufen wurde. Die schwierigen Verhältnisse des Ordens und die Aufgaben des Vicars haben seit diesem Jahre St. meistens von Wittenberg fern gehalten. Im Juni 1509 weilte er zu Köln, um den dortigen Convent in die Congregation aufzunehmen, im September zu München, in den nächsten Jahren auf Visitationsreisen in verschiedenen Theilen Deutschlands, in Brabant und Holland, legte im Herbst 1512 seine Professur zu Wittenberg nieder, verlangte aber, daß Luther die theologische Doctorwürde erwerbe und an seine Stelle in die theologische Facultät eintrete, was Luther nach langem Widerstreben aus Gehorsam mit der am 18. October 1512 stattgefundenen Promotion that. St. hatte eine Reihe von Widerwärtigkeiten im Orden erlebt, seit 1512 war Ruhe eingetreten: er war im Winter 1512 beim Erzbischof Leonhard (v. Keutschach) in Salzburg, reiste im Frühjahr 1513 auf dessen Wunsch nach Rom. In den nächsten Jahren war er an verschiedenen Orten in Ordensangelegenheiten thätig, im April 1515 auf dem Capitel zu Gotha, wo Luther zum Districtsvicar über 10 (bald 11) Convente gewählt wurde, im Advent 1516 in Nürnberg, wo er durch seine Predigten hinriß, im Advent 1517 in München, am 25. April 1518 mit Luther auf dem Ordenscapitel zu Heidelberg als Gast im Augustinerconvent; er wurde aufs neue zum Vicar erwählt. Luther hatte hier am 26. April disputirt, dann, nach Wittenberg zurückgekehrt, die Thesen ausgearbeitet und mit Schreiben vom [531] 30. Mai an St. mit der Bitte gesandt, die Schrift an den Papst zu senden; das ist wol auch geschehen. Von Heidelberg aus hatte sich St. in verschiedenen Orten aufgehalten, im September wieder nach Salzburg gewandt, wohin er Luther zu kommen rieth. Als Luther anfangs October sich nach Augsburg auf Befehl des Kurfürsten begab, wo der Cardinal Cajetan dessen Verhör vornahm, eilte St. auch dorthin und kam am 12. October an. Nach vergeblicher Verhandlung und nachdem Luther von St. der Obedienz entbunden worden war, verließ letzterer am 16. October Augsburg, nachdem ein Gerücht von einem Mandate des Ordensgenerals gegen beide, das ihre Verhaftung befehle, verbreitet war. Er hielt sich zuerst in Nürnberg auf und ging dann nach Salzburg. Von da an stand er mit Luther nicht mehr in brieflichem Verkehr, traf ihn aber Ende Juli 1519 in Grimma; er mißbilligte offenbar dessen Auftreten, machte denselben aber im December von Salzburg aus mit dem bekannt, was Eck gegen ihn spinne. Nachdem St. auf dem Generalcapitel des Ordens im Juni 1519 zu Venedig, wo Gabriel Venetus zum General gewählt wurde, nicht erschienen war, machte dieser in einem Briefe vom 15. März 1520 den Versuch, ihn zu bewegen, Luther von seinem Wege abzulenken. St. bat wirklich Luther, freilich zu spät, die Schrift an den Adel nicht zu veröffentlichen, legte dann auf dem Capitel zu Eisleben (28. August 1520) sein Amt nieder, ging aber mit Link anfangs September nach Wittenberg, wo beide Luther zu der Erklärung zu bewegen suchten, daß er öffentlich dem Papste erkläre, ihn nicht persönlich haben angreifen zu wollen. Seitdem sah er Luther nicht mehr, stand auch nicht mehr im Verkehr mit ihm. St. ging auf den Ruf des Erzbischofs Cardinal Matthäus Lang v. Wellenburg als Prediger an der Metropolitankirche nach Salzburg. Dem Erzbischof wurde von Rom befohlen, daß er St. verhalte, vor Notar und Zeugen die in der Bulle Exsurge Domine vom 14. Juni 1520 gegen Luther aufgeführten Artikel zu verwerfen. Am 4. Januar 1521 schrieb St. an Link, daß er dies verweigert habe, weil er nicht zu widerrufen brauche, was er nicht gelehrt habe; er erklärte aber, den Papst als Richter anzuerkennen. Man begnügte sich damit. Aus Briefen desselben ergibt sich sein gedrückter Seelenzustand. Der Erzbischof hatte die Absetzung des Abtes von St. Peter in Salzburg durchgesetzt, um St. in die Stelle zu bringen. Nachdem Luther das Meßopfer abgeschafft, das Klostergelübde und den Cölibat verworfen, wandte sich St. von der Bewegung ab; er wurde auf des Erzbischofs Schritte hin von Rom zum Austritt aus dem strengeren Orden der Augustiner, und zum Eintritt in den der Benedictiner ermächtigt (26. April und 14. Juni 1522), trat am 1. August in den letzteren ein, wurde am 2. August zum Abte von St. Peter – der Cardinal hatte durch gewaltsame Acte dieses erreicht – erwählt und am 6. August 1522 als Abt Johannes IV. eingesetzt. Er widmete sich vorzüglich der Predigt. Am 17. September 1523 hielt Luther ihm sein Handeln vor und suchte ihn zur Umkehr zu bewegen, die Antwort vom 1. April 1524 versichert St. Luther, daß er festhalte am Evangelium und der Liebe zu Luther, aber vieles nicht billigen könne was die schlichten Herzen verwirre. Die Folgen eines Schlages endeten sein Leben; sein Leichnam wurde in der St. Veitscapelle des Stifts beigesetzt. Obwohl St. im Frieden der römischen Kirche, in hoher Stellung gestorben ist, wurde er in dem Index Paul’s IV. von 1559 unter die „auctores quorum libri et scripta omnia prohibentur“, also in die erste Classe gesetzt, lediglich, „weil ihn Cochlaeus neben Luther als Gegner Tetzel’s erwähnt“; er ist in der ersten Classe stehen geblieben im sogenannten Tridentiner Index (Pius’ IV. von 1564), und bis auf die letzte Ausgabe (Reusch, Die Indices libror. prohibitorum des 16. Jahrh. S. 191, 268. Tübingen 1886. Ders., Der Index I, S. 279. Bonn 1883), eine der vielen Proben der Gründlichkeit des curialen Vorgehens. [532] Ein Nachfolger von St. in Salzburg hat die meisten Bücher und Handschriften, darunter vieles von Luther, verbrennen lassen. Die erste Schrift Staupitz’ aus dem Jahre 1500, wie der vorgedruckte Brief an den Tübinger Buchhändler Joh. Othmar vom 30. März 1500 zeigt, „Decisio quaestionis de audientia missae in parochiali ecclesia dominicis et festivis diebus. Cum ceteris annexis“, hat weniger ihren Schwerpunkt in der Entscheidung für die Pflicht der Anhörung der Sonntagsmesse in der Pfarrkirche, als in der Hervorhebung, daß der einzelne seinem Gewissen folgen solle und die Werke (Verdienste) der Schätzung Gottes unterliegen. Die Anhängsel geben die für den Christen nothwendigen Dinge; sie ist oft gedruckt worden. Tritt in dieser Schrift das mystische Element noch ganz in den Hintergrund und zeigt sich darin ein Verlassen der scholastischen Methode und des scholastischen Ideenkreises in keinerlei Weise, so sind seine nachfolgenden Schriften anderer Art. „Von der Nachfolgung des willigen Sterbens Christi“, 1515 gewidmet der Gräfin Agnes v. Mansfeld; „Libellus de executione aeternae praedestinationis“, mit Brief vom 1. Januar 1517, dem Nürnberger Bürgermeister Hieronymus Ebner gewidmet, von Christ. Scheurl ins Deutsche übersetzt, Nürnberg 1517 u. d. T.: „Ein nutzbarliches büchlein von der entlichen volziehung ewiger fürsehung, Wie der wirdig vatter Joannes von Staupitz, Doctor und der reformirten Augustiner Vicarius, Das heilig Advent des 1516 Jahres zu Nürmberg got zu lob und gemeiner wohlphart gepredigt hat“; die dritte „Von der Liebe Gottes“ 1518, aus den 1517 zu München gehaltenen Adventspredigten, gewidmet der Pfalzgräfin Kunigunde geborenen Erzherzogin von Oesterreich; „Von dem heiligen rechten christlichen Glauben“, 1525 herausgeg. („nach seinem abschayden“). In diesen Schriften und in zahlreichen Briefen spricht sich eine Anschauung aus, wie sie der Lehre Luther’s zu Grunde liegt, deren Auseinandersetzung nicht hierher gehört. Gleichwol folgte St. Luther auf dem seit 1519 eingeschlagenen Wege nicht mehr. Luther mahnte ihn im Briefe vom 3. October 1519: „Du verlässest mich allzusehr; ich war Deinetwegen, wie ein entwöhntes Kind über seine Mutter in diesen Tagen sehr traurig, ich beschwöre Dich, preise den Herrn auch in mir sündigen Menschen … Heute Nacht habe ich von Dir geträumt, es war mir, als ob Du von mir schiedest, ich aber weinte bitterlich und war betrübt, Du dagegen winktest mir mit der Hand, ich möge ruhig sein, Du werdest zu mir zurückkehren“, und dessen Worte im Briefe vom 9. Februar 1521 „Deine Unterwerfung hat mich betrübt und mir einen andern Staupitz vorgehalten, als jenen Prediger der Gnade und des Kreuzes … Es ist jetzt nicht Zeit, zu fürchten, sondern zu rufen, wo unser Herr Jesus Christus verdammt und geschmäht wird. Deshalb, soviel Du mich zur Demuth ermahnest, soviel ermahne ich Dich zum Stolz, Du hast zu viel Demuth, wie ich zu viel Hochmuth. Das Wort Christi ist nicht ein Wort des Friedens, sondern des Schwertes“ Wenn St. dem nicht folgte, so erklärt sich das einmal gerade aus dem mystischen Grundzuge in Staupitz’ Wesen, sodann daraus, daß Luther jene Dinge fahren ließ, welche St. als fundamentale ansah: das Meßopfer und das besondere Priesterthum. Auch war es der ganzen Natur Staupitz’ zuwider, daß Luther dem Ordensgelübde entgegentrat und durch die Ehe der Geistlichen einer Entsagung widerstand, in der St. eine Stufe der sittlichen Hebung erkannte. Ob St. selbständig zu dem Standpunkte gelangt ist, der sich in seinen Schriften seit 1517 ausspricht, oder ob dieser auf die Einwirkung Luther’s zurückzuführen ist, wird sich kaum feststellen lassen. Das aber ist unfraglich: trotz aller Freundschaft und Liebe war ein Gegensatz vorhanden. In den Worten, die St. am 4. Januar 1521 an Link schrieb: „Martinus hat Gefährliches angefangen und führt es mit hohem Geiste von Gott erleuchtet aus, ich aber stammele, bin ein Kind, das der Milch bedarf“, liegt die Erklärung. Luther [533] hatte den entscheidenden Schritt gethan: zu brechen mit der Kirche, wie sie geworden war, Priesterthum, Episcopat in der bisherigen Auffassung verworfen, den Gehorsam aufgesagt, St. vermochte dies nicht. Die Auswüchse einzelner mögen mitgewirkt haben, entschieden haben sie kaum. St. zeigt dasselbe Bild, das ein Haneberg im J. 1871 darbietet.

Th. Kolde, deutsche Augustiner-Congregation und Johann v. St. Gotha 1879, gibt S. 456 ff. die ganze Litteratur, dazu Illgen, Zeitschr. f. die histor. Theol. VII, 58 ff. Die ältesten Schriften in J. K. Knaake, Joh. Staupitii Opera. Potsdam 1867. Nur ein Band erschienen, der die deutschen Schriften enthält, ein Nachtrag bei Kolde S. 452 ff. Einzelnes auch Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben S. 91, 182, 427. Erlangen 1866. – Statuta Viteb. XVI. – Zur Geschichte der Rechtswissensch. S. 264, 268, 283. Jena 1876.