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Artikel „Niedbruck, Kaspar von“ von Robert Holtzmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 621–629, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niedbruck,_Kaspar_von&oldid=- (Version vom 5. Oktober 2024, 00:34 Uhr UTC)
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Niedbruck: Kaspar von N., Staatsmann und Humanist, Neffe des Vorigen, Sohn des kaiserlichen Feldhauptmanns Johann Marschall v. N. (eines jüngeren Bruders von Johann Bruno v. N.) und seiner Gemahlin Margarethe v. Seulheim (Sulon), die wie die Niedbrucks einer lothringischen Adelsfamilie angehörte. Kaspar wurde ums Jahr 1525 in Bolchen geboren; in den 40er Jahren war Metz der Wohnsitz seiner Familie, zu der auch sein jüngerer Bruder Nicolaus v. N. gehörte. (Der Vater ist vielleicht identisch mit dem in der Politischen Correspondenz der Stadt Straßburg 2, Straßburg 1887, S. 664, begegnenden Hans Nidbrücker.) – Von den Eltern wohl von vorn herein für die staatsmännische Laufbahn in Aussicht genommen, erhielt K. v. N. eine sorgfältige humanistische und juristische Bildung auf verschiedenen deutschen und ausländischen Universitäten. Ums Jahr 1539 finden wir ihn in Straßburg, wo er u. A. Calvin (über den Römerbrief) hörte; dann studirte er 1544 in Orléans, 1546 in Erfurt und in Wittenberg, wo er Schüler Melanchthon’s war und auch bei Matthias Flacius Vorlesungen (über die Politik des Aristoteles) besuchte, schließlich 1547 in Padua und Bologna; hier war es vermuthlich, wo er sich den Titel eines Doctors der Rechte erworben hat. Außerdem aber gewann er auf diesen Reisen zu seiner Kenntniß des Lateinischen und Griechischen auch eine nicht unbeträchtliche Fertigkeit in den lebenden Sprachen. Das Französische beherrschte er nach eigener Angabe (1550) fast so gut wie seine deutsche Muttersprache; ferner konnte er geläufig italienisch und verstand auch, wenngleich nicht ebenso vollkommen, spanisch.

[622] Im October des Jahres 1550, während des Augsburger Reichstages, gelang es N. trotz seines Protestantismus, eine Anstellung im Dienst der Habsburger zu erlangen. Er bediente sich dabei der Vermittlung des Dr. Constantino Ponce de la Fuente, eines gesinnungsverwandten Spaniers, der mit Philipp II. nach Deutschland gekommen war und am Hofe Kaiser Karl’s V. dem seine protestantische Gesinnung damals noch verborgen war, eine einflußreiche Rolle spielte. N. hatte sich ein Empfehlungsschreiben an Ponce de la Fuente von Franz Dryander (Francisco d’Enzinas) verschafft, der demselben spanischen Protestantenkreis angehörte und um diese Zeit in Straßburg weilte, wo er mit den deutschen Protestanten bereits engere Fühlung gewonnen hatte. Freilich war bei dem Versuche, mit Hülfe solcher Leute bei Karl V. eingeführt zu werden, auf allen Seiten große Vorsicht nöthig. Wie Ponce de la Fuente selbst, dessen Stellung compromittirt wurde, wenn durch seine Vermittlung Protestanten einen Platz am Hofe der Habsburger fanden, so mußte auch N. seine religiösen Anschauungen zu verschleiern suchen, und er scheute sich daher nicht, Dryander zu bitten, sein Empfehlungsschreiben danach einzurichten: an welchen Orten und mit wem N. verkehrt habe, brauche er nicht darin zu erwähnen, und überhaupt möge er sich über die Religion „nicht allzu sehr genau“ auslassen, obgleich sich das ja (wie N. selbst hinzufügt) für ihn und alle Frommen in Wahrheit so schicken würde. Behutsam vorzugehen war allerdings um so mehr erforderlich, als N. bei dem jungen Maximilian angestellt sein wollte, dem späteren Kaiser Maximilian II., dessen Hinneigung zu protestantenfreundlichen Anschauungen schon seit 1548 in weiteren Kreisen bekannt war, während sein Vater, König Ferdinand I., wie auch der Kaiser selbst, ihn eben deshalb vor jeder näheren Berührung mit Protestanten fern zu halten suchten. N. hat auf die geschilderte Weise seinen Zweck wirklich erreicht: er trat als Rath in den Dienst Maximilian’s, der damals den Titel eines Königs von Böhmen führte und eben aus Spanien zurückkehrte, sodaß der anfängliche Gedanke Niedbruck’s an eine Reise nach Spanien und eine Thätigkeit in Spanien nicht zur Ausführung kam.

Ueber die ersten Jahre der neuen Thätigkeit Niedbruck’s hören wir nur wenig; im April 1552 scheint er in Regensburg gewesen zu sein, um hier (zusammen mit Heinrich V. Reuß von Plauen) den Kurfürsten Moritz von Sachsen zum Besuch der Linzer Verhandlungen zu bewegen. Seit dem November 1552 finden wir ihn dann bei Maximilian in Graz, und während der hier in den folgenden Monaten gepflogenen Pläne behufs Gründung eines Fürstenbundes mit Moritz zur Aufrechterhaltung des Passauer Vertrags, denen sich König Ferdinand anschloß, wurde N., der sich offenbar als geschickt und brauchbar erwiesen hatte, auch zum Rath Ferdinand’s erhoben (Anfang 1553); seitdem stand er gleichzeitig im Dienst des Vaters und des Sohnes und nahm eine hervorragende Stelle in der Politik der deutschen Habsburger ein (1554 erhielt er von Ferdinand monatlich 10 Gulden, außer dem Gehalt, den er als Rath Maximilian’s bezog).

Dem sächsischen Bundesplan, zu dessen Verwirklichung im Frühjahr 1553 ein Fürstentag nach Eger berufen werden sollte, galt die erste größere Verwendung, die N. im Dienst der beiden Könige fand. Im März 1553 wurde er von Graz aus nach Dresden geschickt, um von da zusammen mit einem kursächsischen Gesandten (Anselm v. Zeschwitz) den Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz, den Herzog Albrecht V. von Baiern, den Landgrafen Philipp den Großmüthigen von Hessen, die fränkischen Stände (Würzburg, Bamberg und Nürnberg, die wegen der Raubzüge des Markgrafen Albrecht Alcibiades an dem Abschluß des Bundes ein besonderes Interesse hatten) und Heinrich V. von Reuß-Plauen [623] zum Besuch des Egerer Tages aufzufordern (nach Brandenburg und Mitteldeutschland gingen zwei andere Gesandte). Der geringe Erfolg dieser Sendung fällt nicht dem Boten zur Last, sondern der Gründung des Heidelberger Bundes, dem auch Moritz sich anschloß und der dem Egerer Plan seine Lebensfähigkeit nahm. Eben während die Heidelberger in Neuschloß (bei Lampertheim) zu Ende kamen, wurde N., der in Hessen bereits günstigen Bescheid erhalten hatte, dort empfangen (31. März), ohne aber Pfalz und Baiern noch gewinnen zu können; danach waren die besseren Erfolge, die er Anfang April in Franken und Reuß davontrug, ohne rechten Zweck mehr. Mitte April traf er in Prag wieder mit Maximilian zusammen und kehrte mit diesem bei der Aussichtslosigkeit der weiteren Verhandlungen bald darauf nach Wien zurück. Hatte schon Moritz seit seinem Beitritt zum Heidelberger Bunde das Interesse an dem Bündniß mit den Habsburgern verloren, so hatte sein Nachfolger August (seit Juli 1553), der sogar den Krieg gegen Albrecht Alcibiades einstellte, zu solchen Plänen noch weniger Lust. Als N. in der zweiten Hälfte October 1553 noch einmal nach Sachsen geschickt wurde, begnügte sich August mit einigen allgemeinen Freundschaftsversicherungen. Seitdem begann auch Ferdinand die Verhandlungen wegen seines Eintritts in den Heidelberger Bund.

Ein zweites Mal wurde N. 1554–55 zu wichtigen Geschäften bei den Vorbereitungen zu dem neuen Augsburger Reichstag sowie bei den Verhandlungen selbst, die den Religionsfrieden endlich zum Abschluß brachten, verwandt. Es handelte sich für Ferdinand wieder darum, die Fürsten zu persönlichem Erscheinen zu bewegen. Zu diesem Zweck wurde N. (zusammen mit dem Ritter Hans Philipp Schad) Ende Februar 1554 an die vier rheinischen Kurfürsten, die Herzoge Christoph von Württemberg und Wilhelm von Jülich-Cleve sowie an einige kleinere Fürsten abgeordnet. Er reiste im März über Augsburg und Bruchsal (wo er Pfalz, Mainz und Württemberg auf einer Versammlung des Heidelberger Bundes traf) an den Niederrhein, trat im April vom Herzogthum Cleve aus den Rückweg an (Xanten, Wesel, Köln), nahm nochmalige Rücksprache mit dem Pfälzer und versuchte, auch an anderen Orten, zu besserem Ergebnis zu gelangen, sodaß er seine ursprüngliche Absicht, schon vor Pfingsten (13. Mai) fertig zu sein, aufgeben mußte. Im Juni finden wir ihn in Speyer, Baden, Straßburg und Ensisheim, von wo aus er resignirt an Maximilian schrieb, daß alle seine Bemühungen wegen des Reichstags vergebens waren. In der That hatte nur der Württemberger sein Erscheinen in bestimmte Aussicht gestellt, was aber von besonderem Interesse ist, da an ihn N. geheime mündliche Aufträge von Maximilian mitbekommen hatte, die wir leider im Einzelnen nicht kennen. Der Mißerfolg bei den andern kann wieder nicht dem Gesandten zur Last gelegt werden, dessen Verhalten vielmehr von dem erprobten Geschäftsträger Ferdinand’s, J. U. Zasius (der damals in Bruchsal die Verhandlungen über den Eintritt des Königs in den Heidelberger Bund zum Abschluß brachte), ausdrücklich belobt wurde. Im Sommer 1554 begab sich N. über Regensburg (28. Juli) nach Wien zurück, wo er in der Umgebung Maximilian’s blieb, bis ihn Ferdinand im December mit nach Augsburg nahm, wo nun endlich der mehrmals verschobene Reichstag zusammentreten sollte. Im Januar 1555 wurde N. von Augsburg aus nochmals an die rheinischen Kurfürsten geschickt, ohne daß er diesmal besseren Erfolg gehabt hätte. Als am 5. Februar der Reichstag eröffnet wurde, waren nur wenige Fürsten in Person anwesend, darunter Herzog Christoph, der bis zum April in Augsburg weilte, und mit dem N. wieder intime Verhandlungen im Namen Maximilian’s pflog. Diesem (der gegen seine Wünsche in Wien hatte zurückbleiben [624] müssen) stand keiner seiner Räthe so nahe wie N., und es ist natürlich, daß er sich seiner gerade bei den Verhandlungen mit den protestantischen Fürsten bediente; hatte er ihm doch auch an Philipp von Hessen und andere Fürsten, für den Fall, daß sie erschienen, ähnliche mündliche Aufträge mitgegeben. Die zahlreichen Berichte, welche N. aus Augsburg an Maximilian schickte, sind eine wichtige Quelle für die Verhandlungen über den Religionsfrieden. Im August 1555 unternahm N. eine neue Gesandtschaftsreise. Ferdinand, der an einem Erfolg der Verhandlungen mit den Botschaftern verzweifelte, wollte den Abschluß des Religionsfriedens auf einen neuen Reichstag, der im folgenden Frühjahr in Regensburg zusammentreten sollte, vertagen und die Fürsten auffordern, wenigstens auf diesem zu erscheinen. N. reiste nach Heidelberg (3. August), nach Hessen und nach Württemberg (wo er den Herzog am 20. August zu Münsingen auf der Jagd traf). Aber alle Fürsten sprachen sich gegen eine Vertagung aus, und es gelang ja auch wirklich, im September in Augsburg den Religionsfrieden zu Stande zu bringen. Bald nach dem Schluß des Reichstags kehrte N. nach Wien zurück.

Wohl am interessantesten ist aber die Verwendung, die N. im J. 1556 fand, gelegentlich der großen Reise, die Maximilian im Sommer dieses Jahres zu Karl V. und Philipp II. nach den Niederlanden unternehmen mußte. Es war die Zeit, da Maximilian seinen Entwicklungsgang zum Protestantismus innerlich vollendet hatte, und er wollte daher die Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung mit den protestantischen Fürsten und Gelehrten im Reiche benutzen. Dazu bediente er sich natürlich wieder Niedbruck’s, den er schon Anfang Juni von Linz aus, unmittelbar nach dem Antritt der Reise, nach Sachsen und Brandenburg schickte, einmal, um mit Kurfürst August für die Rückreise eine Zusammenkunft zu Rheinfels bei St. Goar, an der auch Philipp von Hessen theilnehmen sollte, zu verabreden, und sodann, um auch mit den beiden Brandenburgern (Joachim II. und Hans von Küstrin) sowie mit einer Reihe von Theologen Fühlung zu gewinnen und sie alle über die Gesinnung Maximilian’s authentisch zu unterrichten. Damals setzte sich N. in Prag mit den Utraquisten, in Joachimsthal mit Mathesius in Verbindung; dann reiste er nach Dresden (19./20. Juni) und von da nach Brandenburg, darauf nochmals nach Sachsen zurück: in Wittenberg scheint er Anfang Juli Peucer besucht zu haben, in Leipzig Melanchthon, an den er besondere Aufträge hatte, und auch nach Magdeburg ist er gekommen. Dann begab er sich zu Maximilian nach Brüssel, wo er Ende des Monats eintraf und von wo aus er mit Kurfürst August und Landgraf Philipp wegen der beabsichtigten Zusammenkunft correspondirte. Dennoch hat sich, als Maximilian (den N. auf der Rückreise begleitete) im August in St. Goar erschien, nur Philipp’s ältester Sohn Wilhelm daselbst eingefunden, der seinen Vater mit Geschäften entschuldigte, während der bequeme Kurfürst von Sachsen von der Rückkehr Maximilian’s zu spät gehört zu haben behauptete; damals zuerst hat Maximilian erfahren müssen, was manche protestantische Fürsten, nicht zum wenigsten der gealterte Landgraf, für vorsichtige Herren geworden waren. Dagegen hat N. auf der Weiterreise mit Otto Heinrich, dem neuen Kurfürsten von der Pfalz, verhandelt, während Maximilian den Rückweg (wie schon die Hinreise) namentlich zu intimen Conferenzen mit Christoph von Württemberg benutzte. Einen neuen Auftrag erhielt N. am 7. September, als er mit seinem Herrn auf der Fahrt donauabwärts an Neuburg vorbeikam, wo damals der geächtete Albrecht Alcibiades weilte. Da Maximilian im Gegensatz zu seinem Vater und den katholischen Fürsten die Sache des Markgrafen gern zu einem gütlichen Ausgleich gebracht hätte, schickte er N. zu ihm und dieser hatte eine zweistündige Unterredung [625] mit Albrecht; aber der trotzige Sinn des Markgrafen wies jeden Gedanken an Verhandlungen zurück. Am Abend des 11. September kam N. in Maximilian’s Begleitung in Regensburg an, wo ein neuer Reichstag tagte.

Ueber Niedbruck’s letztes Lebensjahr sind wir verhältnißmäßig wieder weniger gut unterrichtet. Zunächst blieb er ein halbes Jahr lang in Regensburg, in den Geschäften des Reichstags verwandt, beständig gewärtig, aufs neue ausgeschickt zu werden, ohne daß es diesmal dazu gekommen wäre. Am 20. März 1557, vier Tage nach der Verkündigung des Reichsabschieds, verließ er Regensburg, um nach Wien zurückzukehren. Hier finden wir ihn noch Anfang Juni in Verhandlungen mit Joh. Blahoslaw, einem Gesandten der Böhmischen Brüder, die von Maximilian eine Besserung ihrer bedrängten Lage erhofften. Dann trat er noch einmal eine Reise nach den Niederlanden an, im Auftrage Ferdinand’s, um mit Philipp II. wegen des französischen Krieges zu verhandeln (das Reich hoffte auf die Rückgabe von Metz, Toul und Verdun). Er sollte nicht mehr zurückkehren. Am 26. September 1557 starb er in Brüssel, wenig über 30 Jahre alt, so plötzlich, daß sich an die unvermuthete Kunde von seinem Tode das unbegründete Gerede von einer Vergiftung heftete. Laute und aufrichtige Klage von Maximilian, Melanchthon, Flacius und Anderen folgten ihm ins Grab.

Die gesammte gelehrte Welt, insonderheit aber die protestantische, hatte Grund zur Trauer. Denn die wissenschaftliche Thätigkeit, die N. neben seiner staatlichen entfaltete, war eine ganz erstaunliche. Alle seine Reisen benutzte er zu umfassenden Studien und Nachforschungen. Beim Antritt der Gesandtschaft vom Frühjahr 1554 sprach er alsbald die Hoffnung aus, über 30 deutsche Bibliotheken besuchen zu können; einen Monat später hatte er den Plan bereits auf über 100 erweitert. In Wien kam sein Eifer der Hofbibliothek zu gute, für die er u. a. im April 1554 zu Köln den Codex Carolinus und die Bonifaciusbriefe erwarb; auch die Gewinnung der zahlreichen, kostbaren griechischen Handschriften aus Constantinopel und Amasia durch Auger Gislen v. Busbeek ging auf die Anregung Niedbruck’s zurück. Seine Verdienste haben einige ältere Gelehrte zu der irrigen Annahme geführt, er sei Director der Wiener Hofbibliothek gewesen. Aber daneben und darüber standen ihm bei seiner Thätigkeit noch ganz andere Interessen. In erster Linie lag ihm die Förderung der Magdeburger Centurien am Herzen: seit 1552 stand er deshalb mit Flacius und seinen Mitarbeitern in beständiger Verbindung, eifrig bedacht, die Pläne für diese erste protestantische Kirchengeschichte, diese hervorragende geistige Waffe im Kampf gegen den Katholicismus, zu begutachten und zu verbessern, ihnen finanzielle Unterstützung zufließen zu lassen und vor allem neue Mitarbeiter zu gewinnen und selbst Material aus allen Theilen Europas zu sammeln. Aus der Hofbibliothek sowohl wie aus der Privatbibliothek Maximilian’s gingen Flacius Bücher in reicher Fülle zu, und auch sonst zeigte sich N. mit Erfolg bemüht, den Centuriatoren solche Bibliotheken, die ihnen verschlossen waren, zu öffnen. Bis nach Italien, Corsica, Spanien, Frankreich und England, Ungarn, Siebenbürgen, Polen, Rußland, Griechenland und der Türkei erstreckten sich seine Nachforschungen für sie. Christoph von Württemberg und Otto Heinrich von der Pfalz wurden um Empfehlungsbriefe angegangen. Auch mit Johann Wigand und den anderen Mitgliedern des Magdeburger Fünfer-Collegiums trat N. in Beziehung. Er hat ferner die Verbindung mit einer ganzen Anzahl hervorragender Gelehrten vermittelt, deren Rath, Wissen und Arbeit ebenso wie ihre Bücher dem Werke zu gute gekommen sind, wenn sie auch nur zum Theil mit Flacius selbst in Correspondenz [626] traten. Dahin gehören namentlich die österreichischen Juristen Georg Tanner und Georg Aigmayr sowie der Brabanter Philologe Arnold Arlen (Bibliothekar Cosimos I. von Florenz), die in Italien für N. arbeiteten, ferner der weitgereiste Burgunder Historiker Hubert Languet, den er in Wien persönlich kennen gelernt hat, und das Brüggener Dioscurenpaar Georg Cassander und Cornelius Wouters (Gualterus), die damals in Köln weilten und durch die N. auch mit dem französischen Gelehrten Jean du Tillet (Joh. Tilius), dem ersten Herausgeber der Libri Carolini (1549), in Berührung kam. In Wesel verhandelte N. im April 1554 mit dem englischen Bischof John Bale (Joh. Balaeus), einem Schotten, der nach dem Regierungsantritt Maria’s der Katholischen England verlassen hatte, und den er für eine dauernde Mitarbeit an den Centurien in Aussicht nahm. Weiter dienten demselben Werke Niedbruck’s Beziehungen zu den böhmisch-utraquistischen Gelehrten, namentlich zu Matthaeus Collinus, aber auch zu Thaddaeus Hájek, Thomas Mitis u. A.; 1553 und 1556 konnte er mit ihnen in persönlichen Verkehr treten. Auch mit dem Juristen Simon Schard, mit dem Philologen Hieronymus Wolf (Bibliothekar Joh. Jak. Fugger’s) und mit dem istrischen Convertiten Pietro Paolo Vergerio (damals in Württemberg) hat er im Interesse der Centurien correspondirt, und zu gleichem Zwecke wies er Flacius auf die Theologen Valentin Paceus in Leipzig, Andreas Gerhard Hyperius in Marburg, Nicolaus Gallus in Regensburg und Konrad Pellikan in Zürich sowie auf den Buchdrucker Petrus Perna in Basel hin. In das Haus des Gallus pflegte N., um Aufsehen zu vermeiden, die Bücher zu schicken, welche er den Centuriatoren zur Verfügung stellte, und Marcus Wagner hat hier u. a. ein halbes Jahr lang Excerpte angefertigt. Sogar mit Calvin hat N. über den Plan der Magdeburger Briefe gewechselt.

Neben diesen Beziehungen pflog N. jedoch noch einen reichen anderen wissenschaftlichen Briefwechsel, der nicht, oder doch nur nebenbei, sich auf das große kirchenhistorische Werk bezog. So stand er mit dem Wittenberger Kreis (Melanchthon, Joach. Camerarius, Paul Eber, Kaspar Peucer) dauernd in Verbindung und war auch hier so geschätzt, daß Melanchthon ihm einmal versicherte, keine Zeit und kein Schicksal könne seine Liebe zu ihm je auslöschen. Aehnliche litterarische Interessen verknüpften ihn mit Johann Mathesius in Joachimsthal, mit Kaspar Brusch, der damals in der Oberpfalz weilte und die Dienste Niedbruck’s für sein Werk über die Bisthümer Deutschlands in Anspruch nahm, sowie mit Konrad Gesner in Zürich, der von ihm sogar Förderung seiner zoologischen Interessen erfuhr und ihm den Anhang seiner Bibliotheca universalis widmete (1555). Besonders starke Beziehungen verbanden ihn schließlich mit Straßburg, dem Wohnort seines Oheims. Schon mit Butzer war er gelegentlich in schriftlichen Verkehr getreten; einen dauernden Briefwechsel führte er mit Johann Sturm, Sleidan und Konrad Hubert. Sleidan correspondirte mit ihm namentlich über die Aufnahme seiner Commentare in Wien und über seine Wünsche nach einer Anstellung im Hofdienst; Hubert empfing von ihm reiches Material und werthvollen Rath für die Sammlung lateinischer geistlicher Lieder, die er zu veröffentlichen beabsichtigte (vgl. über ihn jetzt Joh. Ficker und O. Winckelmann in den Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts 2, Straßburg 1905, Text zu Tafel 67).

Bei alledem aber fand N. in seinem kurzen, vielbeschäftigten Leben auch noch Zeit zu eigenen Arbeiten. Sieben wissenschaftliche juristische und philologische Schriften von ihm bewahrt die Wiener Hofbibliothek. Andere Werke zum Betrieb des gelehrten Unterrichts scheinen verloren zu sein. Im Druck ist keines seiner Bücher erschienen.

[627] Niedbruck’s politische und religiöse Stellung dürfte sich wol so ziemlich mit der seines Herrn, Gönners und Freundes Maximilian gedeckt haben, seit dieser, nicht zum wenigsten durch Niedbrucks’s Einfluß, innerlich dem Protestantismus gewonnen war. Sie documentirt sich in einer starken deutsch-nationalen Gesinnung und in einer versöhnlichen religiösen Haltung. Die Beilegung des Haders der protestantischen Parteien, insonderheit des Zankes zwischen Melanchthon und Flacius, war sein Wunsch und Ziel, gegen alles sectirerische Wesen hatte er eine tiefe Abneigung (daher auch sein Mißtrauen gegen die Böhmischen Brüder). Freudig begrüßte er sogar innerhalb der katholischen Kirche Anzeichen zu einer „rechtschaffenen“ Reform, wie die Wahl des Papstes Marcellus II. im April 1555. Doch blieb er sich der Grundlagen seiner evangelischen Anschauung immer bewußt. Als er im Juni 1554 im Kreuzgang des Dominicanerklosters zu Straßburg das Grab Tauler’s sah, freute er sich der einfachen Inschrift, die den Zusatz „orate pro eo“ vermissen ließ, während ein Lamm, auf das der große Mystiker im Bild mit dem Finger wies, und die Worte „in Christo Jesu“ ihm anzudeuten schienen, „daß er auf diesen allein all sein Vertrauen auf Rechtfertigung setze, nicht auf die Vermittlung und Unterstützung anderer“. Schon als N. im Sommer 1555 gegenüber Flacius die Hoffnung aussprach, daß ein mächtiger König einmal die Reformation der Kirche in die Hand nehmen möge, mag er an Maximilian gedacht haben; jedenfalls hat er das Band zwischen diesem und den protestantischen Fürsten (namentlich Christoph, August und den Brandenburgern) ebenso wie dasjenige zwischen ihm und den protestantischen Theologen (Flacius, Melanchthon, Vergerio) geknüpft. Freudig preist er bei Markgraf Hans von Küstrin den Protestantismus seines Herrn, und Pfauser, der bedrängte evangelische Prediger Maximilian’s, gegen den sich der ganze Sturm der Katholiken richtete, wurde noch 1557 nur durch N. zum Ausharren bewogen. Gern nahm er sich auch aller österreichischen Protestanten, die nach anderen deutschen Ländern gingen, bei seinen Correspondenten an. Freilich fehlt auch die Gegenseite in diesem Bild nicht ganz, eine große äußere Zurückhaltung, die, wie bei Maximilian, gelegentlich als bedenkliche Schwäche erscheint. Daß N. seinen Briefwechsel mit den protestantischen Gelehrten (namentlich mit Flacius und Sleidan) nur mit außerordentlicher Vorsicht und zum Theil unter fingirten Namen führte, mag begreiflich sein; Sleidan glaubte immerhin, viel Grund zur Klage zu haben darüber, daß sich N. seiner und seiner Commentare am Wiener Hofe nicht genügend annehme (einmal hatte man ihm übrigens sogar hinterbracht, daß N. sich im Januar 1555 in Heidelberg abfällig über die Commentare geäußert habe), und bedenklich muß jedenfalls die Art scheinen, wie N. sich im J. 1550, als es sich um seinen Eintritt in den Dienst der Habsburger handelte, alle Mühe gab, seine protestantische Gesinnung und seinen protestantischen Umgang zu verheimiichen. Jede Andeutung der protestantischen Gelehrten, mit denen er in Verbindung stand, über seine oder Maximilian’s religiöse Haltung blieb ihm auch in Zukunft peinlich, sodaß er Tanner gegenüber einmal ausdrücklich bat, davon Abstand zu nehmen. Die ihm zugedachte Dedication der Gedichte Brusch’s hat er abgelehnt (1555), und die Dedication eines Werkes von Hubert erklärte er sich nur dann anzunehmen bereit, wenn er vorher die Vorrede lesen dürfte. – Man hat sich gelegentlich gewundert über die Zahl der protestantischen oder doch zum Protestantismus neigenden Männer, die am Hof Ferdinand’s wirkten. Durch das Laviren und die übergroße Vorsicht, auf die sie hier gewiesen waren, konnte leicht ihr Charakter in Mitleidenschaft gezogen werden, und es muß Bewunderung erregen, daß N. dennoch so außerordentlich [628] stark im Dienst der protestantischen Sache thätig zu sein vermochte.

Niedbruck’s nachgelassene Schriften sowie sehr zahlreiche Briefe von ihm und an ihn beruhen auf der Wiener Hofbibliothek; vgl. Tabulae codicum manu scriptorum in bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum 6 (Wien 1873), sowie auch 7 (1875) no. 11 835. Die Briefe Niedbruck’s an Hubert (1554–57) befinden sich im Thomasarchiv zu Straßburg (und wurden zu obiger Darstellung benutzt). Eine Ausgabe des gesammten Briefwechsels läßt noch immer auf sich warten. Den Briefwechsel mit Melanchthon veröffentlichte theilweise Adalbert Horawitz in den Sitzungsberichten der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, philos.-hist. Cl. 76 (1874), S. 299 ff. (mit beachtenswerthen Angaben über Niedbruck’s Leben und Werke), vollständig Victor Bibl im Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Oesterreich 18 (1897), S. 34 ff. Briefwechsel mit Brusch bei A. Horawitz, Caspar Bruschius (Prag und Wien 1874), S. 217–229; mit Sleidan bei Hermann Baumgarten, Sleidan’s Briefwechsel (Straßburg 1881). Die beiden interessanten Briefe an Dryander (1550) druckt Edward Boehmer, Bibliotheca Wiffeniana, Spanish reformers of two centuries II (Straßburg und London 1883), S. 21 f. Briefwechsel mit Mathesius bei Georg Loesche, Johannes Mathesius 2 (Gotha 1895), S. 223 ff. (der Brief S. 279 Nr. 66 trägt aber im Original, wie mir V. Bibl mittheilt, keinerlei Tages- oder Monatsdatum, und das, welches ihm der Herausgeber wol versehentlich vorangestellt hat, ist sicher irrig und würde eine falsche Anschauung vom Zeitpunkt des Eintritts Niedbruck’s in den königlichen Dienst geben); vgl. auch G. Loesche im Jahrbuch der Gesellsch. f. d. Gesch. des Protestantismus in Oesterreich 11 (1890), S. 31 ff. Den wichtigen und umfangreichen Briefwechsel mit Flacius veröffentlichte V. Bibl in demselben Jahrbuch 17–20 (1896–1899). Ueber Niedbruck’s Verhältniß zu den Utraquisten in Böhmen siehe Ferd. Menčik ebd. 18 (1897), S. 48 ff.; über N. und Tanner V. Bibl im Archiv für österreichische Geschichte 85 (1898), S. 379 ff. Durch diese Arbeiten sind ältere Drucke fast ganz entbehrlich geworden; nur bei Joseph Chmel, Die Handschriften der k. k. Hofbibliothek in Wien 2 (Wien 1841), S. 236–258 finden sich einige seither nicht wieder gedruckte Briefe von Languet, Arlen, Peucer, Calvin und Gesner, solche von und an Calvin ferner im Corpus Reformatorum 44 u. 48 (1877, 1879). Ein sehr reichhaltiges Verzeichniß der Correspondenten Niedbruck’s, das aber noch nicht einmal ganz vollständig ist, gibt Horawitz in den Sitzungsberichten a. a. O., S. 303; auf Grund der gedruckten Litteratur vermag ich hinzuzufügen: Johann Camerarius, Dryander, Sigmund Jordan Geleus, Johann Hommel, Sleidan. – Vgl. ferner: Anton Gindely in den Fontes rerum Austriacarum 2. Abth. 19 (1859), S. 177–182 (über N. und die Böhmischen Brüder); J. Siebmacher’s Wappenbuch, N. Aufl. 2, 11, bearb. von M. F. A. Gritzner (Nürnberg 1873), S. 51; Briefe und Acten zur Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts 4 (Beiträge zur Reichsgeschichte 1553–1555 von August v. Druffel, ergänzt und bearb. von Karl Brandi, München 1896) und 5 (Beiträge zur Geschichte Herzog Albrecht’s V. und des Landsberger Bundes 1556–1598 von Walther Goetz, München 1898); [Ernst] Schaumkell, Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Magdeburger Centurien (Ludwigslust 1898), S. 20 ff.; Gustav C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1899). S. 375 f. mit dem Bruchstück einer Selbstbiographie Niedbruck’s (ich verdanke dem Verf. auch eine Mittheilung aus der Matrikel von Orléans); Viktor Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph [629] von Wirtemberg 2 u. 3 (Stuttgart 1900, 1902); Robert Holtzmann, Kaiser Maximilian II. bis zu seiner Thronbesteigung (Berlin 1903).