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Artikel „Mathesius, Johann“ von Karl Friedrich Ledderhose in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 586–589, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mathesius,_Johann&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 20:54 Uhr UTC)
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Mathesius: Johann M., der alte Bergprediger von Joachimsthal, geb. am 24. Juni 1504 zu Rochlitz, † am 8. October 1565, hatte zum Vater den Rathsherrn [587] Wolfgang M. von Rochlitz und zur Mutter eine geborene Scheuerfuß. Der Rathsherr war ein feiner und frommer Mann und beschäftigte sich gern mit religiösen Dingen, er sehnte sich nach einer ganzen Bibel. Ernste Ermahnungen ertheilte er frühe dem Sohne und führte ihn selber in die Schule. Schon frühe verlor M. seinen Vater, der den Sohn als Schreiber auf das Bergwerk brachte, denn er wollte ihn nicht studiren lassen. Im Hause seiner Großmutter genoß M. neun Jahre lang eine sorgfältige Erziehung durch einen eigenen Hauslehrer, den sie ihm hielt. Sie war eine gute Katholikin und hielt ihren Enkel an, es ebenfalls zu werden. Ueberhaupt war Rochlitz gut päpstlich. Nach der Rochlitzer Stadtschule kam er in seinem 13. Jahre in die Mittweidische Trivialschule. Von da besuchte er das Gymnasium von Nürnberg. Es ging ihm hier, wie dem Knaben Luther, er mußte sein Brod durch Singen vor den Thüren verdienen. Wenn er später darauf zu reden kam, sagt er voll Dank: „Gott hat mich mein Leben lang als ein armes Waislein in der Fremde ernährt und aus allem Unglück erlöset.“ Er bezog hierauf die damals bekannte Universität Ingolstadt. Von da hielt er sich einige Zeit bei einem Herrn in München auf, der eine große Bibliothek hatte. Eine fromme Frau, Sabina Auerin, geb. Stettner, auf Schloß Odelzhausen, stellte ihn als Hauslehrer ihrer Kinder an. Hier war es, wo ihm Luthers bekannte Schrift von den guten Werken in die Hände fiel. Sie machte einen tiefen Eindruck auf sein empfängliches Herz, wie er selber rühmt: „Daraus ich den Anfang des Christenthums Gott sei Lob erstlich gelernt habe.“ Auch von andern Männern in Baiern, namentlich aber von Dr. Wiedemann, wurde er in die reine Lehre eingeführt. „Er brachte mich erstlich in Baiern zur reinen Lehre,“ sagt er. Jetzt entschloß er sich, selber nach Wittenberg zu reisen, um Dr. Luther zu hören. Nach Pfingsten 1529 hatte er das Glück, den großen Reformator selber über die heilige Taufe zu hören, „dafür ich unserem Gott die Tage meiner Pilgrimschaft hier und in alle Ewigkeit zu danken habe“. Er besuchte nun die Vorlesungen Luthers, hörte Ph. Melanchthon über die Epistel an die Römer, sowie Bugenhagen, Jonas und die anderen Professoren, fast lauter bedeutende Männer. Der wißbegierige und empfängliche junge Mann kann fast mit Loben und Danken nicht fertig werden, wenn er auf den Segen zu reden kommt, den er Wittenberg zu verdanken hat. Er nennt sich deßhalb mit innerem Wohlbehagen ein Glied dieser Schule und Bürger der Wittenbergischen Kirche. Seine Vaterstadt Rochlitz bestritt fast ganz die Kosten seines Aufenthalts auf der Universität. Mit Kenntnissen reich ausgestattet zog er nach Altenburg, um an einer dortigen Schule zu arbeiten, aber im Jahre 1532 erhielt er einen Ruf, der Schule in Joachimsthal im böhmischen Gebirge als Rector vorzustehen. Damals sagte man noch auf gut deutsch Schulmeister. Schon frühe neigte sich Joachimsthal der Reformation zu. Da ward denn für unsern M. das Arbeiten leicht und er verstand das Unterrichten aus dem Fundamente. Die griechischen und römischen Klassiker waren seine Freude, wie er sie in seinen hinterlassenen Schriften oft anführt, namentlich bringt er sie gerne in Beziehung auf christliche Fundamentalwahrheiten. Auch im Hebräischen war er daheim und die Kenntniß der Natur ihm nicht fremd. Er gehörte nicht zu den Lehrern, welche ihre Schüler mit allerlei Wissen vollpfropfen, aber die Hauptsache vergessen, die dem Wissen allein Werth verleiht, oder wie er sich ausdrückt, die nicht durchs Evangelium ihre Schüler Jesum Christum kennen lehren. Ueberhaupt stellte er den Grundsatz auf, daß ein Lehrer sein Amt in der Ueberzeugung führen müsse, daß Gott gegenwärtig sei und ihm zusehe. Er führte Luthers Katechismus, diese köstliche „Laienbibel“ in Schule und Kirche ein. Im J. 1540 entschloß er sich, noch einmal nach Wittenberg zu gehen. Er wurde dies Mal Luthers Haus- und Tischgenosse und die Kirche verdankt [588] ihm eine der frischesten, ächt lutherischen Biographieen des Reformators, die viele Auflagen bis in die neueste Zeit erlebt hat. Des Mathesius Arbeit in Joachimsthal hatte einen reichen Segen für Schüler und ihre Eltern zurückgelassen, so daß bei ihnen der Wunsch feststand, ihn bei der ersten Gelegenheit wieder zurückzuführen. Hatten sie es ihm doch durch ihre Unterstützung möglich gemacht, seine Studien auf der Universität zu vollenden. Da wurde das Diaconat vacant. Im J. 1541 kamen Abgesandte von Joachimsthal, um ihren Mathesius abzuholen. So schwer dem Dr. Luther der Abschied seines Schülers und Kostgängers wurde, so ließ er ihn doch mit Freuden ziehen, namentlich als er diese gediegenen Bergkinder kennen lernte. Mit einem schönen Zeugnisse der theologischen Facultät ausgestattet, zog er nach Joachimsthal, um dort bis zu seinem Ende auszuharren. Als nämlich vier Jahre nachher der bisherige Pfarrer seinen Abschied genommen hatte, war man keinen Augenblick im Zweifel, wer sein Nachfolger werden sollte. Im J. 1545 wurde M. zum Pfarrer berufen und hatte noch einmal die Freude, seinen Dr. Luther in Wittenberg zu sehen und ihm etliche Fragen in Betreff der Religion vorzulegen. Am 16. Februar 1548 starb der Reformator. Wir haben von M. noch eine Gedächtnißpredigt, die uns das Bild Luthers auf eine richtige Weise vergegenwärtigt. Die Kirchenordnung, welche hauptsächlich durch ihn in Joachimsthal eingeführt war, stimmte ganz mit dem Evangelium überein. Wenn man sie liest, kann man sich nur darüber freuen. Damit harmonirten aber auch des M. Predigten. Wir besitzen mehrere Predigtbücher von ihm, die zu dem Besten gehören, was die Predigtlitteratur der Reformationszeit darbietet. Es schreibt ihm Jemand „eine bewunderungswürdige und beinahe göttliche Beredtsamkeit“ zu, er verwendete aber auch die größte Sorgfalt auf die Ausarbeitung seiner Predigten. Sein Predigtbuch über die Evangelien des Kirchenjahres beweist es. Er sagt von sich selbst in Beziehung auf seine Stellung unter Bergleuten: „Ein geistiger Bergmann bin und bleibe ich, ob Gott will, so lange ich lebe und diene dem obersten Bergherrn Jesu Christo“. Das ersieht man an dem im Jahre 1562 herausgekommenen Predigtbuche, genannt Sarepta oder Bergpostille. Es ist ein merkwürdiges, interessantes Werk, das studiert zu werden verdient, wenn man auch wohl mit manchen seiner naturwissenschaftlichen Anschauungen nicht einverstanden sein kann; doch liegt über allen seinen Sarepta-Predigten ein heller Wiederschein der Ewigkeit. Eine ganze Reihe von größeren und kleineren Predigtbüchern sind von ihm erschienen, z. B. Trostpredigten über die drei Auferweckungen von Todten, Predigten über die Sündfluth, fünfzehn Hochzeitspredigten, Leichenpredigten. In diesen seinen Büchern sind die zwanzig Lieder zerstreut, die von ihm herrühren und deren sich etliche in den Gesangbüchern erhalten haben. Ein schönes Morgenlied ist das bekannte: „Aus meines Herzens Grunde sag ich dir Lob und Dank“, das dem König Gustav Adolf von Schweden so wohl gefiel, daß er es alle Morgen betete. Im J. 1543 trat er mit einer Joachimsthalerin Sibylla Richter in den Ehestand. Mit dieser ächt christlichen Frau führte er eine glückliche Ehe und aus dieser Erfahrung heraus sang er das zarte Hochzeitslied: „Wem Gott ein ehlich Weib beschert, mit Tugend, Glaub und Zucht verehrt, der hat den schönsten Schatz auf Erd, ein Weib ist aller Tugend werth“. Sie war wirklich seine Gehülfin und erfreute ihn mit sieben Kindern. Es war nur zu bedauern, daß dieses Eheglück kaum zwölf Jahre währte, indem sie der Tod am 23. Februar 1555 zu seiner tiefen Betrübniß abrief. M. hat ihr ein schönes Denkmal in einem Liede gesetzt, das von der herzlichsten Liebe Zeugniß ablegt. Ihr Tod blieb eine blutende Wunde bis zu seinem eigenen Tode. Seine ganze Liebe gehörte jetzt seinen sieben Kindern, die sie ihm auf dem Sterbebette dringend ans Herz gelegt hatte und die er auf [589] eine wahrhaft christliche Weise erzog. Man hat noch eine Wallfahrt mit seinen Kindern auf den Gottesacker zum Grabe der Mutter von ihm, was wohl zu dem Zartesten und Innigsten gehört, was man in dieser Hinsicht besitzt. Sein Weg in Joachimsthal war ein Dornenweg, denn ob er wohl viele dankbare Pfarrkinder hatte, so gab es doch dort auch Feinde, die ihm Widerstand leisteten. Die schwersten Anfechtungen aber, die ihn beugten, waren innere. Besonders quälte ihn eine solche ein Jahr vor seinem Tode, sie währte etliche Wochen, er mußte seine Arbeit einstellen, kein Trost wollte haften. Ein Gesang der Schulkinder vor seinem Hause gab ihm die alte Freudigkeit zurück. Er arbeitete wieder aufs Neue, doch blieb bei ihm eine herzliche Sehnsucht nach einem seligen Abschiede. Sein treuer Kollege Francke hat uns in der Leichenrede, die er dem M. gehalten, über die letzte Zeit desselben einen eingehenden Bericht erstattet. Schon vor 19 Jahren hatte M. seine Grabschrift verfertigt und alles zu seinem Begräbnisse zugerichtet. Es war am 16. Trinitatis-Sonntage 1565, wo man in der Kirche über die Auferweckung des Jünglings von Nain predigt, daß er die Kanzel bestieg. Man kann die Predigt, die er hielt, in seinem Predigtbuche nachlesen. Auch sie ist, wie alle seine Predigten, voll Geist und Anmuth, voll Einfalt und Tiefe, voll Mark und Kern. Er hatte laut geredet und voll Sehnsucht nach Ausspannung geschlossen. Beim Heruntergehen von der Kanzel fängt er an zu wanken, man eilt ihm zu Hülfe, er sagte: „Ich will heim!“ Als man ihn in einem Stuhle nach Hause trägt, sagt er: „Nicht da heim!“ er wollte in die himmlische Heimath. Es währte auch nicht lange, schon um 1 Uhr Nachmittags verschied er ganz sanft. Ein wahrhaft apostolischer Mann war dahin gegangen, wo die Kronen des Lebens ausgetheilt werden.

Quellen: Eigenhändiger Lebenslauf des M. in seiner Auslegung des Sirach. 1598. Sein Leben ist auch beschrieben von Joh. Balth. Mathesius. 1705. Ebenso von Friedrich Scholtzen in der ev. Kern-Postilla 1720. Ausführlich und aus des M. Werken von dem Unterzeichneten in „Das Leben des M. Joh. Mathesius, des alten Bergpredigers in Joachimsthal“. Heidelberg 1849.