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Artikel „Gallus, Nicolaus“ von Adolf Brecher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 351–356, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gallus,_Nicolaus&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 17:13 Uhr UTC)
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Gallus: Nicolaus G., auch Gall, eigentlich Han, lutherischer Theolog und eifriger Gesinnungsgenosse des Flacius Illyricus geb. zu Köthen in Anhalt 1516, † im Bade Zell in Würtemberg 1570, entstammte einer in Anhalt und später im Hallischen Saalkreise angesessenen sehr angesehenen Familie. Sein Vater war fürstlicher Rath und Bürgermeister in Köthen. – Er studirte in Wittenberg, wo er Luther und Melanchthon nahetrat. Nachdem er nach beendeten Studien an der Ausbreitung der evangelischen Lehre im Saalkreise und den benachbarten Landschaften mitgewirkt hatte, wurde er Rector in Mansfeld. Aber seine Thätigkeit daselbst war nur von kurzer Dauer. Als nämlich 1542 nach längerem Schwanken der Rath von Regensburg die Einführung der lutherischen Lehre in seinem Gebiete beschlossen hatte, wurde G. mit Mag. Nopp aus Wittenberg, der das Amt eines Superintendenten übernahm, auf Empfehlung Luther’s als Diaconus dorthin berufen und 1543 in sein Amt eingeführt. (Joh. Baptista, Ratisbona monastica p. 540, Regensb. 1752, berichtet, er habe am 14. Oct. d. J. die erste Vesper und am 15. Oct. die erste deutsche Messe in der Kirche der „Schönen Marie“ abgehalten.) Schon in diesem oder im folgenden Jahre (vgl. Gemeiner, Gesch. der Kirchenreformation in Regensburg. Regensburg 1792, S. 141 u. 150) verheirathete er sich mit der Tochter des dortigen Arztes Georg Hobsinger und verfaßte seine erste Schrift: „Tröstlicher Unterricht für die kranken, sterbende und für schwangere gebährende Frauen“, Regensburg durch Hans Khol 1544, 8°. – Doch auch hier wurde seine Wirksamkeit bald unterbrochen. Als nach der Verkündigung des Interims der Rath von Regensburg trotz seines anfänglichen tapferen Widerstandes zur Vermeidung von Gewalt dem kaiserlichen Willen nachzugeben gezwungen wurde, verließ G. mit den meisten übrigen evangelischen Geistlichen die Stadt (Juni 1548) und begab sich, noch für zwei Jahre des Einkommens seiner verlassenen Stelle versichert, nach Wittenberg. Hatte er gehofft, hier wie in alten Tagen noch die feste Haltung Luther’s gegen allen katholischen Zwang zu finden, so hatte er sich getäuscht. Die Wittenberger – Melanchthon nicht zuletzt – standen schon in lebhafter Unterhandlung mit dem Kurfürsten Moritz von Sachsen wegen der Annahme des Interims. Während der ersten Monate seines Wittenberger Aufenthaltes wurden die Convente von Meißen, Pegau, Mönchs-Celle, Jüterbogk und Leipzig gehalten. Er mußte erkennen, wie „ein finster Wölklein des Unglaubens herannahte, welches ein groß Wetter in der Kirche erregen wollte“. Dem zu Trotz er Amt und Gemeinde verlassen und die Fremde gewählt hatte, [352] das sah er hier von den Häuptern und bisherigen Stützen der Kirche mehr und mehr geduldet und mit sehr bedenklichen Gründen empfohlen. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, wenn er sich Melanchthon, Maior, Bugenhagen allmählich entfremdet und mit Matth. Flacius, der allein es wagte, gegen alle Zugeständnisse seiner Collegen im Bekenntniß und Cultus zu protestiren, verbunden fühlte. Von dieser Zeit her rührt der Zusammenhang, in welchem wir beide Männer in der Zukunft sehen. – Da ihn nichts an Wittenberg fesselte – das Predigtamt an der Schloßkirche hatte er nur vertretungsweise für Cruciger geführt – verließ er die Stadt (Ostern 1549) gerade zu der Zeit, als die Leipziger Agende vom Kurfürsten in Torgau bekannt gemacht werden sollte. Von den zwei Berufungen, die an ihn gelangt waren, einer nach Mecklenburg, der anderen nach Magdeburg, nahm er die letztere an, wol bewogen durch seine Verwandtschaft mit Heinrich Merckel, dem Secretär der Stadt, der (1541) seine jüngere Schwester Margarethe geheirathet hatte. Er wurde zum ersten Prediger an der Ulrichskirche daselbst berufen, der Kirche, an welcher Nicol. v. Amsdorf das evangelische Pfarramt nach der Reformation zuerst verwaltet hatte. Sehr bald fand sich dieser, aus seinem Bisthum Naumburg vertrieben und vom Kaiser verfolgt, ebenfalls dort ein. Matth. Flacius, der kurz vor G. Wittenberg verlassen und kurze Zeit in Niedersachsen zugebracht hatte, folgte demselben. So waren die heftigsten Feinde des Interims und der Adiaphoristen bei einander unter dem Schutze einer Stadt, die, seit zwei Jahren (27. Juli 1547) geächtet, im Begriff stand, für ihren Glauben einen ernsten Waffengang mit dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen, dem Achtsvollstrecker, zu gehen. Eine seltene Einmüthigkeit herrschte unter Rath, Bürgerschaft und Geistlichkeit. Durch Wort, Schrift und Beispiel feuerte die letztere zum Kampfe, in den Stunden der Noth zum muthigen Ausharren an. Neben dem unglaublich schreiblustigen wie druckfertigen Flacius (er stand einer eigenen Druckerei vor), dessen lebhaft erregte Schriften die Freunde außerhalb der Stadt im Interesse für die Belagerten zu erhalten suchten, wirkte G. als Seelsorger und Berather in der Gemeinde, beide häufig vereint als Verfasser von Flugblättern und Streitschriften zur Vertheidigung und Anklage gegen politische wie religiöse Gegner der Stadt und des von ihr vertretenen Bekenntnisses (vgl. das Schriftenverzeichniß des G. bei F. G. Kettner, Clerus Ulrico-Levinianus, Magdeburg 1728, S. 200 f. und des Flacius bei W. Preger, Matthias Flacius Illyricus und seine Zeit, Erlangen 1861, Bd. II. S. 544 ff.). Selbst auf die Abfassung der Erlasse und „Ausschreiben“ des Rathes scheint G. bei seinem intimen Verhältniß zum Stadtsecretär Merckel nicht ohne Einfluß gewesen zu sein. G. nimmt damals unter den Geistlichen der Stadt eine entschieden hervorragende Stellung ein. War er auch nicht Superintendent, wozu ihn mehrere, z. B. Dreyhaupt, machen, so gewährte man ihm doch mehrfach den Vorrang vor den übrigen Stadtgeistlichen. Unter dem „Bekentnis Unterricht und vermanung der Pfarrhern und Prediger der Christlichen Kirche zu Magdeburgk. Anno 1550. Den 13. Aprilis“, steht die Unterschrift des „Niclas Han, Pfarrher zu S. Ulrich“, als die erste in der Reihe der übrigen Geistlichen sogleich hinter der des Bischofs Amsdorf. Als nach der Aufhebung der Belagerung die Prediger von Magdeburg am 13. Nov. 1551 wie die Räthe des Kurfürsten Moritz zur Entgegennahme einer Erklärung desselben wegen des Religionsstandes der Stadt und der Haltung ihrer Geistlichkeit in der letzten Zeit gefordert worden waren, übertrug man G. das Amt eines Sprechers. Man gab ihm damit die Möglichkeit, seine Abneigung gegen das Interim und die Adiaphora sehr merklich zu erkennen zu geben, und er machte davon Gebrauch, ohne den Kurfürsten zu Repressionsmaßregeln zu reizen. – Die Belagerung war beendet, die Stadt und ihre religiöse Freiheit gerettet und damit [353] der Anfang eines Umschwunges gegeben, der bis zum Augsburger Religionsfrieden fortwirkt. Es ist kein Zweifel: die beiden so arg verschrieenen und hart gescholtenen Männer hatten einen sehr wesentlichen Antheil an diesen Erfolgen. G. wie Flacius hatten sich ihrer allgemeinen Aufgabe nicht blos mit großer Hingebung unterzogen, sie hatten es auch vermocht, in der Stadt eine Einigkeit und Freudigkeit aller Glieder der städtischen Gemeinschaft zu erwecken und zu erhalten, die den Vorwurf, als ob ihnen nur im Unfrieden wohl gewesen sei, um ein bedeutendes einschränkt. Nachdem durch den Passauer Vertrag die Freiheit des evangelischen Bekenntnisses auch in Oberdeutschland wieder gesichert worden war, wurde auch G. von dem Rathe zu Regensburg zu seiner Gemeinde zurückberufen. Es wurde ihm sehr schwer, aus dem ihm lieb gewordenen Kreise seiner Magdeburger Freunde zu scheiden. Es bedurfte wiederholter Bitten der Regensburger, um G. die Zusage der Rückkehr zu entwinden; und, „als man es beinahe errungen hatte, daß er das Pfarramt annahm, prieß man sich im Besitze glückselig“ (Gemeiner, Geschichte der Kirchenreformation in Regensburg S. 268). Da Nopp während seines Aufenthaltes in Nürnberg gestorben war, wurde G. zugleich zum Superintendenten erwählt. Sein Wiedereintritt in seine alte Gemeinde am 12. Sept. 1553 wurde von derselben mit großem Jubel begrüßt. – G. fand viel zu ordnen und neu zu schaffen, wiewol Justus Jonas, der vor ihm acht Monate hindurch Verweser der Superintendentur gewesen war, schon vieles aus der Zeit des Interims beseitigt hatte. Er begann mit der Regelung der gottesdienstlichen Formen und Gebräuche, der Predigten, Feiertage etc. auf evangelischer Grundlage; darnach 1555 (vgl. Joh. Baptista, Ratisbona Monastica S. 450) wurde das Consistorium oder Ministerium eingerichtet. Die günstigen Erfolge seiner Wirksamkeit in Regensburg gaben ihm bald einen bedeutenden Ruf in der Nachbarschaft. Oft wendete man sich von dort um Rath an ihn. Besonders in Oesterreich und Salzburg trieb die Noth die verfolgten Gemeinden, seine Hülfe zu erbitten. Nicht wenige der 1554 aus ihrer Heimath vertriebenen Salzburger siedelten sich in Regensburg an; auch in Baiern nahmen die verfolgten Evangelischen ihre Zuflucht dorthin. Sie alle fanden in G. einen freundlichen Beschützer, der es nicht unterließ, auf dem Frankfurter Convent 1557 in seinen Voten die bedrängten Glaubensbrüder in Salzburg den Conventualen an das Herz zu legen, und es bewirkte, daß die versammelten Fürsten und Stände sich in einem Intercessionsschreiben (1. Juni 1557) bei dem Erzbischof von Salzburg für seine verfolgten und vertriebenen Unterthanen verwendeten. Aber auch in Regensburg selbst gab es viel zu thun. Die Kämpfe mit dem Bischofe Georg, der auf jede Weise zusammen mit dem Stadtclerus das Wachsthum und die Freiheit der evangelischen Kirche zu hindern suchte, rissen nicht ab. Noch 1563 war so wenig der Friede hergestellt, daß der katholische Domprediger Joh. Albrecht, ein Barfüßermönch, G. in einer Schrift zu einem Gottesgericht auf offenem Marktplatze herausforderte. Der schadlose Genuß des Abendmahles sollte beweisen, auf welcher Seite die Wahrheit der Lehre sich befinde. Es zeugte von Gallus’ Besonnenheit, daß er einer so tactlosen Herausforderung nicht Folge leistete, wenn er auch sich nicht enthalten konnte, 1564 eine ziemlich scharfe „Apologia wieder den Läster-Münch, Hanß Albrecht, und wieder die et caetera, so keinen Nahmen nicht haben, Helffer und Helfers-Helfer“ erscheinen zu lassen. – Dazu kam seine ununterbrochene Theilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten der evangelischen Kirche. Auf dem Regensburger Reichstage 1556 hatte er die Gelegenheit benutzt, in zahlreichen und wol sehr leidenschaftlichen Controverspredigten die Abweichungen von der reinen Lehre Luther’s in der damaligen Zeit vor Fürsten und Ständen zu geißeln. 1557 zu dem Frankfurter [354] Convent abgeordnet, um eine Instruction für die evangelischen Theilnehmer an dem Wormser Religionsgespräch ausarbeiten zu helfen, verfaßte er zwei Vota, die den lutherischen Standpunkt festhaltend und vor allem eine klare Stellung zu den in die Kirche eingerissenen Irrthümern fordernd, die Zustimmung der Majorität nicht fanden. Original war dabei der in dem letzten vorkommende Vorschlag, die Oberleitung der evangelischen Kirche in den einzelnen Ländern Special- und General-Superintendenten zu übertragen, über diese aber als oberste Leiter einige „Oberhirten“ aus den Ständen Ober- und Niederdeutschlands zu setzen, die jedoch nur das Amt von directores negotiorum haben sollten (vgl. Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus I. S. 146 ff.). – Es ist natürlich, daß er in allen diesen Dingen in Uebereinstimmung mit Flacius handelte, der ihm von Jena aus secundirte. Beide, so verschieden sie sonst waren, galten damals noch für Einen und G. bewies, daß dies nicht blos in Bezug auf die Lehre, sondern auch für das Leben galt. Als Flacius überall vertrieben und von allen Parteien verfolgt, nirgends eine Zuflucht fand, eröffnete ihm G. in Regensburg eine Zufluchtsstätte (1562). Mit Treue und Beharrlichkeit leistete er dem Freunde Beistand, um seine Pläne zur Ausführung zu bringen. Flacius hatte die Absicht, in Regensburg eine Art theologischer Akademie zu eröffnen, auf der im Gegensatz zu den übrigen Universitäten die reine lutherische Lehre in seinem Sinne gelehrt werden sollte. Es war nicht die Schuld des G., daß die Akademie nicht zu Stande kam. Der Rath der Stadt hegte schon an sich Mißtrauen gegen Flacius und dies wuchs allmählich unter den Einflüsterungen der zahlreichen Gegner des Verfolgten so sehr, daß G. trotz des hohen Ansehens, dessen er bei der Bürgerschaft und Rath genoß, den Freund nicht vor der fast mit Gewalt erzwungenen Entfernung aus der Stadt zu schützen vermochte (August 1566). Es ist das letzte, was uns von der Regensburger Wirksamkeit des G. berichtet wird. Er starb am 24. Juni (?) 1570 im Bade Zell in Würtemberg und wurde in der Peterskirche in Regensburg beigesetzt.

Bei den nahen Beziehungen des G. zu Flacius und der Uebereinstimmung beider in Lehre und Glauben, ist es kein Wunder, wenn wir beide auch in den meisten Kämpfen, die damals die evangelische Kirche bewegten, nebeneinander finden. Viele ihrer Schriften sind gemeinschaftlich verfaßt, wenigstens von beiden unterschrieben; mehrere begleitet der eine wie der andere mit einer Vorrede oder mit Zusätzen und Unterschriften. Es genügt deshalb in Beziehung auf die litteratische Theilnahme des G. an den Kämpfen gegen das Interim, die Adiaphoristen, Maioristen, Osiandristen, Schwenkfeldianer u. a. m. auf die Litteratur bei Flacius zu verweisen. Ihre Einheit zeigt sich da durch nichts getrübt. Es war eine Gemeinschaft, gegründet auf der Ueberzeugung, in Luther’s Lehre die feste unveränderliche Grundlage der Kirche für alle Zeiten zu besitzen, und daher bestrebt, alle anders Denkenden oder Abweichenden wenigstens auf der Seite der bisherigen Lutheraner wieder unter die lutherische Lehre zu zwingen. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Anschauung, so sehr sie die charakteristischen Zeichen ihrer Mängel an sich trägt, für die gegenwärtige Periode des Kampfes um den Bestand evangelischen Wesens überhaupt durch die gegebenen Verhältnisse ihre Berechtigung erhielt. Beide Männer haben, als die meisten nur von Vermittelung und Versöhnung träumten, mit Muth und Aufopferung das gefährdete Lutherthum und damit allerdings die meisten der durch die Reformation erworbenen Güter gegen das neu gekräftigte Papstthum, wie gegen die schwankenden und weichenden Glaubensbrüder vertheidigt. Es gebührt ihnen und ihren Genossen der Ruhm, durch die Wucht ihres Angriffes auf das Interim und die verführerische Lehre von den Adiaphora den bedrängten und verwirrten Zeitgenossen den Blick auf die drohende Gefahr geöffnet und den Muth der Abwehr [355] wiedergegeben zu haben. Und wie sie Magdeburg gewannen und durch Ausharren zum Siege führten, so gaben sie damit der evangelischen Sache in Deutschland einen Aufschwung, von dem getragen, Moritz von Sachsen es unternehmen konnte, der kaiserlichen Willkür gegen die Evangelischen im Passauer Vertrage ein Ziel zu setzen. Aber indem sie die Reinheit der Lehre wie die Einheit in der Kirche überschätzten und in der ausschließlichen Hingabe an den Kampf für beide allmählich überreizt, jede Lehrabweichung wie einen Verrath empfanden und in ihren alle Zeit fertigen Schriften behandelten, haben sie der Kirche und der gerade von ihnen erstrebten Gemeinschaft des Glaubens die schwersten Schäden zugefügt. Allerdings ist hierbei besonders hervorzuheben, daß bei der Menge übereinstimmender Momente im Charakter beider Männer, doch im Allgemeinen dem G. ein Maß von Besonnenheit, Tact und Zurückhaltung eignet, welches Flacius fremd war. Es tritt dies besonders deutlich hervor in des G. Verhalten gegenüber dem nicht zu rechtfertigenden Auftreten eines Eggerde und Heßhusius in Magdeburg (vgl. Preger a. a. O. II. 246 ff.). Auch bei G. schwillt die Zornesader mächtig an, wenn er die Reinheit der Kirchenlehre Preis gegeben, die Wahrheit verleugnet wähnt; er geräth dann wol in eine Entrüstung, die sich schonungslos und bitter gegen die Feinde äußert; aber er ist doch viel mehr als Flacius im Stande, zwischen Feind und Feind einen Unterschied zu machen, die Person von der Sache zu scheiden und den Motiven eines Jeden gerecht zu werden. Er ist manchem seiner Gegner, besonders einem Melanchthon, an umfassender Gelehrsamkeit und an Weite des Blickes nicht gewachsen, aber an Lauterkeit der Gesinnung und Offenheit des Charakters steht er keinem derselben nach. Es ist vollkommen unrichtig, von ihm zu behaupten, er habe mit echt flacianischem Geiste die Zerwürfnisse in der Kirche zu erhalten gesucht. Er hat, wie wenige, die Noth der Kirche im Zwiespalt und Kampfe gefühlt und wol danach gerungen, sie zu enden; aber die gewaltsame Herbeiführung der Einheit war ein falsches Mittel, das er wählte, nicht jedoch ein Beweis einer friedelosen, boshaften Gesinnung. Sein scharf ausgeprägtes theologisches Amtsbewußtsein verleitet ihn zu mancherlei Schroffheiten, und läßt ihn um Dinge eifern, welche heute kaum der Beachtung werth gehalten werden; indessen war man zu seiner Zeit an ein bedeutendes Maß geistlicher Herrschaft auch in der evangelischen Kirche gewöhnt, und sein treuer Eifer für das Wohl seiner Gemeinden wog bei deren Gliedern reichlich die Empfindung einer zu strengen Kirchenzucht wieder auf. So haben ihn denn auch gerade die Gemeinden von Magdeburg und Regensburg, in denen er am längsten war, am meisten durch Vertrauen und Anhänglichkeit ausgezeichnet. Die erstere erbat sich noch öfter von Regensburg seinen Rath in schwierigen Lagen, wie z. B. bei der Einführung der neuen Kirchenordnung von 1554 (vgl. Rathmann, Geschichte der Stadt Magdeburg IV. S. 31) und die letztere ehrte sein Andenken noch in neuerer Zeit in Erinnerung an seine segensreiche Wirksamkeit (vgl. Gemeiner a. a. O. und Anton Westermeyer, Die Reformation überhaupt und ihre Einführung in Regensburg insbesondere, Regensburg 1843, S. 152 f.). – Seine Theilnahme an der Abfassung der Magdeburger Centurien beschränkte sich wol nur auf die Sammlung von Geldmitteln zur Bestreitung der Kosten (Preger a. a. O. Bd. II. S. 429, vgl. aber auch Rathmann a. a. O. Bd. IV. S. 50). – Eine zu seinem Andenken geprägte Münze mit seinem Bilde kannte Kettner (Clerus Ulrico-Levinianus p. 189); sein Bild in Holzschnitt, nach der Platte Lucas Kranach’s gefertigt, gibt v. Dreyhaupt, Beschreibung des Saalkreyses Bd. II. S. 626. – Ein Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften gibt F. G. Kettner a. a. O. S. 199 ff.; die mit Flacius gemeinschaftlich herausgegebenen siehe bei Preger a. a. O. Bd. II. S. 540 ff. Zahlreiche Anführungen derselben und längere [356] Auszüge aus denselben finden sich bei Ch. A. Salig, Vollständige Historie der Augsburgischen Confession, Bd. II u. III; J. G. Walch, Historische und theologische Einleitung. in die Religionsstreitigkeiten d. evangelisch-lutherischen Kirche, Bd. II u. IV u. G. J. Planck, Geschichte der protestantischen Theologie, Bd. I bis III.

Das ergiebigste Quellenmaterial liefern, abgesehen von Gallus’ Schriften. seine (und Waldner’s) Sammlung von Abschriften von Briefen, Berichten etc. aus seiner Zeit auf der königl. Staatsbibliothek in München und seine Originalcorrespondenz mit Flacius u. a. im städtischen Archiv in Regensburg. Eine umfassende Biographie, die, unparteiisch abgefaßt, viel zur Aufhellung der Geschichte der Religionsstreitigkeiten nach Luther’s Tode beitragen könnte, fehlt bis jetzt noch.