ADB:Michaelis, Johann Benjamin

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Michaelis, Johann Benjamin“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 683–685, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Michaelis,_Johann_Benjamin&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 18:10 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 21 (1885), S. 683–685 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Benjamin Michaelis in der Wikipedia
Johann Benjamin Michaelis in Wikidata
GND-Nummer 117016640
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|21|683|685|Michaelis, Johann Benjamin|Erich Schmidt|ADB:Michaelis, Johann Benjamin}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117016640}}    

Michaelis: Johann Benjamin M., Dichter, geb. am 31. December 1746 in Zittau, Sohn eines wackeren Geschäftsmannes, der durch den Brand 1757 verarmte, übte sich als Gymnasiast nach den Erfolgen Klotzens, seines spätern Feindes, in lateinischer Poesie und ging bald zu deutschen Satiren über, wurde zum Studium der Medicin beredet, im December 1763 als Bittsteller zu Dresden der Kurfürstin präsentirt und von Frau v. Runkel an Gottsched empfohlen, der dem armen Jungen (immatriculirt am 6. Juli 1764) Wohnung und Tisch im Paulinum verschaffte. Früh zur Hypochondrie neigend, hauste M. einsam in Leipzig, dann wurde er mit C. H. Schmid und Dyk befreundet, von Gellert und Weiße, Garve und Engel gefördert und ging zur gleichen Zeit wie Goethe bei Oeser, den auch er als Lehrer feiert, ein und aus. Die Noth trieb ihn zu den ersten dichterischen Publicationen. Von Ostern bis zum Herbst 1768 weilte er schwer krank bei den Seinen in Oberoderwitz nächst Zittau, schloß dann in Leipzig die Gleim gewidmete Sammlung „Einzelne Gedichte“ (1769) ab, gab, da ihn Kränklichkeit und sein schlaffes Wesen nie mit irgend einer Wissenschaft vertraut werden ließen, ein ansehnliches Stipendium und alles Studiren auf und half sich durch Hofmeisterei und Lohndichtung weiter; folgte, von Lessing empfohlen, Ostern 1770 einem Ruf nach Hamburg als Redacteur des „Correspondenten“ an Stelle Wittenbergs, genoß unterwegs die Gastfreundschaft Gleims, traf Lessing in Braunschweig, erwies sich dem Hamburger Posten zumal im politischen Theil gar nicht gewachsen; ging im Herbst als Theaterdichter – ein ganz neues Amt – neben dem Kapellmeister Schweizer zur Seyler’schen Truppe, führte in Lübeck, Hannover, Hildesheim, Osnabrück ein geplagtes Leben, während dessen außer Theaterreden, Einlagen und Uebersetzungen auch neue Operetten ausgearbeitet wurden; und ließ sich seit dem Juni 1771 in Halberstadt von Gleim, der seine ganze Herzensgüte offenbarte und auch brav Reclame für M. machte, erhalten. M. befreundete sich mit J. G. Jacobi und all den kleinen Dichtern in und um Halberstadt. Ende Januar 1772 begann er monatlich auf Subscription poetische Briefe herauszugeben, redigirte zwischen dem fünften und sechsten drei „Operetten“, setzte seine Thätigkeit für den Leipziger Musenalmanach fort und entwarf sich folgendes Programm: im dreißigsten Jahr Abschluß der kleineren Poesie, im nächsten Jahrzehnt zwei große satirische Gedichte, dann nur noch Emendation sämmtlicher Werke: „Soviel aber bleibt festgesetzt, daß ich nach meinem 40. Jahre keine Zeile mehr schreibe. Ich werde während dieser Zeit meine Umstände so unabhängig zu machen suchen als möglich. Kann ich ein Amt vermeiden und doch so viel erwerben, daß ich ehrlich leben und für mein Alter etwas zurücklegen kann, so werde ich es außerordentlich zu betreiben suchen. Armuth war die Freundin meiner Kindheit; auch in [684] meinem Alter will ich sie nicht ganz verstoßen“ (an Schmid, M. A. 1773, 142). Eine im September 1772 für Dyk abgefaßte längere Autobiographie hat Wilisch aus den Halberstädter Papieren mit trefflichen Anmerkungen und Beilagen herausgegeben (47 S. 1881, S. A. aus dem Neuen lausitzischen Magazin Bd. 56); sie ergänzt und verbessert den von Jördens u. a. ausgeschriebenen Lebenslauf aus Schmids Feder.

M. war der Hektik, die sich zu seiner eingewurzelten Hypochondrie gesellt hatte, unrettbar verfallen. Er starb am 30. September 1772 (vgl. Gleim an Lessing XX 2, 623, an Knebel, Nachl. 2, 63. an Jacobi s. Martin, Quellen und Forschungen 2, 25 f. u. s. w.) und wurde neben seinem jüngst verstorbenen Freund und geringeren Dichtgenossen, dem Feldprediger Jähns (vgl. M. an Jacobi, Martin S. 61) bestattet. Bald regnete es Trauerverschen auf das Grab des so früh heimgegangenen Poeten, der selbst „Gellerts Leichensänger“ ausgelacht hatte. Voß bramabarsirte gar: „Jehova’s Wagschal klang, und nicht würdig war des edeln Jünglings dieses entnervte Volk“; auch Hölty stimmte elegisch in die Klagen ein.

M. hat sich zunächst an den Franzosen und Sachsen gebildet. Von englischen Werken war ihm weniges aus zweiter Hand bekannt, doch sah man gern in ihm einen deutschen Pope, einen deutschen Gay. Seine Lyrik tändelt, spöttelt, schmeichelt. An Zachariä mahnen größere „Phänomenogonische“ Scherzgedichte wie der „fliegende Drache“ gegen böse Weiber, die „Irrwische“ und mehr. An Gellert sein geistliches Lied „Wie lange fragst du unmuthsvoll“. Als Fabulist zwischen Gellert und Lichtwer wandelnd, pflegte er besonders die „Kinderfabel“; bekannt geblieben ist „Die Biene und die Taube“. Unter seinen Sinngedichten zwei aus Lessings Latein. Seine liebste Satire war ihm die „Kinderzucht“, aus Leipziger Beobachtung erwachsen, während „Trinker“ und „Pedanten“ noch nach Zittau weisen; alle zahm und wortreich. Auch die ernsteren und launigeren „Briefe“ in freien Versen leiden an Geschwätzigkeit und mehrfach an Schwulst und Unklarheit. Die „Gräber der Dichter“ sind eine freundschaftliche Revue unter dem Einfluß der Ebertode Klopstocks. Der Feind des Journalismus bespöttelt „die Kunstrichter“. Sein poetisches Vademecum für angehende Dichter gipfelt im Lob der Alten; Boileau kam nie von seinem Pult; er plante eine größere Poetik in Versen; „In dem Einen starb Despreaux und Juvenal“ faselt Kl. Schmidt. M. handelt über die menschliche Bestimmung im Stil Uzens, dem der Brief gewidmet ist, und feiert die hilfreiche Venus in einem halbepischen Briefgedicht an Jacobi. Auch die von diesem gepflegte Gresset’sche Manier der aus Poesie und Prosa gemischten Episteln nahm M. gelehrig an und trieb das Halberstädter Amorspiel auf eine gefährliche Spitze. Ein Wachsfigürchen in Jacobi’s Stube, Amor im Chorrock darstellend, reizte ihn den „Pastor Amor“, unmittelbar an Jacobi und Gleim gewandt, als Exorcisten und Beichtvater in die Neue Anakreontik einzuführen. Jacobitchen schauderte vor dieser – blos schalen und abgeschmackten – Verwegenheit und erließ eine öffentliche Gegenerklärung, welche M. loyal beantwortete. Wieland protestirte brieflich sehr heftig (vgl. Gleims Beschwichtigung in Pröhles „Lessing, Wieland, Heinse“ S. 266); M. gehörte ja zur Schule und erschien compromittirend, wie nachher Heinse.

Auf Frankreich, Wieland (Komische Erzählungen), die possirlichen Romanzen deutet das Fragment einer Vergilparodie. In Paris hatten die Scarron, die Marivaux u. a. ihr Müthchen an den Alten längst gekühlt; in Deutschland kam M. als Johannes des grobkörnigeren und lustigeren Blumauer (vgl. auch Grisebach S. 194 f., Hofmann-Wellenhof A. Bl. 1885 S. 49 ff.), dem er auch [685] die siebenzeilige Strophe (vgl. Geißler, Löwen) überlieferte. „Leben und Thaten des theuren Helden Aeneas“. Erstes Mährlein, Halberstadt 1771, der Epistel an Jacobi angehängt, vierzehn Strophen, aus der Hamburger Zeit, ein knappes modern-burleskes Extract ohne sonderlichen Witz; sechzehn weitere Strophen, 1780 in die Werke aufgenommen, schließen das erste Buch der Aeneis ab. Den Anfang des zweiten, in einer unglücklich abweichenden, durch Kurzzeilchen unterbrochenen Strophenform, theilte zuerst Kl. Schmidt in Beckers „Erholungen“ 4, 234 f. mit. Ernst hat M. eine Elegie des Tibull in Alexandriner übertragen.

Auf Frankreich, die Heimath des graziösen Singspiels, und die Pflegstätte Leipzig, wo Weiße wirkte und M. für „Lisuart und Dariolette“ seines hamburgischen Freundes Schiebeler schwärmte, weisen die Operetten (vgl. Minor „Chr. F. Weiße“ 1880 S. 188 f.), die in Schweizer, Neefe, Reichardt Componisten fanden und zu den wichtigsten, originellsten der Gattung gehören, sowie Michaelis’ zahlreiche Theaterreden die besten der Zeit sind. „Walmir und Gertrud“, mit Motiven aus der „Matrone von Ephesus“ und dem „Sommernachtstraum“, ist im Herbst 1765 geschrieben, eigentlich für Wien auf Klemms Bestellung, gewandt, mit ernsterer Tendenz. „Je unnatürlicher, je besser“, auch dreiactig, ist eine bunte Farce. Die folgenden, 1772 zusammengefaßt, sind als einactige Nachspiele entworfen: „Amors Guckkasten“, nach einer Michaelis’schen Romanze in Osnabrück vollendet, eine artig spielende Parodie des Olymps; „Der Einspruch“, ein Liebeshandel in französisch-Weiße’scher Manier; „Hercules auf dem Oeta“, dem Stil der großen Oper nahe, ein großer mythologischer Stoff im kleinen Rahmen, ein Vorbote Wieland’scher Libretti wie „Wahl des Hercules“ und „Alceste“. Sehr gewunden und thöricht ist das Nachspiel zum „Codrus“, „Die Schatten“.

„Johann Benjamin Michaelis poetische Werke. Erster Band. Gießen 1780“ (von Schmid besorgt); der zweite Band ist nur eine Titelauflage der „Einzelnen Gedichte“.