ADB:Grisebach, August
Kurt Sprengel behufs Pflanzenaustausches in Briefwechsel und legte als Gymnasiast bereits den Grund zu seinem Herbarium, das im Laufe der Jahre zu einer der werthvollsten Fundgruben [552] für die systematische Forschung anwuchs. Dieser Zweig der Botanik in Verbindung mit Pflanzengeographie blieb das eigenste Feld seiner Wirksamkeit, obwol er auch auf anderen Gebieten ein umfassendes Wissen besaß. Im Herbst 1832 bezog G. die Universität Göttingen zum Studium der Medicin und Naturwissenschaften. Seine botanischen Lehrer hier waren Schrader und Bartling. Unter seinen Göttinger Commilitonen befand sich auch der spätere deutsche Reichskanzler Fürst Bismarck, mit dem er in engerem Kreise verkehrte und in welchem sein Scharfblick, wie eine gelegentlich hingeworfene Aeußerung verrieth, den dereinstigen großen Staatsmann schon voraussah. In die Herbstferien des Jahres 1833 fiel Grisebach’s erste größere wissenschaftliche Reise nach der Dauphiné und Provence, worüber er als erste litterarische Arbeit einen Bericht in der Zeitschrift Flora vom Jahre 1834 veröffentlichte. Im April, dieses Jahres ging G. zur Fortsetzung seiner Studien nach Berlin. Außer Link und dem Systematiker Kunth fesselte ihn hier besonders die anregende Persönlichkeit Meyen’s, der sein Lehrer in der Pflanzenphysiologie wurde. Außerdem unterhielt er regen Verkehr mit dem damals ebenfalls in Berlin weilenden geistvollen Schleiden und schloß Freundschaft mit dem Zoologen Schwarm und dem Grafen Alexander Keyserling. Obwol G., eine durchaus maßvolle und bei aller Begeisterung für große Ideale, doch allem Extremen abholde Natur, sich irgendwelcher Parteinahme in jener politisch erregten Zeit enthielt, wurde er doch durch eine eigenthümliche Verkettung von Umständen auf kurze Zeit in Untersuchung gezogen durch den berüchtigten Demagogeninquirenten Dambach, der ihm allerdings trotz scharfen Verhörs nichts Belastendes nachweisen konnte. Seine Studien brachte G. 1836 in Berlin zum Abschluß mit einer Inauguraldissertation: „Observationes quaedam de Gentianearum familiae charactere“. Das Material dazu hatte er zum Theil auf seiner französischen Reise selbst gesammelt, zum Theil der Hooker’schen Sammlung entnommen, die ihm vom Besitzer bereitwilligst überlassen war. Schon damals mit der phanerogamen Flora Mitteleuropas und der Alpen völlig vertraut, war es hauptsächlich Grisebach’s Ziel, bestimmte Vegetationsbilder, die von ihm so bezeichneten Pflanzenformationen, zu ermitteln, wie sie aus der Vergesellschaftung gewisser Pflanzenarten entstehen und die Physiognomie der Pflanzenbekleidung an verschiedenen Orten der Erde ausmachen. So trat der Hauptinhalt seines späteren Lebenswerkes, die Systematik und physiognomische Pflanzengeographie schon in dieser Schrift in den Vordergrund.
Grisebach: August G., Botaniker, geboren am 17. April 1814 in Hannover, † in Göttingen am 9. Mai 1879. Nach neunjährigem Besuche des Lyceums seiner Vaterstadt kam G., 15 Jahre alt, Ostern 1829 auf die Klosterschule zu Ilfeld, die er 1831 nach vorzüglich bestandenem Maturitätsexamen verließ. Seine Neigung zur Botanik prägte sich früh bei ihm aus. Schon als zwölfjähriger Knabe trat er mit dem Hallenser BotanikerNach seiner Promotion wollte sich G. als Privatdocent in Berlin niederlassen, mußte aber, durch den Tod seines Vaters veranlaßt, schon 1837 nach Göttingen zurückkehren. Hier verlebte er zunächst ein Jahr in Zurückgezogenheit, mit systematischen und geograpischen Studien beschäftigt, die zur Herausgabe seiner ersten größeren Monographie: „Genera et species Gentianearum adjectis observationibus quibusdam phytogeographicis“ 1839 führten. Gleichzeitig traf er Vorbereitungen zu einer wissenschaftlichen Reise nach der Türkei. Diese „Reise durch Rumelien und nach Brussa“ hat G. 1841 in einem zweibändigen Werke einem weiteren Leserkreise geschildert. Sie erstreckte sich von Wien aus über Constantinopel nach Brussa, dann von dort nach Constantinopel zurück und von hier über Rodosto durch Thrazien nach dem Berge Athos und nach Salonichi. Die Weiterreise durch Macedonien und Albanien bis Scutari führte durch Landstriche, welche damals wissenschaftlich noch ganz unerschlossen waren. Bereits das Erscheinen des ersten Bandes dieses Reisewerks verschaffte G. 1841 die Berufung als außerordentlicher Professor für allgemeine Naturgeschichte in die Göttinger medicinische Facultät. [553] Ein Jahr später bereiste er sodann Norwegen und erzielte hiermit wichtige Ergebnisse in pflanzengeographischer Richtung. Die botanischen Forschungsresultate siner türkischen Reise machte G. in dem zweibändigen Werke: „Spicilegium florae Rumelicae et Bithynicae“ 1843 und 1844 den Fachgenossen zugänglich. Nachdem er 1846 einen Ruf als Ordinarius nach Gießen abgelehnt hatte, wurde er infolge davon 1847 in Göttingen ordentlicher Professor der medicinischen Facultät. Seine Vorlesungen behandelten in den ersten Jahren allgemeine Naturgeschichte, wurden indessen später auf systematische und physiologische Botanik eingeschränkt. Neben seinem Lehrberuf und seiner wissenschaftlich-litterarischen Thätigkeit lag G. mit besonderem Interesse und Geschick den Verwaltungsgeschäften der Universität ob, wobei man ihm besonders schwierige und mit diplomatischer Kunst zu erledigende Unterhandlungen mit Vorliebe zuwies. Seine Anhänglichkeit an die Georgia Augusta währte durch sein ganzes Leben. Er blieb ihr treu trotz wiederholt an ihn ergangener Berufungen an größere Universitäten. Er unternahm noch behufs pflanzengeographischer Forschung gemeinsam mit Schenk 1852 eine Reise durch die Karpathen und 1853 durch die Pyrenäen. Von einer Ostern 1879 mit seiner Familie unternommenen Erholungsreise nach Italien zurückgekehrt, erkrankte G. infolge Erkältung durch den klimatischen Wechsel so heftig, daß sich eine tödliche Krankheit daraus entwickelte, welche ihn nach kurzem Leiden im Alter von wenig mehr als 65 Jahren dahinraffte.
Als Pflanzengeograph hat sich G. in der Wissenschaft für alle Zeiten einen hervorragenden Platz gesichert; seine Leistungen in der Systematik treten dagegen zurück. Die größte Zahl seiner Publicationen auf letzterem Gebiete betrifft die Vegetationsverhältnisse Westindiens. Im J. 1857 erhielt er von der britischen Regierung den Auftrag, die Flora der westindischen Colonien zu bearbeiten, wozu ihm das einschlägige Herbarienmaterial überwiesen wurde. Er veröffentlichte die Resultate seiner Forschung in einer Reihe von Beiträgen in verschiedenen fachwissenschaftlichen Zeitschriften und in den Abhandlungen der Göttinger Akademie während der fünfziger und sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und ließ sie auch als Sonderabdrücke erscheinen. Man findet sie nebst sämmtlichen übrigen Publicationen in dem unten angeführten Nekrologe von Reinke (Bot. Zeitung, 37. Jahrg. 1879) in einem von Drude verfaßten Anhange aufgezählt. Die wichtigste Arbeit in dieser Richtung, welche G. selbst als das systematische Hauptwerk seines Lebens ansah, war die „Flora of the British West Indian Islands“, die heftweise von 1859–1864 in 7 Theilen herauskam. Das hierin niedergelegte umfangreiche Material wird stets als Grundlage für alle ferneren systematischen Studien über das fragliche Ländergebiet dienen müssen, wenn auch Nachuntersuchungen seitens späterer Forscher in den Bestimmungen der Pflanzen wiederholt Irrthümer und Ungenauigkeiten nachgewiesen haben. Grisebach’s Neigung und Befähigung lag eben nicht sowol in der minutösen Kleinarbeit, wie sie das Pflanzenbestimmen erfordert, als vielmehr in der Kunst, seine Forschungsresultate vergleichend zu behandeln und unter allgemeinere Gesichtspunkte zu bringen. Von späteren systematischen Werken ist noch die Bearbeitung der Flora von Argentinien zu nennen, wozu Lorentz und Hieronymus die Pflanzen gesammelt hatten. Nach Vollendung dieser „Symbolae ad Floram Argentinam“ (Abhandl. d. Götting. Soc. XXIV. 1879) faßte G. den Plan zur Herausgabe einer in großem Maßstabe angelegten europäischen Flora, an deren Vollendung ihn jedoch der Tod hinderte. Sein umfangreiches Herbarium schenkten die Erben dem Göttinger Botanischen Museum. Aus A. v. Humboldt’s Schriften, besonders aus dessen „Reise in die Aequinoctialgegenden“ schöpfte G. die Anregung für seine Beschäftigung [554] mit der Pflanzengeographie und es dürfte nicht zu viel gesagt sein, wenn man ihn als ebenbürtigen Nachfolger jenes großen Naturforschers auf dem Gebiete der Pflanzengeographie bezeichnet. Seiner Zeit jedenfalls war er der bedeutendste Forscher, der den Zusammenhang der Pflanzendecke mit den klimatischen und Bodenverhältnissen erkannte und aufhellte. Dazu kam, daß G. eine hervorragende Gestaltungskraft seiner Ideen und die Gabe besaß, sie in künstlerischer Form auszudrücken. Alle diese Vorzüge kommen seinem großen zweibändigen Werk: „Die Vegetation der Erde“ zu gute, das 1872 erschienen ist. Seine große Pflanzenkenntniß und reiche Erfahrung befähigten ihn, aus getrockneten Herbarpflanzen an der Hand guter Reisebeschreibungen von entfernten Continenten lebenswahre Vegetationsbilder zu entwerfen, von denen ortskundige Reisende versicherten, daß sie bis in die Details hinein völlig der Natur entsprächen. Die pflanzengeographische Litteratur beherrschte er naturgemäß vollständig. Seine „Berichte über die Leistungen in der Pflanzengeographie“ während eines mit dem Jahre 1840 beginnenden Zeitraumes, die er in Wiegmann’s Archiv 1841–1855 und in späterer Fortsetzung für die Jahre 1872–1876 in Behm’s geographischem Jahrbuch erscheinen ließ, sind daher von bleibendem Werth.
- Botanische Zeitung. Bd. 37, 1879. Nachruf von Reinke (ins Französische übers. v. Ed. Morren in „La Belgique Horticole“ 1881). – Regel, Gartenflora, 1879. – J. Urban, Symbolae Antillanae. Vol. I, 1898.