ADB:Schmid, Christian Heinrich

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Artikel „Schmid, Christian Heinrich“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 650–655, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmid,_Christian_Heinrich&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 09:55 Uhr UTC)
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Band 31 (1890), S. 650–655 (Quelle).
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Schmid: Christian Heinrich S., einer der Begründer des deutschen Musenalmanachs, gewöhnlich genannt „der Gießener Schmid“. Er wurde 1746 in demselben Monat wie Luther, am 24. November, in der Lutherstadt Eisleben geboren. Seine etwas verschwommene Buchmacherei zeigt leider nicht die geringste Spur von der volksmäßigen Eigenthümlichkeit, welche noch jetzt die ganze Grafschaft Mansfeld auszeichnet. Sein Vater war, wie Luther’s Vater, nach dem an Erzen reichen Eisleben eingewandert, jedoch als vornehmer Bergbeamter aus dem sächsischen Erzgebirge. Schon zu Luther’s Zeit war Eisleben die Hauptstadt der Grafen von Mansfeld gewesen. Diese Grafen waren 1746 noch nicht völlig ausgestorben, hatten sich aber schon lange in eine Sequestration unter kurfürstlichsächsischem Schutze fügen müssen, durch welche die nur zum Theil sächsischen Beamten so übermüthig wurden, daß es selbst in der Hauptkirche neben dem Lutherhause unangenehm auffiel. Schmid’s Vater war sächsischer Berg-Commissionsrath, Bergvoigt in Thüringen, Zehntner in Sangerhausen und Bottendorf und Bergvoigt in der Grafschaft Mansfeld kursächsischen Antheiles. Einer der Söhne dieses Johann Christian S. nahm eine ähnliche Stellung als Bergmann am Harze ein, denn er wird Oberzehntner und Bergvoigt zu Thüringen und Stolberg genannt. Er starb 1795 und demnach, wie die meisten der zahlreichen Kinder des sächsischen Berg-Commissionsrathes, früher als ihr ältester Bruder, der Gießener Schmid. Denselben hat nur sein Bruder Karl Ferdinand, Professor der Moral und der Politik in Wittenberg, überlebt. Im allgemeinen hatten die Söhne diese immerhin schon bedeutenden Lebensstellungen vorzugsweise den Anstrengungen zu danken, die der Vater für ihre Erziehung machte. Nach dem frühen Tode seiner Gattin, der einzigen Tochter des Eislebischen Bürgermeisters Wappendeutsch, beschloß er, diese Erziehung durchzuführen, ohne daß er seinen Kindern eine Stiefmutter gab. Dagegen wurde das Hauswesen nicht eingeschränkt. Den Kindern wurde neben dem Schreib- und Tanzlehrer eine Französin „außerordentlich“ gehalten. Durch die Selbstbiographie, welche der eitle Stadtprediger Fränkel in Dresden für den dritten Band der Schattenrisse edler Teutschen des Heren v. Loßius schrieb, erhalten wir ein Bild von dem Hauswesen des für seine Kinder so besorgten Beamten in Eisleben nach dem Tode seiner Gattin. Fränkel sollte die Kinder frisiren, auch als Hauslehrer in einer Stube mit steinernem Pflaster sich selbst einheizen und dazu das Holz spellen. Das that er nun zwar nicht. Aber ein entsetzlicher Dampf vom Rüböl seiner Lampe erfüllte die Stube und vermischte sich mit dem Schulstaube, welchen die den ganzen Tag in dem Zimmer umherspringenden vier Söhne des Zehntners erregten. Die vier Knaben waren an Jahren, Fähigkeiten und Temperament verschieden und der Unterricht dauerte von früh 4 bis abends 10 Uhr. Fränkel erkrankte daher im Schmid’schen Hause und mußte sich erst bei seinen armen Eltern in Oschatz (der Vater war Tuchmacher und Wollkämmer) wieder erholen. Fränkel, der sich vom Wollkämmer zum Alumnen in Pforta aufgeschwungen hatte, war offenbar ein ausgezeichneter Lehrer und da er selbst in der Mathematik hervorragte, mag sein anregender Unterricht schon zu Chr. H. Schmid’s Vielseitigkeit beigetragen haben, der Fränkel’s Klagen über das Schmid’sche Haus in Eisleben nicht geradezu widerlegen konnte. Wie es scheint, erhielt Chr. H. S. nach Fränkel’s Abgang vier oder fünf „Hauptlehrer“. [651] Zuletzt kamen die Privatissima des Rectors an dem von Luther gegründeten Eislebischen Gymnasium hinzu, obgleich der Gießener Schmid noch als angesehener Universitätsprofessor bemüht sein mußte, sich einen besseren lateinischen Stil zuzulegen. Spätestens auf der Universität machte der Sohn den Fehler, daß er seine Studien für seine von Haus aus nicht sehr umfassenden Talente etwas zu weit ausdehnte, wovor schon Klopstock in der Gelehrtenrepublik warnt. Im Herbst 1762 sandte ihn der Vater auf die Universität Leipzig. Hier war es ihm zwar gestattet, in den ersten zwei Jahren die anbefohlenen juristischen Studien noch bei Seite zu lassen. Doch ist schon darin, daß er außer seinem Bruder Karl Ferdinand zu verschiedenen Zeiten auch das halbe Erzgebirge als Stubenburschen aufnahm, wol die starke Abhängigkeit von den Bergmannsbeziehungen seines Vaters zu erkennen. Dagegen wird Goethe, der doch auch von 1765–1768 in Leipzig war, in Schmid’s Selbstbiographie bei Strieder nicht erwähnt, noch weniger Schmid’s unterharzischer Landsmann G. A. Bürger, der, bis Bürger nach Göttingen und S. nach Erfurt ging, immer nur 3–4 Meilen von ihm entfernt gelebt hatte. Nur Michaelis (s. A. D. B. XXI, 688) wird er einige Anregung verdankt haben, während der Umgang mit Dyk doch hauptsächlich seine buchhändlerischen Beziehungen flott machte. Vorlesungen hörte er in den ersten zwei Jahren unter andern nicht bloß bei Gellert, sondern auch bei Ernesti, welcher Fränkel’s liebster Lehrer gewesen war. In dieser Zeit war S. Philosoph und Philolog. Dann aber mußte er seine belletristischen Bücher verkaufen und seine juristische Hausbibliothek zur Hand nehmen, welche ihm sein Stiefgroßvater Wiesener testamentarisch „prälegirt“ hatte. Wenn nicht allein seine Ausbildung keine harmonische wurde, sondern auch seine Leistungen nirgends über das Mittelmäßige hinauswiesen, so sind wohl die allzu speciellen und von ihm gewissenhaft befolgten Aufgaben des sonst um ihn hochverdienten Vaters mit daran schuld. Er sollte sich nun noch 3 Jahre zum Eintritt als Docent in die Leipziger Juristenfacultät oder in den Rath der Stadt Leipzig vorbereiten. Die Verwandten von Finkelthauß (s. A. D. B. XXX, 209) und Theodor Körner vereinigten in verschiedenen Jahrhunderten zu Leipzig beides mit einander. S. erwählte das Erstere, und indem er genau das anbefohlene Ziel im Auge hatte, wurde er 1766 ein Leipziger Magister und ließ 1767 seine lateinische akademische Habilitationsrede drucken, wonach er für später auf eine juristische Professur in Leipzig Anspruch hatte. Der Beginn seiner Vorlesungen in Leipzig verzögerte sich bloß dadurch etwas, daß sein Vater, der „Bergvoigt von Thüringen“, schwer erkrankte und ihn während einer Operation, welcher er sich in Jena unterzog, dort zur Seite haben wollte. 1769 wurde der Sohn Doctor juris und Professor juris elegantioris ordinis, letzteres jedoch noch nicht in Leipzig, sondern erst in Erfurt und auch dort vorläufig ohne Gehalt. Gleichwol läßt sich, trotz des schon früher über die für ihn in litterarischer Hinsicht verderbliche Vielseitigkeit Gesagten, nicht in Abrede stellen, daß die Beziehungen, in welche er als Jurist sogleich zu den beiden Universitäten Leipzig und Erfurt trat, ihm eine Stellung im Leben gaben, wie sie G. A. Bürger weder als Justizamtmann noch als Kantianer und Aesthetiker an der Universität Göttingen je erreicht hat. Auch das väterliche Vermögen, welches größer gewesen sein wird, als das großväterliche bei Bürger, vor allen Dingen aber seine eigene, allem Anscheine nach stets sittliche Führung verhinderte wol, daß er jemals in die zu jener Zeit doppelt gefährliche Lage eines gewöhnlichen Litteraten gerieth, wiewol er seinen Leistungen nach es nur zu oft war. Es könnte hier um so weniger meine Absicht sein, eine Bibliographie der Arbeiten von S. zu geben, als gerade in dieser Beziehung die verschiedenen Folgen des hessischen Gelehrtenlexikons, zu dem zuletzt selbst die Brüder Grimm beisteuerten, schon für S. bemerkenswerthes lieferten. [652] Schon um die Zeit der Habilitationsschrift von 1767 betrat er das Gebiet der schönen Wissenschaften mit seiner „Theorie der Poesie nach den neuesten Grundsätzen und Nachrichten von den neuesten Dichtern“, die nur in der hier verschwindenden Nebensache, den Nachrichten über die Dichter, Eigenes bietet und in der Theorie, also da, wo S. von Anderen ganz abhängig ist, durch den in nichts gerechtfertigten dreisten und zuversichtlichen Ton verletzt, mit dem er nach Küttner’s Bemerkung überhaupt als Sammler, Richter und Tadler auftrat. Wie schon gesagt, ist S. außer Stande, irgend etwas zu leisten, was über die damals neue Theorie der Poesie hinausweist. Dennoch beginnt er sogleich mit einem aufregenden „Sendschreiben“. Obgleich er nur den „angenommenen Urtheilen“ folgen will und kann, zeigt er doch schon jene Unvorsichtigkeit, die ihn nach Küttner blindlings an kritischen Parteistreitigkeiten und sogar an denen der Komödianten theilnehmen ließ. Die Philosophen, sagt S., hätten sich zu Gesetzgebern des Geschmackes gemacht, „ohne die ihnen natürliche Geschmacklosigkeit ganz zu verleugnen“. Unter den Vätern der Aesthetiker wird Baumgarten anerkannt, Meier verachtet. Aesthetik sei die Logik der schönen Künste der Inbegriff ihrer Regeln. Das Band, welches die Poesie mit der Beredsamkeit, der Musik, den bildenden Künsten verknüpfe, sei aber keine Entdeckung der damaligen Zeit. Diese Künste hätten einander selbst so sichtlich die Hände gereicht, daß ihre Verwandtschaft nicht lange hätte unbekannt bleiben können. Zuweilen sei über ihren Vorrang ein Streit geführt worden. Niemals sei er zu entscheiden gewesen und habe sie derowegen auch niemals recht entzweien können. Die eigentliche Beschaffenheit dieses Bandes sei lange Zeit so unsichtbar geblieben als Anfang und Ende der homerischen Kette. Eben erst in den damaligen Tagen habe man es gewagt, den allgemeinen Regeln aller schönen Künste tiefer nachzuforschen. Außer an Baumgarten hat S. hierbei jedenfalls auch noch an Klopstock, ja, an Funk (den nordischen Beobachter), freilich auch jedenfalls an Lessing gedacht. An Lessing aber wird übersehen, daß Minna v. Barnhelm, die unter den Lustspielen nur beiläufig erwähnt und Lessing’s „Freigeiste“ nachgesetzt wird, bis dahin seine beste Dichtung war. Die „Nachrichten von den neusten Dichtern“, wie sie später auch in den ersten Musenalmanachen gegeben wurden, waren an sich nicht ohne Werth, erläutern aber die „Theorie der Poesie“, auf welche es doch hier allein ankommen konnte, so viel als gar nicht. Als kritische Arbeit trägt das Werk den Stempel einer Zeit, in welcher Lessing sich als Kritiker zurückgezogen hatte und das Mittelmäßige die Führung der Litteratur an sich zu reißen suchte, bis Herder als neuer kritischer Leitstern anerkannt wurde. Der während dieses Interregnums von Gleim vorgeschobene Geheime Rath Klotz hatte auch auf Erfurt eingewirkt, obgleich es jetzt während Wieland’s Anwesenheit zum zweiten Male einen litterarischen Glanz hätte entfalten können, wie es ihn zur Zeit von Helius Eobanus Hessus gezeigt hatte. Außer Wieland waren Meusel, Riedel und Herel Schmid’s Collegen in Erfurt. Auch mit Bahrdt war er dort wie später in Gießen durch die akademische Thätigkeit vereint, wenn er auch wenig mit ihm sympathisirte. Für einen Musenalmanachs-Redacteur war Erfurt kein so guter Aufenthaltesort als Göttingen, wo die Lyrik die schönsten neuen Blüthen trieb. Ueber Schmid’s Beziehungen zur Lyrik sagt Nebel: „Dichter war er nicht, aber er war ein enthusiastischer Freund und ein sehr glücklicher Beurtheiler von Arbeiten dieser Art.“ Das scheint mir schon deswegen, wenigstens für die Jugendzeit, nicht genau, weil ich ihm z. B. in seinem „Almanach der deutschen Musen für 1774“ doch wenigstens das Gedicht auf den Tod seines Freundes Michaelis, etwas zaghafter auch die vielleicht allerdings Kretschmann gehörende juristische Ode vom September 1772 zuschreiben möchte. Ein ebenso enthusiastischer Freund der Lyrik als Boie, den er während des Aufenthaltes in [653] Jena zuerst kennen gelernt hatte, mag S. gewesen sein. Indessen steht sein Almanach sehr merklich hinter dem Göttingischen zurück, und daß er nie Gelegenheit hatte, sich als glücklichen Beurtheiler in der Art zu zeigen wie Boie bei dem Entstehen der Lenore, vielleicht auch daß er selbst zu wenig Lyriker war, mag wol am meisten dazu beigetragen haben, daß er einen Ehrenplatz in der Litteratur neben Boie nicht erhalten hat, wie denn z. B. sein Name in allen Registern zu sämmtlichen litterarhistorischen Sammelwerken von Gosche und Schnorr nicht ein einziges Mal vorkommt. Wie Boie, erwarb sich auch S. das Verdienst, die englische Litteratur der damaligen deutschen näher zu rücken. Freilich übersetzte er wol mehr als billig auch für das Theater aus dem Französischen. Sein „Almanach der deutschen Musen“ ohne seinen Namen, kenntlich nur an der jedesmaligen vorhergeschickten „Notiz poetischer Neuigkeiten“, die vielleicht für die Litteraturgeschichte das Werthvollste ist, was wir S. verdanken, erschien sogar noch früher als der Göttinger Musenalmanach, legte aber freilich eben dadurch schon den ersten Grund zu so mancher üblen Nachrede, die sich an Schmid’s Namen knüpft. Es fanden sich einige Stücke in beiden Musenalmanachen, und die Herausgeber des Leipziger Almanachs schienen die abgesetzten Bogen des Göttingischen gekannt zu haben. Jedoch muß erwähnt werden, daß in den deshalb schon im ersten Theile des Göttinger Almanachs erhobenen Anklagen nur der ursprüngliche Verleger, Doodsley, erwähnt wurde, der allerdings ein berüchtigter Nachdrucker war. Karl Goedeke schreibt S. den „Leipziger Musenalmanach von 1771–1776“ zu. Mir ist es besonders wichtig, festzustellen, daß die „Anthologie der Deutschen“, die S. seit 1770 herausgab, nicht etwa nur dasselbe Werk wie der Leipziger Musenalmanach mit anderem Titel ist. Im ersten Theile der Anthologie werden u. a. Lessing’s Lustspiele „Damon“ und „Die alte Jungfer“ abgedruckt. Die Vorerinnerung zu „Damon“ beginnt: „In einer gewissen Monatsschrift von kurzer Dauer, den Ermunterungen, die 1747 in Hamburg erschienen, stehen unter einer Menge schlechter Sachen auch verschiedene Gedichte von Lessing, die er hernach in seine Kleinigkeiten aufgenommen. Unter anderen habe ich auch dieses Lustspiel gefunden, das er zwar mit Recht selbst verworfen zu haben scheint.“ Verglichen mit der Anthologie zeigt der Musenalmanach das Streben Originalarbeiten zu bringen. Nach Goedeke trat an die Stelle der Anthologie von 1774–1778 das „Taschenbuch für Dichter und Dichterfreunde“, dessen Mitradacteur Dyk war. Ein dem Musenalmanach und der Anthologie verwandtes Unternehmen war auch Schmid’s „Biographie der Dichter“, das er 1769 und 1770 als Professor in Erfurt herausgab. Er behandelt griechische, römische, englische und deutsche Dichter. Im ersten Bande scheint mir die von Pyra, im zweiten die von Uz am werthvollsten. Zu der letzteren lieferte ihm Uz den Stoff. Besonders bemerkenswerth ist das, was über die Theilnahme von Uz an Klopstock’s und Zollikofer’s Bestrebungen für Kirchengesang und von Ramler’s Aenderungen, deren keine Uz annahm, gesagt wird. Ich kann mich von jetzt an über Schmid’s litterarische Arbeiten kurz fassen. Eine Monographie über ihn würde jedoch an Strieder und Justi noch manche andere kleine Untersuchungen zu knüpfen haben, wobei auch die schon erwähnte Frage nach eigenen lyrischen Versuchen nicht zu übersehen wäre. Jedenfalls war S. mehr der Recensent des Tages als Boie, wenn er auch nicht wie dieser Hebammendienste bei dem Entstehen einer Lenore geleistet und als Kritiker nur allzuviel geirrt hat. Durch seine Thätigkeit als Recensent wetteiferte er allein mit den Unternehmungen von Klotz und Nicolai und wenn er auch bloß die gröbsten Fehler von Klotz vermied, wurde er doch ein äußerlich lebhafter Mitarbeiter der Jenaischen allgemeinen Litteraturzeitung. 1771 trat zu Erfurt ein Sterbefall ein, durch welchen S. „die Hoffnung auf ein Salar“ erhielt. Die Aussicht zerschlug [654] sich und er folgte im nämlichen Jahre einem Rufe nach Gießen, wo er auch noch der O. L. B. Wolff seiner Zeit wurde. Er hatte sogar das Glück, an diesem Otte als Professor der Beredsamkeit und Dichtkunst in der philosophischen Facultät Verwendung zu finden. Indessen kam die dadurch vorgeschriebene Concentration zu spät und es war nicht zu bemerken, daß er nun als Schriftsteller noch auf eine höhere Stufe gehoben worden wäre. Es fallen sogar gerade in die erste Gießener Zeit drei kleine litterarische Vorfälle, von denen der erste nicht dazu dienen kann, sein Ansehen in unseren Augen zu vermehren, und von denen der zweite und dritte ihm schon in den Augen seiner Zeitgenossen sehr geschadet haben. Nach Bertuch’s Briefen an Gleim vom 24. October 1774 sandte er nämlich einen Aufsatz über seinen verstorbenen Freund Michaelis für Wieland’s Merkur, dessen Mitherausgeber Bertuch war, ein, worin er Gleim und Michaelis in dem Streite mit Spalding und wegen der Schrift von Pastor Amor, den Gleim selbst der Vergessenheit zu übergeben wünschte, auf eine sehr frivole Weise in Schutz nehmen wollte. Der zweite Fall war der, daß S. nicht allein in dem oben erwähnten Jahrgange des Leipziger Musenalmanachs, sondern auch in Wieland’s Merkur (und in einer dramaturgischen Abhandlung, Leipzig 1774) eine Mangel an vollkommenem Verständniß zeigende Recension von Goethe’s Götz v. Berlichingen schrieb, was Wieland sehr klug benutzte, um hinterher durch eine meisterhafte Vertheidigung des Götz für immer seinen Frieden mit Goethe zu schließen. Endlich griff S. die Gedichte des später sogenannten Müller’s von Itzehoe (s. A. D. B. XXII, 789) an, der allerdings als Lyriker keineswegs hoch stand, aber seinen vielgelesenen Roman Siegfried v. Lindenberg benutzte, um sich durch eine eingeflochtene bittere Charakteristik des Kritikers zu rächen. S. wird in diesem Romane der Lumpensammler am Parnasse genannt, der hinter den Gärten der Gelehrten Kehricht und Misthaufen durchwühle, ob er einen kassirten Brouillon oder sonst einen verworfenen Lumpen von einem Gedichte aufstöbern könne. Das verhunze er dann vollends durch Abschneiden und Anflicken, mache daraus seine Theorie der Poesie, einen „vierleibigen“ Kalender für die Barbiergesellen und die alten Weiber. Darin krieche er vor Einigen wie ein Hund, vor Anderen wedle er mit dem Schwanze, wieder Anderen fahre er in die Beine. Auch spüre er schärfer nach Anekdoten als Siegfried v. Lindenberg’s Lieblingshund, Türck, nach Feldhühnern. Als der genannte Roman zum ersten Male gedruckt wurde, war S. schon mehrere Jahre Professor in Gießen. Er sagte dort selbst noch in späterer Zeit, daß seinen schriftstellerischen Arbeiten die Feile abgehe. Er las Encyklopädie, Aesthetik, Litterärgeschichte, römische Alterthümer und römische Schriftsteller[WS 1]. Sein Hörsaal war in der Regel nur klein. Doch hörten ihn 1785 130 Studenten, als er den Horaz zergliederte. Sein Vortrag, lebhaft und blühend, soll gut gewesen sein. Die Reden, die er als eigentlicher Professor eloquentiae gehalten zu haben scheint, waren elegant und von vielen Handbewegungen begleitet. Bei seiner dreimaligen Verwaltung des Prorectorates trat er als strenger Rechtsgelehrter auf, fand aber doch auch den Beifall seines Hofes. Wenn er persönlich trotz mancher falschen Ansichten der Zeit, welche er theilte, doch als Schöngeist untadelhaft lebte, so war seine Amtsführung sogar musterhaft. Niemand eröffnete die akademischen Vorlesungen früher als er. Wenn S. in der ersten Periode seiner Thätigkeit als Gelehrter seit 1769 äußerlich doch in Sturm und Drang gelebt hatte, wie wenig er als veralteter Anakreontiker auch Sturm und Drang in Wahrheit verstand, so folgte wegen der ansehnlichen Erbschaft nach dem Tode seines Vaters im J. 1782 eine zweite, fast rein idyllische Periode seines äußeren Daseins. Weit entfernt nun, etwa von Zeit zu Zeit größere wissenschaftliche Reisen zu unternehmen, verschönerte er die Einrichtung seines erst jetzt gastfrei geöffneten Hauses. Immer hatte er in kleineren Gesellschaften freimüthig [655] und mit Laune gesprochen, während er in den größeren schüchtern war. Ueber den Mangel an Beachtung als Schriftsteller tröstete ihn nun ein glückliches Familienleben. Seine Frau, die Tochter des Pfarrers Schultz zu Michelrieth, die er 1774 geheirathet hatte, gebar ihm 1784 eine Tochter, welche ihn überlebte. Der Bruder seiner Frau wurde Superintendent in Gießen. Sein Garten, kleine Ferienreisen und noch kürzere Ausflüge auf das Land wurden ihm immer lieber. Es sah blühend aus und war niemals krank. Doch hätte man seiner Beleibtheit wegen einen raschen Tod für ihn fürchten können. In der That machte am 21. Juli 1800 ein Stickfluß seinem Leben ein Ende, als er eben einen neuen „gesellschaftlichen Spaziergang aufs Land“ unternehmen wollte. 1784 war er hessen-darmstädtischer Regierungsrath, 1787 zweiter, 1797 alleiniger Universitätsbibliothekar geworden. Auch erhielt er die erste Stelle in der philosophischen Facultät. Trotz der großen Zahl seiner Schriften hatte er doch das 54. Lebensjahr noch nicht beendet. Von seinen Schriften aus der oben bezeichneten ersten Periode seines späteren Lebens führe ich noch an „Michaelis’ Leben“ (1775, vgl. oben), und aus der zweiten „Nekrolog oder Nachrichten von dem Leben und den Schriften der vornehmsten verstorbenen teutschen Dichter“ (2 Bde. 1785). Damit war die Anregung zu dem späteren Nekrolog von Schlichtegroll gegeben. Auch über Bahrdt und Riedel hat er geschrieben. Schmid’s Bildniß findet sich in der Olla-Potrida von 1782 und in Bock’s Sammlung von Bildnissen (1796). Das Letztere ist nicht ähnlich.

Meusel’s G. T. – Strieder, Hess. Gelehrten-Geschichte XIII, 61–95 (1802); vgl. ebenda XV, 364. – Christian Heinrich Schmid v. E. L. W. Nebel, Prof. d. Med. zu Gießen, in Justi’s Hess. Denkw., 3. Thl., S. 435 bis 441 (1802); vgl. ebenda in Bd. IV das Register S. 668. – Meusels Lexikon. – Goedeke (2. Ausgabe) I, 683, 686. – Müller von Itzehoe bei Kürschner, Nationallitt. LVII, 360, 361.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schrifsteller