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Artikel „Karschin, Anna Louisa“ von Hermann Palm in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 421–422, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karsch,_Anna_Louisa&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 20:22 Uhr UTC)
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Band 15 (1882), S. 421–422 (Quelle).
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Karschin: Anna Luise K., Dichterin, war geb. am 1. December 1722 „auf dem Hammer“, einer zwischen Züllichau und Krossen nahe der niederschlesischen Grenze gelegenen Meierei, wo ihr Vater Christian Dürbach Pächter des Gasthofs war, † am 12. October 1791. Seine erste Bildung empfing das Kind durch einen Oheim, der es im Alter von sechs Jahren nach dem frühen Tode des Vaters zu sich genommen hatte. Mit Leichtigkeit lernte es von ihm lesen, schreiben und rechnen, aber als er auch Latein mit ihm zu treiben begann, nahm es die Mutter ins elterliche Haus zurück. Hier begann eine lange Reihe von Leiden für die 10jährige. Die durch eine zweite Heirath der Mutter in ihren Vermögensumständen herabgekommene Familie war nach dem Städtchen Tirschtiegel übergesiedelt. K. mußte Kinder warten und vom 13. bis 16. Jahre den kleinen Viehstand der Eltern auf dem Felde hüten. Dabei fand sie Zeit und Gelegenheit, ihren Lesetrieb durch Bücher aller Art, u. a. auch die asiatische Banise[WS 1] zu befriedigen und selbst die ersten Versuche im Dichten zu machen. Kaum 16 Jahre alt schloß sie nach dem Willen der Eltern eine Ehe mit einem Tuchweber Hirsekorn aus Schwiebus, die sich nicht ohne ihre Schuld höchst unglücklich gestaltete und nach 11 Jahren geschieden ward. In dem Elend, worein sie dadurch gerathen, gab sie ihre Hand einem Schneider Karsch, einem Trunkenbolde, der sie in noch schlimmere Lage brachte. Trotz alles Leids entwickelte sich jedoch ihr dichterisches Talent immer weiter und verschaffte ihr in Fraustadt, wo sich ihr Mann niedergelassen, dann und wann einigen Ertrag, vor allem aber Gönner und Freunde. Auf deren Rath nahm sie 1755 ihren Wohnsitz in Großglogau und erhielt dort durch wohlthätige und gebildete Bekanntschaften geistige Anregung und öftere Veranlassung, ihre Gelegenheitsgedichte für ihren Unterhalt zu verwerthen. Hier fand sie endlich auch durch einen Baron von Kottwitz, den ihr Talent in Staunen gesetzt hatte, Erlösung aus ihrer überaus traurigen Lage. Ihr liederlicher Ehemann wurde unter die Soldaten gesteckt und sie selbst auf ihre Bitten nach Berlin geführt (1761). Dorthin war ihr Ruf schon vorher gedrungen, und die gewandte Stegreifdichtung der Bäuerin wurde nun in den gebildetsten Kreisen allgemein bewundert. Man nahm sich ihrer in jeder Weise an; Rammler wurde ihr Lehrer, Sack, Sulzer, Mendelssohn und viele andere ihre Gönner und Freunde. In erhöhtem Selbstgefühl knüpfte sie mit den bedeutendsten litterarischen Größen Deutschlands jetzt und in der Folge brieflichen Verkehr an. Gleim lud sie nach Halberstadt ein, verschaffte ihr die Gunst und [422] ein Jahrgeld der gräflich Stolbergischen Familie, behielt sie wiederholt längere Zeit in seinem Hause, ohne jedoch ihre Liebe zu seiner Person zu erwiedern. Indessen veranstaltete er 1763 die erste Sammlung ihrer Gedichte auf Subscription, die ihr 2000 Thaler eintrug und ihre Zukunft einigermaßen sicherte; denn sie selbst war ganz unfähig mit Geld umzugehen und lebte daher trotz mehrfacher fortdauernder Unterstützungen edler Gönner, wie der Herzoge Friedrich und Ferdinand von Braunschweig u. a. doch in beständiger Noth. Den König Friedrich II. hatte sie in hoher Begeisterung immer von neuem in Gedichten gefeiert, und nach seiner Rückkehr aus dem Kriege 1763 verhieß er ihr auch in einer Audienz eine Versorgung, gab ihr aber nur einmal ein Geschenk von 50 Thalern, ja später schickte er ihr auf erneute Gesuche 2 Thaler, die sie Ehrgefühl genug hatte zurückzuschicken. Erst Friedrich Wilhelm II. ließ ihr ein kleines Haus am Haakeschen Markte erbauen, in welchem sie am 12. October 1791 ihr unruhiges und leidvolles Leben endete. Ihre Tochter war die ebenfalls als Dichterin aufgetretene Karoline v. Klencke (geb. 1754, † am 21. September 1802; vgl. Brümmer’s Dichter-Lexicon I, S. 440) und deren Tochter wieder Wilhelmine v. Chezy (Allg. d. Biogr., Bd. IV, S. 119). Die K. erregte zu ihrer Zeit ein außerordentliches Interesse; ihr angebornes, mit den geringfügigsten Mitteln gepflegtes und doch zu seltener Fertigkeit entwickeltes Talent für Versbildung dünkte den meisten ein unerklärliches Wunder, und auch heut, wo manche der bildend auf sie wirkenden Ursachen zu Tage liegen, ist die Kraft ihrer urwüchsigen, durch keine Noth vertilgbaren Phantasie und Redegabe immer noch staunenswerth. Allerdings dürfen ihre Erzeugnisse nicht überschätzt werden. Sie waren Kinder des Augenblicks, einzelne und zuweilen recht gute Gedanken, deren Durchführung aber meistens größere oder geringere Mängel verräth. Die Gelegenheit bot ihr die Stoffe; ihre Begeisterung erscheint meist unmittelbar und ungekünstelt; zu planmäßig angelegten und sorgfältig gefeilten Erzeugnissen war sie unfähig. Durch Rammler’s Unterweisung erhielten ihre Gedichte regelmäßige und strophische Form, meist die der Ode; der Alexandriner machte jambischen und trochäischen Maßen Platz; aber den mythologischen und historischen Schmuck, den sie sich erst anstudirt hatte, beherrschte sie nur mangelhaft. Die Mehrzahl ihrer in den Sammlungen uns aufbewahrten Gelegenheitsdichtungen sind besserer Art, einzelne erheben sich zu höherem Schwunge; übergroß mag die Zahl der ihr von der Noth abgedrungenen, auf Bestellung und für Geld namentlich in der letzten Zeit ihres Lebens angefertigten gewesen sein, in denen sie sich von den Machwerken elender Reimer wenig mehr unterschied. Wir haben drei größere Sammlungen fast durchaus verschiedenen Inhalts. 1) Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, herausgegeben von Gleim mit einer Vorrede von Sulzer; 2) Neue Gedichte, Mietau und Leipzig, 1772; 3) Gedichte. Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslaufe herausgegeben von ihrer Tochter C. L. von Kl(encke) geb. Karschin, Berlin 1792 u. 1797, eine ziemlich unordentliche Nachlese zu den beiden vorigen. Die Einzeldrucke sind in diesen drei Sammlungen meistens aufgenommen.

Für das Leben ist die stark verschönerte Darstellung ihrer Tochter die Hauptquelle. Besondere Behandlung desselben bringt Th. Heinze im Programm des Anclamer Gymnasiums von 1866 und B. Seuffert in der Zeitschrift des Harzvereins, 13. Jahrg., S. 189–208 in einem Aufsatze: Die Karschin und die Grafen zu Stolberg Wernigerode, 10 ungedruckte poetische Episteln enthaltend.


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