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Artikel „Spach, Ludwig Adolf“ von Wilhelm Wiegand in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 702–705, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spach,_Ludwig_Adolf&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 06:31 Uhr UTC)
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Spach: Ludwig Adolf S., am 27. September 1800 in Straßburg geboren, einer Kaufmannsfamilie entstammend, erhielt seine erste Ausbildung in einer französischen Pensionsanstalt, bei einem Landpfarrer in der Nähe und auf dem protestantischen Gymnasium seiner Vaterstadt. Schon mit 16 Jahre bestand er die Abgangsprüfung, im Straßburger protestantischen Seminar studirte er dann Theologie, und als ein Brustleiden ihn zwang, davon abzustehen, wandte er sich der Rechtswissenschaft zu. Nachdem er von 1820–23 dem Studium der Rechte obgelegen hatte, trat an ihn die Entscheidung für die spätere Gestaltung seines Lebens heran. Bereits während der Studienzeit hatten seinen empfänglichen frühreifen Geist litterarische Erscheinungen ungleich lebhafter beschäftigt als wissenschaftliche Fragen und seine im wesentlichen aesthetisch veranlagte Natur war durch poetische, schöngeistige Lectüre, vor allem durch Goethe, Byron und Rousseau bis in ihre Tiefen aufgewühlt worden. Es schien S. unmöglich, sich schon jetzt fest an die Scholle zu binden, die Sehnsucht nach einem weitern geistigen Horizonte, nach bewegteren geselligen Verhältnissen lockte ihn in die Ferne, er wurde Hofmeister in der Familie des Grafen St. Aulaire zu Paris.

Hier trat er nun in eine Atmosphäre feinsten geistigen Lebensgenusses und wurde mit den großen Vertretern der litterarischen Bewegung jener Zeit, mit Cousin, Guizot, Lamartine, Thiers, Villemain u. a. bekannt. In Paris drängte sich damals eine solche Fülle der Talente, daß der bescheidene junge elsässische Gelehrte eine ernstliche Beachtung wohl kaum fand; doch drückte ihm der langjährige Verkehr mit den geistvollsten und edelsten Erscheinungen der damaligen französischen Gesellschaft seine bleibenden Spuren auf. Als der Graf von St. Aulaire franzöischer Botschafter in Rom wurde, nahm er S. als Privatsecretär mit. Er verlebte nahezu zwei Jahre, 1831–32, in der ewigen Stadt, empfänglich wie einer für ihre gewaltigen unvergänglichen Eindrücke. Der Umgang mit Gerhard führte ihn den Fragen der Archäologie näher und eine Reise nach Neapel gab ihm reiche dichterische Anregung. Leider scheint das italienische Klima seine zart organisirten Nerven hart angegriffen zu haben, die folgenden Jahre waren für ihn eine wahre Leidenszeit nicht bloß des Körpers, sondern auch der Seele. Im J. 1834 hatte er unter dem Pseudonym Louis Lavater bei dem Pariser Verleger Guyot seinen ersten großen Roman „Henri Farel“ veröffentlicht, der in merkwürdigster Weise die Eigenart seines Geistes und seiner geistigen Entwicklung nach allen Seiten widerspiegelte. Der unverkennbare Einfluß von Goethe’s Wahlverwandtschaften wie der Indiana der George Sand zeigt schon die ihm eigenthümliche Mittellinie zwischen deutscher und französischer Art, der er stets gefolgt ist; der elsässische locale Hintergrund wie die Sittenzustände der französischen Gesellschaft sind in diesem Zeitroman mit der gleichen Sicherheit und Unbefangenheit gezeichnet, wie die Vorgänge und Wandlungen im weiblichen Herzen. Obschon kein Geringerer als St. Marc Girardin das Buch mit warmer Empfehlung und lauter Anerkennung einführte, so hatte es doch so wenig Erfolg sowohl beim französischen Publicum wie in der elsässischen Heimath, daß es bald ganz vom Markt verschwunden war. In der letztern hatte die dichterische Verwerthung gewisser bekannter Familienereignisse ganz besonders unliebsam berührt und die Pariser Kritik nahm an den Germanismen und dem Cultus der deutschen classischen Litteratur Anstoß. Dasselbe Schicksal theilten seine spätern Romandichtungen, der „Nouveau Candide“, der in Rom und der Campagna spielt und Charaktere der römischen Bürgerwelt mit stark realistischen Farben vorführt, sowie die Novelle „Roger Manesse“, die in der Neuenburger Revue suisse veröffentlicht wurde. Alle diese Schöpfungen litten unter dem Verhängniß, wie S. später selbst es empfunden und hervorgehoben hat, daß er auf der geistigen Grenze zweier großer Culturreiche stand und gewissermaßen [703] eine Zwitterstellung einnahm. Die Mißerfolge und Enttäuschungen seiner dichterischen Laufbahn – auch seine 1839 erschienenen deutschen Gedichte blieben nicht davon verschont – lasteten auf S. ebenso schwer wie sein körperliches Leiden und die Unsicherheit seiner Lebenslage. Er war von 1835–39 bei verschiedenen Familien und an verschiedenen Orten thätig gewesen und noch hatte sich für den auf der Höhe des Mannesalters Stehenden keine dauernd fesselnde Aussicht geboten. Da traf ihn Ende des Jahres 1839 durch die Vermittlung Schützenberger’s, des Bürgermeisters von Straßburg, der Vorschlag des Präfecten des Niederrheins, die Stellung eines Departementalarchivars anzunehmen und nebenher die Geschäfte seines Cabinets zu besorgen. S., der fieberhaft aufregenden Pariser Existenz der letzten Jahre müde, verspürte in diesem Rufe, den er ohne langes Zaudern annahm, nach seinen eigenen Worten „etwas von dem kühlen, balsamischen Dufte seiner heimathlichen Bergwälder, die Glockentöne seiner Kindheit drangen wieder durch das Wogen und Brausen der Weltstadt“.

Wenngleich er für den archivalischen Beruf keineswegs besonders vorbereitet war, so wußte er sich doch in kurzer Zeit völlig in denselben einzuleben, obschon namentlich der monotone technische Dienst gewiß seiner feinfühligen, schönheitsdürstenden Seele recht unbequem und leidig war. Er verdient die höchste Anerkennung, wie S. unter sehr beschränkten Verhältnissen, durch Mißverständnisse und Uebelwollen oft gehemmt, mit geschickter Benutzung der Vorarbeiten seiner Vorgänger, namentlich Grandidier’s, die Repertorisirung des großen ihm anvertrauten Archivs in Angriff nahm und diese Riesenarbeit in mehreren Jahrzehnten zu Ende führte. Gerade im Beginn der vierziger Jahre kam ein lebendiger Geist und eine energische Hand in die französische Archivverwaltung. Diesem von oben gegebenen Impulse, der allgemeinen Richtung, folgte S., in manchem Punkte, wie z. B. der Inspection der Gemeindearchive, war er ihr sogar voraus. Mit ungewöhnlichem Geschick verstand er es daneben die Behörden, den Präfecten und den Generalrath durch seine amtlichen Berichte, wie das größere Publicum durch kleinere historische Veröffentlichungen für sein Archiv und dessen Schätze zu interessiren. Seine „Lettres sur les archives departementales du Bas-Rhin“ sind nach dieser Richtung hin ein einzig dastehender Versuch. Man wird bei seinen geschichtlichen Arbeiten, z. B. der „Histoire de la Basse-Alsace et de la ville de Strasbourg“, wie bei seinen archivalischen Publicationen die wissenschaftliche Schulung, die Strenge und Gründlichkeit der methodischen Forschung oft vermissen, aber man wird dagegen, wenn man sie richtig schätzen will, die reiche Anmuth seiner Darstellung und die Klarheit seins historischen Blicks, daneben auch seine Gebundenheit durch die Pariser Instructionen in die Wagschale legen müssen. Bahnbrechend, grundlegend für die elsässische Geschichte, wie etwa die Werke eines Schöpflin und selbst eines Grandidier, sind sie nicht, ihr Verdienst, namentlich bei seinen biographischen Essays, liegt darin, daß sie anregend, Theilnahme weckend wirkten. Sie sind durch die Jahrgänge verschiedener Zeitschriften und Zeitungen zerstreut, besonders der Revue d’Alsace, des Courrier du Bas-Rhin, des Bulletin de la Société pour la conservation des monuments historiques d’Alsace, einer Gesellschaft, zu deren Begründern er gehörte und der er als langjähriger Präsident mit feinem Takte vorstand, gesammelt liegen sie jetzt meist in seinen fünf Bänden „Oeuvres choisies“ vor. Daneben war S. 14 Jahre hindurch als Cabinetschef des Präfecten thätig. Die Hauptinteressen seiner Heimath, die Rheincorrection, die Canalbauten, die Vorarbeiten für die Pariser Eisenbahn, das Unterrichtswesen, fanden auch hier in ihm einen geschickten, gewandt vermittelnden Vertreter. Wenn ihm die wechselreiche Beschäftigung seiner Wanderjahre für die Behandlung dieser Tagesfragen [704] gewiß zu gut kam, so gab diese andererseits seinem von der einförmigen archivalischen Praxis ermüdeten Geiste oft die erwünschte Zerstreuung und ein wohlthuendes Gegengewicht. Eine Zeitlang führte er auch die Secretärgeschäfte des Directoriums der protestantischen Kirche, bis ihn eine Spannung zwischen diesem und der Regierung 1854 zwang, darauf zu verzichten. Schon hatte seine archivalische Berufsarbeit zu feste Fasern in ihm geschlagen, als daß es ihm möglich war, sie einfach preiszugeben und dem eindringlichen Ansinnen seiner Glaubensgenossen gemäß seine Nebenstellung dafür festzuhalten und in ihr sich eine Sinecure für das Alter zu schaffen. Eine besondere Befriedigung gewährte ihm die Mitarbeit in der Société littéraire, deren Seele er recht eigentlich war, einem Verein von Straßburger Gelehrten, der sich gegenseitige Belehrung und Anregung zum Ziel gesetzt hatte. Hier wie in den populären Vorlesungen, welche die Société einrichtete, suchte S. vor allem Verständniß und Theilnahme für die classische deutsche Litteratur des Mittelalters und des 18. Jahrhunderts zu erwecken, der verehrungsvolle Cultus der Heroen unsrer Dichtung, vor allem Schiller’s und Goethe’s war ihm ein Herzensbedürfniß. Wenn auch hier seine vermittelnde Rolle nicht immer die Anerkennung fand, die sie verdiente, im ganzen war es doch eine reiche, gesegnete und allgemein geschätzte Thätigkeit, die S. ausübte, als die Katastrophe des Jahres 1870 hereinbrach.

Obschon sein historisch geschärfter Blick die große Wandlung der elsässischen Geschicke vorausgesehen hatte, so litt er doch unter ihr furchtbar, körperlich und seelisch. Nachdem schon die Schrecken der Straßburger Belagerung seine längst geschwächten Nerven aufs äußerste angegriffen hatten, kam die politische Neuordnung der heimathlichen Verhältnisse, die für ihn reich an Bitterniß und Kränkung werden sollte. Daß sein mannhafter Entschluß, sich der deutschen Verwaltung zur Verfügung zu stellen, seine letzten schwachen Kräfte für das Wohl seines Heimathlandes zu verwenden, nicht bloß seine Popularität, sondern auch fast alle seine frühern freundschaftlichen Beziehungen vernichtete, sein Greisenalter mit der Oede der Herzenseinsamkeit belastete, hat er nie verwinden können. Er war keine zu Kampf und Streit geschaffene Natur, alles Gewaltsame war ihr ebenso fremd wie alles Unreine und Gemeine. Dennoch blieb er seiner alten geistigen Vermittlerrolle zwischen Deutschland und Frankreich treu, ja er begann sie mit noch größerem Eifer auszuüben, um die Eingewanderten mit der geistigen Tradition des Elsaß vertraut zu machen. Wenn er auch von seiner Honorarprofessur an der neugegründeten Straßburger Universität keinen Gebrauch mehr machte, so war er doch auf journalistischem Wege nach dieser Richtung hin unermüdlich thätig. Die Straßburger Zeitung brachte in jedem Jahrgang eine Reihe von Artikeln aus seiner Feder, die ein vollständiges Bild des geistigen Lebens in Straßburg und im Elsaß während der letzten 50 Jahre entwarfen und die außerdem fast jede neue litterarische Erscheinung, die sich auf elsässische Geschichte und Litteratur bezog, eingehend zu würdigen suchten. Vieles davon ist in den drei Bändchen seiner „Modernen Culturzustände im Elsaß“ gesammelt. Für die Allg. Deutsche Biographie stellte er die elsässische Namensliste auf und übernahm die meisten Artikel. Und nun, da er vollständig in der deutschen Bildungsatmosphäre athmete, Männer wie Kraus und Scherer ihm verständnißvoll näher traten, ergriffen ihn auch seine alten dichterischen Neigungen wieder. Seinem „Henri Farel“ arbeitete er in deutscher Sprache um und in einer Reihe dramatischer Dichtungen verherrlichte er die ruhmvolle Vergangenheit und die großen Männer seiner Vaterstadt. Mögen diese Versuche immerhin nicht bühnenfähig sein, es weht durch sie der Hauch unserer classischen Litteraturepoche und feine Empfindung wie scharfe Charakteristik wird man ihnen nicht absprechen können. Auch die Sprache, wenngleich sie in seinen Essays manchmal ungewöhnliche [705] Fremdwörter belasten, gibt seinem französischen Stil kaum etwas an Anmuth und Leichtigkeit nach. Ein so hervorragender Kenner wie Scherer nannte ihn einen Meister der Form. Mit seiner letzteren größern litterarischen That, seinem Buche „Zur Geschichte der neuern französischen Litteratur“, das 1877 erschien, griff er noch einmal auf die glänzenden Erinnerungen seiner Jugend zurück und übte er zum letzten Mal seine geistige Mittlerrolle. Am 16. October 1879 entschlief er nach langem schweren Leiden, nachdem er noch bis in die letzten Wochen vor seinem Tode treu seines archivalischen Amtes gewaltet hatte. In den verschiedenen Nachrufen, die ihm gewidmet wurden, von Baumgarten, Kraus, Löher u. a. hat man sein Wesen und sein Verdienst voll gewürdigt, das eigentliche Verhängniß aber seines Lebens hatte schon Scherer früher treffend hervorgehoben: „Was hätte ein Mann von diesen wissenschaftlichen und poetischen Gaben für die deutsche Litteratur werden können! In Frankreich hat er entbehrt, was nur Paris gewähren konnte und was es ihm versagte, was Niemand entbehren kann, der in die erste Reihe gehört: das Gefühl, zusammen zu arbeiten mit den besten, an ihnen sein erstes ebenbürtiges Publicum, seine gerechten Richter und seine fördernden Gleichstrebenden zu besitzen.“

Ludwig Spach, ein Nachruf von F. X. Kraus 1880 (mit vollständiger Bibliographie von Spach’s Arbeiten). – W. Scherer, Vorträge und Aufsätze zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland und Oesterreich, 1874, S. 415 ff. – Fragmentarische Erinnerungen eines alten Archivars in der Löher’schen Archivalischen Zeitschrift, Bd. I und II.