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Artikel „Löher, Franz von“ von Pius Wittmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 56–62, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:L%C3%B6her,_Franz_von&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Band 52 (1906), S. 56–62 (Quelle).
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Löher: Franz von L., † in München am 1. März 1892, entstammte einem alteingesessenen Bürgergeschlechte zu Paderborn. Geboren am 15. October 1818, erhielt er die erste Bildung auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt und bezog nach glänzend bestandenem Reifeexamen mit Beginn des Wintersemesters 1837/38 die Universität Halle. Hier besuchte er zunächst philosophische Vorlesungen. Später wurde er eifriger Hörer des berühmten Historikers Leo, des gefeierten Theologen Tholuck, sowie des bekannten Rechtslehrers Witte, der sich auch als Dichter und Danteübersetzer einen Namen gemacht hat. Im J. 1839 siedelte L., dessen Befinden das Hallenser Studentenleben nicht recht zusagte, nach Freiburg im Breisgau über, wo Warnkönig’s Pandektenvorträge [57] seinen Geist fesselten. Gleichzeitig festigte er seinen Körper durch Wanderungen in den dunkeln Tannenforsten des Schwarzwalds und der Vogesen. – Zu Fuße pilgerte er sodann über Südfrankreich und Norditalien nach München, um auch am Isarstrand Schätze der Weisheit zu heben. Er frequentirte hier die Collegien von Philipps, Görres, Moy, Hermann und Arndts. – Ein schweres typhöses Fieber, das ihn wochenlang ans Krankenlager fesselte, zwang ihn, während des Sommersemesters in der Heimath Erholung zu suchen. Unter Leitung von Männern wie Stahl, Heffter und Lancizolle brachte L. seine fachwissenschaftlichen Studien zum Abschluß. Damals schrieb er seinen ersten größeren Aufsatz „über die Pfahlbürger“, der in Ersch und Gruber’s Encyklopädie Aufnahme fand. Ostern 1841 unterzog er sich vor dem Berliner Kammergerichte dem theoretischen juristischen Examen und trat hierauf in Paderborn als Auscultator ein. Zu seinem Freundeskreise zählte hier neben Anderen der Dichter Hahn und der nachmals als Centrumsführer hervorragende Mallinckrodt. – Nachdem L. sein zweites Examen mit bestem Erfolg bestanden, wurde er im October 1845 als Referendar an das Oberlandesgericht Paderborn einberufen. Hier nahm er an der Strömung philosophischer wie politischer Ideen, welche die hoffnungsfrohe Zeit von 1840 bis 1848 erfüllten, leidenschaftlich Antheil. Er schrieb juristische Aufsätze und politische Essays, namentlich 1844/45 eine Reihe schneidiger Artikel in die „Kölnische Zeitung“, jedoch ohne sich zu nennen. Als Vorhalle einer „Geschichte der staatsbürgerlichen Freiheit der Deutschen“ gab L. 1845 die frisch gehaltene Skizze „Fürsten und Städte zur Zeit der Hohenstaufen“ heraus (Halle). Anfangs 1846 publicirte er eine Abhandlung: „Die staatlichen Zustände Deutschlands bei Ausgang des Mittelalters“ (in Zeitschrift f. Geschichte u. Alterthumskunde des Westfäl. Geschichts- u. Alterthumsvereins, Neue Folge, Band 1).

Bevor sich der junge Referendar dauernd an den Staatsdienst fesselte, wollte er seinem Wissensdrang genügen und in der alten wie neuen Welt gründliche Umschau halten. Er erhielt zu diesem Zweck außerordentlichen Urlaub. Mit Geld und Creditbriefen, von Professor Raumer mit Empfehlungsschreiben versehen, begab sich L. im Juni 1846 zunächst nach England, studirte zu London Leben, Treiben und Sprache des Volkes und durchstreifte dann das romantische Bergland von Nordwales. Auf dem Segelboot „Southkarolina“ setzte er nach New-York über. Zu Pferd und zu Fuß, mit Bahn und Schiff durchzog der wissensdurstige Tourist Canada und die Vereinigten Staaten von Ost nach West, von Süd nach Nord bis zum Winnebagosgebiet am oberen Missouri. In Cincinnati hielt er sich sieben Monate lang auf. Hier hatte er Gelegenheit, in öffentlichen Vorträgen sich „über des deutschen Volkes Bedeutung in der Weltgeschichte“ zu verbreiten. Später gab er jene Aufsätze gesammelt unter dem Titel: „Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika“ heraus (Cincinnati 1848). Es war das erste Buch dieser Richtung, welches am Ohio erschien, und verschaffte dem Verfasser rasch große Popularität. Am 2. October 1847 trat derselbe die Rückkehr nach Deutschland an. Er landete in Havre, verweilte einige Tage in Paris und fuhr über Belgien wieder nach der westfälischen Heimath.

Während L. mit Vorbereitungen für eine Orientreise umging, brachen die Stürme der Februarrevolution über Europa herein. Sofort gab L. seine Pläne auf und begründete die „Westfälische Zeitung“, welche unter seiner Redactionsperiode die Sache der nationalen Einigung in warmer und energischer Weise vertrat. Da er aber in dem wegen Steuerverweigerung zwischen dem Ministerium Brandenburg-Manteuffel und der Nationalversammlung [58] entstandenen Conflict sich auf Seite der letzteren stellte, erfolgte plötzlich und ungeahnt, wahrscheinlich auf Veranlassung des Regierungspräsidenten v. Bodelschwingh, seine Verhaftung (10. December 1848). L. wollte flüchten, wurde aber daran verhindert und ließ sich, ohne Widerstand zu leisten, auf das Inquisitoriat abführen. Die Nachricht von seiner Gefangennahme flog einem Lauffeuer gleich durch die Stadt. Das Volk rottete sich zusammen, bewaffnete sich, sperrte die Straßen durch Eggen und andere Ackergeräthe ab und machte sich daran, den Inhaftirten mit Gewalt zu befreien. Nur seiner Ruhe und Besonnenheit, sowie dem Eindruck seines Wortes war es zu danken, daß tumultuarische Auftritte unterblieben und die Ordnung wieder hergestellt werden konnte, ehe das allarmirte Militär auf dem Platze erschien. Nachts 2 Uhr wurde L. unter starker Escorte mittelst Wagen nach Münster überführt, wo bereits Leidensgenossen seiner harrten. In den ersten Tagen entbehrten diese politischen Gefangenen das Nothwendigste; später durften sie sich selbst verpflegen; ja man gestattete sogar die Feier einer Weihnachtsbescheerung. Bald darauf wurden sie, mit ihnen auch L., freigesprochen.

Seine Rückreise nach Paderborn glich einem Triumphzug. Ueberall sah er sich mit Jubel empfangen. Die Stadt selbst war großentheiles illuminirt. Wenige Wochen später sandte ihn das Vertrauen seiner Mitbürger als Abgeordneten nach Berlin, woselbst er zur gemäßigten Linken zählte. Als „Jüngster“, wie ihn Präsident v. Grabow und nicht selten der zur äußersten „Rechten“ gehörige Otto v. Bismarck, der nachmalige Schöpfer des Reiches, nannte, wurde er zu Secretariatsgeschäften herangezogen; doch nahm er auch an Commissionsberathungen in wichtigen Fragen regen Antheil. Freie Stunden benützte L. zum Studium der Museen und Kunstschätze Berlins. In den feinen Cirkeln bei Varnhagen v. Ense, Ludmilla Assing, Bettina Arnim, Solmar und Stahl war er ein gern gesehener Gast. Nach Schluß der Session trat er wieder in Paderborn als Referendar ein, vertheidigte Angeklagte und bildete nebenbei das Orakel in allen politisch-socialen Fragen. Insbesondere suchte er auf zeitgemäße Umgestaltung des Gewerbewesens einzuwirken. Wiederholt berief ihn der Wille der Stadt zu ihrem Bürgermeister; die Regierung versagte Bestätigung. Nicht einmal zum „Richter-Examen“ ließ man ihn zu. „Wir brauchen Gesinnung, keine Bücher“, lautete der Bescheid, welcher ihm in Berlin auf seine Vorstellungen ertheilt wurde.

Um jene Zeit (1852) erschien Löher’s bedeutendstes juridisches Werk: „System des preußischen Landrechts in deutschrechtlicher und philosophischer Beziehung“ (1852, 287 S.), das eine sehr günstige Beurtheilung fand. Die Universität Freiburg ernannte ihn hierauf honoris causa zum Doctor der Rechte. Als solcher habilitirte er sich zu Göttingen. Seine Vorlesungen über das Preußische Landrecht waren zwar im Anfang nur schwach, später dafür um so besser besucht, namentlich von westfälischen Studenten. – In jene Zeit fällt auch Löher’s Verlobung mit seiner (am 16. April 1906 verstorbenen) Gemahlin Klara, einer Tochter des Geh. Justiz- und Appellationsgerichtsrathes Zeitfuchs zu Paderborn. – Die Göttinger Jahre zählte L. stets zu den schönsten seines Lebens. Akademische Freiheit, ringsum Quellensprudeln in allen Wissenschaften, der feine, humane Ton und ein fröhlicher Kreis Mitstrebender machten ihn glücklich. Die Sturmfluthen der Zeit hatten eine Reihe junger Männer von hohem Geiste wie Aegidi, Esmarch an die Göttinger Hochschule verschlagen. – Mitten unter juristischen Arbeiten schrieb L. hier zunächst (1855) „General Spork“, eine epische Dichtung, worin sein Landsmann, der sich vom Reiterbuben zum General und Schrecken der Türken emporgeschwungen hatte, Verherrlichung fand. Gleichzeitig (1854–58) verfaßte er drei Bände [59] amerikanischer Reiseskizzen unter dem Titel „Land und Leute in der alten und neuen Welt“, die ganz besonders seinen Ruf als hervorragender Stilist in Deutschland und im Auslande verbreitet haben.

Mit dem Jahre 1855 trat in seinem Leben ein Wendepunkt ein. Er erhielt einen Ruf an die Universität Graz und fast gleichzeitig einen solchen aus München, durch dessen Annahme sich seine Verhältnisse in jeder Hinsicht änderten. Der schöngeistige König Max II. von Baiern suchte nämlich nach dem Abgange von Dönniges einen litterarischen Secretär, der Jurist, katholisch, aber nicht clerical, und von gutem Namen in der Litteratur sein sollte. Auf Empfehlung des Physiologen Rudolf Wagner, eines gebornen Baiern, der mit L. in Göttingen bekannt geworden war, beschied er Letzteren an sein Hoflager und übertrug ihm den obenerwähnten, mäßig dotirten, aber mit Arbeitsfülle beladenen, ehrenvollen Posten. Zugleich erfolgte Löher’s Ernennung zum Honorarprofessor an der Universität München, verbunden mit der Berechtigung, „über juridische Disciplinen zu lesen“, bald darauf (1859) seine Bestallung als „ordentlicher Professor der Länder- und Völkerkunde wie allgemeinen Literaturgeschichte“. Seine gesicherte Lage erlaubte ihm nunmehr, die Jugendgeliebte und Braut heimzuführen. Dem glücklichen Ehebunde entsproßten drei Kinder. – Löher’s Posten war ein vielbeneideter. In der That galt sein Inhaber als der erklärte Liebling des Monarchen und dessen Gemahlin Marie. Er mußte das Fürstenpaar auf dessen Schlösser begleiten, verweilte als Jagdgast oft Tage lang im vertrauten Verkehr mit dem König, knüpfte hierbei wichtige Beziehungen an und erfreute sich zahlreicher Gunstbezeugungen. Doch war seine Position von Dornen nicht frei. Er sollte und wollte zwischen sich heftig bekämpfenden Parteien neutral bleiben. Dabei bekam er Kreuzfeuer von zwei Seiten. Ein frischer Muth und ein gutes Gewissen halfen ihm aber über alle Unannehmlichkeiten hinweg und befähigten ihn, zu vielem Guten Anregung zu geben.

In München wandte sich L. mit Eifer historischen Studien zu. Seine Festrede in der Akademie der Wissenschaften – sie hatte ihn 1857 zum Mitglied gewählt – verbreitete sich über „König Heinrich’s I. deutsche Politik“ und in der Rathhausfestrede zur siebenhundertjährigen Jubelfeier der Stadt München schilderte er die „culturhistorische Bedeutung unserer Städte“. Außer einer Menge kleinerer und größerer Arbeiten wie „Hrotsuitha und ihre Zeit“, „Kaiser Sigmund und Herzog Philipp von Burgund“ u. s. w., verdient besonders das in Allerhöchstem Auftrag und auf Grundlage umfassender Archivstudien geschriebene zweibändige Werk „Jakobäa von Bayern und ihre Zeit; acht Bücher niederländischer Geschichte“ Erwähnung (Nördlingen 1862 und 1868).

Bald darauf eröffnete sich Löher’s Thätigkeit ein neues wichtiges Arbeitsfeld. Die Stelle des Directors am „Allgemeinen Reichsarchive“ war bereits seit längerer Zeit erledigt. Da angeblich keine passende Persönlichkeit gefunden werden konnte, bot man sie im Spätherbst 1863 L. an, der aber zunächst Bedenkzeit erbat. Erst unter König Ludwig II., welcher dem „Referenten“ seines seligen Vaters die gleiche Huld wie dieser entgegenbrachte, erfolgte mit Decret vom 20. März 1864 dessen Ernennung zum Vorstand des Allgemeinen Reichsarchivs. Daß es dem „Eingeschobenen“, durch welchen berechtigte Hoffnungen verdienter und im Dienste ergrauter Männer mit einem Schlage vernichtet wurden, an Feinden nicht fehlte, ist begreiflich. Seiner Gewandtheit und Energie aber gelang es bald, sattelfest zu werden und für das bairische Archivwesen sehr Ersprießliches zu leisten. Vor allem suchte er das theilweise mangelhaft qualificirte Personal der acht äußeren Archive durch brauchbare [60] Leute zu ersetzen. Eine Menge tüchtiger junger Männer wurden für die Carrière gewonnen und in der vom Director geleiteten „Archivschule“ in seinem Sinne praktisch ausgebildet. Auf ordentliche Führung der Geschäftsjournale, auf sorgsame Buchung und Rückforderung ausständiger Stücke, auf Anlage genauer Handacten wurde energisch hingewirkt. Tausende von Urkunden, nicht minder umfangreiche Litteraliengruppen gelangten zur Verzeichnung und sachgemäßen Bearbeitung. Auch den Registraturen der kgl. Behörden, der Gemeinden und des Adels wandte L. sein Augenmerk zu. Er besuchte sie gelegentlich seiner Dienstreisen und wußte es durch persönliche Vorstellungen dahin zu bringen, daß nicht nur mehrere Städte und Edelgeschlechter ihre Urkunden von sachverständiger Hand ordnen ließen, sondern daß auch durch gesetzliche Bestimmungen die regelmäßige Ablieferung historisch wichtigen Materials der Amtsregistraturen an die Landesarchive verbürgt wurde. Die letzteren erhielten überdies durch Austausch, Schenkung und Kauf beträchtlichen Zuwachs. Die von L. im J. 1876 ins Leben gerufene und dreizehn Jahre lang redigirte „Archivalische Zeitschrift“ machte das große Publicum auf Bedeutung und Inhalt der Archive aufmerksam, und die Benutzung derselben nahm in ungeahntem Maße zu. Es trug hierzu besonders auch der Umstand bei, daß mannichfache Beschränkungen, welche in früheren Jahren die freie Forschung beengten, wenigstens in der Hauptsache aufgehoben oder doch gemildert wurden. Waren die bairischen Archive einst fast ausschließlich Administrativbehörden, Appendices der Ministerien und Regierungen, so gewannen sie nunmehr eine freiere Stellung und dienten vor allem der Wissenschaft. Aber nicht nur deren Priester und Lehrer, sondern auch Fachgenossen kamen von nah und ferne herbei, um bairisches Archivwesen an der Quelle kennen zu lernen.

Die Stelle eines Professors an der Münchener Hochschule behielt L. nach seiner Ernennung zum Vorstand des allgemeinen Reichsarchivs bei. Der 6. Januar 1866 brachte ihm das Ritterkreuz des Verdienstordens der bairischen Krone und damit den persönlichen Adel. Seit König Ludwig’s II. Regierungsantritt war übrigens seine Thätigkeit als „litterarischer Referent Sr. Majestät“ nur noch von untergeordneter Bedeutung, da sich bekanntlich der Monarch immer mehr von der Oeffentlichkeit zurückzog und seit October 1871 L. nie mehr persönlich empfing. Dagegen entfaltete letzterer in den Jahren 1865–1874 eine außergewöhnliche schriftstellerische Fruchtbarkeit. Er lieferte historische Abhandlungen für die bairische Akademie, Raumer’s „Taschenbuch“ und das Münchener „Jahrbuch“; er war eifriger Mitarbeiter der Allgemeinen Zeitung und gab 1871, begeistert über die deutschen Siege in Frankreich, das Buch: „Aus Natur und Geschichte von Elsaß-Lothringen“ heraus. Im J. 1872 bereiste er Ungarn und die Karpathenländer. Seinen Anschauungen über die Verhältnisse der Donaustaaten verlieh er in dem Werk: „Die Magyaren und andere Ungarn“ (Leipzig 1873) Ausdruck. Gleichzeitig (1874) schrieb L. eine „Geschichte des Kampfes um Paderborn“ (1597 bis 1604).

Im Februar 1872 erhielt er durch den kgl. Cabinetssecretär Düfflipp den vertraulichen Auftrag, „für Se. Majestät weit entfernte Gegenden von stiller, erhabener Natur“ zu bezeichnen, da „Allerhöchstdieselben zu Abdication und Auswanderung entschlossen seien“. Aus einem ersten Aufsatz entwickelte sich in der Folge eine ausführliche Abhandlung über die Canarischen Inseln, den griechischen Archipel, die Insel Bourbon und Sanct Catharina von Brasilien. Später kam Ordre, einzelne dieser Punkte persönlicher Besichtigung zu unterziehen und zu referiren, ob sich dort für Se. Majestät „Souveränetät“ oder doch wenigstens „Unabhängigkeit von den Behörden auf Lebensdauer“ [61] erwerben ließe. Am 17. Februar 1873 trat L. seine erste Reise an, die den Canarischen Inseln sowie dem griechischen Archipel galt. Nachdem er zuerst Palmas, Gran Canaria und Teneriffa besucht, begab er sich über Marseille und Wien nach Constantinopel, miethete dort ein Segelboot und landete auf den vom europäischen Verkehr beinahe unberührten Eilanden Thasos, Samothrake, Imbros, Tenedos und Lesbos. Von Smyrna aus kehrte er über Syra, Athen, Neapel und Rom nach München zurück, woselbst er am 3. Juli eintraf. Die ganze Fahrt hatte somit 3½ Monate beansprucht. Nachdem sich L. über seine Wahrnehmungen in einem eingehenden Exposé geäußert, bekam er plötzlich und unerwartet (1875) Befehl, die Verhältnisse von Kreta und Cypern näher zu untersuchen. Die Reise wurde noch im nämlichen Jahre binnen 2½ Monaten ausgeführt; doch war der Bericht, welchen L. dem König erstattete, keineswegs geeignet, dessen Wünschen Befriedigung in Aussicht zu stellen. Er beschwor überdies den Monarchen, allen Abdicirungsgelüsten zu entsagen und der schönen Heimath treu zu bleiben.

Unterm 27. Februar 1875 erfolgte Löher’s Ernennung zum kgl. „Geheimen Rath“. Bald darauf verlieh ihm der Osmanenkaiser den Stern des Medjidjeordens. Schon früher war er ob seiner dienstlichen und schriftstellerischen Leistungen mit Orden der verschiedensten Länder, insbesondere dem preußischen und württembergischen Kronenorden, sowie dem Officierskreuz der französischen Ehrenlegion geschmückt worden. Auch eine Reihe hochangesehener Akademien (St. Petersburg, Brüssel u. s. w.), historische und andere Vereine hatten ihn zum Ehrenmitglied erwählt. In den Jahren 1875–1888 unternahm L. nur einmal, und zwar privatim, eine größere Reise nach Rußland, um dort des Bruders silberner Hochzeit beizuwohnen. Seine zuerst in der Presse veröffentlichten Essays erschienen später in Buchform unter dem Titel: „Rußlands Werden und Wollen“ (München 1881). Im übrigen lebte er hinfort nur noch seinem Amte, seiner wissenschaftlichen Thätigkeit und seiner Familie. Am 15. October 1888 beging der greise Gelehrte in aller Stille seinen siebzigsten Geburtstag; zwei Monate später erfolgte unter „Allerhöchster Anerkennung langjähriger, ersprießlicher Dienstleistung“ seine Quiescirung. Die letzten drei Jahre verbrachte L. in dem ihm während 28 Jahren liebgewordenen Heim an der Schwabingerlandstraße (jetzt Leopoldstraße). Im J. 1890 gab er zu Nutz und Frommen von jüngeren Archivaren und Historikern seine an verschiedenen Orten zerstreuten Aufsätze über Archivwesen unter dem Titel „Archivlehre“ heraus (Paderborn 1890). Nebenbei arbeitete er unermüdlich an einer „Culturgeschichte der Deutschen im Mittelalter“, seinem Lieblingswerke, für das er schon seit Decennien mit Bienenfleiß Material gesammelt hatte, und erlebte noch die Freude, den I. Band („Germanen- und Wanderzeit“) gedruckt und von der Kritik günstig beurtheilt zu sehen. Bd. II und III erschienen erst nach seinem Tode (München).

L. war von mittelgroßem, gedrungenem Wuchse; in der Jugend brustleidend, erfreute er sich späterhin bei äußerst mäßiger Lebensweise andauernd guter Gesundheit. Unter seiner hohen, gewölbten Stirn glänzten ein Paar kluge, lebhaft blickende Augen. Langgescheiteltes Haar deckte das Haupt. Ein kräftiger Bart umrahmte die Wangen. Das etwas vorspringende Kinn und die fest geschlossenen Mundwinkel ließen erkennen, welch energischer Charakter den Mann beseelte. Löher’s Schaffenskraft war staunenswerth. Sein geistiges Interesse blieb bis in die letzten Tage wach. Er zählte nicht nur zu den fruchtbarsten, sondern auch zu den geschätztesten Schriftstellern seiner Zeit. Unübertroffen als Stilist, verstand er sich vor allem auf geographische Schönschilderung, auf treffende Charakterzeichnung. Wo er trockenen Stoff behandeln [62] mußte, wie in seiner „Jacobäa“ und in der Culturgeschichte, weiß er denselben durch glanzvolle Darstellung zu beleben.

Seit 1848 ist er nicht mehr als Volksredner aufgetreten; er begnügte sich damit, seiner Begeisterung für die Größe und Einheit des deutschen Vaterlandes in Zeitschriften und Büchern Ausdruck zu verleihen. In politischer Hinsicht kann er zu den gemäßigt Liberalen gerechnet werden. Doch war er stets Idealist und weitsichtig genug, um auch bei anderen Parteien das Gute anzuerkennen.

(Theilweise meinem Nekrolog in der Allgem. Zeitung entnommen.) Die Wiedervereinigung der Religionsgesellschaften bildete seinen Wunsch und seine Hoffnung. Durch Geburt und Erziehung Katholik, schloß er sich zwar 1871 dem Protest gegen die Beschlüsse des Vaticanums an, doch hat er sich von der römischen Kirche nie förmlich getrennt; den Glauben an Gott und die Wahrheit des Christenthums konnte ihm keine Skepsis rauben.

Ueber die außerordentlich zahlreichen kleineren wie größeren Aufsätze, die L. in wissenschaftlichen, belletristischen und politischen Journalen veröffentlichte, im Einzelnen zu referiren, ist unmöglich. Die umfangreicheren und wichtigeren wären im Almanach der kgl. bair. Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1884, S. 385 und 1890, S. 147 f. nachzusehen. Von selbständigen, in Buchform erschienenen, Werken sind außer den im Text angeführten noch zu nennen: „Aussichten für gebildete Deutsche in Amerika“ (Berlin 1853); „Historische und biographische Erläuterungen zu Kaulbach’s: Zeitalter der Reformation“ (Stuttgart 1863); „Sizilien und Neapel“ (2 Bde., München 1864); „Griechische Küstenfahrten“ (Leipzig 1876); „Nach den glücklichen Inseln. Canarische Reisetage“ (ebd. 1876); „Kretische Gestade“ (ebd. 1877); „Cypern. Reiseberichte über Natur und Landschaft, Volk und Geschichte“ (Stuttgart 1878); „Cypern in der Geschichte“ (Berlin 1878); „Das neue Italien“ (Berlin 1883); „Beiträge zur Geschichte und Völkerkunde“ (2 Bde., Frankfurt a. M. 1885 u. 1886); „Das Canarierbuch. Geschichte und Gesittung der Germanen auf den canarischen Inseln“ (aus dem Nachlasse herausgegeben München 1895).