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Artikel „Jacobäa von Baiern“ von Franz von Löher in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 559–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jakobaea_von_Bayern&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 09:17 Uhr UTC)
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Jacobäa von Baiern, Herzogin von Holland und Hennegau, geb. am 25. Juli 1401, † am 9. October 1436. Die Geschichte dieser Fürstin ist vom Zauber der Romantik umflossen und nach Lothrop Motley’s Ausdruck „besitzt sie für die Niederlande das unvergängliche Leben einer Iphigenie, Marie Stuart, Jungfrau von Orleans und anderer geheiligter Frauengestalten“. Sie war die Heldin des untergehenden Ritterthums. Elf Jahre lang kämpfte sie für ihr [560] Recht und ihre Ideale, und begeistert stürzten sich ihre Ritter in den Tod. Zitternd unter den entsetzlichen Anschlägen ihrer Feinde zerriß sie wiederholt die Ränke und die Heere, mit welchen sie die gefürchteten Staats- und Kriegsmeister umringten. Zuletzt mußte sie erkennen, daß auch der größte Heldenmuth zunichte wird vor der Staatskunst eines beharrlichen Regenten, welcher die ächten Ideen und die im stillen treibende Gestaltung seiner Zeit fördert.

Kaiser Ludwig der Baier hatte durch Heirath mit der holländischen Erbtochter herrliche niederländische Provinzen erworben, den adelsreichen Hennegau, das berühmte Ritterland, dessen Ortschaften von wallonischen Heißköpfen besetzt waren, und Holland, Seeland, Friesland, bewohnt von einem Volke von friesischer Bauernnatur, breit und ruhig in seinem Wesen, hartnäckig und unerschütterlich in seinem Willen und Freiheitssinne, grausam und unversöhnlich in seinem Hasse. Leidenschaftlich bekämpften sich damals in den Niederlanden zwei Parteien, die in jeder großen Stadt andere Namen trugen, im Wesentlichen aber den Gegensatz zwischen Conservativen und Liberalen darstellten. In Holland hießen sie Hoeks und Kabeljaus. Zu Jenen gehörten vorzugsweise der Kleinadel und die kleineren oder zurückgekommenen Städte, in denen Familien von altem Namen und geringem Erbgut wohnten. Die Kabeljaus hatten dagegen ihren Hort in den größeren Städten mit blühendem Handel und bei dem reichen Großadel. Die Einen bildeten die alte starre Feudalpartei, die Andern hatten etwas von dem demokratischen Geiste in sich aufgenommen, der in den Bürgermassen trieb. Erblicher Familienhaß machte den Haß unversöhnlich. Jacobäa’s Vater, der Enkel Kaiser Ludwig’s, hatte mit entsetzlichem Grimm die Kabeljaus verfolgt. Er war rings in allen Landen gefeiert als der vollendetste Ritter, sein Hof das Ziel aller berühmten Degen. Seine Tochter Jaqueline lebte und athmete mitten in diesem Ritterthum. Ihre Vorliebe mußte sich richten auf Waffenglanz und Heldenehre, sie mußte Luft bekommen an Krieg, Turnier und wildem Jagdrennen, an Abenteuern der Liebe und Rache. Von nichts anderem hörte sie reden, nichts anderes wurde gepriesen als des Mühens werth. Von ihrem Vater aber, dessen Augapfel sie, als das einzige Kind seiner Ehe war, erbte sie den geraden ehrlichen Sinn und das heiße Blut, und er prägte ihr die stählerne Willenskraft ein, welche ihn selbst so gefürchtet machte. Von ihm erbte sie auch den Haß gegen die Kabeljaus, deren unromantische Geldmacht bereits höchst empfindlich das alte Ritterthum niederdrückte.

Im August 1415 wurde J., nachdem sie vierzehn Jahre alt geworden, mit dem zweiten Sohne des Königs von Frankreich vermählt, mit welchem sie schon in ihrer Kindheit verlobt und gemeinschaftlich im Hennegau, unter ihres Vaters Augen erzogen worden war. Ein paar Monate nach der Hochzeit starb der Dauphin und jetzt war J. Kronprinzessin von Frankreich. Dort aber war Hof und Volk zerrissen und unterwühlt von Wuth und Zwiespalt der Parteien, und das Land lag offen den plündernden Heeren der Engländer. „In der Stadt Paris“, schrieb ein deutscher Reisender, „stand es übel, denn es waren viele Parteien darin: was die von einander ergriffen, das haueten sie in Stücke und zogen sich aus den Häusern und trieben großen Jammer“. Als nun Jacobäa’s Gemahl, der Dauphin, nach Paris verlangt wurde, reisete erst ihr Vater hin, um unter den Parteien Frieden und für das junge Paar Sicherheit zu gründen. Da erfuhr er, daß ihm selbst ein Anschlag drohe, ritt heimlich aus Paris fort und spornstreichs bis nach Compiegne, und was sah er hier? Sein Schwiegersohn lag da als ein Bild des Jammers, Beulen bedeckten ihn, Zunge und Gaumen waren dick geschwollen und die Augen drangen ihm aus dem Kopfe, daß es zum Erbarmen. Acht Tage später war er todt, und man erzählte allgemein, auch dieser Dauphin sei durch Parteienränke vergiftet wie sein Bruder vor ihm.

[561] Zwei Monate später starb auch Herzog Wilhelm, Jacobäa’s Vater, der starke Hort ihrer Jugend brach auf einmal zusammen. Sofort begannen die Kabeljaus im ganzen Lande zu reiten und zu rüsten, ihre Häupter, die Herren von Egmond und von Arkel zogen ein Heer zusammen, schon hatten die Egmonds den Ysselstein, die wichtige Feste überfallen und erobert. Ein noch viel mächtigerer Feind drohte im Hintergrunde, Jacobäa’s Oheim Johann von Baiern, der schon seit vielen Jahren als Fürstbischof in Lüttich waltete, sich aber immer nicht wollte weihen lassen. Nach holländischem Landesrecht konnte zwar eine Frau regieren. Holland war aber auch deutsches Reichsland und die Nachfolge auf seinen Thron gehörte dem baierischen Fürstenhause: nach deutschem Lehnrecht wie nach Hausrecht der Wittelsbacher konnte nur ein Mann Erbe sein. Johann von Lüttich gab nicht undeutlich zu erkennen, daß von Rechtswegen er „Ruhwart“ d. h. Vogt und Regent sei in Jacobäa’s Landen. So großen Gefahren gegenüber erschien den Hoeks als die einzige Rettung ihrer Fürstin eheliche Verbindung mit ihrem Vetter, dem jungen Herzog von Brabant; denn dieser war ein Prinz des burgundischen Hauses und ihm zur Seite stand die brabanter und burgunder Macht. Was aber wußte J. von diesem Johann von Brabant? Nichts, als daß er ein Tölpel sei von fünfzehn Jahren, jünger noch als sie, und ein schwachsinniges Geschöpf in den Händen seiner Schmeichler und Günstlinge.

Allein J. blieb wenig Zeit zu denken und zu wählen. Sie mußte eilen, erst Holland den Feinden zu entreißen und sich die Landeshuldigung zu erkämpfen; denn von ihren Anhängern erschallte ein Hülferuf nach dem andern. An der Spitze eines Kriegszugs verließ sie den Hennegau, die Hoeks strömten ihr entgegen, der Ysselstein fiel wieder in ihre Hände, die Huldigung wurde vollzogen, und nun folgte zu Biervliet am 31. Juli 1417 die feierliche Verlobung mit dem Herzog von Brabant. Die Hoeks glaubten, sie müßten die gute Zeit benutzen, durch Strenge und Schrecken die Macht der Kabeljaus zu vernichten: ihre Fürstin gab dem schlimmen Rathe nur zu leicht Gehör. Denn sie war die ächte Tochter Herzog Wilhelms, in ihr lebte das Feuer seiner Seele, und kein höheres Ziel schwebte ihr vor, als eine Regentin zu sein in der Kraft und dem Geiste ihres Vaters. Der Ysselstein wurde bis auf den Grund geschleift, aus jeder Stadt wanderten Kabeljaus in die Verbannung. Nur die Dortrechter verschlossen vor J. hartnäckig ihre Thore und erklärten: es schicke sich zu warten, bis durch den Ausspruch von Kaiser und Reich feststehe, wer der rechte Erbe von Holland.

Das Beispiel der mächtigsten Stadt blieb nicht ohne Eindruck, während das Wüthen der Hoeks zur Folge hatte, daß von J. die Herzen vieler Unterthanen sich abwandten. Dies ließ die Pläne des gefürchteten Oheims reifen. Er hieß „Johann ohne Gnade“, weil er einen Aufstand der Lütticher furchtbar niedergeworfen und gerächt hatte: jetzt gab er mehr und mehr Raum den städtischen Freiheiten. Insgeheim versicherte er sich der Zustimmung des Kaisers Sigismund, der nur mit Erbitterung es ansah, wie das stolze burgundische Haus in den Niederlanden weiter und weiter sich ausdehnte. Der Verlobung hatte Johann zugestimmt, jedoch mußte seine Nichte einstweilen seine Mitregierung annehmen. Als nun die Unzufriedenheit in ihren Landen und das Gebahren der Hoeks um sich griff, erschien er zu Dortrecht und ließ einen offenen Brief an die Städte ausgehen: wie das Land voll Parteiung und Ungerechtigkeit sei und er den guten Städten helfen müsse, daß sie ihre Privilegien und guten Gewohnheiten ungekränkt behielten; denn er sei der rechte Schirmherr und Ruhwart ihrer Lande, so lange seine Nichte ohne ehelichen Vogt. Johann wußte wol, daß die brabanter Hochzeit noch auf sich warten lasse, bis die Dispensation zur Heirath der Blutsverwandten vorliege. Auf die erste Kunde von des Oheims Auftreten eilte J. herbei und berief Adel und Städte nach Schoonhoven zum Landtag. [562] Heftig traten sich dort Nichte und Oheim entgegen, und das Ende war, daß der Letztere nach Dortrecht ging und ihr seine letzte Mahnung zuschickte, entweder seine Vogtschaft anzunehmen oder den Krieg. Sie wählte den Krieg. Da schrieen die Kabeljaus vor Freuden auf, jetzt hatten sie wieder ein Haupt aus der fürstlichen Familie selbst. Zu Schiff und zu Roß kamen von allen Enden die Schaaren der Verbannten und Geächteten nach Dortrecht, und Johann von Baiern empfing dort am 10. November 1417 die feierliche Huldigung.

Der Kampf begann vor Rotterdam, das die Kabeljaus belagerten und hart bedrängten. Mit einem starken Heer, welchem sich die ritterlichen Degen von Brabant, Hennegau und Holland zugesellt hatten, zog J. heran. Siebzehnjährig war sie schön wie je ein Weib gewesen, und wer sie anschauete, empfand auch die Zuströmung von dem hohen und ruhelosen Geiste, dem feurigen Willen, der aus ihren Augen blitzte. Rotterdam wurde befreiet, der Feind zog sich zurück. Da kam Nachricht, er habe die Stadt Gorkum genommen, nur die Burg halte sich noch. Diese Stadt war der Schlüssel zum ostwärts liegenden Holland, in den Händen der Kabeljaus der wichtigste Waffenplatz. Ein Bangen schlich viele Hoeks an, denn es war großes Geschrei im Lande über das zahllose Volk, das die Kabeljaus nach Gorkum brächten. Jacobäa’s Boten eilten zu allen Freunden, eilends aufzubrechen mit allen Schiffen und Leuten, die sie erraffen könnten. Auf dreihundert Schiffen fuhr mit sechstausend Mann die junge Fürstin am 1. December über die Strombreite hinüber nach Gorkum, zog durch die Burg auf den großen freien Platz vor der Stadt und stieß dort ihr Rennfähnlein in die Erde. Der feindliche Feldherr, eine Blume der Ritterschaft, war der junge Herr von Arkel, dessen Vaterstadt Gorkum war. Er ließ durch seinen Herold zum Gottesgericht die Schlacht auf den andern Tag entbieten; die Hoeks antworteten: Streitens wegen seien sie gekommen und sie wollten streiten, bis ihre Feinde daran genug hätten. Beide Feldherren knieten nieder und empfingen den Ritterschlag. Dann begann die Schlacht mit schrecklichem Toben und Wüthen. Siebenmal griffen die Hoeks an, siebenmal wurden sie zurückgeworfen, endlich fingen die geldrischen Hülfsvölker der Kabeljaus an zu flüchten und rissen die andern mit sich. Jetzt sättigte sich die Parteiwuth im Morden, fast der dritte Theil der Kabeljaus fand den Tod. Um den erschlagenen Arkel lagen alle seine Jugendfreunde. Als man ihn erkannte, brach J. in Thränen aus, und man erzählte sich, ihn habe sie heimlich geliebt, und hätte er gewollt, wäre er Herr von Holland gewesen.

Unterdessen gab auf dem Concil zu Konstanz die brabantische Ehesache nicht wenig Gerede und Geschäfte. J. war mit ihrem Verlobten Geschwisterkind und außerdem im dritten Grade verschwägert. Die burgundische oder französische Partei betrieb eifrig die Dispensation, die deutsche oder kaiserliche hielt ihr heftig das Widerspiel. Sobald Martin V. Papst geworden, nahm er das brabanter Gold und fertigte am 22. December die Dispensationsbulle aus. Da aber der Kaiser ihn zornig zur Rede stellte, Johann von Baiern in des Papstes Hände sein Lütticher Bisthum zurückgab und die Hand Elisabeth’s von Görlitz, einer Nichte des Kaisers, erbat, widerrief Martin am 5. Januar 1418 seine Dispensation und ertheilte Sigismund Johann die kaiserliche Belehnung mit Holland, Seeland und Hennegau. Jedoch die Brabanter wußten es zu machen, daß die Widerrufsbulle immer noch nicht besiegelt wurde; nach Brabant kam bloß eine Abschrift, zugleich aber die Nachricht, nächstens würden Kaiser und Papst verschärfte Verbote gegen die Vollziehung der Heirath erlassen. Da beschlossen die Hoeks und ihre brabanter Freunde rasch den Riegel der vollbrachten Thatsache vorzuschieben. Am Abend des 10. März 1418 wurde J. im Rittersaal im Haag ihrem Verlobten bürgerlich angetrauet. Wohl erklärte jetzt der Papst öffentlich, diese Ehe sei nichtig, heimlich aber ließ er wissen, sobald er dem Kaiser aus den [563] Augen sei, werde er wol seinen Widerruf widerrufen. Aerger war niemals um ein Recht zur Ehe gewürfelt. Johann von Baiern aber vollzog seine Ehe mit des Kaisers Nichte und trat jetzt auf als der rechte und alleinige Herr und Lehnserbe in Jacobäa’s Landen. Er bewilligte am 20. Juni 1418 den holländischen Städten ein beständiges Parlament, Ausdehnung ihres Bürgerrechts auf das ganze Land, freies Kriegsrecht und erwünschte Markt-, Münz- und Zollfreiheiten. Da mehrten sich aller Orten seine Anhänger und die Kabeljaus ließen hören: „Von so jungen Leuten, wie J. und ihr Gemahl, die sich ganz mit leichtsinnigen Leuten umgeben, sei nimmer Hülfe und Stärkung für das Land zu hoffen“. Die brabanter Stände aber, mit den Holländern zu Antwerpen versammelt, erklärten ihrem Herzog: „Seine Ritterehre fordere es, die Erblande der Herzogin zu retten und zu schützen wie seine eigenen, und sie wollten ihm beistehn mit Gut und Blut.“ Noch im Juni 1418 setzten sich zwei Heere gegen Dortrecht in Bewegung, ein brabanter und ein holländisches. Die mächtige Stadt wurde mit Blockhäusern umzingelt, deren Wälle man mit Wurfmaschinen besetzte. Allein die Dortrechter spotteten aller Anstrengung der Belagerer. Fort und fort machten sie glückliche Ausfälle. Die Belagerung zog sich von einer Woche in die andere. Die Brabanter wurden schwierig, erlitten eine harte Niederlage und zogen ab. Nach und nach folgten ihnen holländische Mannschaften. Zuletzt erstürmte Johann von Baiern am 8. August auch die Hauptverschanzung der Hoeks und ihre Tapfersten fielen bis auf den letzten Mann.

Nun entfalteten die Dortrechter und andere Kabeljaus siegreich ihre Flagge auf allen Gewässern. Rotterdam ging an sie verloren und sie griffen immer weiter. J., verlassen von ihrem Gemahl und seiner Hülfe, vertheidigte sich mit ihren Hoeks Schritt für Schritt. Die Parteien hatten sich ineinander verbissen wie wilde Thiere und unter ihren grimmen Streichen seufzte und blutete das ganze Land. Da legte sich der burgunder Vetter, den man später Philipp den Guten d. h. den Tüchtigen nannte, ins Spiel und ließ nicht ab, hin und her zu reisen und zu vermitteln, bis zu Workum die Häupter zusammen kamen und am 13. Febuar 1419 den allgemeinen Frieden siegelten. Johann von Baiern erhielt zu seinen Eigenlanden noch Dortrecht, Rotterdam, Gorkum und andere Herrschaften, das Erbrecht auf Jacobäa’s übrige Lande, falls sie kinderlos sterbe, und außerdem volle Regierung auf fünf Jahre zugleich mit ihrem Gemahl, der sofort für seinen Theil auf die Mitregentschaft für drei Jahre verzichtete. Dafür gab Johann die Rechte preis, die er vom Kaiser erworben und lieferte dessen Belehnungsbriefe aus. J. hatte nichts gerettet als die Ehre und das nackte Recht.

J. mußte nun ihrem Gemahle folgen an den brabanter Hof. Dieser aber war längst eine Stätte von Gelagen und Ausschweifungen, von Lärm und Verschwendung ohne Ende. Eine Schaar verderbter junger Edelleute bildete des Herzogs Umgebung, von welcher er sich, bleich und blöde in seinem ganzen Wesen, wie ein Verstandesschwacher leiten ließ. Hauptanstifter war der Hofmarschall T’Serclaes, ein harter ränkevoller Mann, dessen schöne Frau Laurette um den achtzehnjährigen Fürsten ihre Netze warf. Er warf alle Anhänger Jacobäa’s aus den Hofämtern, und als sie ihre Hofdamen, die geliebten Gefährtinnen ihrer Kindheit, nicht lassen wollte, beschloß er sie auszuhungern. Er ließ ihnen weder Speisen noch Getränke zukommen und als bei der festlichen Hoftafel zu Ostern 1420 J. sich mit ihren Damen niederließ, wurde sie selbst auf das Köstlichste bedient, die armen Holländerinnen aber saßen vor leeren Gedecken und es war zum Gespötte des ganzen Hofes, bis sie fortgingen. J. wollte auch hinweg, kein Wagen, kein Zelter erschien. Da ging sie zu Fuße fort und laut weinend durch die Straßen Brüssels, daß es alle Frauen erbarmte und in den Männern der Zorn kochte über den blutigen [564] Schimpf, welchen man der schönen jungen Fürstin anthat. Die brabanter Landstände kamen eilends in Löwen zusammen, J. trat vor sie hin und rief sie an als Vertheidiger ihres Rechts und ihrer Ehre. Die Versammlung stimmte ihr zu. Ein neuer Heereszug nach Holland wurde beschlossen; denn dort bedrängte Johann von Baiern die Hoeks so sehr, daß sie aufs Neue sich kriegerisch wider ihn verbündeten. Allein die Brabanter kamen nur bis Gertrudenberg an der Grenze, welches die Macht der Kabeljaus belagerte. In achttägigen Gefechten beständig zurückgeworfen, hielten sie es fürs Beste, wieder abzuziehen. Dies geschah zu Ende des Octobers 1420. Wehrlos zog sich J. nach dem Hennegau zurück. Johann von Baiern aber trug seine kriegerischen Waffen nach Friesland, und in zwei Feldzügen eroberte er, was noch keinem Fürsten gelungen, die Herrschaft über die Friesen. In Brüssel hatten sich des Herzogs Genossen heimlich wider Volksfreiheit verschworen und ließen durch Rittervolk vom Rheine die Stadt überrumpeln. Da erhuben die Zünfte einen Aufstand nach dem andern und ruheten nicht eher, bis alle die Adligen und Patricier, welche Jacobäa’s erklärte Feinde und in die Verschwörung verwickelt gewesen, das Blutgerüste bestiegen.

J. war jetzt voll Verachtung und Abscheu gegen ihren bleichen halbblöden Gemahl erfüllt. Sie ließ sich von Doctoren des Rechts Gutachten geben über die Rechtmäßigkeit ihrer Ehe, und da diese nicht zu deren Gunsten lauteten, berief sie die Hennegauer Stände und erklärte ihnen am 16. Februar 1421, daß und warum sie ihre Ehe für nichtig halte und sich scheide von Johann von Brabant. Aufs Höchste erschrocken setzten ihr Vetter Philipp und ihr Oheim Johann Himmel und Erde in Bewegung. Umsonst, J. beharrte bei der eigenmächtigen Scheidung, und die Schwere der Schuld, welche sie damit auf sich lud, trieb weiter auf verhängnißvolle Bahnen. Als sie erfuhr, burgundische Mannschaft rücke heran, sie zu fangen, flüchtete sie heimlich nach England, wo die schöne Schutzflehende mit Freuden und glänzenden Ehren empfangen wurde. J. trat förmlich unter die Vogtei des Königs, dieser aber, der glorreiche Heinrich V., bestimmte ihr zum Gemahl seinen jüngsten Bruder Humfried von Glocester, bei dessen Gedenken ihr leidenschaftliches Herz zitterte in Wonne und Erregung. Denn Humfried, damals im dreißigsten Lebensjahr, war wie ein heller Strahl in der Schlacht und im Festsaal der gefeiertste Ritter. Wo er erschien, fesselte er durch das Adlige und Hinreißende seines Wesens. Für die Philosophie und Dichtkunst der Alten begeistert war er stets umringt von Gelehrten, die ihm ihre Werke widmeten. Herzog Philipp von Burgund aber erklärte: das sei ein blutiger Schimpf für ihn, den er nicht geduldig hinnehme, koste es was es wolle; denn Humfried habe seine Schwester heirathen sollen und J. habe ihren Gemahl, der ein Prinz des burgundischen Hauses sei, schmählich verlassen. Darüber blieb Jacobäa’s Angelegenheit ein Jahr und länger in der Schwebe. Denn die Engländer standen erobernd auf französischem Boden und die burgundische Macht war ihr bester Verbündeter. Unfehlbar war Frankreich verloren und zerrissen, wenn Beide zusammenhielten, – gerettet, wenn England und Burgund sich feindlich gegenüber traten. In der römischen Curie wurde Jacobäa’s Ehefrage noch immer untersucht, in London aber traten, wie aller Orten, Adel und Volk auf ihre Seite, und, was nicht wenig für sie und ihre Sache sprach, auch die Frauen. Als der König starb, veröffentlichte Humfried ein Gutachten von englischen Gelehrten, daß Johann von Brabant niemals Jacobäa’s ehelicher Gemahl gewesen, vollzog mit ihr seine Vermählung am 30. October 1422 und begann sofort Flotte und Heeresmacht auszurüsten, um ihre Lande zu erobern. Jauchzend schaarten sich die englischen Ritter zu seinen Bannern. In den Niederlanden herrschte Furcht und Schrecken vor einer Landung der gewaltthätigen Engländer und Philipp erwarb sich für die wuchtige [565] Hülfe, welche er den Fürsten von Brabant und Holland verschaffte, die Zusage der Nachfolge in ihre Lande, da sie selbst kinderlos. Humfried aber wußte er in England selbst zahllose Fesseln und Hindernisse zu bereiten, bis dieser endlich sich herbeiließ, sich einem Schiedsspruche von Räthen und Doctoren, die von seinem älteren Bruder Bedford, dem Regenten, und von Philipp ernannt sich im Februar 1424 zu Paris versammelten, zu unterwerfen. Da stritten nun zwei Fürsten, welche dieselbe Frau geheirathet, mit Rechtsgründen darum, wem sie gehöre, und der Endentscheid ging dahin: der Papst müsse den Proceß in Bezug auf den Besitz, wer sie besitzen dürfe, und sodann in Bezug auf das Recht wer sie behalten dürfe entscheiden, bis dahin sei jedes thatsächliche Vorgehen untersagt. Humfried und J. warteten nun wieder bis zum Herbst, dann aber erklärten sie: bis das römische Urtheil erscheine, könnten sie alt und grau werden, und fuhren mit fünftausend Mann und dreihundert Ritern hinüber nach Calais, marschirten eilig nach dem Hennegau und ließen sich dort huldigen unter Freuden und Frohlocken der Bewohner. Nun gerieth Alles in Bewegung, die Hoeks kamen in hellen Haufen gezogen, und da sie ihres furchtbarsten Feindes, Johann von Baiern, nicht Herr werden konnten, ließen sie ihn vergiften. Sein vertrauter Hofmarschall, der Jacobäa’s natürliche Schwester und Anhängerin zur Frau hatte, strich ihm Gift ans Gebetbuch, in Folge dessen der Herzog am 6. Januar 1425 starb.

Mit einer Erbitterung ohne Gleichen traten sich jetzt Philipp und Humfried entgegen, Beide glühend von Ruhmsucht, der Eine ein glänzender Ritter, der Andere ein tiefschlauer Staatsmann und gehärteter Egoist. Philipp ließ ein allgemeines Aufgebot ergehen, gleich als wäre Humfried ein Feind der Christenheit. Man sprach von mehr als hunderttausend Mann, die sich aufmachten. Darüber schrieb dieser einen zornigen Brief an Philipp und erhielt die Aufforderung zum Zweikampf zur Antwort. Natürlich nahm er an, Leib gegen Leib wollten sie mit dem Degen Jacobäa’s Sache ausfechten. Diese erhielt damals den Namen Dame Jacques la desirée. Während aber Beide große Anstalten machten zum öffentlichen Zweikampf am nächsten St. Georgstag, wurde Humfried von Philipp’s Vertrauten, die in England das Heft in Händen hatten, abgerufen und dort durch allerlei festgehalten, daß er nicht wieder übers Meer kommen und sich in St. Omer gegen Philipp stellen konnte. J. war in Mons, der Hauptstadt des Hennegau, geblieben, die jetzt von einem gewaltigen Heer der Brabanter und Burgunder belagert wurde. Die Bewohner hatten gelobt, die Fürstin wie ihr Kleinod zu beschützen, die Vornehmen hielten auch standhaft die Treue, als aber der Hunger in die Häuser einzog, da hörten die Zünfte auf des Burgunders gleißende Anerbietungen und lieferten ihm Stadt und Fürstin aus. „Euer leidvolles und geliebtes Kind, das unsäglichen Schmerz leidet um Euretwillen“ – so schließt ein Jammerbrief, den J. am 6. Juni an Humfried um Hülfe und Rettung schrieb. Acht Tage später war sie Philipp’s Gefangene auf dem Gravenstein, einer alten Burg in Philipp’s Stadt Gent. Vergebens ließ sie in Rom ihren Proceß betreiben, die Kardinäle verhandelten noch darüber, ob erst das Recht zum Besitze der Frau, oder erst das Recht der Ehe, oder beides zugleich zu entscheiden.

Da aber das englische Parlament jetzt anfing, der Gefangenen sich anzunehmen. dachte Philipp sie nach Lille zu schaffen, um sie dann hinter den Mauern eines Schlößchens in Savoyen verschwinden zu lassen. J. erfuhr, daß ihr wenig anderes als ewiges Gefängniß bevorstehe, da fand ihr erfinderischer Geist Mittel, sich mit den Hoeks in Holland in Verbindung zu setzen. Zwei Ritter kamen als gewöhnliche Handelsleute mit Packpferden nach Gent und ließen Jacobäa’s Mädchen Knabenanzüge zustecken. Als junge Pagen verkleidet entwichen Beide am Abend des 31. August 1425, während man die Fürstin in der geheizten Badkammer glaubte, aus [566] der Burg, gingen vorsichtig durch die Straßen, bis sie vors Thor kamen, wo die Freunde mit den Rossen harrten. Nun ritten sie spornstreichs Tag und Nacht und auf heimlichen Wegen, bis als der vierte Morgen dämmerte, J. in Holland war und vor dem Burgthor eines erprobten Freundes, des Ritters von Vyanen, anklopfte und alsbald im prangenden Geleite zu Schiffe nach Schoonhoven, Gouda, Oudewater fuhr, den wohlverschanzten Waffenplätzen der Hoeks. „Vrouw Jacoba wieder da!“ Das flog wie Lauffeuer durch Städte und Dörfer, aus allen Verstecken kamen die Hoeks lachend hervor und drängten sich, der bewunderten Fürstin Blut und Leben anzubieten.

Jetzt begann in Holland ein dreijähriges unaufhörliches Stürmen und Streiten, wie es grimmiger, blutiger, verheerender niemals gesehen war. Sechs große Heerzüge, mehrmal von 20,000 Mann, führte der reiche Burgunder nach Holland, J. machte fast all seine Anstrengungen zunichte. Sie eröffnete sofort den großen Kampf mit einem glorreichen Sieg bei Alfen im October 1425. Im nächsten Januar erschien eine englische Flotte mit trefflich ausgerüstetem Heere, das in der Mordschlacht bei Brouwershaven erschlagen wurde. Gleich nach dieser Niederlage, die man für entscheidend hielt, kam das Urtheil von Rom: J. solle bei dem verwandten Herzog von Savoyen, welchen der Papst zum Sequestrator ernenne, in Verwahr bleiben, bis das Endurtheil in ihrer Ehesache gesprochen sei. Humfried wurde wieder durch die feinsten Ränke und Verstrickungen in England zurückgehalten und suchte Trost in den Armen der schönen und geistvollen Eleonore von Cobham, einer Hofdame Jacobäa’s, die er aus dem Hennegau mit sich genommen. Der Kaiser hatte mit Türken und Hussiten zu thun und konnte die niederländischen Reichslande nicht schirmen vor der burgundischen Habgier. Von aller Welt außer ihren treuen Hoeks verlassen hielt die Muthige aus. Ihr männlicher Geist erkannte auf der Stelle was zu thun und blitzschnell war die Ausführung, sie war fast überall dabei, in jeder Schlacht ihr Banner in der Hand. Nach ihrem zweiten Siege bei Alfen knieeten die sieben Tapfersten um sie her und empfingen den Ritterschlag. Philipp wußte nichts anderes zu thun, als die Hoeks hinzurichten und auszurotten wo er ihrer habhaft werden konnte, ihr Gebiet mit Blockhäusern und festgeankerten Kriegsschiffen zu umzingeln und J. langsam ein Stück Landes nach dem andern zu entwinden, das er dann sofort mit dichtem Kriegsvolk besetzte. Als er ihre holländischen Hülfsquellen zerstört hatte, rief sie die friesischen Bauern zum Kampfe und wußte sie aufzuregen, daß die eisernen Herzen sprüheten vor Grimm und Feuer. Als diese Bauern unter der burgundischen Uebermacht zerstampft und zertreten lagen, warf sie den Krieg über das ganze Utrechter Land. Philipp zählte ebensoviele Niederlagen als Siege. Als endlich das päpstliche Haupturtheil am 9. Januar 1429 erfolgte, daß Jacobäa’s Ehe mit dem Brabanter gültig, jede andere bei seinen Lebzeiten nichtig sei, verlangte Philipp von ihr nur noch dies Eine, daß sie mit Humfried breche. Sie aber wäre lieber hundertmal gestorben und schrieb die rührendsten Briefe nach London an den König. „Um Gottes willen erbarmt Euch des leidvollen Lebens, das mich in meinen Jugendtagen mein Vetter von Burgund rechtlos erdulden läßt.“ Das Mitgefühl der Engländer regte sich wieder. Eine große Schaar angesehener Frauen drang eifernd ins Parlament und klagte Humfried an, daß er in öffentlicher Schande mit einer Buhlerin lebe und sein heldenmüthiges Weib in Kummer und Bedrängniß verderben lasse. Der Adel sammelte ein neues von 6000 Mann zur Ueberfahrt nach Holland. Da – heirathete Humfried die Cobham, dieselbe, die später ihrer schwarzen Künste wegen verurtheilt mit bloßen Füßen, eine pfundschwere Kerze in der Hand, durch die Straßen Londons in ewiges Gefängniß ging.

Als die unglaubliche Nachricht von Humfried’s Heirath sich bewährte und das für sie vom englischen Adel ausgerüstete Heer, ihre letzte Hoffnung, [567] nach Frankreich ging, brach Jacobäa’s Muth. Sie schloß zu Delft am 3. Juli 1429 mit Philipp einen Frieden, der allen Hoeks Rückkehr und Eigenthum, ihr selbst aber ihre Erblande sicherte, jedoch mußte sie Philipp als ihren Erben und auf so lange, bis sie sich mit seiner Genehmigung wieder verheirathe, als Mitregenten anerkennen. Der furchtbare Krieg war beendet. Er hatte zwei wichtige Folgen. Er rettete Frankreich: dieses erhielt Zeit, sich zu sammeln, während Burgunder und Engländer ihre Anstrengungen auf Holland richteten, und als J. ihre strahlenden Waffen niederlegte, nahm ein halbes Jahr später die Jungfrau von Orleans sie wieder auf. Den Hoeks aber zerstörte der Würgekrieg Macht und Muth, sie mußten Frieden geben, und es gewann Oberhand der Gedanke des liberalen Bürgerthums, daß es am besten sei, wenn der Herzog von Burgund, den man den „großen Kabeljau“ nannte, alle Niederlande unter einem Fürstenhut vereinige.

J. regierte nun einige Jahre ihre Erblande in friedlichem Einverständniß mit Philipp. Ihr liebster Aufenthalt war die seeländische Insel Südbeveland, wo es ringsum stille war und sie den tröstenden Anblick des ruhig gewaltigen Meeres vor Augen hatte. Dort hatte auch seine Heimath Philipp’s getreuester Anhänger, der mächtige Herr von Borsselen. Hohe ritterliche Gestalt, ein fröhliches und tapferes Herz, ruhiges Blut und weitsichtiger Verstand waren sein Erbtheil von Natur. Große Reichthümer und berühmte Ritterfahrten – er war in seiner Jugend bis zum heiligen Grabe gewesen – erhöhten den Ruhm seines erlauchten Geschlechts. Philipp hatte ihn zu seinem Statthalter bestellt, da sah er zu oft die Fürstin und beide faßten eine tiefe Neigung zu einander. Im J. 1432, als in England und allen Niederlanden Haß und Aufruhr wider den stolzen Burgunder sich regte, vermählte sich J. heimlich mit Borsselen, sie die junge Löwin der hoekischen Partei und er der Vornehmste der Kabeljaus, damit beide Parteien nun ein einziges Haupt erhielten. Als der wachsame Vetter Philipp davon Wind bekam, erschien er zu Ende des Octobers im Haag zum Besuche, war voller Liebenswürdigkeit und saß mit seiner schönen Base zur Tafel herrlich und in Freunden. Als des Abends Borsselen, wie es Sitte war, ihn bis an seine Gemächer geleitete, wurde er plötzlich ergriffen, in ein bereit stehendes Schiff gebracht und zum fernen Kerker geführt. Wollte J. den Geliebten lebend wiedersehen, mußte sie auf all ihre Lande zu Gunsten ihres burgunder Vetters verzichten. Dies geschah feierlich und förmlich am 12. April 1433, sie behielt sich, außer freier Jagd in allen Landen des Vetters, ein artiges Fürstenthum bevor und für Brosselen den Titel Erbprinz von Holland. Als nun ihre Abdankung vollzogen war, als nun Ruhe und Entsagen für immer ihr Loos geworden, erblichen rasch ihre Kräfte. Schwindsucht befiel sie, der Feuergeist hatte die zarte liebliche Hülle verzehrt. Sie lebte noch viertehalb Jahre und starb, nachdem sie ein wohlthätiges Testament gemacht, auf ihrem Schlosse zu Teylingen.

Jakobäa und ihre Zeit. Acht Bücher niederländischer Geschichte von Franz v. Löher. 2 Bände. Nördlingen, Beck 1862. 1869.