ADB:Morus, Samuel Friedrich Nathanael

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Morus, Samuel Friedrich Nathanaël“ von Gotthard Lechler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 342–344, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Morus,_Samuel_Friedrich_Nathanael&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 17:19 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Morus, Alexander
Band 22 (1885), S. 342–344 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Samuel Friedrich Nathanael Morus in der Wikipedia
Samuel Friedrich Nathanael Morus in Wikidata
GND-Nummer 116935391
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|22|342|344|Morus, Samuel Friedrich Nathanaël|Gotthard Lechler|ADB:Morus, Samuel Friedrich Nathanael}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116935391}}    

Morus: Samuel Friedrich Nathanaël M., einer der ehrwürdigsten Theologen des 18. Jahrhunderts, ist geboren zu Lauban am 30. November 1736. Sein Vater war Cantor und vierter Hauptlehrer am dortigen Gymnasium; er selbst machte alle Klassen der Anstalt durch, und bereitete sich für das Universitätsstudium vor, indem er bis zum 19. Jahr im elterlichen Hause blieb. Im J. 1754 bezog er die Universität Leipzig in der Absicht, sich später dem Beruf seines Vaters zu widmen. Hier hörte er mit gewissenhaftem Fleiß philologische, philosophische und theologische Vorlesungen. Am meisten unter allen seinen Lehrern zog ihn Joh. August Ernesti an, welcher während der Studienzeit von Morus noch Professor der classischen Litteratur und der Beredsamkeit war. Seine, laut der eigenen Aufzeichnungen von M., „unnachahmliche Methode und sein wahrhaft bildender Vortrag“ dienten ihm zu nachhaltiger Anregung und zum Muster, während er zu Ernesti selbst schon als Student in persönlichen Verkehr trat, sodaß dieser dem begabten Schüler, der ihn besser als irgend ein anderer verstand, sein Leben lang ein treuer Gönner und Freund blieb. Nach vollendetem Triennium war M. einige Jahre lang Privatlehrer des späteren Magisters Auftel; sodann übernahm er die Unterweisung der zwei Söhne des Professors der Medicin, Dr. Ludwig. Das Leben in der Familie des Professor Ludwig diente ihm gleichzeitig zu einer Schule seiner Lebensart. Sowohl Dr. Ludwig als sein väterlicher Freund Ernesti erkannten, daß M. hervorragende Gaben für die akademische Laufbahn besitze, und bewogen ihn, den Plan aufzugeben, den er bis dahin festgehalten, sich um ein Schulamt zu bewerben, vielmehr sich an der Universität zu habilitiren. M. ging darauf ein, wurde 1760 Magister und habilitirte sich 1761 bei der philosophischen Facultät. Nun hielt er Vorlesungen über lateinische und griechische Klassiker, welche Beifall fanden. Von Seiten der Universität wurde ihm schon 1763 eine Collegiatur im großen Fürstencollegium zu Theil, 1768 wurde er zum außerordentlichen, und 1771 zum ordentlichen Professor der griechischen und lateinischen Sprache ernannt. Von jetzt an erklärte er aber in seinen Vorlesungen auch die Bücher des Neuen Testamentes, die er sämmtlich, mit einziger Ausnahme der Offenbarung Johannis, behandelte. Zehn Jahre lang war M. als ordentlicher Professor der College seines Lehrers und Freundes Ernesti gewesen. Als letzterer 1782 starb, wurde er sein Nachfolger, als vierter Professor in der theologischen Facultät. Man erkannte ihn für den würdigsten, geistesverwandtesten Schüler des verdienten Mannes. In der Facultät rückte M. 1785 zur dritten, schon 1786 zur zweiten Professur auf, erhielt die mit dieser Professur verbundene Domherrnstelle am Hochstift zu Meißen und wurde 1787 zum Mitglied des [343] Leipziger Consistoriums ernannt. Hiemit hatte er die höchste Stufe der Ehrenstellen erreicht, die ihm zu Theil wurden. Als akademischer Lehrer war Morus überaus beliebt und wirksam. Ernesti, vormals sein Lehrer, war das Vorbild, dem er nacheiferte, jedoch ohne auf seine Selbständigkeit zu verzichten. Er hat z. B. die Grundsätze des der Mystik zugeneigten Chr. August Crusius, welcher gleichfalls sein Lehrer gewesen, dankbar verwerthet, ungeachtet sonst zwischen Ernestianern und Crusianern eine Kluft befestigt schien. Als Exeget kam ihm die exacte philologische Schulung und die Unbefangenheit des Geistes, welche er Ernesti verdankte, außerordentlich zu statten. Um seines gründlichen Sprachstudiums willen wurde er auch im Ausland, z. B. von gelehrten Franzosen und Engländern, hoch geachtet. Auf dem Katheder war sein Vortrag nicht sehr lebhaft, aber ungemein angenehm, seine Darstellung schlicht und faßlich, klar und präcis, gebildet und geschmackvoll. Eine besondere Gabe der Zergliederung und Analyse, der stetig fortschreitenden Entwicklung des Sinns und Zusammenhangs, wohnte ihm bei, während er es planmäßig darauf abgesehen hatte, seine Hörer zu selbständiger Analyse und Schriftauslegung heranzubilden. Auf dem Gebiet der Exegese war Morus einer der Ersten, welche Sinn und Verständniß besaßen für die Individualität und die selbständige Geistesart der einzelnen biblischen Schriftsteller, namentlich des Paulus und Johannes, und in die Erkenntniß der verschiedenen apostolischen Lehrtropen einzuführen wußten. Besonders geschätzt waren seine Vorlesungen über christliche Moral, in denen er namentlich Principien und Gedanken von Crusius sich aneignete. Diese Vorlesungen hielt er nicht mit kühler Objectivität, sondern mit herzlicher Wärme. Doch nicht blos mit dem lebendigen Wort, sondern auch schriftlich und literarisch für weitere Kreise wirkte M. als Exeget, zunächst durch Universitätsprogramme, die er lateinisch zu schreiben hatte, und die er gesammelt herauszugeben 1789 anfing: „Dissertationes theologicae et philologicae“, während ein zweiter Band 1794 nach seinem Tode durch seinen Collegen K. Aug. Gottlieb Keil herausgegeben wurde. Abgesehen von einer Abhandlung über Euripides Phönicierinnen, welche theils der Textkritik, theils der Kritik des Inhalts gewidmet ist, beschäftigt sich M. in den übrigen Dissertationen mit theologischen Gegenständen, theils mit Fragen der Auslegungskunst und Methode, theils mit Erklärung einzelner neutestamentlicher Aussprüche oder Abschnitte, theils mit apologetischen, dogmatischen und ethischen Fragen; indessen fehlt es auch nicht an Erörterung von Rathschlägen, welche in die praktische Theologie eingreifen. In den zweiten Band ist auch sowohl die Dissertation pro magisterio von 1761, über die Verwandtschaft der Geschichte und Beredsamkeit mit der Poesie, als die Antrittsrede aufgenommen, welche er als außerordentlicher Professor der Philosophie 1768 über die Nothwendigkeit gehalten hat, nicht nur gründliche Wissenschaft, sondern auch Liebe zur Wahrheit zu erzielen. Eine christliche Glaubenslehre hat M. unter dem Titel: „Epitome theologiae christianae“, erstmals 1789 herausgegeben; bis 1799 erschienen 4 Auflagen, die letzte (fünfte) 1820; deutsch bearbeitet wurde das Buch von Heynatz 1794, von Schneider 1795, in schwedischer Sprache erschien das Werk auszugsweise 1810, während ein exegetisch-historischer Commentar zur Epitome 1797 von K. A. Hempel lateinisch herausgegeben worden ist. Seine Glaubenslehre entspricht, was keineswegs zu verwundern ist, den heutigen Ansprüchen nicht, weder in Betracht des Standpunktes, den sie einnimmt, noch in Betracht der wissenschaftlichen Verarbeitung und Methode. In letzterer Hinsicht ist Schärfe und systematische Haltung zu vermissen; in ersterer Hinsicht ist es ein durchgreifender Mangel, den M. mit seiner Zeit theilt, daß das Christenthum wesentlich als Lehre aufgefaßt wird, das christliche Leben als Ausdruck der innewohnenden „Lehre“ (nicht des innewohnenden Glaubens), Christus als [344] Lehrer und Führer, nebenbei als Erlöser (Jesus Christus dux idemque servator). Damit hängt zusammen, daß ihm als Frucht des Christenthums sittliche Besserung (nicht Wiedergeburt) und Seelenruhe (tranquillitas, nicht Friede mit Gott und gewisse Hoffnung des ewigen Lebens) gilt, Beweis genug, daß hier das specifisch Christliche schon bedeutend verflacht ist. Als Prediger wurde M. sehr geschätzt. Zwar hatte er eine schwache Brust, aber seine Predigten waren gründlich, bündig und körnig, und da sie mit Herzenswärme vorgetragen wurden, so übten sie eine bedeutende Anziehungskraft. Er selbst gab 1786 eine Sammlung von Predigten heraus; und nach seinem Tode ließ der vorhin genannte Prof. Keil drei Bände seiner nachgelassenen Predigten 1794–97 im Druck erscheinen.

M. war eine Persönlichkeit von harmonisch durchgebildetem Charakter, von edlem sittlichem Gleichgewicht, reinstem Wohlwollen, und bei all seinem gewissenhaften Gelehrtenfleiß, seiner angesehenen akademischen Wirksamkeit und theologischer Auctorität, die er unbestritten besaß, von der lautersten Demuth und Bescheidenheit. Sein Wahlspruch war: Hoffnung! Kein Wunder, daß, als der edle Mann, noch ehe er das 56. Lebensjahr erfüllte, nach kurzem Unwohlsein, am 11. November 1792 sanft und schmerzlos entschlafen war, eine allgemeine Trauer, an welcher Menschen der verschiedensten Stände sich betheiligten, durch Leipzig ging, wie etwas ähnliches seit Gellert’s Tod 1769) nie mehr sich ereignet hatte. Am folgenden Morgen (nicht erst drei Tage nach dem Tode, Theol. Real-Encyklopädie 2. Aufl. 1882, X S. 297) hielt Christian Daniel Beck, ord. Prof. der griech. und lat. Litteratur, in seiner regelmäßigen Vorlesung über Geschichte und Kritik des N. T., eine treffliche lateinische Rede zum Ehrengedächtniß von M., die auf vielfaches Verlangen sofort gedruckt wurde. Die Wittwe, Johanna Christiane geb. Siegel, Tochter eines Leipziger Handelsherrn, hat ihn fast 30 Jahre überlebt.

Die sämmtlichen Abhandlungen und Schriften von M., philologischen und theologischen Inhalts sind aufgeführt in Meusel’s Lexicon. Noch im Todesjahr gab Voigt „einen Beitrag zur Characterzeichnung des unsterblichen Mannes“ heraus. Im J. 1793 erschien das Schriftchen von Dr. J. G. Ch. Höpfner, außerord. Prof. der Philosophie: über das Leben und die Verdienste des verew. M. Noch ist zu erwähnen Weiße, Musaeum (sic) für sächsische Geschichte, Bd. I, S. 16 ff.