ADB:Kütner, Karl August
Ernesti’s Empfehlung eine Stelle als Hofmeister in der Nähe von Moskau bei einem vornehmen Russen erhielt. Als er nach einem Jahre seine Stellung aufgegeben hatte und in die Heimath zurückkehren wollte, empfing er eine Berufung an die Mitau’sche Stadtschule, deren Rector er bald darauf wurde. Im Jahre 1775 ernannte ihn Herzog Peter von Kurland zum Professor der griechischen Sprache und Litteratur an der neu gestifteten Academia Petrina. In dieser Stellung hat er bis zu seinem Tode gewirkt, beliebt als Mensch und Lehrer; an den politischen Bewegungen Kurlands in jener Zeit hat er nur wenig theilgenommen. Um die literärische Kultur seiner zweiten Heimath hat er sich mannigfach verdient gemacht. Die von ihm herausgegebene, leider aus Mangel an Unterstützung bald wieder eingegangene, Mitausche Monatsschrift 1784 und 85 sollte ein Mittelpunkt der literärischen Bestrebungen Kurlands sein, sie enthält manche, auch jetzt noch beachtenswerthe Beiträge. Als Dichter ist K. mehrfach in die [443] Oeffentlichkeit getreten. Noch in Leipzig veröffentlichte er 14 Oden, Mitau 1773, ganz im Klopstock’schen Stil und gar nicht ohne Spuren poetischer Empfindung. In Mitau hat er viele Gelegenheitsgedichte und Cantaten bei festlichen Gelegenheiten verfaßt. Die bedeutendste seiner poetischen Produktionen ist die „Kuronia oder Dichtungen und Gemälde aus den ältesten kurländischen Zeiten“, 1791; in zweiter um das Doppelte vermehrter Ausgabe 1798, 2 Bände unter dem Titel „Kurona“ erschienen. Alle Gedichte der Sammlung sind in Hexametern verfaßt und trotz der Weitschweifigkeit und des mehr lyrischen als epischen Stils sind manche Stücke nicht ohne poetisches Verdienst. Am bekanntesten aber hat sich in seiner Zeit K. als Uebersetzer und als Literärhistoriker gemacht. Seine Uebersetzungen der Iliade, 2 Bde., 1771 und 1773, des Theokrit, 1772, der Argonautika des Orpheus, 1773, des Musäus 1773 u. a. sind alle in Prosa verfaßt. Sie müssen damals viel Beifall gefunden haben, da alle eine zweite Ausgabe erlebt haben. Die Uebersetzung der Iliade ist, abgesehen von einigen seltsamen Wortbildungen, sehr fließend und giebt den Ton der Homerischen Erzählung, soweit es in Prosa möglich ist, oft nicht übel wieder. Die Uebersetzung des ersten Buches der Horazischen Oden 1772 ist dagegen steif und verunglückt. Am meisten litterarischen Ruf hat sich wol K. durch seine „Charaktere deutscher Dichter und Prosaisten, von Karl dem Großen bis aufs Jahr 1780“, Berlin 1781, 2 Bdchn., gemacht. Es ist der, wenn auch noch sehr unvollkommene erste Versuch einer ästhetischen Behandlung der deutschen Litteraturgeschichte, statt der bisherigen rein biographischen und bibliographischen Behandlung. Durch bloße Aneinanderreihung der einzelnen Charakteristiken ist der historische Zusammenhang ganz aufgelöst und die Einleitungen, die der Verfasser im Gefühle dieses Mangels den einzelnen Perioden vorausgeschickt hat, bieten doch nur einen schwachen Ersatz. Die einzelnen Charakteristiken sind bei der großen Menge der zu charakterisirenden Schriftsteller oft mehr schematisch oder gesucht, als bezeichnend und sachentsprechend. Der Standpunkt der Beurtheilung ist durchweg der der Literaturbriefe oder noch mehr der Leipziger Bibliothek der schönen Wissenschaften. Klopstock und Lessing sind die eigentlichen Höhepunkte der deutschen Litteratur; Goethe und Herder finden nur eine bedingte, mit vielem Tadel verbundene Anerkennung. Doch fehlt es auch nicht an manchen richtigen Urtheilen und treffenden Bemerkungen, namentlich bei den älteren Dichtern. Das Buch hat eine nicht unbedeutende Wirkung ausgeübt und manche später verbreitete litterarhistorische Urtheile gehen direct oder noch mehr indirect auf K. zurück.
Kütner: Karl August K., geb. am 30. Novbr. 1749 zu Görlitz, † am 1. Januar 1800 zu Mitau. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt besucht, studirte K. in Leipzig bis 1772 und ging dann nach Rußland, wo er auf