ADB:Bartenstein, Johann Christoph Freiherr von

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Artikel „Bartenstein, Johann Christoph“ von Alfred Ritter von Arneth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 87–93, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bartenstein,_Johann_Christoph_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 15:20 Uhr UTC)
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Bartenstein: Johann Christoph Freiherr von B., geb. im J. 1689 zu Straßburg, † zu Wien 6. Aug. 1767. Schon während seiner Studienzeit, welche der junge B. zu Straßburg zubrachte, wo sein Vater Doctor und Professor der Philosophie, zuletzt Rector des Gymnasiums war, that er sich frühzeitig durch ganz ungewöhnliche Lernbegierde und Kenntnisse hervor. Recht und Geschichte waren die Fächer, die er mit Vorliebe betrieb, doch auch in andern Zweigen des Wissens, insbesondere den Sprachen, von denen er außer dem Deutschen das Lateinische und das Französische bis in sein spätestes Lebensalter mit Fertigkeit sprach und schrieb, war er wohl bewandert. Im J. 1709, somit in seinem zwanzigsten Lebensjahre, verfaßte er eine rechtshistorische Schrift über den Krieg, mit welchem Kurfürst Moritz von Sachsen den Kaiser Karl V. überzog. Der Inhalt derselben ist darum merkwürdig, weil B. die Frage, ob Reichsstände jemals aus irgend welchem Grunde die Waffen wider den Kaiser ergreifen dürfen, unbedingt bejaht und das Verfahren des Kurfürsten Moritz zu rechtfertigen sich [88] bemüht. In dieser Arbeit, welche von streng protestantischen Anschauungen ausgeht und von ihnen völlig durchdrungen ist, entwickelte der junge B. eine so große Belesenheit und so viele geschichtliche und publicistische Kenntnisse, daß sie an der Straßburger Universität großes Aufsehen erregte. Nicht lange nachdem sie im Druck erschienen war, begab sich B. nach Frankreich, wo er trotz seines protestantischen Glaubensbekenntnisses mit den berühmten Benedictinern von Saint-Maur, Bernard de Montfaucon, René Massuet und Charles de la Rue in enge Verbindung trat. Sie versahen ihn mit Empfehlungsschreiben nach Wien, wohin B. im J. 1714 mit der ausgesprochenen Absicht reiste, in den österreichischen Staatsdienst zu treten. Aber die Verhandlungen hierüber zogen sich mehr in die Länge als B. erwartet haben und es ihm erwünscht sein mochte. Es kann wol sein, daß der Inhalt und die Tendenz jener Jugendarbeit ihm zur Erreichung seines Wunsches nicht gerade förderlich war. Auch der Uebertritt zum Katholicismus wurde ohne Zweifel zur Bedingung gemacht und von B. nur mit Widerstreben vollzogen. Erst am Schlusse des J. 1715 scheint eine Vereinbarung erzielt worden zu sein, kraft deren B. mit dem Titel eines kaiserl. Rathes und tausend Thalern Gehalt in den österreichischen Staatsdienst trat. Zwei Jahre später wurde er zum niederösterreichischen Regierungsrathe, im J. 1726 aber zum Hofrathe bei der österreichischen Hofkanzlei ernannt. Im folgenden Jahre, und das war der entscheidende Schritt, durch welchen B. einen maßgebenden Einfluß auf die wichtigsten Staatsgeschäfte erhielt, wurde er dem schwer erkrankten geheimen Staatssecretär Hofrath von Buol beigeordnet, um neben ihm, oder besser gesagt, an seiner Stelle das Protokoll in der geheimen Staatsconferenz zu führen und die Ausfertigungen zu entwerfen, welche durch die gefaßten Beschlüsse nothwendig wurden. Nach dem Tode Buol’s ging dessen Posten definitiv auf B. über. Der Umstand, daß Kaiser Karl VI. mit seinen Ministern fast immer schriftlich verkehrte, machte B. zum Vermittler dieser Verbindung und brachte ihn daher in die nächste Nähe des Monarchen. Ohne zu dem zu greifen, was so oft zur Gunst der Hochgestellten den Weg bahnt, ohne durch Kriecherei sich selbst etwas zu vergeben, sondern nur durch die Ueberzeugung, welche er dem Kaiser von seinem Werthe beizubringen wußte, verstand B. dessen wärmste Zuneigung, sein ganz unbegrenztes Vertrauen zu gewinnen und sie sich stets unverändert zu erhalten. Seine für die damalige Zeit wirklich seltene wissenschaftliche Ausbildung, insbesondere im deutschen Rechtswesen erweckte in dem Kaiser die höchste Meinung von Bartenstein’s Fähigkeiten. Ja selbst dasjenige, was Andere an ihm tadeln zu sollen glaubten, war nicht der Art, daß es dem Kaiser als ein Fehler erschienen wäre. Allzuleicht gerieth B. in jene Spitzfindigkeiten und juristischen Haarspaltereien, welche zu jener Zeit, insbesondere in den Angelegenheiten des Deutschen Reiches den Gegenstand endloser Erörterungen bildeten. Der Kaiser selbst aber fand an derlei Discussionen Geschmack, und er ermüdete nicht, ihnen mit stets sich gleichbleibender Theilnahme durch die verworrensten Wendungen zu folgen.

Muß nun in dem engen Verkehre Bartenstein’s mit dem Kaiser die Hauptursache gesucht werden, daß sein Einfluß auf ihn von Tag zu Tag mächtiger wurde, so trug der Umstand, daß er von nun an in allen wichtigeren Kundgebungen der Staatsregierung fast ausschließlich die Feder zu führen hatte, gleichfalls nicht wenig dazu bei, die Bedeutsamkeit seiner Stellung noch zu erhöhen. Denn wenn auch der Inhalt der Rescripte, welche an die obersten Behörden oder die kaiserlichen Gesandten bei den fremden Höfen ergingen, im wesentlichen durch den Kaiser selbst und die geheime Conferenz vorgezeichnet wurde, so ist es doch leicht begreiflich, daß derjenige, welchem ihre Abfassung ausschließlich vorbehalten war, durch Milderung oder Verschärfung des Ausdruckes, durch Zusätze [89] oder Hinweglassungen auf die Sache selbst mitbestimmend einwirken konnte. Aber auch hierauf beschränkte B. sich nicht. Denn er besaß eine tapfere, starkmüthige Seele, und er war zwar rechthaberisch, aber zugleich überzeugungstreu und von einer Furchtlosigkeit, welche damals an einem Niedriggeborenen doppelt überraschte. Nicht nur in der Conferenz, in welcher blos zu schreiben, nicht aber auch zu sprechen sein Amt gewesen wäre, sagte er seine Meinung gerade heraus und verfocht sie mit Hartnäckigkeit. Auch gegen die fremden Minister am Wiener Hofe that er das Gleiche, und da er dem Kaiser und Oesterreich wirklich ergeben war und mit Nachdruck und Unerschrockenheit eintrat für ihre Ehre wie für ihren Vortheil, wollten die Bevollmächtigten der fremden Staaten, welche oft ganz andere Zwecke verfolgten, nicht gern mit ihm zu thun haben. Denn die Wärme, ja die Heftigkeit seiner Empfindungen gab sich auch in seiner Sprechweise, in der Art seines Verkehres mit Andern kund und trat gegen dieselben, sie mochten noch so hochgestellt sein, oft in einer Weise an den Tag, welche wirklich geeignet war, abzustoßen und zu verletzen.

Das Schroffe und Rechthaberische im persönlichen Verkehre, das B. von den fremden Gesandten zum Vorwurf gemacht wurde und wol hauptsächlich die Veranlassung gab, daß ihre Aussprüche über ihn fast durchgängig ungünstig lauten, mag ihn auch in den Kreisen des höheren österreichischen Adels zu einer sehr unbeliebten Persönlichkeit gemacht haben. Freilich strömten dessen Mitglieder ihm zu, um sich seiner Gunst, und in den vielen Fällen, in denen sie seiner bedurften, seines Beistandes zu versichern. Aber daß sie das thun mußten, konnten sie ihm eben so wenig verzeihen, als daß in den seltenen Fällen, in welchen besonders Hochgestellte aus ihrer Mitte es wagten, B. entgegen zu treten, sie doch immer den Kürzeren zogen. So wurde behauptet, daß der Bischof von Bamberg und Würzburg, Graf Schönborn, durch B. von seinem Posten verdrängt wurde, weil er gewagt habe, ihm in einer Sitzung der geheimen Conferenz zu sagen, seines Amtes sei es zu schreiben und nicht zu reden. Dem Feldmarschall Grafen von Königsegg habe das gleiche Schicksal gedroht, weil er dem Kaiser den Rath gab, „seine militärischen Angelegenheiten lieber seinen Generalen als seinen Schreibern anzuvertrauen“. Nur daß Eugen von Savoyen sich Königsegg’s annahm und der letztere selbst sich eifrig bemühte, B. wieder zu versöhnen, habe ihn vor empfindlicheren Folgen seiner unbedachten Aeußerung gerettet. Und bekannt ist die schroffe Erklärung Bartenstein’s gegen den Herzog Franz von Lothringen, als derselbe in die Abtretung seines Heimathlandes an Frankreich durchaus nicht willigen wollte. „Keine Abtretung, keine Erzherzogin“, rief ihm B. zu, und mit diesem Zauberworte wußte er den Widerstand des Herzogs zu beugen.

Diese Unbeliebtheit Bartenstein’s in den höheren Sphären der Gesellschaft theilte sich nach und nach auch den übrigen Kreisen derselben mit. Denn da er mit Recht als des Kaisers einflußreichster Rathgeber galt, so wurde er bald von der öffentlichen Meinung für Alles verantwortlich gemacht, was unter Karls Regierung geschah. Dieselbe war aber in ihrem letzten Jahrzehnt ebenso unglücklich als sie in ihren ersten zwei Jahrzehnten glücklich gewesen war. Die Hauptschuld hievon wurde nun auf Bartenstein’s Schultern gewälzt, und Viele wiesen darauf hin, wie sein Eintritt in jene einflußreiche Stellung so ziemlich mit dem Zeitpunkte zusammenfiel, in welchem der Glücksstern Karls VI. nach und nach zu erbleichen begann. Insbesondere soll B. den Kaiser zu all den Verhandlungen mit den fremden Staaten, welche gepflogen, zu all den Opfern verleitet haben, welche gebracht wurden, um sie zur Gewährleistung der pragmatischen Sanction zu bewegen, während doch ein Theil dieser Mächte gleich nach des Kaisers Tode dieselbe offen verletzte, der andere Theil aber wenigstens eine Zeit lang unthätig zusah als dies geschah. Es ist daher leicht begreiflich, daß nach dem frühzeitig [90] eingetretenen Tode Karls VI. Jedermann glaubte, mit diesem Ereignisse werde auch Bartenstein’s Schicksal eine ungünstige Wendung nehmen, denn er hatte es bisher nicht verstanden, ja vielleicht gar nicht darnach getrachtet, sich das Wohlwollen der Erbin und Thronfolgerin Maria Theresia zu erwerben. Sie war im Gegentheile sehr übel auf ihn zu sprechen, denn auch sie mochte nicht ganz von dem Gedanken frei sein, der alle Welt beherrschte, B. trage die Hauptschuld an den unheilvollen Ereignissen, von denen das Kaiserhaus und die Monarchie während der letzten zehn Jahre betroffen worden waren. Dennoch sah Maria Theresia ein, daß es unrecht und unklug wäre, sich in dem Augenblicke voraussichtlich großer Bedrängniß der Dienste eines Mannes zu berauben, dessen ganz außergewöhnliche Fähigkeiten und Kenntnisse, dessen felsenfester Charakter und unbeugsame Treue ihr eine kräftige Stütze sein konnten. Als daher B., der sich selbst wol nur wenig Gutes von dem Regierungswechsel versprach, bei seiner ersten Audienz Maria Theresia um Enthebung von seinen Aemtern bat, empfing ihn die Königin zwar noch mit Kälte, entgegnete ihm jedoch, jetzt sei nicht der Augenblick, in welchem er abdanken dürfe. Er solle es sich angelegen sein lassen, fügte sie nicht ohne Schärfe hinzu, so viel Gutes zu thun als er vermöge; Böses zu verüben werde sie ihn schon zu hindern wissen.

Ein sprechender Beweis für Bartenstein’s seltenes Talent, die Menschen für sich zu gewinnen, an deren Gunst ihm wahrhaft gelegen war, ist durch die Art und Weise geliefert, in der er sich Maria Theresia gegenüber benahm. Ohne ihr irgendwie in übertriebener Weise zu schmeicheln, enthielt er sich doch auch mit Sorgsamkeit des Fehlers, in welchen die zumeist hochbetagten Minister allzuleicht verfielen, die jugendliche Königin durch einen in hofmeisterischem Tone gegebenen Rath zu verletzen, sie ihre Unerfahrenheit fühlen zu lassen. Da er sie allzu geneigt sah, ihrem eigenen Urtheile zu mißtrauen, trachtete er darnach, sie mit Selbstgefühl zu durchdringen und sie dazu zu bewegen, auch manchmal unbekümmert um ihre Minister Entschlüsse zu fassen und auszuführen. Hiezu kam noch, daß Bartenstein’s außergewöhnliche Begabung, seine umfassenden Kenntnisse, seine ganz unglaubliche Arbeitskraft die Bewunderung der Königin erregten, die Beweise seiner unerschütterlichen Anhänglichkeit an ihr Haus und an Oesterreich, die er täglich gab, ihm mehr und mehr ihr Vertrauen gewannen. Als er sie endlich zu überzeugen vermochte, daß er allein es gewesen sei, welcher dereinst die ihr verhaßte Heirath mit dem Infanten Don Carlos von Spanien hintertrieb, als er all seine Kraft, alle Energie seines Wesens aufbot, um die Mitregentschaft des Großherzogs von Toscana durchzusetzen, als er darauf drang, daß Maria Theresias jüngere Schwester, die Erzherzogin Marianne, mit Niemand Anderem als dem Prinzen Karl von Lothringen vermählt und dadurch die Gefahr abgewendet werde, welche ihre Verheirathung in ein anderes fürstliches Haus nach sich ziehen konnte, da erkannte alsbald auch Maria Theresia, was sie an B. besaß. So tief durchdrang sie sich mit der Ueberzeugung von seinem seltenen Werthe, daß sie noch nach Jahren die denkwürdigen Worte über ihn niederschrieb: „Muß Ihme die Justiz leisten, daß Ihme allein schuldig die Erhaltung dieser Monarchie; ohne Seiner wäre Alles zu Grunde gegangen“.

In der That waren die Ereignisse, von denen kurz nach der Thronbesteigung Maria Theresias sie selbst und ihre Erbländer heimgesucht wurden, der Art, daß die junge und unerfahrene Monarchin einer kräftigen Stütze bedurfte, um den Muth nicht sinken zu lassen und unerschrocken hindurchzusteuern durch all die Klippen, welche sie und das Staatsschiff bedrohten. Dazu aber war gerade B. der richtige Mann; ungebeugten Sinnes stand er am Steuer, und wenn auch Alles um ihn her befallen wurde von angstvollem Kleinmuth, er selbst erlag niemals unter der Wucht der Schläge des Schicksals. Und wenn er auch jetzt [91] wieder in manchen nicht gering anzuschlagenden Irrthum verfiel, wer hätte in jener Zeit der allgemeinen Verwirrung den Blick sich vollkommen frei zu erhalten vermocht? So muß vor allem die Täuschung hervorgehoben werden, der er in Bezug auf die künftige Haltung Frankreichs sich hingab, wie denn überhaupt in seiner ganzen politischen Laufbahn ein starker Zug der Hinneigung zu diesem Staate zu finden ist. B. wurde es zugeschrieben, daß während der letzten Lebensjahre Karls VI. die Annäherung Oesterreichs an Frankreich so weit ging, daß, als der Kaiser starb, das freilich irrige Gerücht sich verbreitete und von sonst wohlunterrichteten Personen geglaubt wurde, Karl VI. habe Ludwig XV. zum Testamentsvollstrecker ernannt. Und Bartenstein’s Ansicht mag man am Wiener Hofe gefolgt sein, wenn man sich jetzt von Frankreich zwar nicht gerade ausgiebiger Unterstützung, aber doch wenigstens keines feindlichen Angriffes versah.

Unendlich viel wichtiger war die Haltung, zu der man sich zunächst auf Bartenstein’s Rath gegen König Friedrich II. von Preußen entschloß. Er war es, der in Gemeinschaft mit dem Grafen Gundacker Starhemberg am entschiedensten darauf drang, man möge den Begehren Friedrichs, die er durch den Grafen Gotter in Wien vorbringen ließ, kein Haar breit nachgeben. Und als Gotter sich bemühte, es wenigstens nicht zu einem Abbruche der Verhandlungen kommen zu lassen, und sich zu diesem Ende an B. wandte, da wies ihn dieser mit seiner bekannten Schroffheit zurück. Obgleich der schließliche Erfolg nicht zu Gunsten der Anschauung sprach, welche damals befolgt wurde, so hielt sie doch Maria Theresia auch später noch für die einzig richtige.

So mächtig nun auch Bartenstein’s Einfluß auf die Entschlüsse der Königin und ihre Haltung gegen Preußen war, so folgte sie dennoch keineswegs blindlings seinen Rathschlägen. Auch nachdem sich das Kriegsglück schon längst zu Gunsten Friedrichs entschieden hatte, behauptete B., jede Nachgiebigkeit dem Könige von Preußen gegenüber könne nur dazu führen, dessen Ansehen und Macht zu vergrößern. Früher oder später werde er sich ihrer doch nur wieder zum Nachtheile des Hauses Oesterreich bedienen. Die Hauptaufgabe des letzteren bestehe also darin, Preußen in einen Zustand zurückzuversetzen, in welchem ihm wenn nicht der Wille, so doch die Kraft fehle, auf Kosten Oesterreichs jene weitgehenden Entwürfe zu verwirklichen, die den ohnehin schon so lose gewordenen Verband des deutschen Reiches und dessen Verfassung völlig zertrümmern müßten. Darum erklärte sich B. auch nach der unglücklichen Chotusitzer Schlacht, als Alles nach Frieden rief, mit unerschütterlicher Standhaftigkeit dagegen. Wenn Oesterreich nur noch ein einziges Jahr den Kampf fortzusetzen vermöge, behauptete er, werde es Alles wiedergewinnen und es ihm erspart bleiben, sich den weitgehenden Anforderungen Preußens fügen zu müssen. Und als trotzdem die Breslauer Präliminarien zu Stande kamen, nannte sie B. voll Ingenium eine zweite Auflage des Belgrader Friedens.

Aber nicht nur gegen Oesterreichs ausgesprochene Feinde, auch wider dessen wirkliche oder vermeintliche Freunde, welche sich zwar in dem allgemeinen Kampfe auf Oesterreichs Seite gestellt und es mit Geld und Truppen unterstützt hatten, ihm jedoch gleichzeitig empfindliche Opfer auferlegen und es zwingen wollten zu blinder Unterwürfigkeit unter die Machtgebote seiner Alliirten, wendete sich Bartenstein’s Haß. Zu den „falschen Freunden“, wie er sich ausdrückte, rechnete er vornehmlich England, das heißt die damalige englische Regierung, zwischen welcher und der englischen Nation er mit Sorgfalt unterschied. Er war der Erste, welcher schon frühzeitig vor fernerer Nachgiebigkeit gegen England ernstlich warnte. Und als hauptsächlich durch England’s Verschulden Oesterreich weder auf deutschem noch auf italienischem Boden irgendwelchen Ersatz für den Verlust Schlesiens zu erlangen vermochte, da bemächtigte sich Bartenstein’s glühender [92] Seele eine tiefe Abneigung gegen England. Durch all seine Schriften zieht sich von nun an ein bitterer Ton wider dasselbe, und es trug dies nicht wenig dazu bei, daß B. endlich von der Leitung der Staatsgeschäfte entfernt wurde. Denn nicht so sehr eine Verschiedenheit seiner Anschauungen von denen des Staatsmannes, der damals Maria Theresias Vertrauen in immer höherem Maße gewann, sondern die nicht hinwegzuleugnende Thatsache, daß durch Bartenstein’s bittere und sarkastische Schreibweise nach vielen Seiten hin arge Verstimmung hervorgerufen worden war, mehr aber noch die Ueberzeugung, daß zwei leitende Persönlichkeiten und durchaus selbständige Charaktere in einem und demselben Ministerium nur vom Uebel sein und nichts Gutes zuwege bringen könnten, war Ursache, daß B. in dem Augenblicke von den auswärtigen Angelegenheiten entfernt wurde, in welchem Kaunitz im Jahre 1753 deren Leitung übernahm. B., welcher schon vor zwanzig Jahren noch von Kaiser Karl VI. in den Reichsfreiherrnstand erhoben worden war, wurde nun zum geheimen Rathe und zum Vicekanzler des Directoriums in publicis et cameralibus ernannt. Im J. 1764, als Maria Theresia den königlich ungarischen St. Stephansorden stiftete, erhielt B. das Commandeurkreuz dieses Ordens.

Von dem Augenblicke angefangen, in welchem B. in seine neue Stellung trat, wurde er von Maria Theresia in den wichtigsten Fragen verwendet, welche auf die innere Verwaltung ihrer Länder sich bezogen. Und nicht nur in denjenigen Angelegenheiten geschah dies, welche ihrer Natur nach in den Bereich des nun von B. bekleideten Amtes gehörten. Auch andere ziemlich weit davon abliegende Geschäfte wurden ihm übertragen, so im J. 1753 die Direction des neu errichteten geheimen Hausarchives, zwei Jahre später aber die Ausarbeitung eines neuen Zolltarifes für Oesterreich ob und unter der Enns. Später wurde er zum Präsidenten der illyrischen Hofdeputation und derjenigen ernannt, welche zur Leitung des Sanitätswesens eingesetzt wurde. Insbesondere war es die erstere Stellung, welche die Angelegenheiten der in Oesterreich eingewanderten serbischen Bevölkerung seiner Sorgfalt anvertraute, der B. die eifrigste Thätigkeit zuwandte. Er selbst hat darüber, und zwar zunächst zum Unterrichte des Kronprinzen Joseph ein Buch verfaßt, in welchem alle Verfügungen und Anordnungen Aufnahme fanden, die seit den ersten Ansiedelungen der Serben in Oesterreich für sie erlassen worden sind.

Ueberhaupt bildeten die Erziehung und der Unterricht des Kronprinzen einen Gegenstand der besonderen Aufmerksamkeit Bartenstein’s. Schon im Oct. 1751, in einem Augenblicke, in welchem er sich noch im Vollgenusse seines politischen Einflusses befand, wohnte B. einer Berathung bei über die Bahnen, welche eingeschlagen werden sollten, um den Thronerben in würdiger Weise vorzubereiten auf seinen künftigen erhabenen Beruf. Bartenstein’s Bemerkungen zeugen für seine richtige Einsicht und seine Vertrautheit mit dem Unterrichtswesen überhaupt, so wie für das Erkennen der besonderen Rücksichten, welche die Erziehung und der Unterricht eines Thronerben ohne Zweifel erheischen. Am meisten interessirte er sich für die historischen Studien. Er gab die Anregung zur Verfassung eigener geschichtlicher Compendien zum Unterrichte des Kronprinzen, erbot sich zu ihrer Revision und zur Uebernahme der Aufgabe, sie mit Anmerkungen und Zusätzen zu versehen, um sie für ihre eigentliche Bestimmung geeigneter zu machen. Nicht weniger als 14 Bände Text und 6 Bände Beilagen, freilich in weit ausgedehnter Handschrift, umfaßt diese Arbeit Bartenstein’s, welche von den Anfängen der Geschichte Deutschlands zur Zeit Karls des Großen bis zum Tode Rudolphs II. herabreicht. Eine zweite, weniger umfangreiche, aber gleichfalls sehr interessante Arbeit Bartenstein’s, welche ebenso wie die früheren zum Unterrichte des Kronprinzen bestimmt war, sollte demselben ein klares, bis ins Detail ausgearbeitetes [93] Bild des damaligen inneren Zustandes der einzelnen Länder der österreichischen Monarchie vor Augen führen. Doch wurde nur derjenige Theil dieser Arbeit, welcher sich auf Böhmen bezieht, von B. vollendet. Die Besprechung der übrigen österreichischen Erbländer wurde wenigstens zum Theile von anderen Autoren verfaßt. B. aber erhielt, so wie zu den so eben erwähnten Schriften, so auch noch zu einem anderen Werke, das seine Aufzeichnungen über die Weltbegebenheiten enthalten sollte, an denen er selbst werkthätigen Antheil genommen hatte, die erste Anregung von Maria Theresia. Auch diese neue Arbeit war zum Unterrichte Josephs, oder besser gesagt, dazu bestimmt, ihn tiefer in den Hergang der letzten politischen Ereignisse einzuweihen. Denn Joseph hatte in dem Augenblicke, in welchem B. seine Schrift vollendete, im Mai 1762 sein 21. Lebensjahr schon überschritten und besaß eine solche geistige Reife, daß wenigstens von Unterricht im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht mehr die Rede sein konnte.

Fünf Jahre später ging Bartenstein’s Lebenslauf zu Ende. Die reichen Glücksgüter, die er hinterließ und welche er, da seine Redlichkeit und Unbestechlichkeit anerkannt war, der Freigebigkeit Karls VI. und Maria Theresias verdankte, fielen theils seinen zahlreichen Descendenten zu. Und nicht nur mit solchen Beweisen ihrer Anerkennung und ihrer Dankbarkeit hat ihn Maria Theresia überhäuft. Das schönste Denkmal errichtete sie ihm, indem sie den wenigen Männern ihn beizählte, von welchen sie die Worte schrieb: „Ich werde, so lange ich lebe, an diesen ihren Personen, Kindern und Kindeskindern erkennen, was sie mir und dem Staate vor Dienste geleistet, auch verobligire meine Nachkömmlinge, solche an denen Ihrigen allezeit zu erkennen, so lang sie selbige finden und seyn“.

v. Arneth, Johann Christoph Bartenstein und seine Zeit. Wien, 1871. Archiv für österr. Geschichte. Bd. XLVI. – Arneth, Prinz Eugen von Savoyen; Wien, 1858. Bd. III. – Arneth, Maria Theresia, Wien, 1863 bis 1875. Bd. I – VI.