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Artikel „Augusta, deutsche Kaiserin und Königin von Preußen“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 89–143, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Augusta&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 21:16 Uhr UTC)
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Augusta, deutsche Kaiserin und Königin von Preußen, geboren zu Weimar am 30. September 1811, † zu Berlin am 7. Januar 1890.

Das geschichtliche Bild der ersten deutschen Kaiserin jetzt zu zeichnen ist nur in sehr unvollkommenem Maße durchführbar, da es einstweilen von dichten Nebelschleiern verhüllt wird. Im Gegensatze zur Königin Luise, der Mutter des ersten deutschen Kaisers, von der wir Thatsächliches bisher auch noch nicht allzuviel wissen, ist die Persönlichkeit unserer weimarischen Prinzessin durchaus nicht von dem Lichtglanze umflossen, der jene edle Dulderin umgibt. Zwar hat sich auch an sie im Leben wie im Tode jene Hell in Hell malende Schmeichelei geheftet, die nach dem Worte Friedrichs des Großen sich wie ein Fluch an die Fersen der Mächtigen dieser Erde klammert. Aber es ist kein Zweifel darüber möglich, daß die Kaiserin A. nicht annähernd die Liebe bei ihrem Volke besaß, die die Königin Luise in so reichem Maaße bei Mit- und Nachwelt genossen hat. Hinzu tritt, daß der gewaltige Griffel ihres größten Feindes ihr ein Monument gesetzt hat, das ihre Züge nicht liebenswürdig erscheinen läßt. Es ist hier die Aufgabe, den Grund zu einer wissenschaftlich haltbaren Würdigung der hohen Frau zu legen; und dabei wird sich zeigen, inwiefern wir schon jetzt zu erkennen vermögen, daß Bismarck einseitig berichtet. Natürlich gewährt es besonderen Reiz, den Entwicklungsgang einer Frau zu verfolgen, die mit einem der größten Staatsmänner um den vorherrschenden Einfluß gerungen hat.

[90] Geboren kurz nachdem der berühmte Komet des Jahres 1811, der mehr als sechs Monate am Himmel gestanden hatte, wieder verschwunden war, als die zweite Tochter jener russischen Großfürstin Maria Paulowna, die bei ihrem Einzuge in Weimar als junge Gemahlin des Erbprinzen Karl Friedrich von Weimar noch von dem dem Tode nahen Schiller überschwänglich begrüßt wurde, ist die am 6. October auf die Namen Maria Luise Augusta Katharina getaufte Prinzessin gleichsam unter den Fittigen unserer Classiker groß geworden. Hat doch die Mutter selbst die Rolle einer Beschützerin und Förderin des litterarischen Lebens an dem kleinen Hofe gespielt. Großfürstin Marie war unstreitig eine bedeutende Frau, die die reichen Huldigungen, welche man ihr allenthalben zu Theil werden ließ, vollauf verdiente. Sie war die Tochter des ermordeten Kaisers Paul und die Enkelin einer der wenigen Fürstinnen, denen man das Prädicat der Genialität zusprechen kann, der Kaiserin Katharina, und möglicherweise nicht des Zaren Peter, sondern nach dem Geständniß Katharina’s selbst, die Paul als den Sohn Ssaltykow’s bezeichnete, eines Günstlings der großen Zarin, wogegen freilich kritische Köpfe wie General Leopold v. Gerlach die Aehnlichkeit Paul’s mit Peter geltend machten. Bei der Erziehung ihrer Kinder erkor sich die Großfürstin den Mann, der durch seine Persönlichkeit Weimar zur geistigen Hauptstadt Deutschlands emporgehoben hatte, den Freund ihres Schwiegervaters, Altmeister Goethe, zu ihrem Berather; und Goethe hat in der That nicht nur der um vierthalb Jahre älteren Schwester Augusta’s Marie (geb. 3. Febr. 1808), sondern noch mehr der Prinzessin A. selbst ein wachsendes Interesse zugewendet. Der Neunjährigen widmete der greise Dichterfürst einige höchst anmuthige Verse, den oft angeführten, zum Theil in seinen Beziehungen heute allerdings nicht ganz verständlichen Geburtstagsgruß „Alle Pappeln hoch in Lüften“. Klarer und vielleicht bedeutungsvoller in ihrem Sinne waren die Verse, die ihr vermuthlich auch galten, zur Begleitung eines Bildes des Schlosses Belvedere:

Erzeige sich dein ganzes Leben so:
Nach außen herrlich, innen hold und froh.

Im Prinzessinnengarten zu Jena hat er mit ihr gespielt, ihr allerlei Geschichten und Märchen erzählt, mit ihr und dem Großvater (am 7. September 1820) eine Sonnenfinsterniß beobachtet. War er es doch überhaupt gewesen, der seinen „lieben Zöglingen“ mit vieler Mühe diesen Tummelplatz für ihr kindliches Treiben verschaffte (1818). Der Prinzessinnengarten in Jena, Schloß Belvedere in Weimar, das Wilhelmsthal bei Eisenach waren etwa die Hauptstätten, wo sich die Jugend Augusta’s abspielte. Eine durch ihre Vergangenheit geweihte Stätte wurde ihr die Wartburg, – nicht so durch die Erinnerung an Luther’s dortigen Aufenthalt; Luther’s Andenken wurde nach Ranke’s Bericht am weimarischen Hofe nicht so hoch gehalten, weil die Weimaraner durch ihn mittelbar in ihrer Macht gekürzt worden waren –, wol aber durch die Geschichte der heiligen Elisabeth von Thüringen. Lieb wurde der Prinzessin auch noch eine andere Stätte, die nicht weit vom Schloß Belvedere im schönen Grunde an der Ilm gelegene Walkmühle, wo man von der „blauen Stube“ eine reizende Aussicht auf das schäumende Wasser des Flüßchens und das Schloß hatte und wo „Großmutter Vent“ die hohen Gäste ländlich zu bewirthen pflegte.

Goethe und sein Freund, der „Kunstmeyer“, haben der Prinzessin in der geistig hochgestellten und begabten Malerin Luise Seidler eine treffliche Zeichenlehrerin gewonnen, die diesen Unterricht bei A. seit dem Jahre 1823 ertheilte und dabei gute Erfolge erzielte. Bis in ihr spätes Alter hat A. mit Liebe gezeichnet und gemalt. Goethe bestellte auch wol den von ihm hochverehrten Capellmeister Hummel zu ihrem Musiklehrer, der ebenfalls die Freude hatte in [91] A. einen verständnißvollen Zögling zu finden. A. wurde durch ihn zu eigenen musikalischen Productionen angeregt und hat auch diese Thätigkeit bis in ihr Alter gepflegt. Wurde so auf alle Weise Kunstsinn in der Prinzessin geweckt, so suchte man ihr auch wol Liebe für die Natur und für die Thätigkeit des Landmannes, insbesondere für Gartenbau einzuflößen und zwar gleichfalls mit schon in den Jugendjahren sichtbarem Erfolge. Zu Augusta’s Lehrern gehörte ferner Goethe’s Secretär Riemer. Französischen und wol auch naturwissenschaftlichen Unterricht gab ihr der Genfer Frederic Soret, dessen A. noch als Königin im J. 1866 gegenüber dem Humanisten Dunant mit bewegten Worten gedachte. Der Religionsunterricht war einem Anhänger der rationalistischen Herder’schen Richtung, dem Consistorialrath Horn, anvertraut. Auch ihm hat A. ein treues Andenken bewahrt. Dasselbe gilt von ihrer Oberhofmeisterin Frau v. Hopffgarten. Als diese Frau, die einst auf Empfehlung des ihr befreundeten preußischen Schulmannes Johannes Schulze zu ihrer Stellung bei A. gelangt war, starb (1837), schrieb die Prinzessin an einen ihrer Lehrer: „Wer sie kannte, mußte in ihr das seltene Vorbild echt christlicher Tugend, frommer Ergebung und Liebe erblicken, verbunden mit einer Herzensgüte, die so unendlich wohlthuend war! Ich fühle es tief, daß ihr Heimgang in meinem Leben eine Leere gelassen hat, die nie ergänzt werden kann“. Wie hier in dem Briefe aus den ersten Jahren der Ehe eine bestimmte Betonung ihrer christlichen Richtung hervortritt, so deuten aus noch früheren Jahren Züge darauf hin, daß A. schon bald zu einer strengeren kirchlichen Auffassung gelangt war. Im October 1828 konnte ein so scharfer Richter wie Leopold v. Gerlach über die Siebzehnjährige die Bemerkung machen: „Ich bin überzeugt, daß sie gegen das Licht, was von oben kommt, nicht verschlossen ist“. Wenige Tage später erlebte er die Genugthuung, daß A. ihm lebhaften Beifall zollte, als er, sicherlich in Anspielung auf weimarische Verhältnisse und das ihm halb heidnisch vorkommende genialische Treiben daselbst, an der Tafel des Großherzogs äußerte, es sei unanständig, biblische Geschichte auf das Theater zu bringen. „Ich finde so etwas abscheulich“ rief die Prinzessin dazwischen. Bei dem Zögling Goethe’s und der Tochter Weimars deutet dies immerhin auf eine Auflehnung gegen einzelne Strömungen im weimarischen Lande. Ihre strenge Auffassung religiöser Dinge bekundete sich abermals in einem Gespräch mit dem sie wol ein wenig katechisirenden Gerlach bald nach der Verlobung (15. März 1829), wo sie offenbar im Hinblick auf den bei fürstlichen Heirathen nur zu häufig vorkommenden Wechsel des Bekenntnisses äußerte: Sie fände es schrecklich, die Religion aus anderen Gründen als aus Ueberzeugung zu ändern. Sie wäre jetzt confirmirt und hätte geloben müssen, diesem Bekenntniß treu zu bleiben.

Die größte Rolle als Lehrer der Prinzessin hat ein Altphilologe, der Jenaer Hellenist Professor Hand gespielt, ein Mann der Herder’schen Schule, der ganz in den Humanitätsgedanken seines Meisters aufging. Ob er freilich immer die richtige Methode angewendet hat, um seine Zöglinge zu unterrichten, wird billig zu bezweifeln sein. Wenn er über seine dem Schwesternpaar etwa seit 1818 bis 1825 gehaltenen historischen und „psychologischen“ Vorträge aufgezeichnet hat: „Ich erklärte die Natur der handelnden und sich bestimmenden Kraft des Menschen, hellte die Begriffe der Willkür, Begehrung, Wille, Wunsch, Neigung, Leidenschaft auf. – Ich erklärte die Bestimmung des Willens für einen Zweck, welcher in den Ideen des Wahren, Guten und Schönen enthalten sein kann und soll, dabei hellte ich auf, was diese Ideen im Handeln des Menschen sind, was sie ausprägt; ich ging über zu dem Kampfe des Willens mit den Neigungen“ so ist man doch nur zu sehr versucht zu fragen, ob er den noch im völligen Kindesalter stehenden Prinzessinnen nicht zu schwere Kost vorgesetzt hat. Hand [92] hatte zuweilen selbst dies Gefühl. Zeichnet er doch gelegentlich auf: „Meine heutige Beobachtung führt mich auf die Bemerkung, daß man von Kindern nicht so viel verlangen darf, daß sie alles merken und wissen sollen“. Früchte eines solchen Unterrichts waren es sicherlich, wenn die Prinzessin es liebte viele Worte zu machen, so daß, als Raupach ihr später Unterricht im Deutschen zu ertheilen hatte und von ihr einen Aufsatz eingereicht erhielt, der etwas ungehobelte Mann das Heft zornig auf den Tisch warf und ausrief: „Phrasen, nichts als Phrasen“. Immerhin baute sich Hand sehr in das Herz und das Gedächtniß der Prinzessin ein; sie hat ihm besondere Anhänglichkeit bewiesen. Eine ähnliche Zuneigung bewahrte sie einer Dame, der Frau Professor Amalie Batsch aus Jena, die die Stelle einer Erzieherin bei ihr einnahm. Die Briefe, die Prinzessin A. dieser Frau geschrieben hat, gewähren einen höchst werthvollen Einblick in ihr innerstes Wesen. Mit ihr, ihrer „lieben Bata“, tauscht die Zehnjährige „Brezeln“ von Jena nach Eisenach aus. Es hat sie „recht gedauert“, als sie von ihrer Erkrankung hörte, „übrigens bitte ich dich mir recht oft zu schreiben“. Als A. 1824/25 in Petersburg weilte, wohin sie von Hand begleitet wurde, schrieb sie der mütterlichen Freundin schon längere Briefe und auch sicherer in der Rechtschreibung: „Auch habe ich in ewiger Zeit keiner [so] deiner mir so lieben und interessanten Briefe erhalten“. Sie spricht von „recht guten“ Predigten, die sie hörte. Mit vielem Interesse betrachtete sie in der russischen Hauptstadt wohlthätige oder doch nützliche Anstalten wie das „Fräuleinstift“ und das „Katharinenstift“. Sie findet, daß diese Institute „zu dem besten Zwecke die besten Mittel bieten“. Schon regt sich bei ihr der fürsorgende Sinn. Nicht allein denkt sie in der Ferne daran, daß ihre Mädchen mit Geschenken bedacht werden. Sie spricht auch von ihrem „männlichen Zögling“, von dem zu hören, daß sein Fleiß nachgelassen habe, ihr „sehr unangenehm“ ist. Von diesem fürsorgenden Sinne wußte auch einer ihrer Freunde, der würdige Kanzler v. Müller, den preußischen Herren, die im Herbst 1828 nach Weimar kamen, viel zu rühmen: wie sie für den überfahrenen Sohn eines Gefangenenwärters mit Apfelgelée gesorgt hätte, ebenso wie für die Anstellung des von seinem Posten entfernten Vaters. Der Glanz des Petersburger Hofes, die große Stadt selbst und „die schöne, aber böse“ Newa verfehlten nicht auf ihr Kindergemüth Eindruck zu machen. Sie mochte wol den großen Gegensatz zu dem idyllischen Leben und Treiben in Weimar dort empfinden. Ob sie sich aber zu dem russischen Wesen hingezogen gefühlt hat, läßt sich nicht entscheiden. Ihre Mutter war eine russische Patriotin durch und durch. Das drängte sich noch im J. 1828 mächtig dem im Gefolge der preußischen Prinzen Karl und Wilhelm in Weimar zu Besuch weilenden Leopold v. Gerlach auf, als Maria Paulowna darüber klagte, daß noch niemand von den preußischen Herren ihr von den Ereignissen auf der Balkanhalbinsel gesprochen hätte. Bei A. hat sich dem gegenüber früh eine Abneigung gegen Rußland bemerkbar gemacht. Aus ihrer Mädchenzeit liegen jedoch über ihr inneres Verhältniß zum Heimathlande ihrer Mutter keine bemerkenswerthen Nachrichten vor.

Für den begabten Fürsten, der damals noch an der Spitze des kleinen Sachsen-Weimar stand und der sich nur zu bitter bewußt war, welche Ironie darin lag, ein Fürst ohne Macht zu sein und dafür um so mehr in der litterarischen Luft seines Ländchens schwelgte, für ihren Großvater Karl August hegte A. eine aufrichtige Verehrung. Verhältnißmäßig wenig Einfluß auf ihre Entwicklung scheint ihr Vater gehabt zu haben, der, wie es seinerzeit Ranke schien, unter dem Ruhm seines großen Vaters zu leiden hatte. Mehr verbunden fühlte sie sich ihrem Oheim, dem Herzog Bernhard von Weimar, der als niederländischer General die Welt kennen lernte, und dessen Schwägerin die Königin Adelheid [93] von England war. Diese Verwandtschaft lenkte ebenso wie die Thatsache, daß hier in Weimar sich „die erste parlamentarische Idylle der Kleinstaaterei abspielte“, daß Weimar, als A. noch im fünften Lebensjahre stand, mit einer regelrechten Verfassung nach englischem Muster beschenkt worden war, Augusta’s Aufmerksamkeit und Interesse frühzeitig auf England hin.

Von ihren Verwandten hat indeß am meisten ohne Frage die Mutter selbst auf A. eingewirkt. Sie hielt ihre Töchter mit großer Strenge zur Beobachtung der fürstlichen Umgangsformen an. Noch als Kaiserin erzählte A., wie sie vor einer Reihe von Stühlen eingeübt worden sei, Cercle zu halten. Der Spötter Bismarck hat die Figur des Bürgermeisters von Apolda als durch solch einen Stuhl verkörpert unsterblich gemacht. Wichtiger war es, daß Maria Paulowna sich ihr in ihrer Thätigkeit als eine Landesmutter großen Stiles zeigte. War sie doch im ruhmreichen Jahre 1813 die Begründerin des „Patriotischen Fraueninstituts“ geworden, das sich mit der Linderung der Noth der Kranken und Verwundeten beschäftigte und nach dem Friedensschluß von ihr weiter ausgebaut wurde im Bereiche ihres Staates zum Zweck der Unterstützung Hülfsbedürftiger und zur Volkserziehung. Sowol die strenge Beobachtung der Etikette als der gemeinnützige Sinn hat sich auf die Tochter vererbt, die ihrer Mutter auch im Aeußern sehr ähnlich gewesen sein muß. Wenigstens berichtet im J. 1844 Helmuth v. Moltke, der in Weimar neben der inzwischen zur Regierung gelangten Großfürstin gesessen hatte, daß sie „die frappanteste Aehnlichkeit mit der Prinzeß von Preußen“ habe.

Zu Goethe selbst hat die heranreifende Prinzessin auch ein näheres Verhältniß gewonnen. Das beweisen uns einige ihrer später an den Dichter und an Andere gerichteten Briefe. Besonders verräth dies ein Schreiben an den Kanzler v. Müller aus Anlaß von Goethe’s Tode: „Auch gehört alles, was sich an die Erinnerung eines Wesens wie Goethe knüpft, zu den Gefühlen, die nur empfunden, nicht beschrieben werden können“. Freilich machen die ferneren Worte dieses Ergusses nicht ganz den Eindruck des rein Empfundenen, wie denn überhaupt zwischen beiden Persönlichkeiten nur zu große Verschiedenheit bestanden hat, ähnlich wie zwischen Goethe und dem großen Lehrmeister, der auch bei A. seine außerordentliche Begabung anzuregen gezeigt hat, Herder. Gegenüber der Harmonie und Ruhe des Goethe’schen Wesens machte sich bei A. mehr und mehr das Gefühl der Unbefriedigtheit, der Verstimmtheit, krankhafter Unruhe bemerkbar, und gegenüber der köstlichen Goethe’schen Objectivität in der Betrachtung der ihn beschäftigenden Dinge, wie sie ähnlich Bismarck in der Beurtheilung der politischen Situationen gezeigt hat, finden wir bei A. die leidenschaftliche tendenziöse Stellung zur Außenwelt, wie sie Herder nimmt.

Noch halb im Kindesalter stehend scheint A. schon ihre vierthalb Jahre ältere Schwester einigermaßen in Schatten gestellt zu haben. Denn wer die ältere, ebenfalls durch äußere Vorzüge hervortretende Schwester erwähnt, der sieht sich veranlaßt auch Augusta’s zu gedenken und mit besonderer Betonung bei ihr zu verweilen. Waren schon in ganz früher Zeit von verschiedenen Seiten, so von Frau Batsch und von Charlotte v. Schiller Urtheile laut geworden, die auf Willenskraft der Prinzessin deuteten, verriethen die Briefe an Frau Batsch schon eine gewisse Bestimmtheit in ihrem Wesen, so gibt Wilhelm v. Humboldt in einem Briefe an den Minister Karl vom Stein aus dem Ende des Jahres 1826 ein allgemeineres Urtheil wieder, wenn er gegenüber der Prinzessin Marie den „festeren und selbständigeren Charakter“ Augusta’s hervorhebt. Sein eigenes Urtheil äußerte der große Frauenkenner, indem er weiter schreibt: „Ihr lebendiger und durchdringender Geist spricht aus ihrem Blick, ihre Züge sind im höchsten Grade bedeutungsvoll und ihre ganze Gestalt wird sich, wenn sie nicht ein wenig zu [94] stark wird, in einigen Jahren gewiß noch schöner, als sie jetzt schon erscheint, entwickeln“. Kurz vorher sah sie ihr späterer Freund und Berather Alexander v. Humboldt, der damals im Begriff stand, von Paris nach Berlin überzusiedeln. Auch ihm fiel sie neben ihrer Schwester auf, und zwar zeichneten sie sich beide in den Augen des verwöhnten Weltmannes durch ihr vornehmes Wesen aus (Alexander v. Humboldt an seinen Bruder Wilhelm 13. Decbr. 1826). Nicht minder würdigte Goethe selbst, der sie all die Jahre ihrer Jugend unter seinen Augen hatte, anerkennend ihre Persönlichkeit. „Sie ist wirklich so bedeutend als liebenswürdig“ schreibt er an Zelter am 5. Juni 1829, und am 18. Juli äußerte sich der große Menschenkenner zu demselben: „Sie verbindet frauenzimmerliche und prinzeßliche Eigenschaften auf eine so vollkommene Weise, daß man wirklich in Verwunderung geräth und ein gemischtes Gefühl von Hochachtung und Neigung entsteht“.

Am 21. August 1827 vollzog der Generalsuperintendent Röhr, ebenfalls ein Mann des Herder’schen Rationalismus, ihre Einsegnung. Schwerlich hat sie das vorgetragene Glaubensbekenntnis, wie angegeben wird, völlig selbst verfaßt. Bald darauf ließ man sie eine Reise nach Florenz antreten, gleichsam um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben und sie zur inneren Sammlung zu veranlassen. Denn es war jetzt die Zeit gekommen, in der die aufgeblühte Jungfrau sich zu entscheiden hatte, wem sie für’s Leben angehören wollte.

Wir wissen nur von Einem, den sie zu wählen gehabt hat, ihrem künftigen Gemahl, und es liegt kein Grund vor anzunehmen, daß noch ein anderer in Frage gekommen ist. Der ritterliche Prinz Wilhelm von Preußen scheint sie zum ersten Male im November 1824 gesehen zu haben, als A. mit ihren Eltern und ihrer Schwester auf der Reise nach Petersburg in Frankfurt a. O. Rast machte. Er war damals 27jährig, sie ein Kind von 13 Jahren. Noch hat man zu jener Zeit schwerlich an eine Verbindung der Beiden gedacht, wenn auch schon im Januar 1825 eine Hamburger Zeitung von der Verlobung des Prinzen mit einer weimarischen Prinzessin zu melden wußte. Es wird sich um den Gedanken an eine Verbindung des Prinzen Karl mit der Prinzessin Marie gehandelt haben. In violettseidenem Ueberrocke sollte der Prinzessin A. damals der Adjutant des Prinzen Wilhelm, Leopold v. Gerlach vorgestellt werden; kindlich schüchtern lief sie davon, als an sie die Reihe kam. Prinz Wilhelm stand zu jener Zeit mitten in seinem Herzensroman mit Elise Radziwill. Aus Pflichtgefühl überwand er sich endlich und entsagte (23. Juni 1826). Seit jener Zeit haben die Verwandten sicher seine Aufmerksamkeit auf die durch ihre Schönheit, ihren Geist, ihr vornehmes, sicheres Wesen jedermann bestechende weimarische Prinzessin gelenkt, deren ältere Schwester sein jüngerer Bruder Karl zur Gemahlin erwählt hatte. Schon gleich nach der Verlobung des Prinzen Karl (13. November 1826) gingen die Gerüchte, daß sich Prinz Wilhelm mit der Prinzessin A. verloben würde. Aber auch im Februar 1827, als der Prinz wiederum wie im Herbste des Vorjahres zu mehrwöchentlichem Aufenthalte nach Weimar gereist war und die Großfürstin einen Ball gab, auf dem der Vertraute des Prinzen, Natzmer, den graziösen Tanz der Prinzessin bewunderte, kam es noch nicht zu einer Erklärung. Erst am 25. October 1828 erfolgte in der Stille die Versprechung, nachdem Maria Paulowna die Angelegenheit neu eingefädelt hatte. Der den Prinzen begleitende Gerlach, der natürlich wußte, was im Werke war, hatte hinreichend Gelegenheit die Ausersehene zu beobachten und war ganz zufrieden mit der Wahl. Er fand, daß sie ein außerordentlich hübsches Kindergesicht und ein natürliches unbefangenes Benehmen habe. Auch die schönen Augen, die schon Wilhelm v. Humboldt aufgefallen waren und aus denen die [95] starke Seele dieser Frau herausleuchtete, entgingen ihm nicht. Er verzeichnet dann: „Sie ist lebhaft, hat viel Gewalt über sich, und hat heute gesagt, sie wüßte wohl, was sie dem Prinzen zu ersetzen hätte“. Dies Wort aus ihrem Munde beleuchtet blitzhell die Sachlage. Es verräth einmal, daß A. Zuneigung für den Prinzen empfand, der seinerseits unter den verschiedenen ihm bekannt gewordenen ebenbürtigen Prinzessinnen sie am meisten auszeichnete. Vor allem aber zeigt ihr Ausspruch, daß sie sich einer großen Aufgabe bewußt und von starkem Pflichtgefühl beseelt war. Ein ehrenderes Zeugniß konnte sie sich nicht ausstellen. Damit bewies sie sich des Mannes, der soeben heroisch seine Herzenswünsche niedergekämpft hatte, würdig. Noch mehr als vier Wochen verweilte der Bräutigam in Weimar. Am 13. Februar 1829 überbrachte sodann der preußische außerordentliche Gesandte v. Jordan die Werbung König Friedrich Wilhelm’s III. um die Hand der Prinzessin an den Großherzog Karl Friedrich. Am 16. Februar, dem Geburtstage ihrer Mutter, wurde die Verlobung proclamirt, wobei der erfreute Karl Friedrich eine Rede hielt. Wieder sah sie Gerlach in diesen Tagen, der sie bei der ersten Begegnung „etwas verlegen“ fand, was er an ihr „nicht gewohnt“ war. Der Generalmajor v. Egloffstein überbrachte sofort die Nachricht von dem Ereigniß nach Berlin. König Friedrich Wilhelm fühlte sich sichtlich erleichtert; denn er drückte seine Genugthuung darüber aus, daß das lange Erwartete „nun endlich“ eingetreten sei.

Wenige Monate darauf fand die Hochzeit statt. Die Zwischenzeit verlebte A. in herzlichem Zusammensein mit ihren Freunden. Luise Seidler schlug eine Einladung Niebuhr’s, das Frühjahr in Bonn zu verleben, ab: „um sich in der letzten Zeit nicht noch von der Prinzessin Augusta loszureißen“. Am 5. Juni nahm A. Abschied von Goethe. Es ist, als ob ihn ihr Weggang in die preußische Welt nicht behaglich stimmte. „Mag es ihr wohl ergehen in dem ungeheuer weiten und bewegten Element“ rief er ihr nach. Die friedlichen Stätten Weimars tauschte sie jetzt allerdings mit einer bewegteren Bühne. Aber dort in Berlin winkte ihr ein Etwas, das ihr Weimar nur in bescheidenerem Maaße bot, Macht und Glanz. Daß sie ehrgeizig war in hohem Grade, sollte sich in der Folge zeigen. Sie wird sicher schon damals die Lockungen der imposanteren Stellung empfunden haben. Am 6. Juni traf ihr Bräutigam ein, um sie abzuholen. Er hatte kurz vorher noch einmal auf den von Klugheit und Zartgefühl eingegebenen Wunsch seiner Schwiegermutter die Jugendgeliebte aufgesucht, damit er das erste Wiedersehen mit ihr nach seinem Verzicht auf diese Verbindung vor seiner Vermählung überstanden hätte. Am Pfingstsonntag, dem 7. Juni, bewegte sich der Hochzeitszug nach dem Gottesdienst, bei dem ihr Religionslehrer Horn ihr die Abschiedsrede hielt, unter unaufhörlichem Regen allmählich, von den einzelnen Ortschaften, durch die man kam, festlich begrüßt, auf der Landstraße der neuen Heimath Augusta’s zu. Am 9. zog sie in Potsdam, am 10. in Begleitung der Kronprinzessin Elisabeth von Preußen im Schloß zu Berlin ein. Am 11. Juni 1829 wurde die Vermählungsfeier auf das glänzendste begangen. Zu ihr war auch Zar Nikolaus mit seiner stolzen Gemahlin, der Schwester des jungen Ehemannes, herbeigeeilt. Bischof Eylert vollzog die Trauung, bei der A. Rührung verrieth. Gleich nachher legte sie bei der Cour ein Probestück ihrer höfischen Erziehung ab, indem sie, obwol dieser Act mehr als zwei Stunden währte, „jedem so Hübsches und Passendes“ sagte, daß „alles enchantiert“ war. Am 12. Juni hielt das Paar seinen Einzug in das frühere Schwedter Palais, das zuletzt der 1824 verstorbene General v. Tauentzien bewohnt hatte und das den beiden bis zu ihrem Tode in Berlin als Wohnsitz gedient hat, von ihnen zunächst aber nur als Dienstwohnung bezogen wurde. Am Abend wurde Spontini’s Festoper „Agnes von Hohenstaufen“ gegeben, wozu [96] Raupach, der sich für den berufenen Hohenstaufendichter hielt und von Weimar zum Fest herübergekommen war, den Text geschrieben hatte. Durch die Anwesenheit der die Unterhaltung beherrschenden, einen großartigen Pomp entfaltenden russischen Kaiserin, zu der alle, nicht zuletzt der junge Ehemann, mit bewundernder Verehrung aufsahen, wurde die Prinzessin in jenen Tagen nicht so sehr zum Mittelpunkte des Festes, als es wol hätte sein können. Sie wurde in den Schatten gestellt, zumal sie angegriffen war und sichtlich unter den Anstrengungen dieser Tage litt.

So war Prinzessin Augusta von Weimar an die Stelle getreten, die Prinz Wilhelm lange Jahre hindurch einzig und allein dem so völlig von seiner nunmehrigen Gemahlin verschiedenen „Engel von Ruhberg“ hatte einräumen wollen. Es mußte sich nun zeigen, ob jene „hohe Seite“, die nach Natzmer’s Angabe den Ausspruch that: der sich immer mehr entwickelnde praktische Ernst des Prinzen bedürfe einer idealen Ergänzung – leider läßt sich nicht genau bestimmen, wer diese „hohe Seite“ war – mit der Wahl Augusta’s das Richtige getroffen hatte.

Das Leben am preußischen Hofe gestaltete sich anfangs nur angenehm für die junge Frau. Der König fand lebhaftes Gefallen an ihr. Ihr Gemahl überhäufte sie mit Aufmerksamkeiten. Wohin sie kam, machte sie guten Eindruck. Schon wenige Tage nach der Hochzeit suchte sie, ein Beweis ihres frühen Interesses für die Gartencultur, die Ausstellung des Berliner Vereins für den Gartenbau auf, wo sie Goethe’s Freund Zelter, der nicht wenig neugierig auf sie war, „in aller Anmuth und Natur“ durch eine Anrede auszeichnete und ihm die Grüße ihres gemeinschaftlichen Freundes ausrichtete. Die erste Zeit verlebte sie im Frieden der Potsdamer Gärten, da der Prinz bereits am 19. Juli die „neuen Kammern“, d. h. das Cavalierhaus bei Sanssouci bezog. Zu Anfang Juni des nächsten Jahres ging es auf Reisen und zwar zunächst nach Schlesien in jenen trauten Erdenwinkel, wo die fromme Gräfin Reden, Feldmarschall Gneisenau, Radziwills und Prinz und Prinzeß Wilhelm, Oheim und Tante des jungen Paares, auf Buchwald, Erdmannsdorf, Ruhberg und Fischbach freundnachbarlich am Fuße des Riesengebirges zusammensaßen. Der ganze königliche Hof besuchte damals die Verwandten in Fischbach. Auch die russische Kaiserin, Alexander v. Humboldt und die Sängerin Henriette Sontag fanden sich dort ein. A. gestattete unbefangen, daß sich ihr Gemahl in der freien Natur mit Prinzeß Elise erging. Sie selbst vertrieb sich die Zeit zuweilen wol durch zusagende Lectüre. Noch nach Jahrzehnten besann sich Gerlach darauf, wie er sie hier „marriage in high life“ hatte lesen sehen. Nach dem Zeugniß Gneisenau’s freundete sie sich schon damals eng mit der Herzensfreundin ihres Gemahls an. Auch mit dem Feldmarschall pflog sie gern ernste und heitere Unterhaltung. Gräfin Reden fand A. lange nicht so hübsch wie ihre Schwester, aber munterer, geweckter und „ihr klein chiffonirtes Gesicht“ gefiel ihr „wohl“. Buchwald scheint A. besonders zugesagt zu haben. Sie wünschte sich, nach Gräfin Reden’s Mittheilung, dorthin. Auch die Schneekoppe bestieg sie damals. Von Fischbach reiste das Paar über Berlin nach Ems, wo die Prinzessin genau vier Jahrzehnte vor der weltgeschichtlichen Begegnung Benedetti’s mit König Wilhelm mehrere Wochen die Cur gebrauchte. Von hier aus hat sie zuerst Koblenz aufgesucht, wohin das Paar mehrere Male fuhr. Im nahen Nassau statteten sie dem greisen Freiherrn vom Stein ihren Besuch ab. Auf der Weiterreise – das Ziel war Scheveningen – besichtigten sie in Köln unter Führung des Erzbischofs Spiegel den Dom. Im Haag wohnten sie der Vermählung des jüngeren Bruders des Prinzen, Albrecht, mit der Prinzeß der Niederlande Marianne bei, deren Ehe ein so unglückliches Ende nehmen sollte. [97] Während des ganzen Aufenthaltes in den Niederlanden, der bis Mitte September währte, waren die Pariser Revolutionsereignisse das Hauptgespräch. Doch wurde Augusta’s Cur trotz der herrschenden Unruhe nicht unterbrochen. Auf der Rückreise wurde wieder Koblenz aufgesucht, dann die eben ausgebaute Burg des Vetters Prinz Friedrich von Preußen, Rheinstein, bestiegen, Schloß Johannisberg besichtigt, in Biebrich der Herzog von Nassau und in Fulda die unglückliche Kurfürstin Auguste von Hessen besucht. Ende September langte man, nachdem sich A. es nicht hatte versagen können, beim Passiren von Eisenach allein die geliebte Wartburg zu besteigen, in Weimar an, wo wieder mehrere Wochen Rast gemacht wurde. Die Stätten ihrer Kindheit, vor allem ihr Elternhaus, hat sie alljährlich wieder aufgesucht, wie sie denn mit einer rührenden Liebe an ihnen hing. Zum letzten Male weilte sie dort im J. 1888.

In Berlin begann A. allmählich einen Kreis erlauchter Geister um sich zu versammeln. Freilich muthet es etwas seltsam an, daß gerade Raupach dem prinzlichen Paare mehrere Male in der Woche historisch-politische Vorträge gehalten haben soll. Wichtiger war es, daß der verdienstvolle Historiker Friedrich v. Raumer in Beziehungen zu A. trat. Die zeichnerischen Studien fortsetzend, wählte sie sich Alwine Frommann, die wie Luise Seidler einer Jenaer Familie angehörte – sie war die jüngste Tochter des berühmten Buchhändlers – , zur Lehrerin. Später wurde aus der Lehrerin eine Vorleserin, die das ganze Vertrauen Augusta’s besaß. Mit Hülfe des Naturforschers Lichtenstein und Friedrich’s v. Raumer rief A. nach einiger Zeit den „Wissenschaftlichen Verein“ ins Leben, dessen Protectorat ihr Gemahl übernahm und an dessen in der Singakademie abgehaltenen Vortragsabenden sie sich rege betheiligt hat. Es war eine Gründung, die die Aufmerksamkeit der Berliner erregte, so daß sie ihren Witz daran übten, indem sie von dem „Verein zur Hebung der höheren Volksclassen“ sprachen. Auch mit dem Maler Philipp Veit kam sie in Berührung, der des Lobes über sie voll war; der Düsseldorfer Karl Begas malte sie, wobei die junge Johanna Mockel, später die Frau Gottfried Kinkel’s, zu ihrer Zerstreuung Lieder vortrug. Desgleichen gewann sie Fühlung mit Varnhagen, der gefeierten litterarischen Größe jener Berliner Tage, auf den auch ihre Mutter große Stücke hielt. Doch kam es zu keinem näheren Verkehr mit ihm, wol weil der Prinz eine unwillkürliche Abneigung gegen diesen Mann empfand. Ferner gehörte der Philologe Boeckh und der Held aus den Befreiungskriegen, der liberale General v. Boyen, zu Augusta’s bevorzugtem Umgang. Den eigentlichen Charakter empfing ihr Verkehr jedoch durch das enge Verhältniß, das sich zwischen ihr und Alexander v. Humboldt herausbildete. Der große Naturforscher, dessen damaliges Ansehen nicht leicht überschätzt werden kann, fand in der Prinzessin eine geradezu begeisterte Verehrerin. Es war nicht nur das universale Wissen des Gelehrten, das sie anzog, sondern auch die freiere politische Auffassung, die sie bei ihm fand, und nicht zuletzt das Gefühl, daß sie in ihm den glänzenden Vertreter ihrer Herder’schen Jugendideale, einen entschiedenen und warmen Verfechter der Humanitätsgedanken sehen durfte. Ihre Verehrung für Humboldt hat äußerlich in ihrem Heim dadurch Ausdruck gefunden, daß sie ihr Arbeitszimmer mit den Bildern des Freundes schmückte; ein solches, das die schöne Italienerin Emma Gaggiotti-Richards malte, stellte sie für jedermann bemerkbar, auf eine Staffelei; ein ander Mal wurde Humboldt’s Conterfei auf einer Vase angebracht, und ihre Gäste machte A. auch wol auf ein Kissen aufmerksam, das die Züge des Gelehrten in kunstvoller Weberei zeigte. Begreiflicherweise übertrug sich diese Vorliebe auch auf die Humboldt’sche Familie, auf Wilhelm v. Humboldt und dessen geistsprühende [98] Töchter Adelheid und Gabriele, von denen Adelheid mit dem General v. Hedemann, Gabriele mit dem Diplomaten Heinrich v. Bülow verheirathet war. Der Vereinigungspunkt dieser edlen Menschen war das Tusculum ihres Vaters, Tegel. Oft ist A. dorthin gefahren und hat sich an dem glücklichen Familienleben daselbst erfreut. Alexander v. Humboldt fühlte sich durch die Auszeichnung, die ihm die Prinzessin zu theil werden ließ, geehrt und geschmeichelt. Schon weil sie die Enkelin seines hochherzigen Freundes Karl August war, brachte er ihr auch Freundschaft entgegen. Aber auch ihre Gaben, ihr „ernster und reicher Geist, ihre hohe Bildung“ fesselten ihn. Er ist ihr bis an sein Lebensende stets mit großer Devotion genaht und hat der Schmeichelreden ihr gegenüber nicht gespart; was ihm, dem halb zum Franzosen gewordenen Weltmann, nicht schwer fiel. Er ist ihr in vielen Lebenslagen ein Berather geworden und hat einen großen Einfluß auf sie in politischen Dingen gewonnen. Ueberhaupt festigte das Leben mit seinen Verwicklungen das Freundschaftsband zwischen beiden stetig. Durch die „moralischen Leiden“, die die Prinzessin nach Humboldt’s Ausdruck zu erdulden hatte, wurde ihre Persönlichkeit für ihn noch anziehender. A. aber hat wol einmal Humboldt in erster Linie unter den wenigen Personen genannt, die sie wirklich verständen. In seinem seit 1849 reger werdenden Briefwechsel mit der Prinzessin bezeichnet sich Humboldt in schalkhaften, unaufhörlich wechselnden Unterschriften ihr gegenüber als ihren physikalischen Hofcaplan, als getreuesten Urmenschen, als den très-illisible mit Rücksicht auf seine fürchterliche Handschrift u. s. w. Seine Briefe an A. gehören nach dem Zeugniß seines Biographen zu den gehaltvollsten Stücken aus seinem umfangreichen Schriftwechsel und legen Zeugniß dafür ab, daß das geistige Verhältniß zwischen der Fürstin und dem Gelehrten wirklich ein sehr nahes und tiefes gewesen ist. Daß seine Verehrung für sie aber uneingeschränkt war, wird nicht behauptet werden können. Wenn er in einem Schreiben an den Erzieher des Prinzen Friedrich Wilhelm, an Ernst Curtius, in späteren Jahren bei der jungen Frau des Sohnes seiner Freundin die „unweimarische“ Natürlichkeit hervorzuheben sich veranlaßt sah, so ist das ein beredtes Zeugniß dafür, daß ihm in Augusta’s Wesen eine gewisse Unnatur, Gesuchtheit mißfiel. Freilich gehört dies Wort einer Zeit an, in der seine Gönnerin schon in reiferen Jahren stand; und in der Anfangszeit heben Gerlach und Zelter noch Natürlichkeit bei A. hervor. Aber wir besitzen auch schon aus früherer Zeit Zeugnisse für ihr gezwungenes Wesen. Dies verschuldete es, daß ihr nicht das Glück zu theil geworden ist, die Liebe größerer Kreise zu gewinnen.

Auch in ihre nächste dienstliche Umgebung suchte A. schöngeistige Elemente zu bringen. So wurde im Frühjahr 1832 für die Oberhofmeisterin v. Jagow die geistvolle Marie v. Clausewitz, geborene Gräfin Brühl, die Wittwe des damals eben verstorbenen genialen Militärschriftstellers, zu diesem Posten berufen, die allerdings bereits nach wenigen Jahren ihrem Gatten im Tode folgte. Mit der Prinzessin Radziwill blieb sie in stetem freundschaftlichem Verkehr. Als Prinzeß Elise einstmals gerade eine von A. in Angriff genommene Malerei betrachten wollte, wurde die schöne Polin von einem Krankheitsanfall heimgesucht; da wandte sie sich an A. mit der Bitte sie aus dem Kreise der Gesellschaft hinauszugeleiten. Im höfischen Leben zeichnete sie, wie der junge Bismarck zu beobachten Gelegenheit hatte, in der Wahl ihrer Tänzer die Diplomaten vor den preußischen Officieren und Beamten aus, und zwar gerade solche, die mehr für die Unterhaltung, als für den Tanz begabt waren. Eine ständige Figur ihres Kreises wurde der Fürst Hermann Pückler-Muskau, dessen liebenswürdiges Plaudertalent und vornehme, weltmännische Art ihr in hohem Maße zusagten. Sie ließ ihn auch wol dann und wann aus seinen Schriften vorlesen, wobei sie es denn erleben [99] mußte, daß er etwas gar zu Freies zum Besten gab. Dann befahl sie ungnädig, abzubrechen und bezeigte ihm eine Weile ihren Zorn, weil sie streng auf äußeren Anstand hielt. Die Verstimmung war jedoch nicht nachhaltig; denn bald schrieb sie ihm wieder begütigend und voll Geist. Er vermochte viel bei ihr. So verwendete er sich bei der Gönnerin mit Erfolg für Ludmilla Assing, als das von verbrecherischer Sensationslust erfüllte Weib zu seinem eigenen Entsetzen die gerade die Prinzessin arg mitnehmenden Tagebücher ihres Ohms Varnhagen veröffentlichte. So wurde er der Anwalt Heinrich Laube’s bei dessen Theaterreformgedanken. A. fragte ihn auch gelegentlich nach seinen Ansichten über Erziehung aus und er sagte sie ihr „avec le plus complète franchise“. Wenn der Hof Friedrich Wilhelm’s IV. den wegen seiner freien Sitten angefeindeten Lebemann schlecht behandelte, so bevorzugte sie ihn ostentativ. Gern neckte sie ihn wegen seines großen Lorgnettenstockes, seines „Zauberstabes“, wie sie sagte. Er konnte sich seinerseits nicht genug thun in der Bewunderung der Grazie seiner Gönnerin. „On ne saurait mieux représenter“ schrieb er von ihr.

Unter den Frauen, die ihr im Laufe der Zeit nahe traten, steht vornan die Herzogin von Sagan, die Nichte Talleyrand’s, eine Baltin von Geburt, Preußin ihrem Besitz und Französin ihrer Heirath nach, im wesentlichen wol eine Französin. Nicht gerade durch eine sittenstrenge Vergangenheit ausgezeichnet, erregte diese zur Zeit, als A. nach Berlin kam, schon in reiferen Jahren stehende, aber noch lange eine effectvolle Schönheit bewahrende Frau Anstoß bei manchen ernster denkenden Leuten am preußischen Hofe. Die für ihre Person peinlich auf Beachtung des Schicklichen haltende Prinzessin A. kam über derartige Bedenken leicht hinweg, weil sie in dieser Frau nicht nur der starke Geist, sondern auch das Ausländerthum anzog.

Ihre Wohnung, das „Tauentzien’sche Haus“ Unter den Linden, machte König Friedrich Wilhelm III. bald seinem Sohne zum Geschenke. Schon 1830 wurde von dem Prinzen ein Umbau beantragt, und der alte König stiftete in Geberlaune für diesen Zweck bare 300 000 Thaler. Wir werden kaum fehl gehen, wenn wir in A. die Seele der Erweiterungspläne erblicken. Sie wollte ein stattlicheres Heim haben. Mußte auch der Plan Schinkel’s, an die Stelle der anstoßenden königlichen Bibliothek für das prinzliche Paar einen großartigen Terrassenbau aufzuführen, fallen gelassen werden, weil dazu auch die bereitgestellte große Summe nicht reichte, so sollte doch das jetzige Haus unter Zuhülfenahme einiger anliegender Baulichkeiten so schön wie möglich ausgestaltet werden. Mit dieser Aufgabe wurde Schinkel’s Freund, C. F. Langhans, betraut, der in den Jahren 1835–1837 großentheils nach den Anweisungen der Prinzessin, die selbst in die Risse zeichnete, den Umbau vollzog und sich durch die geschickte Verwerthung des zur Verfügung gestellten Raumes, sowie die Vornehmheit der ganzen Anlage im Inneren und Aeußeren seinen Ruf als Baumeister begründete. Freudestrahlend zeigte A. nach Beendigung des Baues den näheren Freunden die Räume. Freilich wollte Gabriele Bülow das Cabinet der Prinzessin, das gerade über dem des Prinzen an der Ecke lag, nicht „heimlich“ finden. Dafür wären die Fenster zu groß. Auch sonst verrathen Aeußerungen dieser doch reiche Verhältnisse gewohnten Frau, daß das äußerlich nicht weiter sehr hervortretende Palais der damaligen Berliner Gesellschaft ungewöhnlich glänzend und prächtig erschien. Schon kurz vorher war der Bau des Schlosses Babelsberg (die Stelle hieß bisher Babertsberg) an der Havel bei Potsdam geschaffen worden. A. entwarf dazu den Plan einer englischen Cottage. Doch wurde ein größerer Maßstab gewählt, Schinkel’s Entwurf zu einem Bau im [100] Tudorstil, den Persius in den Jahren 1834–1835 ausführte. Am 18. October 1835 konnte die Einweihung stattfinden.

Es war der Tag, an dem der von A. geborene Thronerbe vier Jahre alt wurde. Für Preußen war es eine glückliche Stunde gewesen, als im J. 1831 am Tage der Leipziger Schlacht die übliche Zahl der Kanonenschüsse der Welt das bedeutsame Ereigniß verkündigte. Für A. war es eine hohe Freude, daß der greise Dichterfürst in Weimar ihr noch seinen Glückwunsch zu der „frischen Belebung des auf alten, ehrwürdigen Grundwurzeln immer neu sich verzweigenden Stammes“ „in treuer Mitempfindung des frohen Behagens“ aussprach. Ihr erwuchs nun die schöne Aufgabe, den neuen Hohenzollernsproß zu erziehen. Dieser Aufgabe hat sie sich unterzogen mit einer Planmäßigkeit und einer Umsicht, wie es wenige Fürstinnen mit ihren Kindern gethan haben mögen. Die Triebfeder bei allen diesen Vorkehrungen war ein außerordentliches Pflichtgefühl. Ob es ihr indeß gegeben war, die Kindesseele Friedrich Wilhelm’s durch die Tiefe des eigenen Gemüths zu erquicken, dem Sohne jene natürliche Liebe zu schenken, die einer Mutter gewöhnlich in reichem Maße zur Verfügung steht, entzieht sich einstweilen unserer Wissenschaft. Fast möchte man annehmen, daß der Zug der Natürlichkeit, der sich einigen Vertrauten gegenüber noch bemerkbar machen konnte, in dem Verkehr mit dem Sohne nicht völlig rein zu finden ist. Von jeher mit einer großen Vorliebe für das Französische erfüllt, wie sie denn mit ihrem Bruder, dem späteren Großherzog Karl Alexander, meist französisch sprach, in ihre Bibliothek besonders gern französische Werke aufnahm und ihr Dienstpersonal vorwiegend aus Franzosen zusammensetzte, bestellte sie zunächst französische Schweizer für ihren Sohn zur Erziehung. Wenn der Prinz im achten Jahre einen preußischen Militär zum Gouverneur erhielt, so war das auf den Vater zurückzuführen. Es verschlug A. wenig, daß die von ihr gewählten Erzieher nicht sehr in den preußischen Traditionen zu Hause waren. So kam es, daß einer dieser Franzosen, als er noch seine höfische Stellung bekleidete, ganz harmlos an den Barrikadenkämpfen von 1848 theilnahm und sehr erstaunt war, als der Militärgouverneur v. Unruh ihm erklärte, daß es nun mit seiner prinzlichen Lehrerschaft ein Ende habe.

Einen besonders glücklichen Griff glaubte A. gethan zu haben, als sie im October 1844 die irenische, schöngeistige Persönlichkeit des Hellenisten Ernst Curtius, den sie im Februar des Jahres bei einem Vortrage über die Akropolis im „Wissenschaftlichen Verein“ kennen gelernt hatte, zum Lehrer ihres Sohnes berief. Curtius wurde auch einer der Getreuen der Prinzessin, der ihr in mancher Stunde Anregung gewährte, vorlesend, unterhaltend und dichtend. Zu ihrer Erheiterung entstand sein hübsches Gedicht „Der Aturenpapagei“, das Humboldt in die zweite Auflage seiner „Ansichten der Natur“ aufnahm. Und auch für Curtius selbst bildeten diese Stunden, die sich vielfach auf Babelsberg abspielten, Quellen der Freude. Mit einer gewissen Schwärmerei sprach er von dem kleinen, laubbekränzten Hügel, wo „Geist und Anmuth walten“, und zu seinen höchsten Freuden gehörte es, wenn in diesem Kreise „der Edelsten“ still der 14. September, der Geburtstag seines Gönners Humboldt, gefeiert wurde. Zu den mathematischen Lehrstunden, die der treffliche Karl Schellbach dem Prinzen zu ertheilen hatte, erschien sie ein Semester lang in der Wohnung des Gouverneurs v. Unruh, Handarbeiten mit sich bringend. Als die Daguerrotypie aufkam und Schellbach seinem Zögling das Verfahren praktisch erläuterte, nahm sie auch daran Antheil soweit, daß sie selbst mit Erfolg kleine mechanische Versuche unternahm. Das Mutterglück erfuhr noch eine Bereicherung, als nach sieben Jahren, am 3. December 1838, ein zweites Kind, eine Tochter, geboren wurde, die nach der Großmutter, der gefeierten Preußenkönigin, den Namen [101] Luise empfing. Seit jener Zeit aber scheinen die körperlichen Leiden Augusta’s, die schon vorher aufgetreten waren, sich dauernd eingestellt zu haben. Zeigten sich in dem Sohne mit den Jahren mehr und mehr die echt hohenzollernschen Eigenschaften des praktisch-realistischen Sinnes, dem die ästhetische, von der Mutter veranlaßte Erziehung wol mancherlei Anregung und größere Aufnahmefähigkeit gab, aber nicht den bestimmenden Zug verlieh, so erblühte in der Tochter eine Erscheinung, die in ihrer Holdheit und Zartheit jedermanns Entzücken wurde.

In den ersten Jahren ihrer Ehe hat A. noch mehrere Reisen unternommen, die für die Bildung ihrer Anschauungen wichtig wurden, so besonders ihre Theilnahme an den großen russisch-preußischen Manövern bei Kalisch und in Schlesien und an der Teplitzer Monarchenzusammenkunft im Herbst des Jahres 1835. Dort in Teplitz bekundeten die Machthaber von Rußland, Oesterreich und Preußen bei der Einweihung des Denkmals auf dem nahen Schlachtfelde von Kulm ihr Festhalten an der heiligen Alliance. In Kalisch war A. Zeugin der übergroßen Verehrung, ja Unterwürfigkeit, die man preußischerseits dem Zaren zollte. Die Eindrücke ihres damaligen zweimonatlichen Herumreisens hat sie in einem Schreiben an ihre „geliebte Bata“ in Weimar zusammengefaßt: „Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, glaube ich zu träumen! – Wie vieles habe ich gesehen, gehört und erlebt, an Erfahrungen bereichert kehre ich heim, und hoffe in die Wagschaale des täglichen Lebens wider so manche Prüfung und Last das Gegengewicht einer besonnenen Ergebung und einer bescheidenen Selbständigkeit zu legen . . . Der Aufenthalt in Töplitz war der Glanzpunkt der ganzen Reise oder vielmehr des zweimonatlichen Nomadenlebens, dessen Eindrücke ich Dir nicht beschreiben kann. In Töplitz und Prag habe ich mich sehr gut gefallen und werde stets gern daran zurückdenken. Die Oesterreicher sind treffliche Leute, mit denen man leicht bekannt wird, und deren Schwächen man viel lieber trägt und übersieht, als die einer von außen überbildeten und im Innern noch rohen Nation! –“

Hier zeigt sich zum ersten Mal deutlich die Abneigung Augusta’s gegen die Russen und die Vorliebe für die Oesterreicher, Gefühle, die für ihr Leben von Bedeutung werden sollten. Sie scheint Zurücksetzungen erfahren zu haben und auf abweichende Meinungen gestoßen zu sein. Persönliche Verstimmung, Unabhängigkeitssinn und ästhetische Abneigung mögen vereinigt jene Russenfeindschaft groß gezogen haben, die eine hervorstechende Eigenschaft der Tochter Maria Paulowna’s wurde, und dadurch mag sie noch mehr in das österreichische Lager getrieben worden sein. Sie hat in jenen Wochen immerhin die Heitere und Aufgeräumte zu spielen gesucht. Denn wir hören, daß sie zu einem in Kalisch aufgeführten Ballet, einem Pas de deux, die Musik componirt habe. Schon im Winter hatte sie dies gethan zu dem Ballet „Die Maskerade“, das auf einem Fastnachtsball in Berlin aufgeführt wurde. Im Sommer 1836 ging sie wieder mit ihrem Gemahl nach Ems zum Kurgebrauch. „Die Fremden sind ganz erstaunt über das schöne, stattliche Paar, das in der That den vortheilhaftesten Eindruck macht“, konnte selbst ein Varnhagen sich nicht enthalten zu schreiben; Die hohe Gestalt der Prinzessin mit ihren vollen Körperformen und ihrem lebhaften Auge war nur zu wohl geeignet, die Augen auf sich zu lenken. Von einer Reise nach der Schweiz im Herbst 1839, bei der sie Genf besuchte, wird nur die Thatsache berichtet.

Ein Zeichen, daß ihre politischen Ansichten nicht mit denen eines großen Theiles ihrer Familie, insbesondere nicht mit denen ihres Gemahls übereinstimmten, war ihr Verhalten in der Orleans’schen Heirathssache. Während Prinz Wilhelm als Legitimist aufs schärfste die Verbindung der schönen, edlen [102] und geistvollen Prinzessin Helene von Mecklenburg mit dem Sohne des Bürgerkönigs Louis Philipp mißbilligte, fand A. nichts in dieser Allianz und verhielt sich gegen die liebenswürdige Prinzessin, der sie sich wahlverwandt fühlte, bei ihrer Durchreise durch Potsdam im Frühjahr 1837 höchst entgegenkommend. Humboldt war es, der die beiden ihm gleicherweise befreundeten Frauen einander näher brachte, und im Laufe der Jahre entwickelte sich zwischen beiden Fürstinnen ein enges Freundschaftsverhältniß, das in einem regen Briefwechsel und in öfteren vertraulichen Zusammenkünften seinen Ausdruck fand. Das schwere Unglück der jungen Frau nahm sich A. sehr zu Herzen und sie wurde später eine eifrige Verfechterin der vom Hause Orleans, „cette monarchie bâtarde d’une nuit sanglante“, wie der Legitimist Leopold Gerlach sagte, gegen Napoleon III. geltend gemachten zweifelhaften Ansprüche.

Beim Tode des alten Königs war sie zugegen, nach Gerlach’s Zeugniß schmerzbewegt. Als nunmehrige Prinzessin von Preußen lenkte sie die Augen noch mehr als bisher auf sich, und fast scheint es, als wenn ihre Haltung jetzt gebieterischer würde. Nach wie vor ließ sie sich die Verschönerung des häuslichen Lebens angelegen sein. In Babelsberg wurden Erweiterungsbauten vorgenommen. Sie selbst machte die Zeichnungen zu dem dortigen „Damenhäuschen“. Der geniale Schöpfer des Muskauer Parkes, Fürst Pückler, rief auf ihre Anregung im Verein mit Lenné die schönen Gartenanlagen um das Schloß ins Leben. In ihrem Musiksaale zu Berlin wurden von Franz Liszt Stücke von Meyerbeer aufgeführt. Der Gräfin Rossi bewahrte sie ihre Zuneigung, die sie ihr schon geschenkt hatte, als sie noch Henriette Sontag war. Emanuel Geibel fand, daß sie für ihn „ein eigenthümliches Wohlwollen“ an den Tag legte. Sie unterstützte die unter Ritgen beginnende Herstellung der Wartburg. Für den Sohn ihrer Schwester, Prinz Friedrich Karl, bezeigte sie eine ganz besondere Aufmerksamkeit. Noch 1860 hat sie zu Gerlach’s Befremdung, wohl den geborenen Militär in ihm erkennend, der ihren Sohn in Schatten stellen könnte, die Oberhofmeisterin Gräfin Alvensleben beauftragt, ihm zu sagen, sie liebe ihn wie ihren eigenen Sohn und habe das Vertrauen zu ihm, daß, wenn das Vaterland in Gefahr käme, er es retten würde. Mit scharfem Blick bemerkte sie, daß der Prinz in Albrecht v. Roon den berufensten Erzieher gefunden hatte. Sie ließ sich öfter von diesem Bericht über den Prinzen erstatten, und wenn er Mühe mit seiner Aufgabe hatte, ermuthigte sie ihn wol unter Hinweis auf das Wort, daß ohne Kampf kein Sieg errungen würde. Wenn sie im weiteren betonte: „Die Aufgabe jeder Erziehung ist und bleibt, den Menschen dem Menschen entgegen zu bilden, und der Mensch in dieser höchsten Auffassung des Ausdrucks thut in jetziger Zeit in den fürstlichen Häusern Noth, da der persönliche Werth eine Hauptstütze ihrer Macht geworden. ist“, so spiegelt sich darin ihre auf Weimars classischem Boden gewonnene Lebensanschauung, es zeigt sich, daß das Studium Herder’s und des Dichters des „Faust“ und „Wilhelm Meister’s“ ihr bleibenden Gewinn gebracht hatte. Das Bemerkenswertheste in dem erwähnten Briefe an Roon war, wenn sie als das Ziel der Erziehung bei dem Prinzen insbesondere bezeichnete: „Preußische Prinzlichkeit in deutsche Fürstlichkeit“ zu verwandeln. Mag gerade dies dem Stockpreußen Roon ferner gelegen haben und hat sie ihn möglicherweise durch solche Sätze, ohne daß er merkte, zu beeinflussen gesucht: hierin zeigte sich die echte Enkelin Karl August’s, die über den engeren Territorialstandpunkt hinausstrebt zum allgemeineren deutschen hin. Wie um ihren Neffen, so kümmerte sie sich auch eifrig um die Gespielen und Lernkameraden ihres Sohnes. Davon legt ein Brief an den früh verstorbenen Rudolf v. Zastrow Zeugniß ab, in dem es heißt: „Ich habe Dich stets wie mein eigen Kind betrachtet und behandelt; Gott, der in mein Herz sieht, kennt [103] meine Liebe. Er hat seinen Segen, „an welchem alles gelegen“, dieser Erziehung geschenkt … Du wirst immer eine Freundin und Mutter in mir finden.“ Mit rührender Aufmerksamkeit nahm sie sich auch des Enkels der alten Frau Batsch an, ihres „Herzensbätschchen“, wie sie sie jetzt nennt, mit der sie all die Jahre hindurch kleine Geschenke austauscht, von der sie selbstgebackenen Kuchen geschickt erhält und der sie dafür eine „Eiermaschine zum Selbstkochen“ sendet. Deren Enkel, einem Kadetten, beschert sie alljährlich bei sich zu Weihnachten, schickt ihn ins Theater, gibt ihm gute Ermahnungen mit auf den Weg und freut sich dabei an seiner thüringischen Sprache.

Diese Pflege alter Freundschaften, die Erziehung der Kinder, die Förderung des schöngeistigen Lebens in der dünnen, vom straffen Militärgeist beherrschten geistigen Luft des preußischen Adels traten, so eifrig diese Seiten in der vielgestaltigen Thätigkeit der Prinzessin immerhin noch berücksichtigt werden mochten, allmählich in den Hintergrund neben der Beschäftigung mit der Politik oder wurden Mittel, diesem Zwecke zu dienen. A. verrieth bald einen ganz ungewöhnlichen Geschmack an der Politik, und zwar fühlte sie sich in einer durchaus gegensätzlichen Stimmung zu der König Friedrich Wilhelm’s IV. Der Verkehr mit Humboldt und Helene v. Orleans hat sie vermuthlich mehr in diese Bahn gelenkt. Sie wurde eine warme Verehrerin des Julikönigthums aus reiner Vorliebe für den Constitutionalismus, ohne die tiefen Wurmschäden zu erkennen, welche das Regime Louis Philipp’s in sich trug. Als Heinrich v. Bülow, Wilhelm v. Humboldt’s feingebildeter liebenswerther Schwiegersohn, der als Staatsmann nicht allzu bedeutend war und durch seine Voreiligkeit die Kriegswolken und die verfahrene diplomatische Situation Preußens im Jahre 1840 mit verschuldet hatte, der aber bei der Prinzessin als unverkennbarer Anglomane viel galt, wegen schwerer Erkrankung vom Ministerium des Auswärtigen zurücktreten wollte, da bestürmte sie dessen Frau, dem Minister den Gedanken auszureden: „Sie wissen, daß ich in Bülow den einzigen Staatsmann Preußens in dieser ernsten Zeit verehre“. Sie hielt den Schritt für ein „wahres Unglück“. „Ich fühle vollkommen, ja, ich kann sagen, schmerzlich, wie die Ansicht mit den Rücksichten auf das Wohl und das Glück einer Familie, die ich so hoch schätze, anscheinend in Widerspruch steht, und wie der Egoismus selbst in die höheren Verhältnisse sich einzudrängen sucht, aber ich kann nicht umhin, meine Bitte auszusprechen, jenen Schritt nicht zu übereilen.“ Humboldt spielte auch einen Hauptvermittler in dem Freundschaftsverhältniß, das sich allmählich zwischen A. und Bunsen anknüpfte. Sie hat diesen phantastischen Politiker wol im Frühjahr 1844 am Berliner Hofe kennen gelernt, nachdem Humboldt schon vorher ihr Interesse für ihn erweckt hatte. Bunsen hat sich ihr mit einer gewissen Aufdringlichkeit genähert und sie durch Schmeicheleien, für die sie, wie schon Humboldt genugsam erfahren hatte, einigermaßen empfänglich war, in hohem Grade gefangen genommen. Der Bund zwischen ihnen wurde vornehmlich bei Gelegenheit der ersten Anwesenheit der Prinzessin in England im J. 1846 geschürzt. A. begleitete damals ihre Tante, die Königin-Wittwe von England, Adelheid, eine Meiningerin, bei ihrer Rückreise von Deutschland über Holland und blieb mehrere Wochen bei ihr zu Besuche. Englands Einrichtungen waren ihr von jeher besonders zusagend gewesen. Es versteht sich, daß sie an Ort und Stelle alles mit großer Aufmerksamkeit betrachtete und sich eifrig zu orientiren suchte. Leidend wie sie war – in jener Zeit mußte sie alljährlich längere Wochen in Homburg zur Kur weilen –, muthete sie sich doch Außerordentliches zu, um ihre Wißbegierde zu befriedigen. „Es ist unbegreiflich, wie sie eine solche beständige Thätigkeit von Körper und Geist aushält“, schrieb Bunsen’s Frau, auch eine jener schöngeistigen, [104] liberal angehauchten Persönlichkeiten, die der Prinzessin congenial waren und die ihr daher näher trat. Im Marlborough-Haus der Königin-Wittwe verlebte A. damals ihren Geburtstag. Heimgekehrt ließ sie durch Humboldt an Bunsen bestellen, sie bleibe seinem Hause dauernd dankbar, und gewisse ernste Gespräche wurzelten tief in ihrer Seele.

In dieser Freundschaft für England berührte sie sich recht mit König Friedrich Wilhelm IV., wie sie denn bei aller Verschiedenheit von dem liebenswürdigen Könige merkwürdig viel Gemeinsames mit ihm gehabt hat. So begegnete sie sich mit ihm in der Schwäche des preußischen Staatsgefühls, in der unbestimmten Begeisterung für Deutschlands Einigung und in der Zähigkeit, mit der sie an einzelnen Ideen festhielt. Selbst die Freunde der beiden waren vielfach dieselben. Während aber Friedrich Wilhelm’s Künstlerseele eine stete unnennbare Sehnsucht empfand, die neue Zeit mit der versunkenen mittelalterlichen Herrlichkeit zu verschmelzen, ging A. in dieser Zeit durchaus und unbedingt mit der liberalen Strömung.

In der Langeweile der Brunnencuren zog sie zum Theil mit einer gewissen Gewaltsamkeit eine ziemlich bunte Gesellschaft an sich heran, in der auswärtige Diplomaten und wol auch reiche rheinische Industrielle eine Rolle spielten. Zuweilen taucht schon ein katholischer Prälat in ihrer Umgebung auf. So speiste 1846 der Bischof von Mainz, Kaiser, gelegentlich bei ihr. Sie führte gewöhnlich eine lebhafte Unterhaltung, mit der unverkennbaren Absicht, durch ihren Geist und ihre Kenntnisse zu imponiren und durch ihre Freundlichkeit zu gefallen. Aber gerade diese Absichtlichkeit verstimmte vielfach. Zu ihren ständigen Verehrern gesellten sich allmählich Diplomaten und Hofmänner, wie Graf Albert Pourtalès und Graf Perponcher, die sich im allgemeinen weniger durch Tiefe, als durch bestechende äußere Formen und große Unterhaltungsgabe auszeichneten und für sie noch den Reiz hatten, daß sie im Höchstfalle Halbdeutsche waren. Unter den Altpreußen trat ihr schon jetzt der Patriot Rudolf v. Auerswald näher. Die meiste Gunst indeß gewann bei ihr der Braunschweiger Alexander Freiherr v. Schleinitz, der in diesen Jahren Geheimrath im Ministerium des Innern war und höhere Posten ausschlug, um in Berlin zu bleiben. Auch er war schöngeistig angelegt, von höchst gewandten Manieren und auch ein feiner Kopf, aber politisch völlig ohne Charakter und eines kühnen Entschlusses, ja überhaupt zu selbständiger, energischer Handlungsweise unfähig. Er hat sich, soweit wir heute urtheilen können, in der Folge unter Verzicht auf jeden eigenen Willen der Prinzessin und Königin ganz zur Disposition gestellt und ist Zeit seines Lebens in der Politik der Vertreter ihrer Gedanken gewesen. Einer späteren Zeit bleibt es vorbehalten, das eigenartige Verhältniß, das zwischen A. und diesem Manne bestanden hat, näher zu schildern. Die Atmosphäre, die die Prinzessin um sich schuf durch den Umgang mit freier gerichteten, feingebildeten und internationalen Elementen verschaffte ihr bald im Lande bei der aufstrebenden liberalen Partei Popularität. Als beim Zusammentritt des Vereinigten Landtages in ihrem Hause am 13. April eine gewaltige Assemblée stattfand, da fielen die zahlreich erschienenen schwarzen Halsbinden auf, und mit Entsetzen raunte ein Höfling dem anderen zu, daß sogar ein einfacher Ueberrock unter den 1500 Menschen zu erscheinen gewagt habe.

Schlug A. liberale Bahnen ein, so bewegte sie sich damit in entgegengesetzter Richtung wie ihr Gemahl, der der Politik seines Bruders auch Widerstand entgegensetzte, aber aus conservativen Beweggründen. In der Verurtheilung des Zickzackcurses, der Willkürlichkeiten und Halbheiten des geistreichen Königs waren sie einig. Wenn die bei Gelegenheit des Kampfes ihres Gemahls gegen die Verfassungspolitik Friedrich Wilhelm’s entstandene, 30 Briefbogenseiten [105] lange Denkschrift des Prinzen von Augusta’s Hand geschrieben ist, so ist es wol möglich, daß die Arbeit gemeinsam geschehen war und daß A. den Prinzen beeinflußt hat. Sie kann ihm aber auch lediglich als Abschreiberin hülfreich zur Seite gegangen sein. Jedenfalls deutet die interessante, von Gerlach überlieferte Thatsache darauf hin, daß ein gewisses Einverständniß in der Action des Paares vorlag und A. sich bestrebte, sich eine Position bei der politischen Thätigkeit ihres Gemahls zu erringen. Aus derselben Zeit (Anfang 1845) liegt jedoch auch ein Zeugniß vor, wonach die Prinzessin äußerte, man solle nicht glauben, daß sie auf ihren Mann wirken könne; wenn er von etwas durchdrungen sei, so vermöge ihn niemand davon abzubringen, eine Mittheilung, die durchaus wahrscheinlich klingt. Sie fühlte sich unverstanden, fand für ihre Ansichten nur bei den wenigsten Entgegenkommen und litt darunter physisch. „Sie reibt sich auf“, schrieb Humboldt an Bunsen, „weiß auch eine gewisse Heftigkeit nicht immer zu mäßigen“. Sie sah die Krisis, die über Preußen hereinbrach, voraus. Wenn sie ihre Besorgnisse äußerte, lächelte man aber wol gar. Im vertrauten Kreise pflegte sie sich als „Kassandra“ zu bezeichnen.

Als der 18. März 1848 das alte Preußen in seinen Grundvesten erschütterte, da entsann sich Gabriele v. Bülow jenes Wortes ihrer hohen Freundin. Seit diesem Tage tritt A. in die Geschichte ein. Die Februarereignisse in Frankreich hatten sie mit getheilten Gefühlen erfüllt. Den Sturz des Bürgerkönigs beklagte sie, andererseits freute sie sich über die Regentschaft der Herzogin Helene; und als der Prediger Büchsel an St. Matthäus in Berlin für eine hohe Wittwe, die mit ihren beiden Kindern in großer Drangsal sei, Fürbitte hielt, da that das ihrem Herzen äußerst wohl. Noch ehe die verhängnißvollen Schüsse fielen, eilte sie zu dem gerade ihrem Sohne Unterricht gebenden Schellbach und theilte ihm in freudiger Erregung mit, der König habe eine Deputation empfangen, eine Verfassung versprochen und alles werde noch gut werden. Nachher war sie, wie Gerlach erzählt, dabei, als in der Halle des Königs, in der es „wie in einer Wachtstube“ aussah, die Deputationen kamen und gingen. Darunter war auch eine der Stadtverordneten mit dem Kaufmann Schauß. Als dieser von einer Ohnmacht befallen wurde, sprang A. hinzu, sich um den Hinsinkenden bemühend, ihm ein Riechfläschchen vorhaltend und sonstige Hülfsmittel anwendend. Einem Adjutanten ihres Gemahls rief sie ungnädig zu: „Sie hätten Ihrem Herrn auch besser rathen sollen!“ Als am 19. wegen des Abmarsches der Truppen berathen wurde, war sie mit Prittwitz, Krauseneck und Pfuel im Zimmer anwesend. In der Mittagsstunde trat sie dem Major Edwin v. Manteuffel entgegen, als dieser dem rathlosen König empfahl, Berlin zu verlassen, mit den Worten: „Manteuffel, Sie sind ein junger Mensch, wie können Sie die Verantwortung für einen solchen Rath auf sich nehmen!“ Nachher fuhr sie mit ihrem flüchtenden Gemahl zu ihrem Vertrauten Schleinitz, begleitete den Prinzen von da nach Spandau und zur Pfaueninsel. Hier verließ sie ihn und ging zu ihren Kindern nach Potsdam. Der Prinz Karl hielt ihre Sicherheit auch dort für bedroht und wollte sie in der Nacht zum 23. bewegen, die Stadt zu verlassen. Dies wies sie mit Entschiedenheit zurück, und die Generale v. Prittwitz, v. Hirschfeld und v. Unruh unterstützten sie dabei. Sie legte eine Zeit lang Trauer an und sah es darauf ab, ihr Unglück mit dem der Herzogin von Orleans in Parallele zu stellen. „Je suis une veuve avec deux orphelins“ klagte sie. Mit dem Aufenthalt ihres Gemahls in England war sie ganz einverstanden und wünschte ihn möglichst lange auszudehnen. Die Rathlosigkeit und Unberechenbarkeit des Königs und die Unpopularität des Prinzen von Preußen brachte liberale Kreise in diesen Tagen, vielleicht beeinflußt durch die [106] Pariser Vorgänge, auf die abenteuerliche Idee, den König zur Abdankung und den Prinzen zum Verzicht auf die Krone zu nöthigen und eine Regentschaft der Prinzessin für ihren Sohn einzusetzen. Solche Gedanken zeigen, welche hohe Meinung man von A. hatte. Als der Wortführer der Liberalen, Georg v. Vincke, um diesen Gedanken durchzusetzen, bei seinem Gegner vom ersten Vereinigten Landtage her, bei Otto v. Bismarck deswegen sondirte, erfuhr er freilich eine so entschiedene Zurückweisung, daß der Plan der Prinzessinregentschaft sehr bald wieder aufgegeben wurde. (Hiernach ist die Erzählung im Leben Vincke’s A. D. B. XXXIX, 743, 744 u. 746 zu berichtigen, wo durch ein Mißverständniß der Vorgang ins Jahr 1847 verlegt worden ist.) Man wird nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß A. durch solche großen an sie herantretenden Ideen, die ihrem stolzen Geiste zusagten, sich außerordentlich gehoben fühlte. Denn daß sie in die Pläne der Liberalen eingeweiht war, scheint sicher zu sein. Ob sie sie in ihrem hochfliegenden Ehrgeiz betrieben oder nur geduldet oder ob sie sie auch, was nicht recht wahrscheinlich ist, widerrathen hat, mag dahingestellt bleiben. Ihr stark hervortretender Wunsch ihren Gemahl in England zu lassen, die Copirung der Rolle der Herzogin von Orleans und ein Gespräch, das sie in den Märztagen mit Bismarck im Entresol des Potsdamer Stadtschlosses in einem Dienerzimmer, auf einem fichtenen Stuhl sitzend, geführt hat, in dem sie von der Vorstellung erfüllt war, daß weder der König noch ihr Gemahl sich würden halten können und in dem sie in lebhafter Erregung erklärte, es sei ihre Pflicht, die Rechte ihres Sohnes zu wahren, weisen darauf hin, daß sie in der allgemeinen Verwirrung thatsächlich zu jenem dem Rückblickenden ungeheuerlich erscheinenden Gedanken der Regentschaft sich verstiegen zu haben scheint. Im Zusammenhang damit dürfte die Brüskirung stehen, die sie rechtsstehenden Vertrauten ihres Gemahls, wie Graf Königsmarck und v. Berg andauernd widerfahren ließ. Mehr als einmal erklärte sie, daß die Umgebung des Prinzen schlecht sei und daß man ihn von ihr trennen müsse. Die Aufregungen jener Tage nahmen sie äußerst in Mitleidenschaft. Um sich einigermaßen zu beruhigen, beschied sie auch Männer der Gegenpartei, wie Bismarck und Leopold Gerlach öfter zu sich, um mit ihnen über die Lage zu sprechen, „ihren Rath zu erbitten“, wie sie es einkleidete, während sie selbst fast ausschließlich das Wort führte. Trotzdem Gerlach ihr ganzes liberalisirendes Verhalten mit tiefem Mißbehagen verfolgte, konnte der treue Diener seines Königshauses doch nicht das Gefühl der Ergriffenheit und hoher Verehrung für die leidende Frau unterdrücken. Am 28. Mai, kurz vor der Rückkehr des Prinzen aus England, schilderte sie ihm „herzzerreißend“, wie sie von den verschiedensten „Prätensionen“ und Rathschlägen bestürmt würde, wie ihr der Eine dies, der Andere das Gegentheil zur heiligsten Pflicht mache, wie die Minister feige und unthätig seien und wie Graf Schwerin noch der einzige wäre, der sich als muthiger Preuße zeige. Zuletzt brach sie in einen Strom von Thränen aus. Als der Prinz heimkehrte, fuhr sie ihm zufällig gerade an dem Tage, an dem er einst seine Braut einholte, am 6. Juni, mit ihren Kindern bis Magdeburg entgegen. Sie hat ihn dann angeblich bestimmt, das Abgeordnetenmandat für Wirsitz, das ihm übertragen worden war, anzunehmen, obwol er noch in Hannover dem Könige Ernst August das Gegentheil thun zu wollen erklärt hatte. Als der Welfe in späteren Jahren hierauf zurückkam, sprach er von der Prinzessin als von einer „kleinen Jakobinerin“, eine Bezeichnung, die ziemliche Verbreitung gefunden zu haben scheint, da noch im October 1858, als der Prinz von Preußen eben die Regentschaft übernommen hatte, eine legitimistische Gräfin in Baden über A. äußerte: „on dit qu’elle est Jacobine!“ Ueber Augusta’s Stimmung in diesen Tagen gibt ein Brief an ihren alten Lehrer Hand vom [107] 10. Juni Aufschluß. Unter Berufung auf frühere Gespräche mit ihm durfte sie sagen, daß sie „die neue Zeit nicht unvorbereitet gefunden“ habe. Sie habe sie bisher auch nicht des Muthes und der Kraft beraubt, „aber tief erschüttert hat mich ihr gewaltsames Auftreten da, wo eine weise Vermittlung möglich gewesen wäre, und so nun schwere Opfer gebracht werden mußten. Hoffen wir das deutsche Vaterland geläutert aus dieser Zeit hervorgehen zu sehen, und deutschen Sinn bewährt zu finden, von einer Zunge zur anderen“. Die Verhandlungen in der Paulskirche verfolgte sie mit gespannter Aufmerksamkeit, und als sie die im Mai erschienene Schrift des jungen Schwaben Otto Abel: Das neue deutsche Reich und sein Kaiser“, in der für die Uebertragung der Kaiserwürde auf das Haus Hohenzollern Stimmung gemacht wurde, gelesen hatte, sprach sie den Wunsch aus, den jungen geistvollen Historiker, denselben, der nachher in seiner Schrift „Theodat der König der Ostgothen“ die schlimmste Satire auf König Friedrich Wilhelm schrieb, kennen zu lernen. Humboldt und Curtius vermittelten Abel’s Einführung bei ihr. Der inzwischen sicherlich nicht ohne ihre Mitwirkung Mitte Juni zum Minister des Auswärtigen ernannte Schleinitz hatte bei seinem Amtsantritt nichts Eiligeres zu thun, als dem so Ausgezeichneten eine Stelle bei der Bundestagsgesandtschaft anzubieten. In den Märztagen war A. auch mit dem jungen Max Duncker bekannt geworden, der bei ihr ein männliches Verständniß für die deutsche Sache und die Zukunft des hohenzollernschen Hauses fand. Duncker glaubte sich an die richtige Stelle zu wenden, wenn er seit jener Zeit als Mitglied der Nationalversammlung auf die Prinzessin durch Denkschriften im Sinne der Mehrheit des Parlaments einzuwirken suchte. So wollte er am 31. Juli sie und damit den Prinzen von Preußen durch beredte Worte für die von der provisorischen Reichsregierung angeordnete Huldigung der Truppen gewinnen, ohne zu erkennen, daß Preußen dies einfach aus Gründen der Selbstachtung nicht thun konnte. Er befürwortete eine Proclamation des Prinzen in diesem Sinne, durch die er sich mit einem Schlage in Preußen und Deutschland die Stellung wiedererobern würde, die ihm jetzt gebräche und die er in Zukunft einnehmen müsse. Solche Rathschläge wurden glücklicherweise durch die Ereignisse überholt. Augusta’s Persönlichkeit aber bekam im Bewußtsein dieses Vertrauens, das viele der gebildetsten und begeistertsten Patrioten in sie setzten, einen erhöhten Schwung. Urtheilte doch auch ein Mann von der geistigen Bedeutung eines C. F. v. Stockmar in jener Zeit über sie: „Die Prinzessin begreift wohl von allen das Außerordentliche und Eigenthümliche unserer Zeit am besten“. A. wurde selbst Gegenstand demonstrativer Huldigungen, indem ihr am Neujahrstage 1849 von Berliner Frauen eine Adresse übereicht wurde; und die Thatsache, daß sie ihren Wohnsitz zum Unterschiede von der königlichen Familie nach Berlin zurückverlegte, konnte man als eine Demonstration ihrerseits auslegen. Mit großer Offenheit hielt sie am 15. September 1848 Leopold v. Gerlach nach den eigenen Worten dieses trotz seiner leidenschaftlichen Parteisucht immer noch nach Objectivität ringenden Zeugen in „einer sehr heftigen aber gut gesetzten und eigentlich nichts als Wahrheiten enthaltenden“ Rede die von der Regierung gemachten Fehler vor, indem sie erklärte, sie müsse ihm das alles als einem alten Freunde des Königshauses sagen; auf eine weitere Discussion aber ging sie nicht ein. Gegen die Berufung Pfuel’s ins Ministerium bot sie ihren Einfluß auf, weil er ihr einen schwächlichen Eindruck machte. Die Thatsachen zeigten später, daß sie richtig geurtheilt hatte. Einer ihrer besonderen Vertrauensmänner war damals der Major Karl v. Vincke-Olbendorf, mit dem sie vielfach Berathungen pflog. Auch Gagern und die andern Abgesandten der Paulskirche wurden von ihr im Herbst empfangen. Am liebsten hätte sie diese Männer ins Ministerium gebracht. [108] Etwas weimarische Hauspolitik war auch wol im Werke, als ihr Vater zu Anfang des neuen Jahres an König Friedrich Wilhelm ein von dem weimarischen Ministerium gegengezeichnetes Schreiben richtete, in dem er ihm die Kaiserkrone anbot. Indeß mußte A. mit Betrübniß mehr und mehr wahrnehmen, daß die Aussichten auf ein Zustandekommen der Einigung Deutschlands unter der preußischen Spitze zusehends zerrannen. Sie setzte schließlich ihre Hoffnungen auf das Eintreten unvorhergesehener Ereignisse. Am 6. März 1849 hat sie an Bunsen geschrieben: „Umstände allein können helfen; denn Erfahrung und Einsicht scheinen ihre Kunst in unseren Tagen versagen zu wollen. Seit Ihrer Abreise hat sich nichts gebessert, im Gegentheil verschlimmert, hier durch den Rücktritt des Grafen Bülow“ (es war der auswärtige Minister, der auf Anschluß an die Paulskirche und Trennung von Oesterreich hingearbeitet hatte; diesmal war A. antiösterreichisch) „in Frankfurt durch die zunehmende Zersplitterung infolge der Austro-Bairischen Intriguen, welche die Hilfe der Linken“ (d. h. der Demokraten) „nicht verschmähen. Der Partikularismus verschließt sein Auge gegen die drohende Gefahr der Märzzeit, und das Medium tenuere beati scheint den Parteien völlig unbekannt. Wäre nicht mein Hoffen auf Gott gerichtet, glaubte ich nicht an die welthistorische Aufgabe Deutschlands, das sich trotz aller Thorheiten doch um den einigen festen Mittelpunkt scharen muß, wüßte ich nicht, daß die Hilfe oft da am nächsten, wo die Gefahr am größten ist, – ich könnte wahrlich verzagen, aber das will ich nicht, und darum blicke ich getrost in die Zukunft und bleibe der guten Sache getreu“. Ihre vornehme Natur fühlte sich abgestoßen von den Elementen, die großentheils die zweite preußische Kammer bildeten. Sie fürchtete eine von den Proletariern drohende Gefahr. Dann gefiel sie sich wieder in ihren Kassandrarufen: „Gewitterschwüle lastet auf Europa, und brächte das drohende Gewölk nur den Regen, er könnte den Boden befruchten, aber ich fürchte den Sturm und achte auf seine Vorzeichen, so lange es mir vergönnt ist, andere zu warnen“. Mitte März suchte sie im Gefühl, daß sie dies ihrer Stellung als Thronfolgerin schuldig sei, den Generaladjutanten v. Rauch auf, um durch ihn auf den König einzuwirken. „Die Dinge gingen auf eine unbegreifliche Weise“ meinte sie, „der Minister des Auswärtigen Graf Arnim-Heinrichsdorf sei seiner Stellung nicht im geringsten gewachsen. Der König müsse sich durchaus an die Spitze von Deutschland stellen“. Wenige Tage darauf war die Entscheidung gefallen: der König von Preußen hatte die deutsche Kaiserkrone abgelehnt. Am 3. April, als Friedrich Wilhelm die aufschiebende Antwort ertheilte, die praktisch der Ablehnung gleichkam, hat A. eine Soiree veranstaltet, die berühmt geworden ist. Auf ihr bildete sie – nicht ihr Gemahl – durchaus den Mittelpunkt des Interesses für die Kaiserdeputation. Sie suchte den Abgeordneten und sich selbst Muth einzusprechen, obwol sie schwerlich noch glaubte, daß sich noch etwas durchsetzen lasse: „Der große Augenblick könne nicht verloren sein für das Vaterland. Sie vertraue auf den guten Genius Deutschlands. Es sei ja unmöglich, man könne ja eine so große weltgeschichtliche Entwicklung nicht verkrüppeln lassen. Es werde, es müsse alles noch gut werden, das Ziel sei ja ein so herrliches, ein so nothwendiges“. Die Männer der Paulskirche waren geradezu begeistert von diesem Empfang. Die Prinzessin erschien ihnen als der klarste politische Kopf und das am meisten patriotische Herz in Berlin. Fast noch mehr entzückte es, als die hohe Frau ihnen selbst den Thee einschenkte und jeden einzeln in der liebenswürdigsten huldvollsten Weise auszeichnete. Den Vertrauten, Graf Schwerin-Putzar aber fragte A. verzweifelt, was er jetzt noch für einen Rath hätte. Auch in den folgenden Tagen befand sie sich in einer hochgradigen Aufregung, worüber ihr zur Ruhe mahnender Gemahl an ihren Vater schrieb. In ihrem hochstrebenden [109] Sinne übersah die patriotische Frau völlig die wirklichen Verhältnisse, die König Friedrich Wilhelm klar erkannte und die ihrem anfänglich auch dem Gedanken der Kaiserkrone zuneigenden, von besserem preußischen Ehrgeiz wie sein Bruder erfüllten Gemahle allmählich zu Bewußtsein gekommen waren. Diese verboten eine Annahme der Kaiserkrone in der Gestalt, wie Preußen sie hinnehmen sollte, besonders in dem damaligen Augenblicke. A. darf aber vor der Geschichte zu ihrer Rechtfertigung geltend machen, daß sie ihren Irrthum mit vielen der besten deutschen Männer getheilt hat.

Wurde sie von dieser Seite entsprechend gefeiert, so entzogen sich dafür andere beachtenswerthe Kräfte ihrem Bereiche. Dafür war ein Ausdruck die Absage, die ihr Albrecht v. Roon ertheilte, als der Prinz und A. ihm die große Ehre zudachten, für den General v. Unruh, der ganz unter Augusta’s Einflusse gestanden hatte, die Stelle des Militärgouverneurs bei dem inzwischen confirmirten dereinstigen Thronfolger zu übernehmen. Der Brief, den sie am 22. October 1848 an den bisherigen Gouverneur des Prinzen Friedrich Karl gerichtet hat, um ihn für diesen Zweck zu gewinnen – denn sie mochte das Gefühl haben, daß er widerstreben würde – ist eins der schönsten und beachtenswerthesten Schriftstücke, die wir von ihr bisher kennen. Es heißt darin: „Ich habe meinen Sohn stets als ein Gut betrachtet, welches mir Gott anvertraute, und von welchem Er mir Rechenschaft abfordert“. Sie versichert, daß hinsichtlich der Reinheit des Herzens ihr Sohn ihr nichts zu wünschen übrig ließe. Dann fährt sie mit einer bei einer Mutter bewundernswerthen Klarheit fort: „Charakterstärke und Geistesfähigkeit, namentlich Schärfe und Logik der Gedanken, stehen nicht auf gleicher Höhe und bedürfen einer fortwährenden Anregung … Es gilt einen tüchtigen Mann heranzubilden, der unter allen Umständen seiner Pflicht gewachsen sein muß … Als Fürst beweise er durch die That, daß eigenes Verdienst das Recht der Geburt zu unterstützen berufen ist“. Nun geht sie auf die Zeitverhältnisse ein, wie schon früher nicht ohne ein gewisses Bestreben Roon’s Ansichten zu beeinflussen, auch nicht ohne eine gewisse Fülle der Worte, wie denn ihre Briefe vielfach an dem Ballast von Worten zu schleppen haben: „Ich rechne sie zu den Freunden der gesetzlichen Freiheit, der ich stets meine vollste Ueberzeugung widmete. Sie werden sich bewußt sein … dem Princip das Wort geredet zu haben, das durch zeitgemäße Reformen den Revolutionen vorzubeugen sucht“. Auf ihren Sohn zurückkommend, sagt sie: „Er muß die neuen Ideen in sich aufnehmen und verarbeiten, damit er das klare und lebendige Bewußtsein seiner Zeit gewinne, und nicht außerhalb derselben, sondern in und mit ihr lebe … Aus unseren früheren Gesprächen entnehme ich mit wahrer Befriedigung, daß Sie die Nothwendigkeit erkennen, jeglichem Vorurtheil, jeglicher Einseitigkeit oder Nebenrücksicht entschieden entgegen zu treten, wo es gilt sich von den Antecedenzien der älteren Generation abzuwenden, um dem jetzigen Erziehungswesen ein zeitgemäßes Resultat zu sichern“. Sie schließt mit der Versicherung, daß es ihr ein Trost sein würde, falls sie den Schluß ihres Erziehungswerkes nicht erleben sollte, es in sicheren Händen zu wissen – ein Beweis, daß sie ihren körperlichen Leiden früh zu erliegen besorgte –: „Bedenken Sie das lohnende Bewußtsein hienieden und jenseits!“

Der stolze Charakter Roon’s war aber nicht gewillt durch ein Eingehen auf die bewegliche Bitte der Prinzessin sich in die Gefahr eines Zwiespalts seiner Gesinnung mit seinem Amt zu begeben und irgendwie seine Willensfreiheit beeinträchtigen zu lassen. Er lehnte ab, indem er sich auf seine „reactionäre Gesinnung“ bezog, die ihn ungeeignet mache, dem Prinzen „die neuen Ideen unserer Tage anzupreisen“. An seiner Stelle wurde der liberaler und [110] ausgleichender angelegte Oberstlieutenant Fischer mit der Stellung des Gouverneurs betraut, eine Wahl, mit der A. auch recht zufrieden sein durfte. Schon im October 1849 schrieb sie der Frau Fischer: „Was Ihr Mann für meinen Sohn und daher für mich geworden ist, habe ich Ihnen bereits mündlich gesagt; schriftlich kann ich nur hinzufügen, daß ich stets in ihm einen Freund besitzen werde“. Gegen Roon blieb begreiflicherweise seit seiner Weigerung eine gewisse Verstimmung in der Prinzessin haften, die später, als Roon Minister wurde, neue Nahrung fand. Noch 1854 glaubt man sie aus einem Briefe Fischer’s an Roon herauszufühlen, wenn Fischer schreibt: „Ich habe“ (für den Fall, daß man Roon zum Commandanten von Koblenz machte, woraus aber nichts wurde) „dafür gut gesagt, daß Du nicht à tout prix die Constitution umstürzen wolltest“. A. ihrerseits folgte auch noch in diesen späteren Jahren dem ihrem Sohne ertheilten Unterricht und freute sich, wenn die Lehrer Unbefangenheit des Urtheils verriethen. So dankte sie einmal einem Geschichtslehrer in Gegenwart der anderen: „Ich danke Ihnen, daß Sie meinem Sohn eine Geschichte der Völker vorgetragen haben, nicht nur eine Geschichte der Höfe“. Dem Oberst v. Griesheim drückte sie beim Eintritt des Prinzen in das Gardedragonerregiment den Wunsch aus, ihren Sohn nicht zu schonen, damit er die Anstrengungen des Militärdienstes würdigen lerne. Auch wünschte sie, daß ihrem Sohne außerdienstlich nicht zu viel Rücksicht zu Theil werde. „Es wäre die heilige Pflicht des Commandeurs, dem Prinzen die Dinge zu zeigen, wie sie wirklich wären.“ Daß ihr Sohn unter Fischer’s Obhut die Universität Bonn besuchte, war natürlich auch Augusta’s Werk. Sie führte damit einen Brauch wieder ein, der in den letzten Jahrhunderten an den Fürstenhöfen in Abnahme gekommen und im preußischen Königshause ganz ungewöhnlich war, von jetzt ab indeß auch anderswo schnell Nachahmung fand.

Unbeirrt durch die Mißerfolge, die A. bisher erlebt hatte, fuhr sie fort, die „neuen Ideen“ zu pflegen. Es begann jetzt die Zeit, in der sie am meisten Einfluß ausübte. Von Jahr zu Jahr gewann sie mehr Boden bei ihrem Gemahl und sonst. Sie wirkte förmlich parteibildend. Ihr ceterum censeo war der Anschluß an England, Abschüttelung des russischen und anfangs auch des österreichischen Einflusses. Die Radowitzische Unionspolitik unterstützte sie lebhaft. Daher war es ihr ein Dorn im Auge, als General v. Gerlach’s Vertrauensstellung durch seine Ernennung zum Generaladjutanten noch in eine besondere Form gekleidet wurde und zu erwarten war, daß sein Einfluß noch steigen würde. Mit Gerlachs intimstem Gegner, mit Radowitz, legte sie wol einmal die Fahrt von Weimar nach Berlin in demselben Wagen zurück und hörte dem beredten Mann „den ganzen Weg mit Entzücken zu“. Einen Gesinnungsgenossen fand sie in dem ehrgeizigen und vielgeschäftigen Herzog Ernst von Coburg, mit dem sie in einen eifrigen Briefwechsel trat. Ihr Vertrauensmann Schleinitz, der 1848 sehr bald hatte zurücktreten müssen, übernahm im Juli 1849 wiederum das Auswärtige, freilich um nach einem Jahre zu fühlen, daß er eine völlige Null im Ministerium war und selbst die Wahl auf Radowitz zu lenken. Als dieser nun wirklich ernannt wurde, hatte A. die Zuversicht, daß es zum Handeln kommen würde und sprach Humboldt ihre Freude darüber aus, denn „das Maß der Demüthigungen sei voll“.

Es ist verständlich, wenn ihr der Berliner Aufenthalt infolge der Mißliebigkeit, die sie sich durch ihre „schwarzrothgoldene“ Haltung zuzog, immer weniger angenehm wurde. Daher begrüßte sie es mit wahrhafter Freude, als ihr durch das Commando ihres Gemahles am Rhein die Möglichkeit gegeben wurde, ihren Wohnsitz nach Koblenz zu verlegen. Am 17. März 1850 ist sie dort eingetroffen. Es wurde seitdem ihr Lieblingsaufenthalt. Ihr dortiger Hof entwickelte sich zum Hauptquartier einer Partei, in dem die mannichfachsten [111] Fäden zusammenliefen. Von hier aus ist, so kann man sagen, mit wenig Unterbrechungen vierzig Jahre hindurch die jedesmalige preußische Politik mit allen Mitteln bekämpft worden.

Um sie sammelte sich in Koblenz allmählich ein Kreis, zu dem die früheren Getreuen gehörten, zu dem sich aber auch eine Anzahl neuer Elemente gesellte. In dieser Zeit rückte der Neuenburger Graf Albert Pourtalès noch mehr in ihre Gunst ein, der als das Haupt des „Ministeriums der Koblenzer Regierung“ galt. Er und sein Schwiegervater v. Bethmann-Hollweg gründeten mit einer Anzahl von Notabeln, dem Geheimrath Mathis, den Gebrüdern Robert und Karl v. d. Goltz, zwei der begabtesten Mitglieder der preußischen Aristokratie, und Anderen zu Ende des Jahres 1851 das Preußische Wochenblatt, das seine Hauptrolle in der energischen Vertretung einer westmächtlichen Politik gespielt hat und so recht eigentlich das Blatt der Prinzessin von Preußen wurde. Schon bald nach seiner Gründung gab der Cabinetsrath Niebuhr, ein Mitglied der Camarilla, der Befürchtung Ausdruck, daß von Koblenz aus ein Ministerium Bethmann-Hollweg ans Ruder gebracht würde. Der durch sein Conversationstalent ausgezeichnete Diplomat v. Usedom und seine durch ihre Indiscretionen berüchtigte englische Frau Olympia, der katholische, allerdings mehr conservative Gesandte v. Savigny, der Bonner Professor Nitzsch, der Minister v. Ladenberg, der General v. Bardeleben, auch der Commandant v. Griesheim waren ebenfalls zu dieser Partei zu rechnen. Bald nachdem A. nach Koblenz übergesiedelt war, kam Rudolf v. Auerswald als Oberpräsident dorthin, freilich um dieses Amt nur ein Jahr innezuhaben. Er weilte aber auch später viel hier und befestigte sich noch mehr in ihrer Gunst. Es konnte nicht ausbleiben, daß das Koblenzer Officiercorps beeinflußt wurde. So kam es, daß gelegentlich der Wahlen, an denen ja damals auch die activen Militärs theilnahmen, sämmtliche Officiere in Koblenz, sehr im Gegensatz zu ihren Kameraden in den alten Provinzen, oppositionell stimmten. Sehr häufig ließ A. sich Schleinitz nach Koblenz kommen. Ebenso scheint sie mit David Hansemann Beziehungen gepflogen zu haben. Ein eifriger Verkehr wurde mit Bunsen und seinen Angehörigen unterhalten. Unter diesen erwarb sich schon damals der eine der Söhne des Gesandten, Georg, der spätere freisinnige Parlamentarier, eine liebenswürdige, in ästhetischem Genusse aufgehende Natur, der indeß die Welt des politischen Schaffens stets ein sibyllinisches Buch blieb, das besondere Wohlwollen der Prinzessin. Aus Bunsen’s Kreise stammte auch der erste Cabinetssecretär, der bei A. (1857) angestellt wurde, der junge Münzforscher Johannes Brandis. Der Aufenthalt am Rheine erleichterte außerdem den Umgang mit gleichgesinnten Fürstlichkeiten. In der Nachbarschaft saß der Fürst zu Wied, der gleichfalls ein ausgesprochener Anhänger der Wochenblattspartei wurde. Zu den eifrigsten Besuchern gehörte Augusta’s weitgereister Oheim Herzog Bernhard von Weimar, der eine besondere Verehrung für sie hatte und öfter wochenlang in Koblenz weilte. Auch Herzogin Helene sprach zuweilen vor. In Sigmaringen, in späteren Jahren in Düsseldorf lebte das Haupt der katholischen Hohenzollern Fürst Karl Anton, der bald auch zu den Vertrauten der Prinzessin gehörte. Besonders innig aber gestaltete sich das Verhältniß zur badischen Fürstenfamilie. Augusta’s Gesundheitszustand erforderte alljährlich einen mehrmonatlichen Aufenthalt in Baden-Baden, wo sie anfangs durch Kräutercuren ein auftretendes Leberleiden zu bekämpfen suchte. Die vollen Körperformen, deren Entwicklung einst schon Wilhelm v. Humboldt vorausgesehen hatte, machten infolge der heißen Bäder einer großen Schlankheit Platz. Durch die regelmäßige Wiederkehr der Besuche in Baden wurde dieser Ort ebenfalls gleichsam eine ihrer Residenzen. In dem durch sie berühmt gewordenen Meßmer’schen Hause hielt A. ähnliche Zirkel ab, wie in Koblenz. Freilich überwog dort noch mehr das Ausländerthum, Franzosen, [112] Engländer und auch Russen. Unter diesen Ausländern befand sich der französische Diplomat und Historiker Bacourt, der Herausgeber des Briefwechsels zwischen Mirabeau und Lamarck. Zu ihren ständigen Begleiterinnen in Baden gehörte die kleine niederländische Gräfin Pauline Neale, die sie auch sehr durch ihr Vertrauen auszeichnete. Viel wichtiger als dieser Verkehr mit Ausländern war die nahe Fühlung, die A. in Baden mit dem dortigen Herrscherhause gewann. Sowol mit der Großherzoginwittwe Stephanie als auch mit der Großherzogin Sophie und deren Tochter[1], der Herzogin v. Hamilton, fand A. hinreichend Gelegenheit zur Pflege angeknüpfter Beziehungen. Es erwuchs daraus als Frucht die Verbindung der Tochter mit dem Regenten Friedrich von Baden. A. hat mit besonderer Lebhaftigkeit die Annahme der großherzoglichen Würde durch den Regenten betrieben. Die Freundschaft mit der Großherzogin Stephanie, der Adoptivtochter Napoleon’s I., diente dazu die antinapoleonische Gesinnung bei A. etwas abzuschwächen.

In Koblenz hielten die altpreußischen Elemente der übrigen Umgebung Augusta’s nur wenig das Gegengewicht. Außer dem Oberst Fischer übte in dieser Beziehung der Oberst Gustav v. Alvensleben einen guten Einfluß. Weniger glücklich war die Stellung des neuen Oberpräsidenten v. Kleist-Retzow, dessen Ernennung für Rudolf v. Auerswald der Minister v. Manteuffel, um dem Einfluß der Prinzessin ein Paroli zu biegen, im Juli 1851 durchsetzte. Die Camarilla betrachtete diese Maßregel geradezu als eine Großthat. Der liebenswerthe, charaktervolle, aber puritanisch strenge Stockpreuße Kleist, der das untere Geschoß des Koblenzer Schlosses als Dienstwohnung zu beziehen hatte, paßte weder zu der internationalen eleganten Gesellschaft, die sich in den Sälen des Kurfürsten Clemens Wenzeslaus bewegte, noch zu der lebenslustigen Bevölkerung des Rheinthales. Bei dem lebhaften Temperament der beiden Schloßbewohner, der Prinzessin und des Beamten, konnte es nicht ausbleiben, daß in den acht Jahren der Kleist’schen Präsidentschaft mancherlei Reibungen entstanden, die nicht nur in entgegengesetzten Verwaltungsgrundsätzen, sondern auch in der nahen Nachbarschaft ihre Ursache hatten. In den Zirkeln Augusta’s wurde die preußische Politik mit der größten Ungenirtheit und Schärfe kritisirt. Wie Gerlach schon im J. 1851 über die gefährlichen Indiscretionen des Koblenzer Hofes klagte, die die Prinzessin mit der größten Harmlosigkeit begünstige, so hat Jahrzehnte später noch Bismarck dieses gefährliche Spiel mit größter Pein verfolgt (z. B. zur Zeit der Gasteiner Convention August 1865). Schlimm erging es denen, denen die Prinzessin nicht wohlwollte und die sich in ihr Hoflager wagten. Sie suchte sich oft gerade die Frauen aus, um durch sie die Männer ihre Ungnade fühlen zu lassen. Das bekamen gelegentlich Frau v. Bismarck und Frau v. Manteuffel zu erfahren. Wenn A. ein Losungswort gegen jemand ausgegeben hatte, dann handelte auch die letzte Kammerfrau mit heiligem Eifer im Sinne ihrer Herrin. Denn die bei ihr den Dienst versehenden Hofdamen waren ihr alle mit seltener Treue ergeben. Die beiden Hauptpersonen unter ihnen, die Gräfinnen Adelaide Hacke und Luise Oriola, ebenso die Kammerfrau, Fräulein v. Neindorff, haben ihr viele Jahrzehnte bis zum Tode, zum Theil mehr als ein halbes Jahrhundert zur Seite gestanden.

Ein wesentlich neues Element aber, das sich um die Prinzessin schaarte, waren die Vertreter der katholischen Welt. In jener echt deutschen Schwäche, der Vorliebe für das Fremde, die sie bereits die Engländer, Franzosen und Oesterreicher und die Halbdeutschen so bevorzugen ließ, ließ sich A. von dem zum Theil recht wenig deutsch empfindenden katholischen Adel imponiren. Es dauerte nicht lange, so wurde das Mitglied eines der ältesten und bekanntesten kurtrierischen Geschlechter, der Graf v. Boos-Waldeck, ein durch und durch ultramontan gesinnter Mann, ihr Oberhofmeister. Sein Sohn, der mit seinen [113] Sympathien ganz in Oesterreich lebte, wurde dem Prinzen von Preußen beigegeben. Ebenso gewann der Graf v. Fürstenberg-Stammheim, einer der angesehensten Magnaten des Rheins, Augusta’s Gunst. Er trat der Wochenblattspartei bei. Der spätere, durch seine schroffe ultramontane Haltung bekannt gewordene Oberhofmeister Augusta’s Graf Maximilian v. Nesselrode-Ehreshofen entstammte ebenfalls dem preußischen Rheinland. Auch der zum Katholicismus übergetretene Gesandte v. Sydow erfreute sich des besonderen Wohlwollens der Prinzessin. Zu den gerne gesehenen Gästen gehörten ferner der katholische Historiker Alfred v. Reumont, ein Sohn Aachens, und der gleichfalls streng katholische Generaldirector der Museen v. Olfers. Dazu gesellte sich der katholische Clerus. So verkehrten der Pfarrer von St. Castor in Koblenz, Krementz, später Cardinal-Erzbischof von Köln, und der Dompropst Holzer von Trier viel im Schlosse zu Koblenz. Es war nur natürlich, wenn A. das Bestreben hegte, sich bei der überwiegend katholischen Bevölkerung des Rheinlandes beliebt zu machen. Nach und nach übte die katholische Umgebung einen gewissen bestrickenden Einfluß auf ihre Empfindungen und Denkungsweise aus. Der katholische Cult zog sie an. Wenn am Allerseelentage auf den sich an den Anbergen hinbreitenden Kirchhöfen von Koblenz und Umgebung die tausende von Flämmchen im Abendwinde flackerten, so übte das auf sie wie auch auf andere Protestanten einen eigenthümlichen Reiz aus. Noch mehr aber als der Kirchenbrauch trat ihr am Rhein der consequente Bau der katholischen Kirche imponirend entgegen. Sie hatte nicht das Traditionsgefühl in sich, wie ihr Gemahl, der schon im Andenken an die Geschichte seines Hauses scharf die protestantische Eigenart bewahrte, sondern gab sich den Eindrücken, die sie empfing, willig hin und ließ sich gern von den sie umgebenden Einflüssen umspinnen. So entstand in späteren Jahren das Gerede, daß sie heimlich katholisch geworden sei, und viele evangelische Patrioten standen eine wahre Herzensangst deswegen aus. Fürs erste wurde ihre Begünstigung der Katholiken daheim wenig bemerkt, und Varnhagen, selbst ein Katholik, wollte noch kurz vor seinem Tode derartigen Gerüchten keinen Glauben beimessen. „Man will ihr dadurch schaden“ meinte er.

Zu der Zeit, in der A. nach Koblenz ging, tagte das Erfurter Parlament, auf das sie große Hoffnungen setzte. „Wenn England Preußen unterstützt“, schrieb sie an Bunsen, „dann ist das arme Deutschland zu retten, wenn nicht, dann bedenken Sie die inneren und äußeren Feinde. In Erfurt wird sich wohl ein entscheidender Moment entweder kurz vor Ostern oder gleich nachher darbieten. Radowitz hat sich hier trefflich ausgesprochen, aber wir werden verfolgt von der Partei, die jetzt schlimmer ist als die Demokratie“ (d. h. die Kreuzzeitungspartei). „… Ich möchte mein Ohr auf immer der Politik verschließen, ich bin müde und innerlich mürbe, aber Gottes Hand waltet, und die muß man walten sehen, sonst lebt nur der Körper und die Seele schläft. Er wird uns nicht verlassen in der Noth“. Die geschickte, den Radowitzischen Bestrebungen dienende Flugschrift des einst auch mit einer bösen Satire gegen König Friedrich Wilhelm in die Schranken getretenen Historikers Adolf Schmidt: „Preußens deutsche Politik 1785, 1806, 1849“ begrüßte sie höchst beifällig. Daß ein gutes Verhältniß mit Rußland für Preußen wichtiger war als ein Anschluß an England, entging ihr. Ihre Abneigung gegen Rußland war seit 1835 noch gewachsen. Als Theodor v. Bernhardi im November 1851 in Weimar weilte, erfuhr er dort von Personen, die es wissen konnten, daß die Prinzessin eine entschiedene Abneigung gegen alles Russische hätte, die sie die Russen nur zu sehr fühlen ließe. Die Sendung ihres Gemahls nach Petersburg im Mai 1850 bekämpfte sie mit Heftigkeit, wol nur dazu nach Berlin zurückkehrend. Nicht zuletzt leitete sie jetzt bei ihrer Gegnerschaft gegen Rußland auch die Rücksicht auf die öffentliche Meinung, [114] vor der sie, dank Humboldt’s Einfluß, sich mit besonderem Respect erfüllte. In jener Zeit war sie Zeugin des Attentats des Irrsinnigen Sefeloge auf den König. Gerlach erzählt, wie sie geholfen hat, dem König den Verband anzulegen, mit Stecknadeln und Riechfläschchen herbeispringend, ganz wie am 18. März. Ihre schwarzrothgoldene Gesinnung trug sie demonstrativ zur Schau, so daß selbst ihre Hofdame, die schöne Gräfin Oriola, zu Gerlach’s Grimm tricoloren Besatz an ihrem Kleide trug. Noch bis zuletzt hielt sie an der Hoffnung auf das Gelingen des Unionswerkes fest. Am 13. October 1850 schrieb sie wieder an Bunsen: „Zwei Dinge thun uns noth: der feste Wille ehrlich constitutionell zu sein – und die Fähigkeit einen von Rußland und Oesterreich unabhängigen Weg fest, beharrlich und offenkundig zu verfolgen. Dann werden wir mit dem wiedergewonnenen Vertrauen das momentan abwartende Unionswerk zu Preußens Ehre und Deutschlands Heil durchführen und der Zukunft ein großes nationales Werk hinterlassen“. Sie ahnte nicht, daß die Radowitzische, den wirklichen Verhältnissen nicht Rechnung tragende Unionspolitik schon in wenigen Tagen in Warschau und Olmütz ihre Katastrophe erleiden sollte; und als sie eingetreten war, erkannte sie nicht, daß gerade Radowitz die Schuld daran trug, daß er Preußen in eine Sackgasse geführt hatte. Sie machte vielmehr mit dem jetzt mehr wie je von ihr beeinflußten Gemahl den Minister Otto v. Manteuffel dafür verantwortlich, der nur die Consequenzen aus Radowitzens Irrfahrten gezogen und zu Preußens Heil das auszuessen den Muth gefunden hatte, was von dem kriegerischen Mönche zusammengebraut worden war. Freilich empfand sie die Demüthigung von Olmütz, für die Gerlach im Bewußtsein Preußen von einem Verhängniß befreit und den Gegner Radowitz unmöglich gemacht zu haben, kein Gefühl hatte, die aber auch der Realpolitiker Bismarck zur Zeit für unvermeidlich hielt, ebenso wie ihr Gemahl mit Bitterkeit; und in Anlehnung an das Wort des Prinzen bei Erlaß des Patents vom 3. Februar 1847, daß er gegen Gerlach am 16. Mai 1848 wiederholte, schrieb sie damals mit sichtlicher Freude über das Verhalten des Prinzen in dem berühmten Kronrath, wo er mit Radowitz auf Krieg gedrungen hatte, an Bunsen: „Am 19. März 1848 wurde das alte, am 3. November 1850 das neue Preußen begraben. Der Prinz von Preußen hat ritterlich für sein Vaterland gekämpft. Doch vergebens! Nun, da es zu spät ist, mag auch England erwägen, was es dabei gewonnnen hat, daß es Rußlands und Oesterreich Uebergewicht heranwachsen ließ bis an die belgisch-holländische Grenze“.

Seitdem war ihr das Ministerium Manteuffel verhaßt und sie setzte alles daran, dasselbe zu sprengen. Ihr Einfluß hat wol dazu beigetragen, 1852 den Kriegsminister v. Stockhausen zu stürzen und einen Mann ihrer Farbe, den gothaisch gesinnten Minister v. Bonin, dessen Frau zudem eine Katholikin war, auf seinen Posten zu bringen. Wie er es auch später zur Bismarck’schen Zeit gethan hat, gab der Prinz zuweilen zu, daß seine Gemahlin die gebotenen Grenzen in ihrem Verhalten überschritten hätte, und wies sie deswegen zurecht. Bei den übertriebenen englischen Neigungen der Prinzessin und ihrem notorischen Einflusse auf den Prinzen ist es begreiflich, daß das Ministerium die Reise des Paares nach England im J. 1851 zum Besuch der dortigen Ausstellung zu hintertreiben suchte, weil davon eine Verstärkung des englischen Einflusses zu befürchten war. Es war aber natürlich ein aussichtsloses Unternehmen, da die Gründe, welche dagegen geltend gemacht wurden, wie Gefährdung des Lebens durch die Proletariermassen Englands, nicht verfangen konnten. Die Wirkung war, daß A. sich nur noch inniger mit dem englischen Hofe und mit Leuten wie Bunsen anfreundete und daß selbst der Prinz mit dem so gänzlich von ihm verschiedenen Bunsen in ein vertraulicheres [115] Verhältniß kam. Augusta’s Bemühungen gelang es zu Anfang des Jahres 1854 dem Minister Manteuffel ihren Vertrauten Graf Pourtalès zum Unterstaatssecretär im Auswärtigen Amte aufzuhalsen. „Komm und siehe“ schrieb Gerlach außer sich an Bismarck. Auch die anderen altpreußischen Parteigenossen, die mit dem Bundestagsgesandten in Briefwechsel standen, geriethen in Aufregung über den wachsenden Einfluß des Koblenzer Hofes. „Die Partei der Prinzessin umgarnt Manteuffel immer mehr“ hieß es da; „hat sie einen festen Fuß, so wird sie ihm mit dem andern einen Tritt geben“. „Den ritterlichen Prinzen habt Ihr uns am Rhein ganz ruinirt.“ Aber Pourtalès blieb nur sechs Wochen in der neuen Stellung und bald mußte auch der westmächtliche Bonin gerade wegen dieser seiner westmächtlichen Neigungen weichen, ebenso wie damals Bunsen von London abberufen wurde. Hierbei ist es zu dem heftigsten Zerwürfniß gekommen, das zwischen Friedrich Wilhelm IV. und seinem Bruder Wilhelm stattgefunden hat. Das aufstachelnde Element hierbei ist zweifellos die leidenschaftliche Prinzessin gewesen. Bei Gelegenheit seiner silbernen Hochzeit am 11. Juni 1854, zu der sich das prinzliche Paar nach Berlin begab, wurde die Verstimmung der Brüder wieder ausgeglichen. Es war ein Fest, bei dem A. merken konnte, daß die Volksthümlichkeit ihres Gemahls und damit auch ihre gewachsen war. Sie litt es aber nicht lange in der Hauptstadt. Am 17. Juni war sie wieder in Koblenz. Ihrem Lebensgefährten hat sie an jenem Festtage ein von ihr gemaltes Aquarellbild „Die Lebensreise“ geschenkt, dessen vermuthlich allegorischen Inhalt man gern näher kennen möchte. Wie einst die Vermählung während einer Krisis der orientalischen Verhältnisse stattfand, so hatte es sich gefügt, daß auch die fünfundzwanzigjährige Wiederkehr des Tages mit einer entscheidungsvollen Wendung im Orient zusammenfiel.

Während König Friedrich Wilhelm trotz aller Schwankungen doch den richtigen Weg der Neutralität ganz selbständig innehielt, traten die englischen Sympathien Augusta’s, genährt durch den greisen Humboldt, der ihr unverhohlen erklärte, ein Mann seiner Denkungsweise vermöge eigentlich nur noch in England zu leben, mit wachsender Deutlichkeit zu Tage. Im J. 1853 fand ein abermaliger Besuch im Schlosse zu Windsor seitens des prinzlichen Paares statt. Sichtbarer konnte indeß die Freundschaft mit dem englischen Hofe nicht bekundet werden als dadurch, daß der Prinz Friedrich Wilhelm um die Hand der Prinzessin Victoria anhielt. Seit dem Besuche im J. 1846 hatte A. dies Ziel im Auge behalten. Damals hatte ihr Bunsen den Gedanken nahe gelegt. Im März 1854 wurde der Plan zuerst ernstlich im Schoße der königlichen Familie erörtert. Im December desselben Jahres erschien in der Revue des deux mondes ein von Varnhagen Albert Pourtalès zugeschriebener Aufsatz, der ganz offen von diesem Heirathsproject sprach. Wie sie schon in früheren Jahren die ihr ähnlich geartete Frau des englischen Gesandten Westmoreland zu ihren Vertrauten gerechnet hatte, so zeichnete A., so oft sie nach dem ihr verhaßten Berlin kam, die Frau des nunmehrigen Vertreters von Großbritannien Lady Bloomfield womöglich noch ostentativer aus. Nachdem sie eifrig vorher mit der Königin Victoria und dem Prinzgemahl Briefe gewechselt hatte, erhielt schließlich Ende September der Oberst v. Moltke den Auftrag den Prinzen nach England zu begleiten. Moltke schien nicht recht behaglich zu sein, als sie ihm Instructionen ertheilte. „Soviel habe Ich schon bemerkt, daß das Terrain, auf dem ich künftig mich zu bewegen habe, ein sehr schwieriges ist. Die beste Politik wird sein, ganz gerade und offen zu verfahren, und wenn das nicht ausreicht, zurückzutreten“ schrieb er. Aber es scheint im wesentlichen alles glatt abgelaufen zu sein. So geschah es, daß am Vorabend des 44. Geburtstages der Mutter sich ihre beiden Kinder versprachen, die Tochter in Koblenz, wo auch der Bundestagsgesandte v. Bismarck zur Geburtstagsfeier [116] erschienen war, der Sohn in Balmoral. Die Verlobung der Tochter, dieses „Engels“, wie Moltke schrieb, konnte schon am 18. Januar 1856 bekannt gegeben werden, die des Sohnes fand Widersacher auch in England, wo die Times heftig dagegen lärmten. Aber schon am 12. April 1856 konnte A. ihrem Ernst in Coburg in überschwänglicher Freude die Nachricht von der Bestätigung „unserer theuersten Hoffnung“ melden. „Gott segne diese Verbindung für die geliebten Kinder, für unsere Familie und für das arme deutsche Vaterland, das sich naturgemäß nur im Bunde mit England aus seiner jetzigen Lage erheben kann.“ Jedoch erst im Juli 1857, nachdem inzwischen Prinz und Prinzessin von Preußen der Königin Victoria im August 1856 nochmals einen mehrwöchentlichen Besuch abgestattet hatten, wurde das Ereigniß öffentlich proclamirt. Als dann am 25. Januar 1858 endlich die Hochzeit gefeiert wurde, konnte es A. sich nicht versagen, trotz ihres leidenden Zustandes daran theilzunehmen. Erst nachdem dies Band geknüpft war, haben die englischen Herrschaften ihr Gegenbesuche gemacht, der Prinzgemahl im Frühjahr am Rhein und beide im August in Babelsberg, wo ihnen Otto v. Manteuffel höchlichst mißfiel.

Die Tochter konnte schon am 20. September 1856 ihre Hochzeit feiern, zu der A. am 8. September nach Berlin reiste. Gabriele v. Bülow mußte dabei die Functionen einer Oberhofmeisterin ausüben. Auch die Erziehung dieses Kindes hatte A. mit ungewöhnlicher Pflichttreue überwacht. Sie hatte die Prinzeß meist in ihrer nächsten Umgebung gehabt. Am 19. Mai 1855 war sie von dem Prediger Thielen confirmirt worden. Dem vorangehenden Unterricht in Koblenz wohnte A. meist bei; als er geschlossen wurde und Thielen seiner Schülerin die Wichtigkeit des ihr bevorstehenden Actes ans Herz legte, brach auch die Mutter in Thränen aus, hielt ein lautes Gebet und klagte sich darin vielfacher Sünden und Vernachlässigungen in ihrem Berufe als Christin an. Der Lady Bloomfield sprach sie nachher bewegt ihre Befriedigung über das ernste Benehmen ihrer Tochter in diesem feierlichen Lebensabschnitte aus.

Sonst benutzte A. die große Ruhe in ihrer kleinen Residenz angelegentlich dazu, sich am Rheine die Zuneigung der Bevölkerung zu erwerben, weihte gleich zu Anfang ein Waisenhaus zu Koblenz ein, rief allerhand Stiftungen für Handwerker und Brautpaare u. a. ins Leben, vollzog die Taufe eines „Prinzeß von Preußen“ genannten Rheindampfers und brachte bei dieser Gelegenheit während der Festfahrt einen Trinkspruch auf das Gedeihen der Rheinprovinz und deren Industrie aus, besuchte hier und da fromme Vereine, um Vorlesungen z. B. über Franz von Assisi zu hören, wohnte den Grundsteinlegungen zur Moseleisenbahnbrücke und zur Kölner Rheinbrücke sowie der Eröffnung der Bahnstrecke Rolandseck-Koblenz bei und widmete sich vor allem der Anlage des schönen sich vor ihrem Schlosse zu Koblenz längs des Rheines erstreckenden Parkes, den sie 1865 der Stadt Koblenz zum Geschenk machte und auch noch später unablässig ausgestaltete, eine Anlage, die etwas an die Zeiten des Rococo erinnert, aber doch von ganz eigenartigem Geschmacke ist. Ihr alter Freund Pückler mußte hier wieder seine Kunst zeigen, und ihm stand der große Gartenschöpfer Lenné, selbst ein Sohn des Rheinlandes, der schon als junger Mann im J. 1815 Pläne entworfen hatte, hier Gartenanlagen zu schaffen, eifrig zur Seite. Lenné’s Bruder, ein wackerer Steuerrath, gab unleugbar der Volksstimmung Ausdruck, wenn er ab und zu in den Spalten der Koblenzer Zeitung in ungelenken Versen das Lob der Beschützerin von Koblenz sang. Schier unerschöpflich war die Reihe ihrer Wohlthaten, die er aufzuzählen vermochte. Mit lebhaftem Interesse verfolgte A. das große Unternehmen des Kölner Brückenbaus, das damals von Dircksen ins Werk gesetzt wurde, und machte schon früh die Bemerkung, daß der Bau unnöthigerweise den Blick auf Köln und den Dom erheblich beeinträchtigen [117] würde. Sie ließ es sich angelegen sein, an die versunkene Zeit, wo der Krummstab hier sein gemächliches Regiment geführt hatte, wieder anzuknüpfen, richtete in dem schönen und glänzenden, vom letzten trierischen Kurfürsten Clemens Wenzeslaus erbauten Schloß, das kürzlich von Stüler und Lassaulx renovirt worden war, einen Kurfürstensaal her, der mit den Bildern der sämmtlichen Erzbischöfe von Trier seit Richard von Greiffenklau geschmückt wurde, und beging den Tag, an dem hundert Jahre seit dem Einzuge des Erbauers vergangen waren, durch eine große Festlichkeit, ließ auch aus diesem Anlasse eine Geschichte des Schlosses schreiben. In Erinnerung an die Tage der Emigranten hierselbst hing sie dem Gedanken nach, wie es gekommen sei, daß die damalige Einigkeit zwischen Preußen und Oesterreich im Kampfe gegen die Revolution aufgehört habe. Das herzliche Verhältniß zu den Koblenzern bekundete sich durch mancherlei Geschenke, die beide Theile austauschten. Nur die evangelische Bevölkerung hatte die Empfindung, daß A. ihr weniger wohlwolle. Mit besonderer Liebe schmückte sie sich ihre Wohngemächer, die einen herrlichen Blick auf den Rhein und den Ehrenbreitstein gewährten. Manches sinnige Stück schenkte ihr Gemahl hinein, so ein Bild „Trost im Gebet“, eine kranke Mutter mit ihrem Kinde in der Kirche, von dem Düsseldorfer Karl Hübner, dem Maler der „Schlesischen Weber“, die seinerzeit großes Aussehen machten. Unter den Düsseldorfer Künstlern erfreute sich der liebenswürdige Kaspar Scheuren, der eine sinnige Verbindung von Allegorien und Landschaftsbildern liebte, ihrer besonderen Gnade. Auch sie selbst ließ die Kunst nicht ruhen. So hat sie im Anfang der sechziger Jahre den Armeemarsch Nr. 102 componirt, den der Capellmeister Wieprecht instrumentirte und der bei Sedan von einem Truppentheil vor dem siegreichen König gespielt worden ist. Ebenso hat sie eine Sammlung von „Wartburgblättern“ (1863) und ein Werk „Evangelische Kirchenornamentik“ (1865) herausgegeben. Beides hat jedoch nicht Eingang in den Buchhandel gefunden.

In den Koblenzer Jahren vor der Regentschaft fand sie auch die rechte Muße die Erziehung ihres Sohnes zu Ende zu führen. War sie doch sozusagen „ihrem lieben Bonner Studenten“ nachgezogen, indem sie nach Koblenz übersiedelte. Noch immer stand ihr Humboldt dabei zur Seite. Dem Humboldt’schen Kreise gehörte auch der langjährige Begleiter des Prinzen, Hauptmann Heinz, an. Humboldt brachte ihr den Gedanken nahe, daß ein Universitätslehrer wie Curtius als Erzieher allein nicht ausreichen würde. Sie forderte darauf eine Darlegung seiner Ansichten ein, die er am 30. August 1853 einreichte, geleitet von dem Bestreben der „öffentlichen Meinung“ Rechnung zu tragen. Indem er an die praktische Vorbildung erinnerte, die Friedrich der Große mit so wesentlichem Nutzen erhalten hatte, wollte er diese Ausbildungsmethode auch auf den Prinzen Friedrich Wilhelm angewandt wissen und wies auf den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg v. Flottwell als einen geeigneten Beamten hin, der den Prinzen in die Staatsgeschäfte einführen und ihn dabei auch „in die Ideen der Handelsfreiheit“ und der modernen Wirthschaftspolitik überhaupt einweihen könnte. Ebenso befürwortete er militärwissenschaftlichen Unterricht, besonders in der Kriegsgeschichte, und schlug als Lehrer in diesem Fache v. Höpfner vor, den unbefangenen Historiker der Jahre 1806 und 1807, der in der Folge auch gewählt wurde. Neben Humboldt hörte A. Auerswald’s Ansichten hierüber, der darauf mit Eifer einging, dem Prinzen zum Theil selbst Unterricht gab und mit Flottwell Fühlung nahm. Auerswald lag daran auf alle Weise durch vorsichtige Inangriffnahme der Sache dem Einfluß des Ministeriums Manteuffel auf die staatswissenschaftliche Ausbildung des künftigen Thronerben vorzubeugen. Die Prinzessin sah sich bald in der Lage, ihrem Gemahl ein vollständiges Programm [118] zu entwickeln, wie sie sich die praktische Ausbildung ihres Sohnes in den Staatsgeschäften dachte: „Um unsern Sohn in die Staatsgeschäfte einzuführen, wäre es am zweckmäßigsten ihn durch praktische Vorträge einzelner Geschäftssachen aus den verschiedenen Ministerien mit denselben bekannt zu machen. Es wäre aber wünschenswerth ihn nicht mit vielen verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung zugleich in Berührung zu bringen, sondern zunächst nur mit den Finanzen, dem Handel und den innern Angelegenheiten zu beginnen. Für die beiden ersteren nennt Auerswald die Herren Pommer-Esche und Delbrück als geeignet, für die inneren Angelegenheiten, insofern sie die nothwendigste praktische Grundlage der Administration betreffen, würde Flottwell ein geeignetes Mitglied seiner Regierung vorschlagen müssen, der mit Fritz die vorliegenden Geschäfte zur Uebung zu bearbeiten hätte, denn das eigentliche Arbeiten erhöht das Interesse und den Nutzen aller Vorträge. Auerswald behält sich vor, den Ladenberg’schen Leitfaden der Besprechungen über allgemeine Landesangelegenheiten und Tagesfragen wieder fortzuführen und sich Fritz zur Disposition zu stellen. Die Betheiligung an den Geschäften des Kriegsministeriums wird General Reyher“ (Moltke’s Vorgänger als Generalstabschef) „wohl am besten vorschlagen und organisiren können“. Die Fürstin wird schwer zu finden sein, die mit ähnlichem Eifer und nach solchen großen Gesichtspunkten die Erziehung ihres Sohnes geleitet hat wie A. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, den Prinzen ganz in Abhängigkeit von sich zu erhalten. Zum Theil siegte der Einfluß des Vaters ihm gegenüber; wenn Prinz Friedrich Wilhelm z. B. dem Freimaurerorden beitrat, gegen den A. entschieden eingenommen war, so dürfen wir darin wol den väterlichen Willen erblicken. Dann aber zeigte der Prinz auch früh bei aller zarten Rücksichtnahme eine gewisse Selbständigkeit, wie Bismarck und Andere beobachtet haben.

Derweile trat in Berlin das Ereigniß ein, das schon lange in der Luft gelegen hatte: Friedrich Wilhelm IV. erkrankte im October 1857 so schwer, daß sein Bruder Wilhelm mit seiner Stellvertretung betraut werden mußte. Es schien von vornherein fraglich, ob er sich je wieder erholen würde. Mit einem Male schien nun das in unmittelbare Nähe gerückt zu sein, worauf von jeher der Wunsch der stolzen Frau gerichtet war. Ueber kurz oder lang mußte sie die Herrscherin im größten deutschen Staate sein. Einstweilen war ihr noch Zurückhaltung geboten. Ein Jahr währte die Stellvertretung und ihr folgten mehr als zwei Jahre Regentschaft. A. hat in dieser Zeit äußerlich zunächst in ihrer reservirten Haltung ihre Klugheit bewiesen. Und daß sie auch thatsächlich nicht gleich in die Regierung eingriff, dafür wirkte ihr hoher Gemahl. Er hatte das Gefühl, daß die ihm ohne Frage in der Kritik überlegene Frau danach trachtete, ihn ihren Zielen dienstbar zu machen und daß ihr das wirklich großentheils gelungen war. Nun da es zum selbständigen Handeln kam, wollte er frei sein und ganz seinen eigenen Weg gehen, denn er mochte das Bewußtsein haben, daß die Praxis nicht das Feld Augusta’s war. Außerdem lehnte sich sein Mannesstolz dagegen auf, daß man, wie ihm nicht entgehen konnte, einen vorherrschenden Einfluß der Prinzessin annahm. So sah er sich veranlaßt, ihr den Befehl zu geben, sich mit niemand einzulassen, der irgendwie einen politischen Einfluß ausüben könnte; und als A. einmal kraft der ihr innewohnenden Herrschernatur diesen Befehl außer Acht ließ, da wallte sein Zorn auf und er verbat sich das. So berichtet Gerlach. Dazu kommt, was Varnhagen in derselben Zeit aufgezeichnet hat, wonach die Prinzessin, natürlich nicht ohne einige Uebertreibung, erklärte, ihr Rath und ihre Empfehlung seien nur schädlich; wenn sie dem Prinzen einen Wunsch äußere, thue er gewiß das Gegentheil. Ebenso berichtete der kühl beobachtende Otto v. Manteuffel noch in der Zeit [119] der Stellvertretung, daß der Prinz sich seine Selbständigkeit zu wahren wüßte. Darüber wurden sich denn auch bald Augusta’s Getreue klar, daß den Versuchen seiner Gemahlin, Einfluß auf den Gang der Regierung zu gewinnen, mehr und mehr der herrlich feste Wille des Regenten entgegengetreten war. Aber sie sagten sich, daß A. die Atmosphäre machte, in der ihr Gemahl lebte. Namentlich waren ihr allein die Einladungen zu den kleinen Soireen überlassen. Sie hat zuweilen auch die liberalen Parteiführer eifrig bearbeitet, daß sie sich mehr in der größeren höfischen Geselligkeit einbürgern sollten. „So lerne die Partei doch etwas von ihren Gegnern“ hat sie zu Vincke-Olbendorf gesagt. „Die Herren müssen nicht abreisen, sobald die Kammersitzungen geschlossen sind und den Prinzen nicht ganz isolirt der Reactionspartei gegenüberlassen“. Ein anderes Mittel, durch das sie den Gatten zu beeinflussen suchte, war der tägliche Frühstücksvortrag, den sie ihm unter Zugrundelegung von Briefen und Zeitungsartikeln, die oft für ihre Zwecke geschrieben waren, während seiner ganzen Regierungszeit, wie schon in den Jahren vorher, zu halten pflegte. Es war just dieselbe Art von Vortrag, wie sie Leopold v. Gerlach König Friedrich Wilhelm IV. zu halten gewohnt war und durch die dieser eine so große Wirksamkeit ausübte, die hauptsächlich das Wort von der „kleinen aber mächtigen Partei“ aufkommen ließ. Es war nur zu natürlich, wenn Augusta’s Gemahl durch diese beharrliche Einwirkung öfter verwirrt, ins Schwanken gebracht und auch dirigirt wurde. Um gegen diese systematische Bearbeitung völlig gefeit zu sein, dazu war er einmal zu sehr von Gefühlen der Ritterlichkeit gegen die Frau, sodann zu sehr von legitimistischer Verehrung für die Königin durchdrungen; und nicht zuletzt war das Bedürfniß nach häuslicher Ruhe ein Ding, das mitsprach. Nichtsdestoweniger ist es A. während seiner Regierung niemals gelungen seiner ganz Herr zu werden. Ihre Bemühungen brachen sich immer an seinem eisernen Willen, nur dem Staatsgedanken zu dienen, und seiner manchmal allerdings langsamen Erkenntniß, daß ihre Rathschläge von einer Verkennung der Staatsaufgaben eingegeben waren.

An dem Lebenswerk ihres Gemahls, der Militärreform, hat sie, wie es scheint, wenig oder gar keinen thätigen Antheil genommen. Dies lag ihr als Frau ferner. Nicht einmal innerlich scheint sie bei der Sache gewesen zu sein. In dem Gespräch, das sie mit Roon am 10. Januar 1859, also vor dessen Berufung ins Ministerium, über das große Unternehmen führte, gab sie sich zwar als eine Freundin desselben zu erkennen. Aber man hat das Gefühl, daß es ihr doch mehr darauf ankam, ihren Freund Bonin als Kriegsminister zu halten: „Der Regent müsse immer und immer wieder an die Sache erinnert werden und der Minister müsse und werde sich dann endlich zum Ziele legen“ sagte sie.

Daß sie die Atmosphäre machte, in der der Prinz lebte, das zeigte sich recht deutlich darin, wie sie den geistreichen Militärschriftsteller Bernhardi dazu benutzte, um ihrem Gemahl ihre Russenfeindschaft einzuimpfen. Bernhardi hatte aus genauer Kenntniß der russischen Verhältnisse einen Aufsatz geschrieben: „Rußland, wie es Nikolaus I. hinterläßt“. Diese gründliche Arbeit entwarf allerdings ein schreckliches Bild von den dortigen Zuständen. A. verschaffte sie sich für ihren Gemahl und Sohn, zog dann Bernhardi in ihre Geselligkeit, ließ sich selbst noch mehr von ihm über Rußland unterrichten und brachte ihn dem Prinzen näher, freilich ohne den gewünschten Erfolg zu erreichen.

Und auch sonst übte sie einen stillen Einfluß aus. So war sie es mit ihrem Humboldt, die gleich zu Anfang die Standeserhebung Bunsen’s durchsetzte. Ebenso wird ihrem Einfluß die Erhebung des schöngeistigen Diplomaten Brassier de St. Simon, des Halbbruders ihrer Freundin, der Herzogin von [120] Sagan, in den Grafenstand, welche bald nach Eintritt der Stellvertretung erfolgte, zuzuschreiben sein. Die Ernennung des Grafen Pourtalès zum Gesandten in Paris und die baldige Abberufung Kleist-Retzow’s von Koblenz war natürlich ganz in ihrem Sinne. Wenn der Prinz gelegentlich in Aufregung über das Herrenhaus gerieth, so witterte Gustav Alvensleben auch dahinter den Einfluß Augusta’s. Mochte die Beliebtheit des ritterlichen Prinzen mit seiner Güte und seiner Gradheit ungleich größer sein als die Augusta’s, so warf sie zu Anfang doch ein größeres Gewicht in die Wagschale durch den Respect, den man ihr bei Freund und Feind wegen ihrer geistigen Bedeutung zollte. „Was ist das für eine merkwürdige Frau!“ schrieb Leopold von Gerlach, „Alles treibt sie mit Gewissen und Energie, aber zugleich mit einer unglaublichen Leidenschaft.“ Er hat etwas von Furcht vor ihr. Sie kommt ihm wie mit Zaubergewalt ausgerüstet vor und launig sagt er, er wäre jetzt nicht mehr zu brauchen, auch wenn die Prinzessin „als Medea ihn jung kochte“. Bei dem Wechsel in der Regierung sah alle Welt viel mehr nach der Prinzessin als nach dem Prinzen. Erst allmählich sollte man erkennen, daß der zielbewußtere und der fester gegründete und darum auch der größere von beiden Augusta’s Gemahl war. Als sich die Anzeichen mehrten, daß es mit König Friedrich Wilhelm zu Ende gehe, unterhielt sie sich mit Gerlach über die Lage und „bestand darauf, daß noch Hoffnung wäre“. Sie selbst war damals auch im höchsten Grade leidend; Langenbeck, der schon zu den sie behandelnden Aerzten gehörte, zuckte bedenklich die Achseln und meinte mit seinen Fachgenossen, sie könnte kaum noch ein Jahr leben. Gerlach bemerkt zu jenem Gespräch: „Alles sprach sie mit der gebundenen Leidenschaft, die so charakteristisch ist für die arme Frau“. Diese leidenschaftliche Natur verleugnete sich auch nicht im höfischen Verkehr. Konnte doch der 1850 verstorbene frühere Minister des Aeußeren, Freiherr v. Canitz, der Nachfolger Heinrich’s v. Bülow, in seinen Denkschriften voll bitteren Unmuths von der „maßlosen albernen Ungnade“ sprechen, mit der die Prinzessin ihn „überschüttet“ hätte. Ihr Haß gegen den unglücklichen Unterzeichner der Olmützer Punctation und seinen Vetter, den Russenfreund Edwin Manteuffel ging so weit, daß sie den Kopf abwandte, wenn sie eines derselben ansichtig wurde. Sie hat es im Januar 1858 hintertrieben, daß Edwin Manteuffel mit zu den Hochzeitsfeierlichkeiten nach England ging. Es war viel, wenn sie dem ihr wegen seiner fanatischen Russenfreundschaft in hohem Grade unangenehmen Louis Schneider aus Dankbarkeit gegen seine ihrem Gemahl bezeigte Treue die Hand zum Kusse hinhielt.

Ihr Einfluß war unzweifelhaft im Spiele bei der Bildung des Ministeriums der neuen Aera. Waren doch gerade die Männer ihres Vertrauens hineinberufen worden, Schleinitz, Auerswald, Bonin, Hohenzollern, Bethmann-Hollweg, Flottwell, Patow und später auch Schwerin. Nicht umsonst hieß dies Collegium bei Alvensleben, Graf Goltz und deren Freunden das Schürzenministerium. Hatte doch auch die Königin von England den alten Stockmar veranlaßt, in der Zeit vor dem Ministerwechsel nach Babelsberg zu gehen und sich zur Disposition der Prinzessin zu stellen. Vielleicht ist der Regent in der Wahl seiner Rathgeber aber selbständiger gewesen, als es zunächst den Anschein hat. Geradezu aufgedrungen scheint man ihm nur den Freiherrn v. Patow zu haben. Immerhin durfte A. sich gleichsam als eine Patronin dieses Ministeriums ansehen. Trotzdem zeigte es sich bald, daß auch die neue Regierung nicht ganz nach ihrem Geschmacke war, was daher kam, daß ihr Gemahl unabhängig von dem Ministerium seinen Weg ging. Sie betonte infolge dessen ziemlich demonstrativ ihre Beziehungen zu dem neuen Minister des Innern Graf Schwerin, der durch seine Schroffheiten dem Regenten am meisten Schwierigkeiten bereitete. Schwerin’s Frau, eine Tochter [121] Schleiermacher’s, duzte sie. Die Haltung des Prinzregenten während des italienischen Krieges, der erst Neutralität bewahren, im weiteren Verlaufe aber dem Vordringen der Franzosen in Italien mit bewaffneter Macht am Rheine Halt gebieten wollte, war nicht durchaus die der Prinzessin. Sie war zwar jetzt wieder für Oesterreich, aber die Kriegslust, die sie für das Unionswerk erfüllte, war von ihr gewichen. Jetzt hatte sie kein Vertrauen auf das Glück der preußischen Waffen. Die Mobilmachung mißbilligte sie, wie Perthes an Roon mittheilt, und Gerlach zweifelte, ob der Prinz seine kriegerischen Absichten ihr gegenüber werde durchsetzen können. Sie stand mit dem Prinzgemahl in einem eingehenden Schriftwechsel, von dem der Coburger uns Kenntniß gibt. Am 25. April hat sie sogar eine Denkschrift nach Schloß Windsor geschickt, in der sie sich über die Lage Deutschlands und Preußens äußerte. Man würde gern mehr über ihren Inhalt erfahren als Herzog Ernst mittheilt. Es scheint als ob sie den Versuch gemacht hat, England aus seiner Neutralitätsstellung herauszulocken und zu einem Bündnisse mit Preußen zu bewegen, um dessen Eingreifen in den Kampf mehr zu stützen. Sie machte geltend, daß Preußen und England ein gemeinschaftliches Interesse daran hätten, Frankreich zu bekämpfen, sprach von einer demnächstigen Erschütterung der Napoleonischen Dynastie und von einer „Basis, durch welche die Traktate überhaupt neu gefestigt werden könnten“. Aber Old England dachte natürlich nicht daran sich aus seiner zuwartenden Stellung bringen zu lassen. Dort hätte man mit Freuden gesehen, wenn der Prinzregent seine ritterliche und kühne, aber für Preußen nutzlose und allzu gefährliche Politik durchgeführt, für Oesterreich die Kastanien aus dem Feuer geholt und sich in eine abhängige Lage von diesem undankbaren Staate gebracht hätte, was der schnelle Friedensschluß von Villafranca verhinderte.

Mehr als in der hohen Politik hat A. in Actionen erreicht, bei denen es auf Entfaltung äußeren Glanzes ankam. Dazu gehörte die portugiesische Heirath und die Krönung. Diese beiden Dinge sind vornehmlich ihr Werk gewesen. Als ihr getreuer Gehülfe war dabei der Graf Stillfried thätig, einer jener Katholiken, die bei ihr allmählich zu Einfluß gelangt waren. Er vermittelte die Vermählung der Prinzessin Stephanie von Hohenzollern mit dem König Dom Pedro von Portugal. A. wußte es durchzusetzen, daß bei der Vermählungsfeier dem katholischen Hause Hohenzollern gleichsam königliche Ehren erwiesen wurden, zu nicht geringer Befremdung der altpreußischen Kreise. Gerlach witterte dahinter das Vordringen der „Römer“. Schon gleich nach der Thronbesteigung trug A. sich mit dem Gedanken einer Krönungsfeier, zu der schon im Februar 1861 die Mäntel bestellt wurden. Nachdem ihr Gemahl von der Mehrheit des Ministeriums bei dem Plane der an das altständische Wesen anknüpfenden Erbhuldigung im Stiche gelassen worden war, den er mit lebhaftem Eifer verfolgt hatte, bot sich die Krönung als ein leidlich guter Ausweg aus der Lage. Schleinitz als Vollstrecker des Willens der Königin setzte sie im Ministerium durch. Mit im Rathe Augusta’s war diesmal die ihr geistig verwandte Großfürstin Helene von Rußland gewesen, eine württembergische Prinzessin. Das Fest wurde mit großartigem Pompe am 18. October 1861 in Königsberg gefeiert. Ihr Gemahl verlieh ihr an diesem Tage den Schwarzen Adlerorden und ernannte sie zum Chef des neu gebildeten 4. Garde-Grenadier-Regiments, das als Standort Koblenz angewiesen erhalten hatte. Als Oberhofmeisterin fungirte bei diesen und bei den nachher in Berlin auf das glänzendste fortgesetzten Feierlichkeiten, bei denen A. selbst zuweilen als Rednerin hervortrat, wieder ihre alte Freundin Gabriele v. Bülow.

In Berlin, wohin sie nunmehr dauernder ihren Wohnsitz verlegen mußte, um den Pflichten, die ihr als Herrscherin erwuchsen, nachzukommen, kamen jetzt die [122] schönen Räume, die sie sich zu Anfang ihrer Ehe geschaffen hatte, endlich recht zur Geltung. Erst 1856 waren dort in der stattlichen Treppenhalle von ihrem Freunde Christian Rauch, der ihr auch einst mancherlei Zeichenvorlagen hatte liefern müssen, drei Genien aus carrarischem Marmor aufgestellt worden, zwei edle Victorien und in der Mitte eine Friedensgöttin, die gerade in das Vorzimmer der Herrin dieser Gemächer herabzuschweben schien. Einer der ständigen Gäste im vertrauten Kreise Augusta’s wurde jetzt der aus Bunsen’s Umgebung stammende vielseitige discrete Abeken, dem A. es nicht nachtrug, daß er der Verfasser der Olmützer Punctation war. Mehr in den Vordergrund traten allmählich Wilhelm und Boguslav Radziwill, die Brüder der Elisa; besonders der jüngere, durch seine schroff ultramontane Richtung sich auszeichnende Boguslav wurde durch Augusta’s Vertrauen ausgezeichnet. Sodann versammelte die Königin von Preußen die Elite der deutschen Gelehrtenwelt um sich. Sie zog Männer wie Helmholtz, Ranke, Herman Grimm, Bernhardi, Häusser, Duncker, den Shakespeareforscher Werder, Siemens, den Nordpolfahrer Koldewey, den Naturforscher Dove, den Mediciner Billroth und viele andere bedeutende Männer zu ihren kleinen Zirkeln hinzu. Bei der Auswahl bewies sie feines Verständniß und sicheren Blick für wirkliche geistige Bedeutung. Mit Vorliebe wurde zu diesen vertrauten Kreisen das kleine Theezimmer (das Pompejanische) gewählt, in dem oft rechte, durch die in den sechziger Jahren übliche Reifrocktracht noch erhöhte Engigkeit entstand und für das daher die Bezeichnung Theebüchse oder Bonbonnière gang und gäbe wurde. Zumeist wurden Gespräche geführt; oft ließ A. aber auch vorlesen oder es wurden Bilder und Anderes betrachtet. Lange Zeit fanden diese Zirkel regelmäßig Donnerstags statt, später an mehreren Tagen in der Woche. Böse Zungen behaupteten, daß bei diesen Abenden oft große Langeweile geherrscht hätte; und daß eine gewisse durch das Ceremoniell der Königin bedingte Steifheit die Frische der Unterhaltung beeinträchtigte, ist wol sicher. Hinzu kam der leidende Zustand der hohen Frau, der nicht verfehlt haben wird auf die Stimmung der Umgebung bedrückend einzuwirken. Durch eiserne Selbstzucht gelang es A. indeß einigermaßen ihre körperlichen und seelischen Schmerzen zu verbergen, wobei allerdings unausbleiblich etwas Gemachtes in die Erscheinung trat. Sie verstand es meisterhaft die Unterhaltung in Gang zu bringen und wußte dies. Stets war sie darauf bedacht sich zu orientiren. Es fehlte ihr dabei jenes Etwas, was eine Frau in jedem Falle gut kleidet, die gesunde, nicht von Harmlosigkeit freie Ursprünglichkeit, die z. B. die Königin Luise in so köstlicher Weise verrieth, wenn sie sich beim Kriegsrath Scheffner Belehrung über wichtige ihr im Leben begegnende Fragen holte. Schloß die hohe Frau die Augen, indem sie sagte: „Ich werde etwas sehr Dummes fragen“, so wußte der also angeredete Professor ganz genau, daß diese Bescheidenheit angenommen war und daß sich dahinter ein äußerst selbstbewußter Geist verbarg. Wurde ein größeres Fest veranstaltet, so fanden in dem mächtigen Adlersaal öfter Aufführungen kleiner Stücke statt, falls nicht in dem runden, durch sein vielfaches Echo bekannten Saale getanzt wurde. Einer ihrer Getreuesten, das Seitenstück zu Louis Schneider bei ihrem Gemahl, wurde der aus dem Dienst des Prinzgemahls herübergekommene Legationsrath Friedrich Karl Meyer. Unter den Künstlern zeichnete sie den Maler Hensel und die Sängerin Artôt aus. Gleich zu Anfang trug sie sich mit den Plänen zur Schaffung eines französischen Theaters. Nach wie vor legte sie aber Sprödigkeit gegen freieren Ton an den Tag, und als es hieß, daß sie das Dumas’sche Stück die „Cameliendame“ besucht hätte, ließ sie eine Berichtigung in den Zeitungen erscheinen. Sie veranlaßte, daß die lange versteckt aufbewahrten Cartons von Cornelius den gebührenden Platz erhielten. [123] Auch mit der evangelischen Geistlichkeit gewann sie Fühlung. So scheint sie der originelle und charaktervolle Büchsel, ein Vertreter der streng lutherischen Richtung, angezogen zu haben.

Von ihren orleanistischen Beziehungen stammte ihre trotz des Verkehrs mit der Großherzogin Stephanie noch immer nicht zu überwindende Abneigung gegen den Bonapartismus her. Als ihr Gemahl 1860 die bekannte Zusammenkunft mit Napoleon III. in Baden hatte, war sie in Verlegenheit, wie sie dem Emporkömmling begegnen sollte und fragte die Herzogin von Sagan um Rath. Bei der Begegnung verhielt sie sich sehr schweigsam.

Diese antinapoleonische Stimmung war auch eins der Motive, durch die sie sich mit Mißtrauen gegen den Mann erfüllen ließ, dessen Beruf zur Leitung der preußischen Politik seit Jahren alles, was politisch dachte, theils widerstrebend theils voller Hoffnung fühlte. Bismarck stand im Geruch napoleonfreundlicher Anschauungen. Es war außerdem bekannt, daß er gegen Rußland stets eine objective, eher wohlwollende Haltung eingenommen hatte, und das war auch nicht geeignet, um die Prinzessin für ihn einzunehmen. Dazu kam, daß er einen unabhängigen Charakter verrieth, der nicht gewillt war, sich jemand unbedingt zur Verfügung zu stellen. Das wesentlichste Motiv aber, das die Königin mit der entschiedensten Abneigung gegen ihn erfüllte, war fraglos das Gefühl, daß diese Herrschernatur, die um jeden Preis ihren Willen durchzusetzen suchen würde, ihr unendlich überlegen sei, und das Bewußtsein, daß ihrer beider Anschauungen durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt waren. Sie war die feurige kluge Vertreterin allgemeiner Menschheitsideale, das Kind der von Herder, Schiller und den Humboldts vertretenen Welt, gewiß nicht ohne Vaterlandsliebe, aber im Grunde doch noch mehr weltbürgerlich gesonnen, in ihren politischen Anschauungen bestimmt von subjectiven Empfindungen. Bismarck trat ihr entgegen als der titanenhafte Vorkämpfer des preußischen Staatsgedankens, ausgerüstet mit jenem köstlichen Wirklichkeitssinn, der bis zu einem gewissen Grade just in den socialen Kreisen, denen er durch seine Geburt angehörte, ein allgemeines Erbtheil ist, mit einer unvergleichlichen Gabe das jedesmalige Staatsbedürfniß rasch und sicher zu erkennen und endlich mit einer bewundernswerthen Entschlußkraft auch in den verantwortungsreichsten Augenblicken. In seiner großartigen Einfachheit war er nach dem tiefen Ausspruch eines Historikers mehr ein Held Shakespeareschen Schlages. A. konnte sich sagen, daß dieser Mann, dessen Wesen großentheils dem ihres Gemahls gleichgeartet war, die positiven Eigenschaften Wilhelm’s nur noch in gesteigertem Maße zeigte, der Unentschiedenheit, welche in den ersten Jahren der Regierung darüber geschwebt hatte, ob sie den in Koblenz errungenen vorherrschenden Einfluß wiedergewinnen sollte, durch seinen Eintritt ins Ministerium ein Ende bereiten würde. Noch konnte sie nicht ermessen, wie die Nachwelt es vermag, daß nur eine gewaltige Realpolitik, wie sie Otto v. Bismarck einleitete, die da anknüpfte, wo Friedrich der Große den Faden hatte fallen lassen, Deutschland in den Sattel zu heben im Stande war. Auf dem classischen Boden von Weimar, im ästhetischen Berlin der dreißiger Jahre, in der Paulskirche und in der Coburg-Orleans’schen Luft konnte der harte, aber auch gesunde und schwungkräftige Sinn, den eine solche Politik voraussetzt, nimmer gedeihen.

A. hatte den Bundestagsgesandten noch am 2. November 1851 mit einer gewissen Dringlichkeit zu sich befohlen, hatte ihn dann auch noch später gelegentlich bei sich in Koblenz gesehen, allmählich aber eine stetig wachsende Abneigung gegen ihn in sich aufgenommen. Wenn ihr Gemahl vier Jahre gebrauchte, ehe er sich dazu entschloß Bismarck zu berufen, so ist A. gewiß zu einem guten Theile die Ursache dazu gewesen, indem sie selbst und ihr Schildträger [124] Schleinitz alles aufboten, um diese Wahl zu hintertreiben. Doch darf nicht vergessen werden, daß Wilhelm I. selbst mancherlei von vornherein gegen Bismarck einzuwenden hatte. Immerhin wird anzunehmen sein, daß sie sowol im Januar 1859 dazu beigetragen hat, auf die Versetzung Bismarck’s nach Petersburg hinzuwirken und daß das Conseil im März 1860, bei dem der Regent sich so auffällig schnell für Schleinitzens Politik entschied, unter dem Banne ihres Einflusses gestanden hat. Doch scheint Bismarck’s Ernennung damals recht lange in der Schwebe gewesen zu sein. Denn noch im Mai stellt Gerlach Erwägungen über ihre Möglichkeit an. Als Schleinitz zum dritten Male seines auswärtigen Ministeriums überdrüssig geworden war, und Bernstorff, den A. auch nicht mochte, für ihn eintreten sollte, im Herbst 1861, hat sie Bismarck plötzlich in auffälliger Weise ausgezeichnet. Bismarck ist der Ansicht, daß dies durch eine Meinungsverschiedenheit mit ihrem Gemahl über die Behandlung der deutschen Frage hervorgerufen gewesen wäre. Aber zu Anfang des Jahres 1862 scheint Augusta’s Stimmung wieder eine andere gewesen zu sein. Denn Schleinitz belehrte damals Roon, daß Bismarck’s Zeit noch nicht gekommen sei, und Graf Robert Goltz, der inzwischen auch schon längst um die ihm einst von A. gespendete Gunst gekommen war, konnte am 20. Februar an Bismarck schreiben: „Eine hohe Frau arbeitet offenbar stark gegen mich, vielleicht noch stärker als gegen Sie“. Schleinitz hatte Bismarck aus seinen Petersburger Berichten zur Genüge kennen gelernt. Ihm gegenüber hatte Bismarck den Gedanken, dem er schon in einer Rede im J. 1849 Ausdruck gegeben hatte, der aber für A. wie für den jetzigen Hausminister gleich schrecklich war, den Gedanken, daß die großen Fragen der Zeit durch Blut und Eisen gelöst würden, mit aller Entschiedenheit und Klarheit entwickelt.

Als der Würfel fiel und am 22. September 1862 in Babelsberg der Bund zwischen dem ritterlichen König und seinem treuen deutschen Diener geschlossen wurde, weilte A., wie gewöhnlich im September, in Baden. Wenige Tage nach seiner Ernennung bezeichnete Bismarck in der Budgetcommission des Abgeordnetenhauses als das Heilmittel, wodurch Deutschland gesunden könnte, abermals Blut und Eisen. Damit gab er der Königin den Anlaß zu einem ersten wuchtigen Vorstoß gegen ihn, den sie um so besser führen konnte, als ihr Gemahl gerade zu ihrem Geburtstage nach Baden gekommen war. Sie malte dem Könige die Zukunft in den schwärzesten Farben, stellte Bismarck mit Strafford und Polignac auf eine Stufe und weissagte ihm das Schicksal der Stuarts. So kam es zu der berühmten Begegnung in Jüterbogk, wo Bismarck seinen Herrn bei seinem soldatischen Ehrgefühl packte. „Er fand in wenigen Minuten die Sicherheit wieder, um die er in Baden gebracht worden war und selbst seine Heiterkeit.“ Er fühlte sich durch den glücklichen Tact seines Ministers der Sorge vor der „Manöverkritik“ seiner Gemahlin überhoben. In dem Einleitungsgefecht zu dem großen Kampfe zwischen Königin und Minister war dieser mit leichter Mühe vollständig Sieger geblieben.

Noch wissen wir wenig über ihre Thätigkeit gegen Bismarck in dem nun heraufsteigenden größten Jahrzehnt der deutschen Geschichte. Es besteht aber gar kein Zweifel darüber, daß sie in allen Abschnitten desselben ihm in den Weg zu treten gesucht hat, zum Theil unter den leidenschaftlichsten Anstrengungen, sowol 1864 als 1866 und 1870/71 und in den Zwischenstadien. Getragen von dem edlen Bestreben, die unvermeidlichen Härten im politischen Leben nach Möglichkeit auszugleichen, wie sie sich denn dem Grafen Beust gegenüber einmal als die politische soeur grise bezeichnet hat, bekundete sie doch gerade hierbei so wenig Verständnis für das Wesen des Staatsgedankens, daß sie der Politik ihres Gemahls hin und wieder geradezu gefährlich wurde. War es mehr unschuldiger [125] Natur, wenn sie aus Anlaß des Militärconflictes strafversetzte Beamte wie Bockum-Dolffs demonstrativ auszeichnete, so wurde ihr Eintreten für die Theilnahme König Wilhelm’s am Frankfurter Fürstencongreß (August 1863), im J. 1864 ihre Parteinahme für den Frieden und für den Augustenburger schon unangenehmer für die die „Galeere“ rudernden Männer. Den heftigsten Widerstand hat sie, im völligen Gegensatze zum Jahre 1850, gegen die Auseinandersetzung mit Oesterreich im J. 1866 geleistet. Hier spielte sie beim Herannahen der Krisis wieder die Rolle der unheilverkündenden Kassandra, diesmal allerdings mit weniger Berechtigung als vor dem Revolutionsjahr. Nach allem, was wir erfahren, muß sie einen Kampf von furchtbarer Hartnäckigkeit geführt haben, um den König von dem Kriege abzubringen und ihn von seinem Staatsmanne zu trennen. Ihre Getreuen unterstützten und bearbeiteten sie dabei mit einem Eifer der bedenklichsten Natur. Nicht zum wenigsten intriguirte die subalterne Umgebung wie der Legationsrath Meyer, der für die Kundigen durch die Bezeichnung Königinmeyer kenntlich wurde. Der konnte nicht schwarz genug auftragen, um die Gefahren und Schrecken des Bruderkrieges auszumalen, so daß es selbst Schleinitz zu arg wurde, der König aber gelegentlich mit einiger Verwunderung ihm das Feindselige in seinem Verhalten vorhielt, ein Tadel, der ungewollt auch seine Gemahlin traf, die es übel vermerkte, als Schleinitz auf ihren Meyer mäßigend einzuwirken suchte. Und als die Verwerflichkeit des Bruderkriegs den König nicht schreckte, da sahen es diese Kreise auf die empfindlichste Saite Wilhelm’s ab, indem sie auf Napoleon’s mögliche Einmischung hinwiesen und ihm den Verdacht einzuflößen suchten, Bismarck würde geneigt sein, die Abtretung des linken Rheinufers zu befürworten, ja den König in die Zwangslage bringen, das thun zu müssen. Aber auch damit hatten sie keinen Erfolg. Der weibliche Generalstab, so die Gräfin Oriola, die österreichische Beziehungen und darum vor dem Kriege die größte Sorge hatte, wird ebenfalls nicht ohne Einfluß auf die Haltung der Königin gewesen sein. In derselben Richtung arbeiteten Schleinitz, der Unterstaatssecretär im Auswärtigen Amte v. Gruner und Bethmann-Hollweg. Von Gruner heißt es bei Bismarck mit großer Bestimmtheit, daß er die Königin veranlaßt habe, ihre Abreise nach Baden zu verschieben, um besser der Kriegspolitik entgegenzuarbeiten. Es war der patriotische badische Staatsmann Freiherr von Roggenbach, der ihr schließlich in ernster Weise die Schädlichkeit ihres Verhaltens zeigte und es für nothwendig erklärte, daß sie Berlin verließe. Am 7. Mai ist sie darauf unter feierlicher Verwahrung gegen die Kriegspolitik nach Baden abgereist, um dort die letzten Wochen vor Ausbruch des Kampfes zuzubringen. Zurückgekehrt hat sie noch im Juni, während schon die Waffen sprachen, mit ihrem „Gegenminister“ Schleinitz, wie Bismarck mittheilt, „Verhandlungen bedenklicher Natur“ gepflogen. Auch die Abreise ihres Gemahls zum Heere hat sie verzögert, worüber Bismarck gegen den Parlamentarier v. Unruh sich zornig ausließ. Nach Beendigung des Kampfes hat A. dem Genfer Dunant über ihre Verlassenheit in Berlin geklagt: „Alle Welt war beim Heere, zu einer Zeit, wo man noch nichts über den Ausgang des Krieges wußte, der so unglücklich für Preußen ausfallen konnte! Es herrschte so viel Parteiung und Uneinigkeit! Ich war so unglücklich!“ Der rasche Siegeslauf des preußischen Heeres und die glorreiche Beendigung des Krieges mußte sie natürlich verstummen machen. Als Roon nach der Schlacht von Königgrätz hörte, daß einer seiner Angehörigen von A. durch eine Unterredung ausgezeichnet worden wäre, schrieb er triumphirend: „Deine Unterredung mit Ihrer Majestät soll wohl nur eine Annäherung an dies verhaßte Ministerium bedeuten; ich glaube, es war hohe Zeit, denn es wird nächstens das populätste in Europa sein!“ Seit jener [126] Zeit aber begann Augusta’s Popularität, so viel sie davon überhaupt besessen hatte, allmählich zu zerrinnen.

Auch im J. 1870/71 hat ihre Weichherzigkeit und Zaghaftigkeit, ihr geringes Verständniß für den harten Ernst der Politik sie veranlaßt, eine hemmende Rolle zu spielen, obwol niemals eine Politik sittlicheren Aufgaben gedient hat, als die Bismarck’s in jenen Jahren. Das beredteste Zeugniß dafür, wie sie in stetem Widerstreite mit dem Gange der Ereignisse lebte, sind die Feldbriefe König Wilhelm’s an die Gemahlin, von denen wir sicherlich nur eine höchst vorsichtige Auswahl kennen gelernt haben. Schon aus dem Gebotenen geht hervor, daß der siegreiche Heerkönig während der ganzen Dauer des Krieges mit ihrem Widerstreben, ihren Bedenklichkeiten und ihren abweichenden Ansichten zu kämpfen hatte. Am meisten kam ihm dabei zu statten, daß ihre Rathschläge gewöhnlich schon, wie 1848 die Duncker’schen; durch die Ereignisse überholt und auch in ihrer Unzweckmäßigkeit aufgedeckt waren. Noch als er in Ems weilte, hat sie ihm eine Auseinandersetzung aus Koblenz geschickt, die offenbar auf eine Vermeidung des Krieges hinarbeitete. Am 14. Juli, also am Tage nach der Absendung der berühmten Depesche Abeken’s an Bismarck, schrieb er ihr: „Dein exposé ist in vielen Stücken vielleicht richtig; aber es liegt nun schon hinter uns. Denn Alles ist vergeblich, wenn die brouilleurs Krieg verlangen! Es ist klar genug!“ Bismarck hat eine Erzählung wiedergegeben, wonach A. ihren Gemahl bei seiner Abreise nach Berlin, bei der er sie in Koblenz aufsuchte (noch am 14. Juli), beschworen habe, den Krieg zu verhüten im Andenken an Jena und Tilsit, und diese Erzählung für glaubwürdig erklärt. Vergleicht man damit die Gespräche, die Bernhardi im Mai 1861 mit Moltke und Duncker bei Gelegenheit allgemeiner Erwägungen über Kriegsmöglichkeiten führte, so findet man eine merkwürdige Uebereinstimmung der dort berichteten Reden der Königin mit jenen angeblichen Aeußerungen. Auch damals hat sie sich bemüht, ebenso wie 1864 und 1866, energische Entschlüsse, die zur Entscheidung durch die Waffen führen konnten, zu hintertreiben. Moltke begründete das mit den Worten: „Ihr bangt vor jedem Krieg, weil sie von der militärischen Befähigung der Führer der preußischen Armee eine sehr geringe Meinung hat!“ Und der damals noch zu ihr haltende Duncker bestätigte dies: „Ihr schwebt 1806 vor!“ Möglich, daß sie auch noch 1870 solche Gespenster gesehen hat. Konnte sie den Ausbruch der Feindseligkeiten nicht verhindern, so wollte sie ihn doch wenigstens verzögern. Als sie ihrem Gemahl dahingehende Andeutungen machte, wies er sie einigermaßen unwillig auf die Unthunlichkeit der Sache hin. Noch weniger Verständniß hatte er für ihren Wunsch einstweilen in Koblenz zu bleiben, wo sie in die größten Unannehmlichkeiten kommen konnte, während ihre Anwesenheit in der Hauptstadt nur zu erwünscht war. Erst am 19. kündigte sie ihm ihre Abreise an. Er muß schon höchst verstimmt über diese Verzögerung gewesen sein, wenn er ihr darauf hin schrieb: „Ich freue mich Deines Endschlusses, da sich jetzt bereits die ganze Familie hier befindet, so daß Dein längeres Ausbleiben jetzt nicht mehr verstanden werden würde“. A. war inzwischen von den Sturmeswellen der Begeisterung auch nicht unberührt geblieben. Das zeigen die Abschiedsworte, die sie am 19. Juli, dem Tage der formellen Kriegserklärung, in der Koblenzer Zeitung veröffentlichte: „In der patriotischen Begeisterung des deutschen Volkes vernehmen wir Gottes Stimme … Ihr wißt, daß wir im Herzen beisammen bleiben, also mit Gott auf Wiedersehen!“ Gleich nach den Augustschlachten brachte sie ihrem Gemahl Beschwerden der „Queen“ zur Kenntniß, die dieser zurückwies. Dann stellte sie Betrachtungen darüber an, mit wem auf französischer Seite wegen des Friedens unterhandelt werden müßte, machte sich zum Mundstück russischer Wünsche wegen der Friedensbedingungen, [127] klagte über die unnöthigen Menschenopfer, die Prinz Friedrich Karl und Steinmetz veranlaßt hätten, berichtete gleich nach Versailles, was der alte russische Diplomat Chreptowitsch, mit dem sie schon seit den fünfziger Jahren wohlwollende Beziehungen unterhalten zu haben scheint, in Baden über den allgemeinen Wunsch nach Frieden geäußert habe, ließ sich von einem ganz falschen Mitgefühl für die gefangenen Franzosen von Metz leiten, „als wenn wir wie Schlächter dabei gestanden hätten“ wies der König sie unmuthig zurück, machte später geltend, der Zeitpunkt der Kaiserproclamation wäre nicht passend und begründete diese ihre Ansicht in einer Denkschrift. Gegen Alles wehrte sich der König mit rührender Beharrlichkeit und Ruhe. Zuweilen gab er ihr praktische Winke, um helfend einzugreifen. So wies er sie darauf hin, ihren Einfluß bei ihrer Freundin, der Großfütstin Helene, aufzubieten, um eine Verständigung mit Rußland zu erzielen. Häufig genug sprach er die dringende Bitte aus, das Geheimniß der Mittheilungen zu bewahren, offenbar, weil er die Erfahrung gemacht hatte, daß A. in dieser Beziehung höchst unvorsichtig war. Aber nicht nur der Bedenken hatte sie übergenug. Sie verrieth auch trotz der wunderbaren Begünstigung der deutschen Heere durch die Vorsehung Niedergeschlagenheit. Die passende Antwort darauf fand Roon: „Das sollte, durfte Sie nicht sein; wie viel Ursache hat Sie, wie wir Alle, Sie aber am meisten, zum Jubeln und Preisen“.

Lebhaft wurde von A. die Idee der Beschießung von Paris bekämpft. Das hat Roon, Bismarck und nicht zuletzt dem König selbst, der an sich energisch für dieses moralische Mittel war, Tage der schmerzlichsten Aufregung bereitet. Selbst der stille Abeken fühlte sich bedrückt durch diese inofficiellen Einflüsse. A. erkannte nicht, daß die größere Humanität hier gerade in der Anwendung des gewaltsamen Mittels lag, sowol den Parisern als auch den Belagerern und ganz Frankreich gegenüber. Ob der Einspruch Augusta’s im Verein mit der Queen und der Kronprinzessin thatsächlich das Bombardement verzögert hat, läßt sich nicht klar erkennen. Es ist falsch, wenn gesagt wird, die Acten bewiesen das Gegentheil. „Nicht Alles in den Acten sticht, den viel geschiehet mündelich.“ Außerdem spricht gegen die Annahme, daß lediglich technische Gründe das späte Bombardement verursachten, das mehrmalige Schwanken in der Bestimmung des Angriffstermins und Moltke’s Aeußerung vom 20. October an Göben, die förmliche Belagerung würde als „letztes Mittel“ vorbereitet. Die Wahrscheinlichkeit scheint uns doch dafür zu sprechen, daß A. auf den Gang dieser Sache thatsächlich hinderlich eingewirkt hat, ihr Bestreben also von Erfolg gekrönt worden ist. Auch sonst spielte sie wieder die politische soeur grise, so indem sie veranlaßte, daß der gefangene Kaiser in Wilhelmshöhe auf Kosten ihres Gemahls eine besondere Hofhaltung erhielt; und als man deutscherseits bei Rouen englische Kohlenschiffe versenkte, durch die den Franzosen Feuerungsmaterial zugeführt werden sollte, da ergriff sie lebhaft die Partei Englands. Dergleichen Beispiele ihres vermittelnden Eingreifens, dessen Zweckmäßigkeit recht fraglich ist, würden sich bei größerer Kenntniß der Dinge, als wir sie jetzt haben, wahrscheinlich häufen lassen. Preußenfeinde wie Graf Beust pflegten dieser Thätigkeit Augusta’s rühmend zu gedenken.

So ist aus dem ganzen Verhalten Augusta’s im stolzesten Jahre der deutschen Geschichte die Gewißheit zu entnehmen, daß die erste deutsche Frau nur mit halbem Herzen bei den Errungenschaften ihrer Nation war, daß sie deren unendliches Glück nur gering mitempfunden hat. Wol war es die Frau, als die sie sich zeigte, wenn sie nach dem zarten Ausdruck eines ihrer Nächststehenden „alle Eindrücke der Kehrseite glänzender Erfolge in ihr trauerndes Herz einschloß“ und unter diesen Eindrücken „unter Lorbeeren schwer litt“. Ihr ganzes Verhalten [128] zeigt aber auch einen Mangel an freudigem, starkem, gesundem Gemeinschaftsgefühl mit den Volksgenossen und deren Leitern.

Stände dieser negativen Wirksamkeit Augusta’s in den Jahren der Einigung Deutschlands nicht auch eine umfassende schöpferische Thätigkeit gegenüber, durch die sie unendlichen Segen gestiftet hat, so wäre diese Wahrnehmung vielleicht geeignet, das Andenken der hohen Frau zu mindern. Nun hat aber A. durch ihre großartige Samariterarbeit sich einen Ruhmeskranz geflochten, der ihren Namen mit der Geschichte jener Jahre für immer in der schönsten Weise verknüpft. Freilich war es auch hier nicht der nationale Gedanke, der sie leitete, sondern es waren lediglich allgemein menschliche Motive, getreu der Grundrichtung ihres Wesens. Aber hier war die Internationalität eben das Große, hier war sie durchaus am Platze. Als unpolitische soeur grise, als barmherzige Schwester auf dem Throne hat sich A. unvergängliche Verdienste erworben.

Sie wandelte hier in den von ihrer Mutter gewiesenen Bahnen. Ueber ihre frühere Thätigkeit auf diesem Gebiete wissen wir wenig. Den Drang wohlzuthun bekundete sie allenthalben. Aus einem Briefe an Frau Batsch vom November 1835 geht hervor, daß sie damals bereits in der Vereinswohlthätigkeit mitten inne stand. Sie verspricht der Freundin Gaben für die Ausstellung eines Frauenvereins in der weimarischen Heimath zu stiften. Einige Jahre später hat sie die Geschichte der ersten fünfundzwanzig Jahre des von ihrer Mutter ins Leben gerufenen patriotischen Fraueninstituts schreiben lassen. Auch hier werden wir auf ihre Mutter als die Anregerin dieser Thätigkeit Augusta’s hingelenkt. Den Hauptanstoß zu ausgedehnterem Wirken auf dem Gebiete der Krankenpflege hat sie, wie es scheint, erst im Anfange der sechziger Jahre empfangen durch die Schrift des Genfer Henry Dunant: „Souvenir de Solferino“, eines jener zündenden Worte, die den Werth großer Thaten haben. Es knüpfte an den Jammer der italienischen Schlachtfelder an und rief die Menschheit zur Organisation freiwilliger Hülfsgesellschaften zur Pflege der verwundeten und erkrankten Krieger aus. Freiwillige Kräfte hatte die Welt bereits im Krimkriege bewundernd wirken sehen in der Großfürstin Helene, Augusta’s Freundin, und in der Miß Florence Nightingale, die auf deutschem Boden unter den Diakonissen von Kaiserswerth bei Düsseldorf sich zu ihrem Rettungswerke hatte ausbilden lassen und mit der A. auch in nahe Beziehungen trat. Nun sollten die freiwilligen Hülfskräfte schon zur Friedenszeit in großem Stile organisirt und unter internationalen Schutz gestellt werden: das waren neue fruchtbringende Gedanken; und mit dem Feuereifer, den die Begeisterung für eine große Sache verleiht, warb Dunant für seine Idee. Der jüngere Pourtalès scheint es gewesen zu sein, der zu Ende 1862 Königin Augusta auf die Schrift seines Landsmannes aufmerksam gemacht hat. „Ich habe Sie sofort verstanden“ hat A. nachher Dunant gesagt. „Ich war so bewegt, daß ich es dem König zu lesen gab.“ Sie hat ihm dann ihre energische Unterstützung zu theil werden lassen, als er im September 1863 nach Berlin kam, um auf dem statistischen Congresse die seinen Gedanken zunächst kühl gegenüberstehenden preußischen Militärärzte für sich zu gewinnen und überhaupt wol in dem dunklen Gefühl, daß vom Beistand Preußens das Gelingen seiner Idee am meisten abhinge. Vor allem fand er bei dem Kriegsminister Roon das richtige Verständniß für seine Neutralisirungsidee und für die Idee einer gemeinsamen Flagge. Roon unterstützte ihn mit wahrer Begeisterung. Es wird anzunehmen sein, daß A. gerade auf diesen eingewirkt hat. Unmittelbar nach dem statistischen Congreß konnte Dunant auf der internationalen Conferenz zu Genf vom 26.-29. October 1863 unter der thatkräftigen Beihülfe gerade des Vertreters des preußischen Kriegsministeriums, Generalarztes Dr. Löffler, der mit Genugthuung darauf hinweisen durfte, [129] daß schon Preußens großer König vor hundert Jahren als Realpolitiker auf diesem Gebiete umfassende praktische Vorkehrungen getroffen hatte, die grundlegenden Beschlüsse zur Bildung des Rothen Kreuzes herbeiführen. Auf einer zweiten internationalen Conferenz vom 8.–22. August 1864 kam es dann zum Abschluß der berühmten Genfer Convention. Dunant hat dankerfüllt anerkannt, daß A. diejenige Fürstlichkeit gewesen ist, die das meiste Verdienst um das Zustandekommen des internationalen Vertrages gehabt hat. In Berlin hatte er bereits eine Reihe zum Theil hochgestellter Persönlichkeiten für die Gründung eines preußischen Centralcomités für die Kriegskrankenpflege gewonnen, zu denen gerade viele nahe Freunde Augusta’s wie der Fürst Boguslav Radziwill, Abeken und Langenbeck gehörten. Am 6. Februar 1864 erfolgte die Gründung des preußischen Vereins zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger, der sogleich im schleswig-holsteinschen Kriege große Aufgaben zu bewältigen erhielt. Am 19. April 1865 übernahm A. zusammen mit ihrem Gemahl das Patronat darüber. Am Tage ihres Fortganges aus Berlin im J. 1866, am 7. Mai, erhielt die Gesellschaft durch königliche Bestätigung Corporationsrechte. In der Bevölkerung brachen sich die Bestrebungen Augusta’s und ihrer Freunde nur langsam Bahn. Man besaß noch wenig Verständniß dafür. Nur hier und da faßte die große Idee schnell Wurzel. Demgegenüber verfolgte A. aufmerksamen Auges die gewaltige Thätigkeit der Frauenvereine in den Vereinigten Staaten während des Secessionskrieges, wo nach Dunant’s Angabe von 7000 Frauenvereinen 400 Millionen für die Verwundeten aufgebracht wurden. Sie entnahm daraus den Sporn, in ihrem Lande eine ähnliche Wohlthätigkeit vorzubereiten, und sie hatte denn auch die Genugthuung, daß es, wenn auch langsam, vorwärts ging. Bei Ausbruch des Krieges gegen Oesterreich bestanden in Preußen außer den Centralcomités in Berlin, Schlesien und Sachsen immerhin schon 120 Ortsgruppen, eine Zahl, die freilich bei weitem noch nicht genügte. Als der Königin bei Beginn des Feldzuges die ganze Last der Leitung dieses unvollkommenen Hülfsapparates zufiel, da schienen ihr die Schwierigkeiten fast unüberwindlich, zumal da der Ausbruch der Cholera ungeahnte Aufgaben stellte. Das klingt aus ihrer Klage zu Dunant: „Im Anfange des Krieges mußte ich Alles selbst überwachen. Der König hatte mich allein mit der Cholera in Berlin zurückgelassen“. Unermüdlich widmete sich A. ihrer helfenden Thätigkeit. Täglich besuchte sie die Ambulanzen und Krankenhäuser, immer mit freundlichen Worten ermuthigend und tröstend. So reiste sie auch nach Magdeburg zum Besuch der dortigen großen Lazarette, begleitet von Dolmetschern, um sich auch den feindlichen Soldaten, die dort lagen, verständlich zu machen. Sie war die Seele des ganzen großen Liebeswerkes in Preußen. Ihr eiferten zunächst die Prinzessinnen des königlichen Hauses nach. Innere Befriedigung gewährte ihr die Beobachtung, daß die Thätigkeit des Rothen Kreuzes alle Parteiungen begrub. „Ihr Werk hat uns alle zusammengeführt“ durfte sie Dunant voller Freude erzählen. Mit einem gewissen Stolze trug sie während des Krieges die weiße Binde mit dem rothen Kreuze und als sie nach Beendigung des Kampfes im September Dunant im engeren Kreise bei sich sah, da hatte sie ihm zu Ehren die Binde am Arm angelegt. In der Zwischenzeit bis zum großen Kriege ist sie eifrig thätig in der Förderung dieser Angelegenheiten gewesen. Schon am 10. October 1866 hat sie an Roon ein bedeutsames Schreiben in dieser Richtung erlassen, in dem sie es als dringend nöthig bezeichnete, die auf dem Gebiete des Lazarett- und Militärmedicinalwesens gemachten Erfahrungen möglichst schnell zu sammeln und zu veröffentlichen, um alle Mißstände zu beseitigen, und in dem sie dem Kriegsminister den [130] Plan entwickelte, sich mit einer Reihe namhafter Aerzte, an deren Spitze sie Langenbeck und Wilms nennt, deswegen in Verbindung zu setzen. Am Tage der Dank- und Siegesfeier, am 11. November 1866, erließ sie einen Aufruf zur selbständigen Organisation der Frauenwelt zur Vorbereitung für den Krieg sowol wie zur allgemeinen Wohlthätigkeit im Frieden. Am selben Tage trat zu Berlin der „Vaterländische Frauenverein“ ins Leben, dem schon nach Jahresfrist 24 Zweigvereine zur Seite standen. Am 12. April 1867 schlossen sich die Vereine unter Augusta’s Patronat zu einer Einheit zusammen. Zu Beginn des Monats Juli 1869 gehörten 291 Vereine dazu. Auf Augusta’s Veranlassung wurde eine preußische Aerzteconferenz zu gegenseitigem Meinungsaustausch berufen, die vom 18. März bis zum 5. Mai 1867 unter dem Vorsitz Langenbeck’s arbeitete. In beständigem Briefwechsel mit den Mitgliedern des Berliner Centralcomités stehend, förderte sie eifrig die Verwirklichung des dritten internationalen Congresses im October 1868, auf dem der Genfer Convention einige wichtige Zusatzartikel beigefügt wurden. Die Sitzungen der internationalen Conferenz von Vertretern des Rothen Kreuzes, die vom 22.–27. April 1869 in Berlin tagte, hat sie sämmtlich besucht. Die in Deutschland inzwischen ins Leben getretenen sechs Centralcomités, welche ihre Sitze in Berlin, München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt hatten, traten zu einem deutschen Centralcomité zusammen, dem sich kraft einer Uebereinkunft vom 20. April 1869 alle in Deutschland bestehenden Hülfsgesellschaften angliederten. Wie der Zollverein und die Schutz- und Trutzbündnisse des Norddeutschen Bundes mit den Süddeutschen Staaten von 1866 war dies Werk auch eine Vorbereitung für die Einigung Deutschlands. Für A. hatte das Zeichen des Rothen Kreuzes noch eine besondere Bedeutung, da auch ihr geliebtes Koblenz im weißen Felde das rothe Kreuz, das alte Wappen der Kurfürsten von Trier, führte.

Ungleich gewaltiger als die Thätigkeit im J. 1866 mußte natürlich die Arbeit des Rothen Kreuzes in den Jahren 1870 und 1871 werden. Die Thränen, die mit den vom deutschen Centralcomités gesammelten 56 Millionen Mark getrocknet worden sind, die auffällige Verringerung der Sterbefälle durch Krankheit (zum Unterschied von Sterbefällen durch Verwundung) im Vergleich zu früheren Kriegen, die bis dahin fast nie erreichte Höhe der geheilten Verwundeten unter den deutschen Truppen, alles dies sind Errungenschaften gewesen, die in erster Linie der rastlosen Wirksamkeit Augusta’s zu verdanken waren. Ihr aufopferndes Beispiel war es, das in allen Städten des Reiches die Frauen und Jungfrauen zur Liebesthätigkeit zusammentreten ließ. An ihren Theeabenden zupfte A. mit den Damen emsig die damals noch nicht durch Salicylwatte abgelöste Charpie und las dabei die Depeschen vom Kriegsschauplatz vor. Ihren Getreuen, den Minister v. Patow schickte sie selbst mit mehreren Eisenbahnladungen von Liebesgaben ins Lager vor Metz zu ihren Rheinländern, die unter dem von ihr sehr geschätzten General v. Göben die schlimmen Strapazen der Belagerung zu erdulden hatten. Zuweilen konnte sie auch energisch durchgreifen, wenn bureaukratischer Zopf hindernd in den Weg trat. Als einmal die Medicinalabtheilung einen in Berlin ausgerüsteten Sanitätszug nicht verwenden zu können erklärte und selbst Virchow’s Vorstellungen nichts halfen, brachte sie die schwerfälligen Herren eilends zur Vernunft. Außer in Berlin war sie mehrere Wochen (im October) in Homburg an dem dort eingerichteten großen internationalen Lazareth thätig. Virchow selbst hat noch nach zwanzig Jahren bewundernd hervorgehoben, wie genau sie beim Besuch der Lazarette in die Verhältnisse einzudringen wußte, und wie sie es verstanden hat, einen einmal erfaßten Faden festzuhalten und neue Fäden daran zu knüpfen. Es drängte sich jedem dabei auf, daß sie in ihrer Unermüdlichkeit und Gewissenhaftigkeit, [131] mit der sie sich dieser Dinge annahm, von einem großartigen Pflichtgefühl getragen wurde.

So kam das Liebeswerk in reichem Maße der Reichsidee und den deutschen Volksgenossen zu gute. A. freute sich dessen, aber ihre Gedanken schweiften über den deutschen Rahmen hinaus. Ihrem edlen, die ganze Menschheit ins Auge fassenden Wesen hätte es nicht entsprochen, wenn sie sich mit dem Dienste fürs Vaterland begnügt hätte. Eine der größten Freuden wurde ihr bereitet durch ihre Ernennung zum Ehrenmitgliede des österreichischen Rothen Kreuzes, nicht nur weil sie sich von jeher zu Oesterreich in einem näheren Verhältniß fühlte, sondern weil dies ihrer weltbürgerlichen Gesinnung entsprach. Dunant hat sich gerade deswegen für sie besonders begeistert, weil er herausfühlte, wie sehr ihr nicht nur das Liebeswerk an sich, sondern gerade der Hauptzweck seines Wirkens, der Idee der Neutralisirung der Krankenpflege zum Durchbruch zu verhelfen, am Herzen lag. Mit Genugthuung hob sie gegen ihn hervor: „Der König ist sehr international. Er hat gemessenen Befehl gegeben, daß alle verwundeten und gefangenen Oesterreicher gut behandelt würden; und zwar so, daß man, wie die ersten Züge von Oesterreichern nach Berlin kamen, nur gegen sie zuvorkommend war, und die Preußen, welche sie begleiteten, buchstäblich leiden ließ. Und wenn ein Krieg mit Frankreich ausbräche, so würde man den französischen Verwundeten dieselbe Theilnahme entgegenbringen. Sie dürfen dessen sicher sein“. Und so war es auch. Wenn die deutschen Vertreter des Rothen Kreuzes während des Feldzuges 1870 und 1871, wie der Fürst zu Wied und der Generalarzt Löffler, sich gerade auch durch ihr Wohlwollen gegen die Franzosen auszeichneten, wie zahlreiche Stimmen aus dem feindlichen Lager, so Hector Malot und der stellvertretende Director der École des Hautes Études zu Paris, hervorhoben, so waren sie dabei von dem Geiste Augusta’s getragen. – Es war dies um so ersprießlicher, als im französischen Heere die Krankenpflege noch ganz im Argen lag. Auf diesem humanitären Gebiete durfte sie natürlich der Unterstützung ihres Gemahls gewiß sein. Er hat sich daran sichtlich erfreut und ihr am 14. März 1871 beim Verlassen des französischen Bodens in überaus warmen Worten durch einen amtlichen Erlaß öffentlich seinen Dank für ihre Beihülfe ausgesprochen.

Als der Friede geschlossen war, beeilte sie sich ihrer Genugthuung darüber einen merklichen Ausdruck zu verleihen, indem sie schon nach dem Versailler Vorfrieden und wiederum nach dem Eintreffen der Nachricht von der Genehmigung desselben durch die französische Nationalversammlung Festessen veranstaltete. Beim zweiten, zu dem die Minister der größeren Staaten geladen wurden, trank sie auf die Erfolge der vaterländischen Waffen und auf die Dauer des Friedens. Als nunmehrige deutsche Kaiserin im Schimmer einer durch die stolzesten geschichtlichen Erinnerungen gehobenen Majestät entsprach es ihrem Ehrgeiz, sich auch in der Fülle ihrer Macht und ihres Glanzes zu zeigen. Deshalb legte sie Werth darauf, daß sie an dem Einzug der siegreichen Truppen theilnehmen konnte und setzte einen längeren Aufschub desselben durch, bis sie ihre Cur in Baden beendigt hatte. Was sie einst mit Hülfe der idealistischen Professoren der Paulskirche und dann im Verein mit dem geistreichen Radowitz so sehnlich erstrebt hatte, Deutschlands Einigung, war jetzt durch den Mann der That, Bismarck, herrlicher verwirklicht, als es jemand hatte hoffen können.

Mit der Zeit von Blut und Eisen sollte aber noch keineswegs der Widerstand gegen die Politik des leitenden Staatsmannes erschöpft sein. Vielmehr hat sich die Gegnerschaft Augusta’s gegen Bismarck noch verschlimmert infolge des bald ausbrechenden kirchenpolitischen Kampfes. Hier machte sich ihr Aufenthalt am Rhein unheilvoll geltend. Inmitten der katholischen Bevölkerung [132] konnte sie die verheerenden Wirkungen des Vorgehens der Regierung so recht beobachten. Hatte sie schon durch ihre nahen Beziehungen zur Frau des Cultusministers v. Mühler der Beseitigung der katholischen Abtheilung und ihres zu den Radziwills in einem abhängigen Verhältniß stehenden Leiters Krätzig einen hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt, so wurde ihre Gegnerschaft noch verstärkt, als Adalbert Falk seinen verhängnißvollen Kampf als Leiter der geistlichen Angelegenheiten begann. Ihre fromme Hofdame Adeline Schimmelmann hat es uns bezeugt, daß A. mit den Jahren der katholischen Weltanschauung insofern näher gerückt war, als sie sich lange Zeit von der Lehre von den guten Werken gefangen nehmen ließ und „mit unermüdlichem Eifer“ diesem Satze nachlebte, um der Gnade ihres himmlischen Herrn, nach der es sie verlangte, theilhaftig zu werden. So stand sie der katholischen Kirche auch innerlich näher. Dazu kam ihr unvermindertes Bedürfniß, die „graue Schwester“ zu sein. Die stürmische Wucht der Bismarck’schen Politik auszugleichen erschien ihr als ihre Aufgabe. Zur Gräfin Schimmelmann äußerte sie gelegentlich über die Männer: „Weil sie stark sind, neigen sie dazu, herbe zu sein, und meiner Ansicht nach ist es Aufgabe der Frau, durch ausgleichendes Wirken ihre Schroffheit zu mildern. Wo ich Männer kräftig handeln sehe, halte ich es für meine Pflicht mildernd und ausgleichend zu wirken“. Wie sie das ausgleichende Wirken verstanden hat, übte es aber nicht einen besänftigenden Einfluß, sondern trug meist zu einer Verschärfung des Zwiespalts bei. Ihre ultramontane Umgebung that das ihrige, um sie in ihrer Haltung zu bestärken. Diese Kreise verstanden es meisterlich die Sachlage so darzustellen, als wäre die katholische Kirche der angegriffene Theil, während der Kampf dem Staate aufgezwungen war, und haben sie stets in dem Glauben zu halten gewußt, daß geflissentlich die Parität verletzt würde. Näher rückten ihr in dieser Zeit viele rechtsstehende evangelische Elemente, theils weil sie der Ansicht waren, daß neben der katholischen Kirche auch die evangelische unter dem Tumult des Kampfes litt, theils weil sie sich von streberhaften Rücksichten leiten ließen und durch die Kaiserin zu steigen hofften, theils weil sie sich selbst durch das Kampfesnaturell des Fürsten Bismarck, unter dem sie zu leiden hatten, abgestoßen und zu dem schöngeistigen Verkehr der Kaiserin hingezogen fühlten. Die bedenklichste Erscheinung unter ihnen wurde Harry Arnim, der mit Hülfe der Kaiserin seine ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen und seine eigene Politik zu machen suchte. Eine ganz anders geartete Persönlichkeit dieses Kreises, vielleicht die edelste unter ihnen, war die irenische Natur des Staatssecretärs Hermann v. Thile, des Freundes von Ferdinand Gregorovius, der sich seine warme Verehrung für den Fürsten Bismarck nicht hat nehmen lassen. Es ergab sich die eigenthümliche Constellation, daß A., veranlaßt durch ihre gegnerische Stellung zu Bismarck, gemeinsame Sache mit ihren früheren erbittertsten Gegnern machte. Derselbe Kleist-Retzow, der ihr zum Tort Oberpräsident der Rheinprovinz geworden war, leitete im Herrenhaus die Politik im Sinne Augusta’s, und seine nächsten Freunde gingen bei der Kaiserin ein und aus. Schleinitz und Gruner behielten ihre Vertrauensstellungen. A. gewann ferner Fühlung mit dem katholisch legitimistischen französischen Botschafter Gontaut-Biron und zeichnete ihn in der auffälligsten Weise aus. Es wird nicht zu bezweifeln sein, daß sie in dem Bestreben ihrem Lande dadurch zu nützen mit Hülfe dieses Diplomaten auf eigene Faust politisirt und die damalige deutsche Politik bekämpft hat. Durch Gontaut wurde der französische Diplomat Gerard als Vorleser bei A. eingeführt, der höchst wahrscheinlich die Rolle eines Spions am kaiserlichen Hofe gespielt hat und später die Materialien zu einer gerade die Kaiserin im allgemeinen ähnlich zeichnenden, aber bösen und viel Klatsch enthaltenden Schilderung des [133] Hofes lieferte. Sie stand auch in Verbindung mit den streitbarsten katholischen Würdenträgern, so mit dem fanatischen Vorkämpfer des Papstthums, dem Schweizer Cardinal Mermillod, mit dem sie Zusammenkünfte in Baden hatte, ferner mit dem Cardinalbischof von Orleans, Dupanloup. Mit diesem hat sie nachweislich schon im J. 1870 Beziehungen unterhalten. Damals trug sie dem preußischen Malteser Graf Fred Frankenberg auf, Dupanloup für die Friedensbestrebungen zu gewinnen, und der Bischof selbst bezog sich bei einem Schreiben an König Wilhelm, in dem er sich zu Gunsten der Stadt Orleans wegen einer dieser auferlegten Contribution verwandte, auf sie mit den die Beziehungen zur Königin verrathenden Worten: „Wenn es nicht eine indiscrete Vertraulichkeit wäre, würde ich es auszusprechen wagen, daß ich die Sache meiner Diöcesanen doppelt gewonnen haben würde, könnte die Königin hier Vermittlerin sein“. Dazu stimmt die Angabe Bismarck’s, daß A. mit Dupanloup im Schriftwechsel gestanden habe, die er von seinem Freunde Frankenberg erhalten haben wird.

Es wird die Aufgabe einer späteren Geschichtschreibung sein, über die Bekämpfung der kirchenpolitischen Maßnahmen Fürst Bismarck’s durch A. Licht zu verbreiten. So viel steht schon jetzt fest, daß dieser Kampf zwischen Kaiserin und Kanzler mit furchtbarer Erbitterung auf beiden Seiten geführt worden ist, verschärft noch durch die Ueberreiztheit der Nerven des Staatsmannes. Eine Probe der Erbitterung des Titanen gegen vermeintliche „weibliche Einbläserei“ gibt ein Brief an Roon, worin Bismarck erklärt, er könne gegen derartige Intriguen nicht bestehen „und niemand kann verlangen, daß ich Gesundheit, Leben und selbst den Ruf der Ehrlichkeit oder des gesunden Urtheils opfere, um einer Laune zu dienen. Ich habe seit 36 Stunden nicht geschlafen, die ganze Nacht Galle gespien und mein Kopf ist wie ein Glühofen, trotz Umschläge. Es ist aber auch um den Verstand zu verlieren“. Und dabei war der Verdacht Achill’s in diesem Falle und sicherlich öfter vollständig irrig. Er sah Feinde, wo keine waren. Seinen Vertrauten gegenüber – und er hat manchen seines Vertrauens gewürdigt, der dessen nicht werth war – machte er dann wol seinen zornigen Gefühlen in einer Weise Luft, die die Ehrfurcht vor der kaiserlichen Herrin gänzlich beiseite setzte und die Ritterlichkeit dieses Mannes vermissen ließ. Ja seine Gefühle der Erbitterung gegen diese Frau, die ihm solch Uebermaß von Schwierigkeiten bereitet hatte, gruben sich so tief in seine Löwenseele, daß er noch nach ihrem Tode nicht immer Schonung gegen sie zu üben vermochte. Wenn er selbst vor seiner Berufung ins Ministerium einmal gesagt hat, daß König Wilhelm für ihn zu zart sei, so gilt das für die empfindsame Weibesseele natürlich noch mehr. Verschiedene Male hat er seine journalistische Meute, voran Moritz Busch, gegen die Kaiserin losgelassen, so besonders in den Jahren 1872 und 1877. A. ihrerseits unterließ es nicht, in Schreiben an katholische Vereine ihre Mißbilligung der preußischen Kirchenpolitik unzweideutig auszusprechen. Ihrem Einflusse war es sicher zuzuschreiben, daß eins der giftigsten Sumpfgewächse der Journalistik, die „Reichsglocke“ Joachim Gehlsen’s, zu der ihr Oberhofmeister Graf Nesselrode, ferner Harry Arnim und dessen Gefolgsmann Freiherr v. Loe Beziehungen unterhielten, in einer großen Anzahl von Exemplaren am Hofe verbreitet war. Direct nahm sie sich ihrer geliebten Ursulinerinnen gegen den gewaltigen Minister an. Sie wußte nur von dem segensreichsten Wirken derselben. Ja, es heißt, sie habe ohne Bismarck’s Vorwissen Verfügungen an Behörden erlassen. Der greise Kaiser hat hier gewiß die größten innerlichen Kämpfe zu bestehen gehabt. Aber sein inneres Heldenthum befähigte ihn einen großmüthigen Standpunkt einzunehmen. Sachlich hat er sich nur wenig von seinem Berather getrennt, d. h. er hat seiner Gemahlin Unrecht gegeben. Das beweist am schlagendsten ein von Bismarck berichteter Vorfall. A. hatte es durchgesetzt, [134] daß ihr Sohn bei seiner Reise nach Italien im J. 1878 den Papst Pius IX. besuchte. Als der Kronprinz bei seiner Rückkehr seinem Vater Bericht über seine Erlebnisse in Rom erstattete, fühlte die dabei anwesende Kaiserin bald, wie unbequem sie ihrem Gemahl und Sohne, den sie seinerzeit nur sehr schwer zu jenem Besuche vermocht hatte, durch ihre Gegenwart wurde. Mit den Worten: „Il paraît que je suis de trop ici“ verließ sie da in heftiger Erregung das Zimmer. Kaiser Wilhelm aber konnte nicht unterlassen gegen den Thronfolger die schärfste Verurtheilung der damaligen Haltung Augusta’s auszusprechen. Nur zuweilen zeichnete er, vielfach um Härten zu mildern, einen der Freunde der Gemahlin, wie Thile, Gruner oder Nesselrode durch die Verleihung eines hohen Ordens oder eines Ehrenamtes aus. Als der preußische Staat endlich die Streitaxt begrub, begrüßte A. dies mit besonderer Freude. Sie empfing in jener Zeit den Nuntius Galimberti, der später nicht unterlassen konnte, seine große Genugthuung über das Verhalten der Kaiserin gegen ihn auszudrücken. „Fürwahr, sie sprach wie eine Katholikin!“ hat er erzählt.

Das Verhältniß Augusta’s zu Bismarck gestaltete sich endlich auch friedlicher. Der letzte größere Waffengang zwischen ihnen beiden scheint im Jahre 1877 stattgefunden zu haben und wurde durch das „Niemals“ Wilhelm’s als Antwort auf das Entlassungsgesuch des Staatsmannes beendigt. Aber auch noch im letzten Jahrzehnt kam es oft genug zum Ausdruck schwerwiegender Meinungsverschiedenheiten, wobei es selbst nicht ohne persönliche Zusammenstöße abging. A. verleugnete dabei nicht die königliche Haltung, wie ein von ihrem Gegner überlieferter Zug beweist. Er hatte in sehr bestimmter Form eine Einmischung der hohen Frau zurückgewiesen, sodaß sie sich in ihrem Stolze verletzt fühlte. Da hat sie sich hoch aufgerichtet, den gebieterischen Staatsmann, der seine Person daran setzte für den Staatsgedanken, blitzenden Auges gemessen und ihn stehen lassen. Der aber konnte nicht umhin die in jenem Augenblicke aufleuchtende alte Schönheit dieser körperlich gebrochenen Frau zu bewundern. Nachher hat sie zu einer dritten Person mit hoheitsvoller Ironie geäußert: „Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut sehr ungnädig“. Namentlich nach dem 9. März 1888 ist die Greisin ihm näher getreten. Zum fünfzigjährigen Militärjubiläum hat sie dem Fürsten Bismarck – es war gleich nach dem Heimgang ihres Gemahls – einen auf Marmor liegenden Bronzezweig gesandt mit den Worten: „Im Sinne unseres verklärten Kaisers zur Erinnerung an fünfzig erfolgreiche Jahre“. Mehrmals hat der Reichskanzler dann noch bei ihr in längerer Audienz geweilt, ebenso die Fürstin Bismarck. Bei der Wiederkehr des Todestages seines Herrn ist er zur Erinnerungsfeier in ihren Räumen erschienen. Ihr letzter der wenigen von ihr an ihn gerichteten Briefe vom Schluß des schweren Jahres 1888 verräth deutlich ihre Aussöhnung mit dem gewaltigen Manne: „Sie haben unserem unvergeßlichen Kaiser treu beigestanden und meine Bitte der Fürsorge für seinen Enkel erfüllt. Sie haben mir in bitteren Stunden Theilnahme bewiesen, deshalb fühle ich mich berufen, Ihnen, bevor ich dieses Jahr beschließe, nochmals zu danken und dabei auf die Fortdauer Ihrer Hülfe zu rechnen“. Es waren die Worte einer auch seelisch tiefgebeugten Frau.

Ihre Stellung zu dem zweiten Paladin Wilhelm’s, zu Roon, war schon früher eine bessere geworden. Als sie ihm zuerst wieder huldvoll entgegenkam, „wie in alter Zeit“, da fürchtete der charaktervolle Kämpe, daß sie besondere Zwecke im Auge hätte. Zu Ende des Jahres 1869 stand es jedoch wieder so, daß die Königin die kranken Töchter des Ministers besuchte, sie tröstete und berieth, und zum fünfzigjährigen Dienstjubiläum im Januar 1871 dankte sie ihm in den herzlichsten Worten für die ihrem Gemahl bewiesene „treue Hingebung“ und für die Heeresorganisation, welche in „diesem denkwürdigen Kriege [135] glänzend erprobt“ sei. Am gleichmäßigsten und auch wol verhältnißmäßig am wärmsten waren die Gesinnungen, die sie gegen Moltke erfüllten. Als der General seine Frau verlor, richtete sie an ihn ein tiefempfundenes Trostschreiben, ihn auf das Jenseits hinweisend und mit dem Ausdrucke der Hoffnung, daß seine „seltene Pflichttreue“ ihm „die Kraft verleihen“ würde, „diese Zeit der Leiden siegreich zu durchkämpfen“. Bald darauf veranlaßte sie die Schwester und einen Bruder des Generals dazu, von Lübeck zu diesem zu ziehen, da die Gefahr bestünde, daß er nach dem Verlust seiner Frau bei seinem Charakter sich ganz in sich selbst und infolgedessen bald vom Dienste zurückziehen würde. Es sei deshalb „Pflicht“ zu ihm zu ziehen und ihm eine behagliche Häuslichkeit zu schaffen. Als der Feldmarschall von der Leitung des Generalstabes zurücktrat, kam ihr Schreiben dem ihres Enkels an Wärme gleich: „Was ich Ihnen als Königin, als Frau und Mutter zu danken habe, bedarf keiner Worte. Wohl aber glaube ich bei diesem Anlaß Ihnen im Namen desjenigen noch einmal die Hand reichen zu sollen, dessen Gesinnung für Sie ich so lange theilen durfte und in dessen Andenken Sie mir noch näher stehen als bisher“. Sonstige Zeichen verrathen, daß sie zu Graf Moltke geradezu in einem gewissen Vertrauensverhältniß stand.

Bis in ihr spätes Alter hinein hat sich A. mit einer bewundernswerthen Kraft der Repräsentation gewidmet. Es übte auf sie einen besonderen Reiz aus, wenn sie vor Ausländern den Glanz ihrer Majestät entfalten konnte. Zu den originellsten Erlebnissen gehörte in dieser Beziehung der Besuch des Sultans Abdul Aziz im Sommer 1867 in Koblenz. Der Sohn des Orients war nicht wenig erstaunt, als diese Giaurin sich mit ihm eingehend über die Dichter seines Landes zu unterhalten wußte. Um ihn zu empfangen war A. eilends von Paris herbeigekommen, wo sie die Weltausstellung besichtigt und einen Besuch der Kaiserin Eugenie in Baden vom September 1864 endlich erwiedert hatte, wozu sie sich in alter antinapoleonischer Gesinnung lange nicht hatte entschließen können. Als der Schah von Persien 1873 nach Berlin kam, übernahm sie die Vertretung des Kaisers. Noch im J. 1885 hat sie die auf dem Rhein ihr Nationalfest feiernden Amerikaner im Schlosse zu Koblenz empfangen und ihnen eine Rede gehalten, weil sie hier eine Gelegenheit fand, ihren sehnlichsten Wunsch öffentlich auszusprechen: „Mein Wunsch ist, alle Völker glücklich zu wissen, und ich begrüße jede Festigung der Bande, welche die Nationen unter einander knüpfen, mit Freuden“. Als Fürst Karl von Rumänien seine Vermählung mit Prinzessin Elisabeth Wied beging. da ließ sie sichs nicht nehmen, wiederholt Trinksprüche auf das Wohl des Paares auszubringen. Als Rednerin zeigte sie sich auch bei ihrer in Vertretung des Kaisers gelegentlich der Weltausstellung im Sommer 1873 unternommenen Reise nach Wien, auf den ihr zu Ehren vom Hofe und auch intimen Preußenfeinden wie Clam-Gallas veranstalteten Festen. Auch an der Enthüllung des Hermansdenkmales (1875) und der Grundsteinlegung zum Nationaldenkmal auf dem Niederwald (1877) sowie an der Einweihungsfeier des Kölner Doms (1880) nahm sie theil. Als ihre Krankheit es unmöglich machte, daß sie der Grundsteinlegung zum Reichstagsgebäude beiwohnte, fühlte sie sich veranlaßt, dem Fürsten Bismarck darüber ihr Bedauern auszudrücken mit Segenswünschen „für inneren und äußeren Frieden in Gegenwart und Zukunft, dem weiblichen Berufe entsprechend, der wahre Vaterlandsliebe bedingt“.

Wo sie irgend Gelegenheit hatte, suchte sie für die Idee des allgemeinen Friedens zu wirken. Aus dem Arnim’schen Processe ist bekannt geworden, daß sie, in Erinnerung an ihre alten Beziehungen zum Hause Orleans, an den greisen Staatsmann Louis Philipp’s, Guizot, geschrieben und ihn gefragt hat, auf [136] welche Weise die Feindschaft der Franzosen gegen Deutschland beseitigt werden könnte. Guizot hat ihr erwidert, diesen Heilungsproceß müsse die Zeit vollbringen. Als der russisch-türkische Krieg 1877 drohte, hat sie im Bunde mit der Königin von England ihren Gemahl zu veranlassen gesucht, in Petersburg im Interesse der Menschheit gegen den Krieg zu wirken, wie es denn überhaupt die Regel gewesen zu sein scheint, daß sie, sobald irgendwo kriegerische Wolken sich zeigten, im Verein mit der englischen Königin vermittelnde Schritte zu thun suchte. Dies Bestreben verrieth nur zu deutlich, daß die Welt des politischen Lebens ihr trotz des großartigen Lehrmeisters, den sie wie die Professoren der Nationalversammlung und auch viele Männer der neuen Aera, wie Rudolf Auerswald in Bismarck hätte finden können, immer völlig fremd geblieben ist. Es wird erzählt, daß sie durch einen von Curtius über die „Politik“ des großen Meisters Aristoteles gehaltenen Vortrag außerordentlich gepackt worden sei. Aber auch hieraus erwuchs ihr kein bleibender Gewinn für das Verständniß des Staatslebens, obwol der hellenische Denker in seinem Werke die Staatsidee noch übertrieben hat. Wie sollte es auch anders sein, da das lebende Genie ihr die politische Welt nicht erschlossen hat. Nichts konnte sie mehr begeistern, als wenn ein großes internationales Werk wirklich gelang. Bald nach der Gründung des Weltpostvereins durch einen der genialen Männer, die Gott dem deutschen Volke im Zeitalter Wilhelm’s I. schenkte, im J. 1874, hat sie im Koblenzer Schlosse zu dem Staatssecretär Stephan gesagt: „Sehen Sie, es ist ja nicht das, daß hier für alle Länder der Erde ein billiges und gleichmäßiges Porto hergestellt ist, das ist an sich gewiß sehr gut für die Schiffsrheder, die Kaufleute, die Bankiers, wie für die Gelehrten, die Schriftsteller, die Zeitungen und selbstverständlich auch für die Familien, aber es ist nicht die Hauptsache. Diese liegt darin, daß die verschiedenen Völker hier gewöhnt werden an eine gemeinsame, übereinstimmende Thätigkeit, an das ständige Bewußtsein eines ihnen allen gemeinschaftlichen Interessengebietes, an die freiwillige Unterwerfung unter ein gemeinsames Gesetz und an das Arbeiten nach einer großen, alle umfassenden Organisation; darin liegt der fruchtbarste Keim und die Saat für die Zukunft“. Der große Organisator erwiederte ihr darauf tiefergriffen: „Eure Majestät sind der erste Mensch, der mir das gesagt hat. Mir haben in der That ähnliche Ideen vorgeschwebt, als ich ans Werk ging“. Daß aber solche segensreichen, die ganze Menschheit vereinigenden Werke nur die Ausnahme von der Regel bilden können, daß die Staaten, wenn sie als Staaten gelten wollen, die Aufgabe haben sich zu behaupten, daß jeder einzelne wahre Staat seine Culturaufgabe zu lösen hat, sittliche Aufgaben meist nur im staatlichen Rahmen gelöst werden können und daß gerade in dem Widerstreit der Staaten die Schönheit der Geschichte liegt, entging ihrem unpolitischen Sinne.

Auch was wir über ihre Ansichten in der socialen Frage erfahren, zeigt nicht, daß sie die Pflicht des Staates, hier helfend vorzugehen, erkannt hat. Dies Gebiet lag sonst ihrem Wirkungskreise näher. Sie hat sich darüber mit altliberalen Abgeordneten, insbesondere mit dem Dr. Lette unterhalten. Damals äußerte sie sich scharf gegen Lassalle. Wer auf die Menge einwirken wolle, müsse reines Herzens sein. Von Staatshülfe wollte sie nichts wissen. „Dann sind wir nichts mehr, sobald wir uns nicht selber helfen können“ hat sie gesagt. Als Musterbeispiele socialer Thätigkeit bezeichnete sie das Wirken von Schulze-Delitzsch, Wichern und Bodelschwingh. Im übrigen waren ihre Gedanken hierüber ziemlich verschwommen. Im wesentlichen scheint sie auch hier in den Banden des Liberalismus, der in jüngeren Jahren von Wilhelm v. Humboldt vertretenen Ansichten und der Freihandelslehre gewesen zu sein. Es ist nicht bekannt geworden, ob sie später nach der Botschaft ihres Gemahls [137] vom 17. November 1881 ihre Ansichten über die Aufgaben des Staates gegenüber den socialen Fragen geändert hat. Vielleicht ist dies aber anzunehmen. Was sonst über ihre angeblichen Ansichten in dieser Sache veröffentlicht worden ist, deckt sich mit dem, was jene Gespräche enthielten. Es besteht in einem Briefe der Königin aus dem Jahre 1863 an eine Frau v. Schöning. Wir werden indeß wol annehmen müssen, daß es sich bei diesem Schriftstücke sowie bei drei anderen A. zugeschriebenen Briefen um eine Fälschung handelt. Die Thatsache, daß die Personen, an welche diese Schreiben gerichtet sein sollen, den Nächststehenden der Kaiserin nicht einmal bekannt gewesen sind, die Unwahrscheinlichkeit, daß A. sich in so verschiedenen Zeiten (1863, 1876, 1877, 1882) zu diesen Personen so programmatisch geäußert haben soll, ferner der Umstand, daß bei den Briefen nicht Ort, Monat und Tag angegeben worden ist, erschüttern den Glauben an die Echtheit nur zu sehr. Es kommt hinzu, daß der Herausgeber sich ängstlich in der Verborgenheit gehalten hat und daß die Daten der Briefe nur zu sehr den Eindruck einer willkürlichen Wahl machen. Die auffällige Uebereinstimmung des einen Briefes mit den Gesprächen Augusta’s mit altliberalen Parlamentariern lenkt darauf hin, daß die Mystification von einer Seite veranlaßt worden sein mag, die jenem Lager nahe stand, zumal in dem Briefe an Frau v. Schöning auch Lette und Patow angeführt werden und die Briefe in derselben Zeitung erschienen, in der die Gespräche mit Lette veröffentlicht wurden. Die Schriftstücke mögen genau die Ansicht Augusta’s über die einschlägigen Fragen wiedergeben und eine geschickte Compilation derselben darstellen. So lange aber nicht ihre Echtheit oder doch die Echtheit des Materials, auf dem sie beruhen, dargethan ist, kann kein Historiker sich darauf einlassen, sie zu verwerthen.

Das Tagewerk Augusta’s nach dem Friedensschluß war der Ausbau ihrer Wohlfahrtsunternehmungen. Der große Krieg hatte gezeigt, daß die freiwilligen Hülfskräfte vielfach garnicht zu verwenden waren, weil die nöthige Schulung fehlte. Hier setzten Augusta’s Bemühungen ein und sie hat den Erfolg noch erlebt. Ihr schwebte als Endziel eine der allgemeinen Wehrpflicht gleichartige allgemeine Verpflichtung aller nicht für die Waffe tauglichen Elemente zur Krankenpflege vor. Was die vom Sohne des großen Vorkämpfers der inneren Mission Wichern ins Leben gerufene Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege darstellte, waren freilich nur erst schwache Anfänge dazu, gebildet vornehmlich aus opferwilligen Elementen der akademischen Jugend. Sodann wurde das Netz der Vereine vom Rothen Kreuz erweitert, wobei sie etwa seit dem Jahre 1879 ihr geistreicher und gewandter Cabinetssecretär, der aus altmärkischem Geschlechte stammende Bodo v. d. Knesebeck wirksam unterstützte. Wenige Tage vor ihrem Tode durfte A. ihre Unterschrift für den 715. dieser Vereine ausfertigen. Die Vereine entfalteten, wo immer sich Nothstände zeigten, bei Hungersnöthen, Ueberschwemmungen und sonst, ihre segensreiche Thätigkeit. Als Friedrich Wilhelm’s IV. treue Lebensgefährtin Königin Elisabeth, auch eine unermüdliche Wohlthäterin, heimging (1873), da übernahm A. auch die Pflege der vielen von dieser ins Leben gerufenenen humanitären Bestrebungen. Sie rief ferner das nach ihr genannte Hospital, eine Musterkrankenanstalt im Berliner Norden ins Leben. Es wurde ihre Lieblingsschöpfung, an die sich das Pflegerinnenasyl, eine Musteranstalt für Krankenpflegerinnen anschloß. Ferner verdankte ihr seine Entstehung das Augustastift zum Besten der Töchter gefallener Officiere und Beamten, dessen Satzungen der Minister v. Patow entwarf. In diesen drei Anstalten hat sie am meisten Liebe gesät und reichlich wieder geerntet. Im J. 1883 übernahm sie das Protectorat der Berliner Hygieneausstellung. Sie stellte zur Förderung der Kenntniß der humanitären Thätigkeit und zur Verbesserung der hygienischen [138] Technik verschiedene Preisaufgaben, durch die tüchtige Schriften gezeitigt wurden. Ihr letztes Werk war ein Act des Dankes gegen ihren Freund Bernhard v. Langenbeck, die Stiftung des nach diesem benannten Hauses, in dem der deutsche Chirurgencongreß sein Heim finden sollte. Durch diese Thätigkeit trat sie in Berührung mit den bedeutendsten deutschen Wundärzten wie Billroth, Bergmann, Esmarch, Volkmann, Busch, Gurlt und Anderen, die von Bewunderung für das aufopfernde Wirken der hohen Frau erfüllt wurden. Es war für sie ein rührender und beglückender Augenblick, als der sterbende Volkmann ihr schrieb: „Eure Majestät haben für uns und unsere Wissenschaft, für die Hospitäler und Kranken so viel gethan, wie nie jemand zuvor“. Daneben widmete sie den Volksküchen Lina Morgenstern’s als Protectorin eine lebhafte Aufmerksamkeit. Wol kaum je eine fürstliche Persönlichkeit hat den Begriff des Protectorats so streng gefaßt wie A. Für sie bedeutete diese meist als decorativ betrachtete Stellung ein Amt, dem sie nur durch rührige Arbeit für die Sache zu genügen glaubte. Auch ihrer Stellung als Chef ihres Regiments hat sie einen Inhalt gegeben. Alljährlich nahm sie im Koblenzer Schlosse die Vereidigung der Rekruten vor. Noch am 23. November 1889 ist dies geschehen. Am 7. December 1889 besuchte sie zum letzten Male das Haus des Regimentes. Noch in späten Jahren (am 23. September 1884) ist sie hinausgefahren auf das Paradefeld von Euskirchen im Hochland der Eifel und hat mit ihrem Wagen, ihren Ordonnanzofficier Graf Beissel v. Gymnich zur Seite, auf dem rechten Flügel ihres Regimentes Aufstellung genommen, als Kaiser Wilhelm die Front des VIII. Armeecorps abritt, ein Bild, das Emil Hünten’s Hand festgehalten hat. Selbst von treuen Frauen umgeben, wußte sie die Treue zu schätzen und sah sich daher veranlaßt, ein goldenes Kreuz für vierzigjährige tadellose Dienste weiblicher Dienstboten zu stiften. Sie verzehrte sich fast in aufreibender Thätigkeit. Wol nie hat sie einen Ausgang unternommen, bei dem sie nicht irgend eine Angelegenheit erledigte, die in den Bereich der von ihr selbst erwählten Schaffenszweige fiel. Sie erschwerte sich ihre Arbeit, weil sie am liebsten alles selbst that, auch das, was sie andern übertragen durfte. Diese Unermüdlichkeit war um so bewundernswerther, als ihr nicht die Gabe des raschen und leichten Entschlusses verliehen war.

Von den Kriegen her haftete den Militärbehörden und Aerzten ein gewisses Mißtrauen gegen die häufig sich als gänzlich unzulänglich erweisenden freiwilligen Krankenpfleger an. General Blumenthal griff einmal mit eiserner Rücksichtslosigkeit durch. A. ist es vornehmlich gewesen, die es durchsetzte, daß aus dem anfangs kaum geduldeten ein berechtigtes Verhältniß wurde, formulirt in verschiedenen Sanitätsordnungen. Immerhin hatte sie so viele Schwierigkeiten dabei zu überwinden, daß sie oft eine gewisse Bitterkeit deswegen empfand. Hier lernte sie sich schließlich darauf beschränken, nur das Erreichbare zu erstreben, ein Gebot der Klugheit, das sie in der hohen Politik nie zu befolgen gelernt hat. Nüchterner geworden pflegte sie der früheren Jahre und ihrer damaligen hochfliegenden Pläne mit stillem Lächeln zu gedenken und zu äußern: „Ja damals dachte ich noch ganz anders“. Sie hat es nicht unterlassen auch Bismarck für ihr Werk persönlich zu interessiren, indem sie ihm das Criegern’sche Buch über „Das Rothe Kreuz in Deutschland“ zusandte und dabei darauf hinwies, wie sehr ihre Bestrebungen der Unterstützung der „maßgebenden Stelle“ bedürften. Der Realpolitiker gab ihr eine feinabgewogene Antwort, in der er das Außerordentliche, was durch Augusta’s „hingebende Leitung“ erreicht sei, warm anerkannte. In dem Bewußtsein eine Helferin für die Armen, Kranken und Nothleidenden im größesten Stile geworden zu sein, durfte sich A. wol in dem Gedanken gefallen, die Rolle einer modernen Elisabeth von Thüringen gespielt [139] zu haben, als deren Nachkommin sie, wie eine im Koblenzer Schloß aufbewahrte, von ihr ausgehende und mit der heiligen Elisabeth endigende Stammtafel zeigt, sich fühlte.

Sie hat an sich selbst nur zu sehr erfahren, was leiden heißt. Ihr körperlicher Zustand war all die Jahre hindurch ein beklagenswerther geblieben, wenn auch ihr treuer stets um sie beschäftigter ärztlicher Berather Velten – auch ein Rheinländer; er entstammte einer Bonner Medicinerfamilie – sagen durfte, daß sie eine ungewöhnlich starke Constitution hätte. Ihre Willensstärke hielt sie aufrecht, wenn ihre Persönlichkeit auch nicht mehr jenen Schwung verrieth, der ihr als Prinzessin von Preußen eigenthümlich war. Den Bunsens erschien sie in jener früheren Zeit als „geistig weit höher“ stehend. Von ihr gilt wahrhaft das Wort: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut“. Es kam zu den äußerlichen Schmerzen, die sie erlitt, hinzu das Leid, das sie durch die Mordversuche auf ihren Gemahl empfand. Als diesen Nobiling’s Schüsse trafen, war sie schwer leidend in Baden. Eilends reiste sie nach Berlin an das Krankenbett des Verwundeten. Mehrere Wochen widmete sie sich seiner Pflege, um dann die unterbrochene Cur wieder aufzunehmen. Sie verstand es in hohem Maße wohlthuend zu pflegen. In jener schweren Zeit hat sie Ranke im Berliner Thiergarten wandeln sehen und gefunden, daß sie mehr als je das Ansehen einer Matrone hatte. Unter dem Eindruck des Unglücks war sie herzlicher wie sonst geworden, obwol ihr das ceremonielle Wesen, das ihr in der Jugend anerzogen worden war, bis zuletzt anhaftete. Mit den Jahren wuchs ihre Frömmigkeit in einer Weise, daß ein frommer, geistig hochstehender Mann wie der Hofprediger Kögel daraus neue Kraft zu schöpfen vermochte. Auch in gewissen Aeußerlichkeiten scheint sie in den späteren Jahren ihre strengere religiöse Richtung mehr bekundet zu haben. Mit ängstlicher Sorgfalt behütete sie ihre jungen Hofdamen vor Umgang, der ihnen schaden konnte, ja sie beaufsichtigte in mütterlicher Fürsorge deren Lectüre und Theaterbesuch. Durch das Walten der Vorsehung ward es ihr noch vergönnt, das Fest der goldenen Hochzeit unter dem herzbezwingenden Jubel eines glücklichen Volkes zu begehen. In jenen Tagen fand sie Gelegenheit ihrem alten Vertrauten Schleinitz noch einmal einen greifbaren Ausdruck ihres Wohlwollens für ihn zu geben, indem der Hausminister damals in den Grafenstand erhoben wurde. Zwei Jahre nach der Jubelfeier, am 23. Juni 1881, stieß ihr bei der Rückkehr von Ems nach Passiren der Pfaffendorfer Brücke, über die sie zu Fuß gegangen war, in Koblenz ein Unfall zu, von dem sie sich nicht mehr erholen sollte. Professor Busch vollzog zwar mit Glück eine Operation, aber Langenbeck erkannte gleich, daß an Heilung nicht mehr zu denken sei. Seitdem war sie gezwungen, am Stock zu gehen und in den letzten Jahren ist sie an den Rollstuhl gebannt gewesen. Fast neun Jahre hindurch hat ihr Körper ein gebrochenes, zuletzt nur ein Scheindasein geführt. Nur durch ihre mächtige Willenskraft hielt sie sich aufrecht und ihr feuriger Geist bewahrte bis zuletzt eine ungewöhnliche Fähigkeit der Concentration. Ihrem Gemahl wurde sie allmählich die unentbehrliche Lebensgefährtin, die ihm auch herzlich nahe trat, ein Glück, auf das sie von vornherein bei Beginn ihrer Ehe im Stillen hatte verzichten müssen. Ihre beiderseitige Verschiedenheit war nicht dazu angethan, die vorausgegangenen Herzenserlebnisse Wilhelm’s bei ihr vergessen zu machen. Noch in den siebziger Jahren beruhte die im übrigen durch die hervorragenden sittlichen Eigenschaften der Beiden musterhafte Ehe mehr auf beiderseitiger achtungsvoller Freundschaft als auf jener innigen Herzensgemeinschaft, die zwischen Mann und Frau in glücklicher Ehe besteht. Das findet in den Feldbriefen Wilhelm’s auch durch die ständige Unterschrift einen bezeichnenden formellen Ausdruck. Im Greisenalter [140] hat sich das wol anders gestaltet. Rührend ist es zu hören, daß diese Frau, die selbst kaum gehen konnte, ihren Gemahl in den letzten Jahren bei den Gängen, die er in Tagen der Mattigkeit durch die Zimmerflucht seines Palais unternahm, getreulich unterstützt hat. Und diese Fürstin, die auf das Hauptglück des Weibes, die innige Liebe ihres Mannes verzichten mußte, die sich darum in eine vielgeschäftige, unruhige Thätigkeit stürzte und es erfahren mußte, daß sich ihre Politik als eine fortlaufende Kette von Irrthümern erwies, die selbst bei ihren Liebeswerken auf Dornen stieß, wo sie sie nicht vermuthet hatte, erlebte am Ende noch den Kummer sondergleichen, daß ihr einziger Sohn, der in seiner sonnenhaften Siegfriedsnatur zu der stolzen Hoffnung berechtigte, daß er als Kaiser den von seinem Vater verkörperten Geist des Altpreußenthums mit dem großdeutschen seiner Mutter auch in seinem Reiche zu innerlicher Einheit verschmelzen würde, vor ihren Augen einem schnellen Ende entgegensiechte. Es gibt keine größere Tragik als in jenen Stunden enthalten ist, wo der von San Remo herbeigeeilte todwunde Kaiser Friedrich vor seiner Mutter niederkniete und seinen Kopf schluchzend in ihren Schoß barg und wo die beiden, während der Heldenkaiser von seinem Volke zu Grabe geleitet wurde, außer Vermögen, der Trauerfeier für den Geliebten beizuwohnen, einsam ergreifende Worte miteinander austauschten. Als dann der Sohn von seinen Leiden erlöst war, fand sie ihren Trost in ihrem Gott. Fast ein Wunder war es zu nennen, daß sie Gatten und Sohn noch um mehr als Jahresfrist überlebte. Als sie schon die Schatten des Todes nahen fühlte, um Neujahr 1890, empfing sie noch einmal die Heldenreihe der Waffengefährten ihres verewigten Gemahls, die preußischen Generale, und nahm von ihnen ergreifenden Abschied. Moltke und Blumenthal zeichnete sie durch besondere Anreden aus. Dann hat sie sich hingelegt und ist am 7. Januar Nachmittags 41/2 Uhr entschlafen, das erlauchteste Opfer der damals herrschenden Grippe. Am 11. Januar wurde sie an der Seite ihres Lebensgefährten im Mausoleum zu Charlottenburg bestattet.

Ihre Herrschernatur hat sich in der deutschen Geschichte für immer einen Platz, wenn auch keinen glücklichen, gesichert. Hochstrebend hat sie doch in der Politik überwiegend nur Unheil angerichtet. Wäre Bismarck nicht erstanden, so wäre durch sie vielleicht der alte Satz, daß in dem noch unter den Einwirkungen des männlichsten aller Jahrhunderte, des sechzehnten, stehenden wesentlich protestantischen preußischen Staate seit den Tagen des Großen Kurfürsten kaum je Frauen regiert haben, durchbrochen worden. Wenn das deutsche Volk an seine glorreiche Bismarck’sche Zeit zurückdenken wird, so wird sich immer damit das schmerzliche Gefühl verbinden, daß diesem deutschen Genius ungezählte Stunden der Bitterniß gerade von der erlauchtesten Frau des Reiches bereitet worden sind. Es soll ihr aber nicht das Verdienst geschmälert werden, das sie sich durch die Pflege eines freieren deutschen wissenschaftlichen Geistes in der kühlen militärischen Luft des preußischen Hofes erworben hat. Noch weniger darf ihr vergessen werden, daß sie ihren Sohn mit diesem Geiste erfüllte, und damit die Vermählung des straffen Preußenthums mit dem vielseitigeren Deutschthum vorbereitete, eine Aufgabe, die auf ihren Enkel überging. Erwogen soll auch werden, daß das durch sie vertretene Weltbürgerthum auch seine Berechtigung hat und daß die harte Wucht der Bismarck’schen Arbeit manches in ihrer Thätigkeit knicken mußte, was zu anderer Zeit schöne Blüthen hätte treiben dürfen. Den meisten Ruhm hat sie sich durch ihr positives Wirken für die Menschheit erkämpft als Schülerin der Herder’schen Ideen. Noch über den Verhandlungen der Haager Friedensconferenz im J. 1899 schwebte ihr Geist; und was dort an Positivem geleistet wurde, bestand in einem Ausbau ihres Werkes, des Rothen Kreuzes.

[141] Vergegenwärtigt man sich das Loos dieser Fürstin , worauf sie verzichtet, was sie erlebt, was sie gelitten und was sie verloren hat, so versteht man es, daß ihr Wesen den Eindruck der Unnatürlichkeit, der Kälte und Verschlossenheit machte und so garnichts von innerer Heiterkeit und Fröhlichkeit zeigte. Und doch konnte sie von überströmender Herzlichkeit und freier Natürlichkeit sein, wie ihre Briefe an Frau Batsch beweisen und wie sicher noch manche jetzt verborgen gehaltene Zeugnisse darthun werden. Psychologisch ist es auch leicht zu begreifen, daß bei der kranken Frau jene Schwarzseherei, die sie schon in früheren Jahren mit wechselnder Berechtigung zu Kassandrarufen veranlaßte, mehr und mehr zunahm. Wäre es ihr gegeben gewesen, sich von Anfang an in die Rolle hineinzufinden, die der fürstlichen Frau vielleicht noch mehr gewiesen ist als den gewöhnlichen Sterblichen ihres Geschlechts, nämlich die Eigenart ihres Gemahls zu würdigen, sich in sie einzuleben und so die Vermittlerin zwischen ihm und seinem Staatsmanne zu werden, so wäre ihr ein Schatz der Liebe im deutschen Volke noch nach ihrem Tode zugewachsen. So aber wird sie im Andenken der deutschen Nation niemals die Liebe genießen wie ihr edler Gemahl. Aber unter der großen Reihe hervorragender Fürstinnen wird sie im Andenken an ihre Pflichttreue, ihre Hoheit, ihre Willensstärke, ihre geistigen Interessen und ihr ideales Streben stets als eine der ersten genannt werden, und tiefes Mitgefühl wird man immer mit ihr haben müssen wegen des Unglücks, das sie getragen hat.

Künstlerhand hat ihre Züge häufig veranschaulicht. Die bekanntesten Gemälde von ihr sind wol von Krüger, Begas, Magnus, Winterhalter, Plockhorst und Schrödl. Sehr bald nach ihrem Tode wurden ihr Denkmäler gesetzt. Das eine steht neben ihrem Berliner Heim mit dem Blick auf die Pflegstätte der universalen Wissenschaft, zu der sie sich zeitlebens leidenschaftlich hingezogen fühlte, und angesichts der Standbilder ihrer Freunde, der Gebrüder Humboldt und Hermann’s v. Helmholtz. Aus allgemeinen Mitteln des Volks errichtet, wurde es am 21. October 1895 enthüllt. Der Schöpfer, Fritz Schaper, hat der sitzenden Gestalt etwa die Züge verliehen, wie sie die Prinzessin von Preußen in den fünfziger Jahren gehabt haben mag. Ein zweites noch schöneres Denkmal hat ihr die Stadt Koblenz inmitten ihrer schönen Rheinanlagen geweiht, wo es am 18. October 1896 enthüllt wurde. Dort hat der Bildhauer K. F. Moest das eigenthümliche Wesen der Greisin meisterhaft festgehalten und der Architekt Bruno Schmitz wirksame Bauanlagen geschaffen, um dem nach dem Strome gerichteten Monument die erforderliche Fernwirkung zu verleihen. Ein drittes Denkmal soll auch auf rheinischem Boden, wo sie die meiste Anhänglichkeit gefunden hat, in Köln, und ein viertes in ihrer Heimath, in Weimar, erstehen.

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[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Augusta, deutsche Kaiserin u. K. v. Pr. XLVI 112 Z. 7–8 v. o. l.: Stephanie und deren Tochter, der Herzogin von Hamilton, als auch mit der Großherzogin Sophie. [Bd. 56, S. 395]