ADB:Scheffner, Johann George
Wilhelm L’Estocq, welcher die Preußen in der Schlacht bei Preußisch-Eylau befehligte. Mit diesem, wie mit David Neumann, dem Vertheidiger von Kosel im Jahre 1807, verband ihn eine innige Freundschaft. Im Herbst 1757 bestand S. sein Staatsexamen glücklich und übernahm eine Stellung als Privatsecretär bei dem Herzoge Karl von Holstein-Beck, welcher damals in Königsberg lebte. Im November 1759 ward durch den Umgang mit gefangenen preußischen Officieren die Lust zum Soldatenberufe in ihm geweckt. Er entfernte sich heimlich aus dem damals russischen Preußen und trat in Meißen als Fähnrich bei dem Regiment Kamin ein. Er machte die letzten Feldzüge des siebenjährigen Krieges mit und nahm an dem Sturm auf die Dittmannsdorfer Berge, wie an der Belagerung von Schweidnitz theil. Nach dem Frieden von Hubertusburg blieb er nur noch kurze Zeit im Dienst. 1765 ward er Secretär in der Königsbergischen Kammer und vermählte sich mit Babette, der dritten Tochter des Kaufmanns Bouissont in Berlin, mit welcher er in langer, glücklicher aber kinderloser Ehe lebte. Sie starb am 21. Juni 1813. In dieser Zeit seines Königsberger Aufenthaltes knüpfte sich die Freundschaft mit Hippel, die bis zu dessen Tode vorhielt, obwohl S. sich nachher wenig günstig über ihn äußerte (Lebensbeschreibung, I, 125 ff.). 1767 ward S. Kriegs- und Steuerrath in Gumbinnen, 1771 in gleicher Eigenschaft nach Königsberg und 1772 nach Marienwerder versetzt, welches eben durch die erste polnische Theilung preußisch geworden war. Hier wirkte er noch drei Jahre mit anerkanntem Erfolge, nahm aber dann seinen Abschied aus Verdruß über eine kränkende Behandlung, welche dem ganzen Colleg durch den König zutheil geworden. Er ward ungnädig ohne Pension entlassen und lebte einige Zeit auf dem Stolzenberge bei Danzig. Durch die seiner Frau zugefallene Erbschaft wohlhabend geworden, kaufte er das Gut Sprintlack am Deymestrom. Er bewirthschaftete es acht Jahre und brachte es aus dem verfallenen Zustande, in welchem er es übernommen, zu hoher Blüthe, sorgte namentlich auch für die geistige Hebung der dazu gehörigen leibeignen Bauern. Nun erwarb er das Gut Ebertswalde. Von 1796 an aber lebte er in Königsberg. Er kaufte ein Haus am Ende der Stadt belegen, mit geräumigem Hofe und Garten, das ihm 12 000 Thaler kostete, trat es aber im Jahre 1806 dem Könige gegen eine Leibrente von 700 Thalern ab, weil der Platz zur Anlegung des botanischen Gartens geeignet [686] schien. Er blieb in Königsberg bis an seinen Tod, der am 16. August 1820 erfolgte.
Scheffner: Johann George S. wurde geboren am 8. August 1736 zu Königsberg i. Pr. Sein Vater hieß Gottfried. Die Familie soll aus Holland eingewandert sein. Der Großvater war Kaufmann gewesen. Gottfried S. war eine zeitlang in der Domänenkammer für Litthauen beschäftigt, dann Pächter eines großen Kammergutes. Als er sich aber mit Anna Regina Reimer, die schon verheirathet gewesen, im Jahre 1735 vermählte, gab er seine Stellung auf, da sie keinen Beamten zum Gatten haben wollte. Johann George war das erste Kind dieser Ehe, in Zwischenräumen von je 4 Jahren folgten noch zwei Töchter. Durch eintretende Vermögensverluste wurde der Vater später gezwungen, doch wieder ein Gut in Pacht zu nehmen, und der Sohn, welcher anfangs von der Mutter, dann von Hofmeistern unterrichtet war, wurde einer öffentlichen Schule übergeben. Schon mit 13 Jahren ward er für die Prima reif gefunden, indes von dem Vater noch ein halbes Jahr in Secunda zurückgehalten. Mit 16 Jahren ward er Student der Rechte und, da er sich etwas lockerem Leben zuneigte, ward er zuerst bei dem Magister Lindner, dann bei dem Kriegsrath L’Estocq untergebracht, dem Vater des späteren GeneralsS. war ein Mann von trefflichem Charakter und erfreute sich einer allgemeinen Achtung und Verehrung. Von seinem Vater sagt er, daß er große Rechtschaffenheit, „Dreustigkeit“ (Freimüthigkeit), Eigensinn besessen, und wenn er hinzufügt, „wovon er meine Legitimam nicht verkürzen wollte“, deutet er selbst darauf, daß des Vaters Charakter den seinen wesentlich bestimmte. Tapfer bis zur Verwegenheit im Felde, fleißig und gewissenhaft als Beamter, fehlte es ihm nicht an Anerkennung. Seinen Abschied nahm er in beiden Fällen, weil seine offene Natur sich unwürdigen Zumuthungen nicht fügen wollte. Immer aber widmete er auch später seinen ganzen Antheil den Vorgängen des öffentlichen Lebens. Seine Vaterlandsliebe findet in seiner Selbstbiographie an vielen Stellen einen schönen kräftigen Ausdruck. Die Hebung des Volksschulwesens war ein Gegenstand seiner vorzüglichen Sorgfalt und brachte ihn in Verbindung mit dem bekannten Freiherrn von Rochau. Die ausgezeichnetsten Männer seiner Heimath zählte er zu seinen Freunden, außer Hippel namentlich Kant, Hamann, den Professor Krauß, den späteren Bischof Borowski u. a. m. Häufige Reisen brachten ihn in Berlin, Dresden, Leipzig mit allen Gelehrten und Dichtern von einigem Rufe in Beziehung. Mit Herder unterhielt er mehrere Jahre bis zu dessen Weggang von Riga einen Briefwechsel. Die Zeit der Bedrängniß des Vaterlandes von 1806, wie die der herrlichen Erhebung von 1813 fügt dieser Reihe die Staatsmänner und Feldherren Stein, E. M. Arndt, York u. s. w. hinzu. Am anziehendsten erscheint er in seinem Verkehr mit der Königin Luise und deren Schwester, der damaligen Prinzessin Friederike von Solms, der späteren Königin von Hannover, als sie sich von 1806 bis 1809 meist in Königsberg aufhielten. Die Briefe, welche er mit der Königin gewechselt hat, sind von R. Reicke in Königsberg vollständig veröffentlicht. Es sind im ganzen achtzehn, von denen die Königin fünf geschrieben hat. Sie betreffen zum großen Theil persönliche Angelegenheiten und zeugen von einer wahrhaft freundschaftlichen Verehrung auf Seiten der Fürstin, einer bewundernden Hingabe bei S. Allerdings verfolgte dieser einen bestimmten Zweck, indem er versuchte, den Erzieher des Kronprinzen, Delbrück, aus seiner Stellung zu entfernen, weil er ihn als ungeeignet zu seiner hohen Aufgabe betrachtete. Er wünschte Süvern, damals Professor in Königsberg, in diesen Posten zu bringen, hatte aber keinen Erfolg damit. Daß aber auch der Kronprinz, später Friedrich Wilhelm IV., S. aus seiner Jugend her ein gutes Andenken bewahrte, beweist ein Brief von ihm aus dem Jahre 1818, mitgetheilt in den „Nachlieferungen zu meinem Leben“, S. 137.
Als Charakter, als durch und durch tüchtiger Mann, der auch in schwerer Zeit unentwegt auf seinem Posten stand und durch Wort und Vorbild zum guten wirkte, hat S. ohne Frage mehr Bedeutung als durch seine Schriftstellerei. Uns kann er nur noch von jener Seite aus interessieren, seine Dichtungen sind für uns gänzlich werthlos. Sie sind auch nur schwer zu bekommen. Er selbst hat von seinen poetischen Fähigkeiten nur eine bescheidene Meinung gehabt. Er berichtet, daß er in seiner frühen Jugend einen schweren Kopf gehabt und nur sehr langsam gelernt habe. Da er aber schon mit 13 Jahren für Prima reif schien, muß er später diesen Mangel ausgeglichen haben. Sein poetischer Drang erwachte früh und muß ihn nach seinen eigenen Mittheilungen zu gewissen Zeiten seines Lebens völlig beherrscht haben, so während seiner Studienjahre, auch während seines Kriegsdienstes, wogegen ihn später die Geschäfte seines Amtes zu ausschließlich in Anspruch nahmen. Von der Zeit in Marienwerder bemerkt er ausdrücklich, daß er in den drei Jahren kaum ein Buch habe zur Hand nehmen können (Lebensbeschreibung S. 148). Seine wichtigste, noch heute sehr [687] lesenswerthe und anziehende Schrift ist seine Lebensbeschreibung: Mein Leben, wie ich Johann George S. es selbst beschrieben. Leipzig, gedruckt 1816, ausgegeben im Jahre 1823. Dieser Zusatz bezieht sich jedoch nur auf die zweites Hälfte. Die erste S. 1–256 liegt mir in einer besonderen Ausgabe, Königsberg 1821 vor, die ich der Güte des Herrn Dr. Rud. Reicke in Königsberg verdanke. S. selbst hatte diese Bestimmung getroffen. Den Verdacht, daß vieles aus dem Buche durch die Censur gestrichen sei, weist R. Reicke „Aus dem Leben Scheffner’s“ in der Altpreußischen Monatsschrift I, S. 33 mit der Bemerkung ab, daß der Verfasser in den 21 Seiten des Anhangs, der die Ueberschrift trägt „Druckfehler und Auslassungen“, und den er in einer „preßfreieren Stadt“ (Rudolstadt bei Fröbel) drucken ließ, fast alle Stellen wörtlich wieder brachte, die dem strengen Leipziger Censor, Professor Wieland, zum Opfer gefallen waren. Einen Nachtrag zu seiner Biographie geben die „Nachlieferungen zu meinem Leben, nach bestem Wissen und Gewissen, stets mit kräftigem Wollen, oft mit schwachem Können“ von Johann George S. Leipzig 1884. Von seinen Gedichten sind folgende Sammlungen erschienen. 1) „Die Wissenschaften, besungen von Joh. George S.“ 1758; 2) „Jugendliche Gedichte“. Königsberg 1761. Veranstaltet ward diese Auswahl aus seinen Jugendpoesien durch die ihm befreundeten Diakonen Kraft und Trescho. 3) „Campagnen-Gedichte zum Zeitvertreib im Lager“. Dresden 1761 (ohne Wissen des Dichters veranstaltet von dem Berliner Buchhändler Rüdiger). 4) „Freundschaftliche Poesien eines Soldaten“. Berlin und Leipzig o. J. (1764), 2. Aufl. sehr verändert 1798; 5) „Gedichte im Geschmack des Grécourt“. Frankfurt und Leipzig bei Dodsley u. Co. (Königsberg, Kanter) 1771, 1773, 1780, 1783; 6) „Gedichte von dem Uebersetzer des treuen Schäfers“. Mitau 1773; 7) „Spätlinge“. Königsberg 1803; 8) „Epistel zu den Spätlingen gehörig“. Königsberg 1804; 9) „Ein Vierblatt, gewachsen unter Schnee und Eis“. Königsberg 1813; 10) „An den General von York“. 1813 (o. O.). Außerdem erwähnt er als ein verschollenes Jugendwerk ein kleines, für die Prinzessin von Holstein-Beck, welche er unter dem Namen Antonie oder Aemilie in Nr. 2 vielfach besungen hat, verfaßtes Drama: „Julia“, ein tragisches Nachspiel, nach dem 681. Stück des englischen Zuschauers gedichtet.
Zu Nr. 6, den Gedichten im Geschmack des Grécourt ist folgendes zu bemerken: sie erschienen in 4. und 5. Auflage (Berlin, Himburg) unter dem Titel „Gedichte nach dem Leben“ und 1798 in vier Bänden unter dem neuen Titel „Natürlichkeiten der sinnlichen und empfindsamen Liebe“ vom Freyherrn Fr. Wilh. v. d. Goltz. S. erwähnt diesen in seiner Lebensbeschreibung S. 93 als einen Freund aus der Kriegszeit. Er hat ihn somit als Verfasser der äußerst schmutzigen Gedichte vorgeschoben, um sich von dem Verdacht der ihm nicht zur Ehre gereichenden Autorschaft zu entlasten. Nachdrücklicher noch geschieht dies in der kleinen Schrift „Etwas über die Gedichte nach dem Leben“ o. O. u. J., nach der Selbstbiographie S. 93 Anm. i. J. 1801 erschienen. Im Intelligenzblatt der Jenaer Allgemeinen Litteraturzeitung vom 2. December 1801, Nr. 231, Spalte 1880 findet sich eine N. N. unterzeichnete Erklärung, worin aufs neue die Urheberschaft dieses N. N. für das Werk, von welchem eine neue Ausgabe beabsichtigt wurde, abgelehnt wird. Trotzdem ist S. auch hierfür verantwortlich zu machen und es bleibt kein gegründeter Zweifel, daß er der Dichter ist, von welchem jenes Werk herrührt (vgl. dazu Archiv für Litteraturgeschichte X, S. 426, einen Artikel von Karl Wallstein über v. d. Goltz).
Von einzelnen Gedichten findet sich noch ein Prolog zu Goldoni’s Lügner und ein Epilog zu Weiße’s Romeo und Julia in den Beilagen zum 2. Theile der Lebensbeschreibung: ein Gedicht am 22. März 1808, zum Geburtstag des Prinzen Wilhelm von Preußen, theilt Reicke mit, Altpreuß. Monatsschrift I S. 715; [688] einzelnes findet sich in den Nachlieferungen, so das Gedicht zum Sonntag, 27. April 1818, als das Kreuz auf dem Galtgarbenberge eingeweiht ward. Groß ist ferner die Zahl von Uebersetzungen: Machiavell’s Fürst und Unterhaltungen über den Livius, Guarini’s treuer Schäfer, Guicciardini’s Geschichte; sowie die von Abhandlungen und Denkschriften, Reden und Vorreden, die meist anonym erschienen und ganz verschollen sind, zu nicht geringem Theil auch unter anderem Namen gehen. Als Recensenten des ersten Bändchens der Herder’schen Fragmente weist ihn Haym nach (vgl. Herder nach seinem Leben und seinen Werken I, 210).
Die wichtigste Schrift über S. ist die von R. Reicke: Kriegsrat S. und die Königin Luise, 1863, ein Abdruck zweier Aufsätze der Altpreuß. Monatsschrift: Aus dem Leben Scheffner’s Bd. I, 30–58 und: der Kriegsrat S. und die Königin Luise, ebend. S. 706–36.
- Vgl. sonst noch Dorow’s Reminiscenzen 1842, besonders S. 271 ff.; derselbe, Krieg, Litteratur und Theater, Leipzig 1845, S. 202–223, das Verhältniß Scheffner’s zu Zacharias Werner und Karl Gottlieb Bock betreffend. An vielen Stellen durch das ganze Buch zerstreut erscheint er ferner erwähnt in Gildemeister: J. G. Hamann’s, des Magus aus Norden, Leben und Schriften, 5 Bände. Gotha 1865–68.